Antiimperialistische Stadtentwicklung

⋄ Der US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay ist die einzige Landgrenze zwischen Kuba und den USA.

⋄ Caimanera ist die “Frontstadt” zu dieser Grenze.

⋄ Der kanadische Geograph Ranu Basu zeigt auf, wie diese Stadt eine anti-imperialistische Vorstadt wurde.

⋄ Er nutzt dabei Methoden der kritischen und antikolonialen Geographie.

⋄ Caimanera ist dabei in das Konzept des “Wettstreits der Ideen” Fidel Castros eingebunden.
Das Denkmal für Mariana Grajales in Caimanera

Mit Guantanamo verbinden viele das Foltergefängnis, dass symbolisch für den Zivilisationsbruch der Vereinigten Staaten im Zuge der imperialistischen Kriege „gegen den Terror“ steht. Die Bucht von Guantanamo bildet jedoch auch die einzige Landgrenze zwischen den kapitalistischen USA und dem sozialistischen Kuba. „Frontstadt“ ist Caimanera, eine 10.000-Seelengemeinde und Vorstadt des eigentlichen Guantanamos.

Ranu Basu von der Fakultät für ökologischen und urbanen Wandel der York-Universität aus Toronto analysiert unter dem Aspekt anti-imperialistischer Raumgestaltung, wie Caimanera den „Wettstreit der Ideen“ vor die Tore vor die Tore des US-Marinestützpunktes bringt. Er beschreibt eine Kleinstadt, die für die gewöhnlichen Leute Kubas, aber auch für die gewöhnlichen Leute der Welt gebaut wird.

Der „Wettstreit der Ideen“

Kuba ist in vielerlei Hinsicht ein Ärgernis für die amerikanische Außenpolitik. Die Kubanische Revolution 1959 beendete die imperialistische Abhängigkeit der Insel vom großen Nachbarn und vertrieb somit die USA aus einem Teil ihres selbst ernannten Vorhofs. Kuba etablierte mit dem sozialistischen Versuch ein Gegenmodell zum amerikanischen Kapitalismus, das bis heute trotz wirtschaftlicher Probleme weltweite Strahlkraft besitzt. Nachdem verschiedene Interventions- und Putschversuche gescheitert waren, erpressten die Vereinigten Staaten Kuba mit einer Wirtschaftsblockade, welche zu Zeiten der Sowjetunion nur begrenzte Schäden anrichten konnte. Im „Wettstreit der Systeme“ versuchte Kuba gemeinsam mit der UdSSR aufzuzeigen, dass der real existierende Sozialismus den Werktätigen der Dritten Welt mehr zu bieten hatte als der Westen. Nachdem der Ostblock jedoch politisch kollabierte, entfaltete auch die Blockade ihre volle Durchschlagskraft, was die ökonomische Entwicklung dauerhaft lähmen sollte.

Angesichts der veränderten Situation rief Fidel Castro Anfang der 90er Jahre den “Wettstreit der Ideen“ aus. Wenn schon nicht die materielle Überlegenheit des Sozialismus in einem so isolierten Land wie Kuba bewiesen werden könne, dann solle der immaterielle Mehrwert des Sozialismus für die Armen und Werktätigen demonstriert werden. Konkret umfasste der „Wettstreit der Ideen“ den Vorrang der humanitären und sozialen Entwicklung vor der ökonomischen, gute Bildung für alle, Betonung des Klassenbewusstseins, Massenmobilisation, Rezentralisierung der ökonomischen Planung, Wiederbelebung sozialistischer Elemente in der Wirtschaft und einen Appell an die internationale Solidarität.

Die anti-imperialistische Vorstadt

Ranu Basu analysiert nun die Vorstadt als Raum für eine anti-imperialistische Politik im „Wettsreit der Ideen“. Sie bilde eine geographische Dimension dieses Wettstreits. Basu definiert, sie sei in ihrer „grundlegenden existenziellen und materiellen Form als ein oppositioneller Raum gegen die imperialistische Hegemonie konzipiert“ (S.691). Die anti-imperialistische Vorstadt sei „Teil eines Systems revolutionärer Städte, aber historisch und geographisch in ihre einzigartige Umgebung eingebettet“ (ebd.). Drei Aspekte stellt Basu dabei besonders heraus: Erstens schaffe sie Bewusstsein für vergangene und aktuelle koloniale Strukturen, um sie ideologisch umdeuten zu können. Zweitens biete sie den materiellen Raum für die Gestaltung des sozialistischen Alltagslebens. Drittens öffnet sie Räume für gelebte internationale Solidarität. Die revolutionäre Vorstadt stehe so in krassem Kontrast zu dem, was die Vorstadt im Westen symbolisiert: Spießigkeit, Vereinzelung, Konservatismus und Opportunismus. Noch sind die Beschreibungen Basus jedoch sehr abstrakt und wenig anschaulich. Daher wendet er das Konzept auf Caimanera, die „Frontstadt“ vor dem amerikanischen Stützpunkt Guantanamo Bay an.

Guantanamo, Caimanera und Guantanamo Bay

Die Errichtung des Militärstützpunktes Guantanamo Bay ist Teil einer amerikanischen außenpolitischen Strategie, die sich bis zu Thomas Jeffersons Credo von 1805 zurückverfolgen lässt, die Kuba als unabdingbar für die militärische Verteidigung ansah. Nachdem Kuba 1898 seine Unabhängigkeit von Spanien erreichte, geriet es mit Hilfe von Korruption und direkten militärischen Interventionen in amerikanische Abhängigkeit. Phasenweise regierte eine Militärverwaltung das Land. 1901 wurde das Platt Amendment in die kubanische Verfassung aufgenommen, welches den USA das Recht einräumte, bei Aufständen militärisch einzugreifen und zu diesem Zweck Stützpunkte auf kubanischem Territorium zu errichten. 1903 wurde ein Pachtvertrag über jährlich 2.000 US-Dollar geschlossen, der zunächst auf 99 Jahre datiert war. Diese zeitliche Grenze hob 1934 Fulgencio Batista auf, nachdem er den aus einer Volksbewegung an die Macht gekommenen Ramon Grau San Martin mit Hilfe der USA wegputschte.

Nach der Kubanischen Revolution war das Land nicht mehr bereit, die Militärbasis auf dem eigenen Territorium zu akzeptieren und verlangte die Rückgabe. Der Pachtvertrag sei unter militärischem Druck zustande gekommen. Die Vereinigten Staaten lehnen bis heute die Rückgabe ab.

Weltweite Bekanntheit erlangte das Gefangenenlager des Marinestützpunktes Guantanamo Bay während des „Kriegs gegen den Terror“. Bis 779 Menschen waren zeitweilig ohne Anklage oder rechtlichen Beistand dort inhaftiert. Ehemalige Gefangene berichteten von Folterungen wie dem so genannten Waterboarding, einem simulierten Ertrinken unter Ausnutzung des Würgereflexes. Davon abgesehen dringen US-Schiffe über diesen Stützpunkt immer wieder unerlaubt in kubanische Gewässer ein. Häufiger kommt es zu tödlichen Zwischenfällen mit Fischern und Arbeiter*innen. Nach verschiedenen kubanische Berichten würden Soldat*innen teilweise gewaltsam Anwohner*innen provozieren und US-Flugzeuge immer wieder entflammbares Material über kubanischem Territorium abwerfen. Zahlreiche Sabotageakte der CIA gingen unter Verletzung des See- und Luftraums von der Basis aus.

Caimanera als antiimperialistische Vorstadt

Die naheste am Militärstützpunkt gelegene Stadt ist Caimanera. Sie ist die einzige Stadt Kubas, die an einer Landesgrenze gelegen ist. Bis 1959 bestanden über Arbeiter*innen Kontakte zwischen dem Militärstützpunkt und den Einwohner*innen; später nur noch über Kuriere, die den Militärangehörigen ihre Geldzahlungen in Bar überbrachten, nachdem Kuba von internationalen Finanzsystem ausgeschlossen wurde. Während der Kubakrise herrschte hier höchste Alarmbereitschaft. Von Oppositionellen wurde die Grenze als Fluchtmöglichkeit in die Vereinigten Staaten genutzt.

Die Stadtgestaltung stand also vor einer doppelten Herausforderung. Auf der einen Seite war die wirtschaftliche Entwicklung durch die notwendige Grenzkontrolle und den versperrten Zugang zu den äußeren Buchten, die für eine lukrative Fischerei notwendig wären, stark eingeschränkt. Dass strategisch wichtige Industrie an einem solch wunden Punkt nicht errichtet werden kann, versteht sich. Auf der anderen Seite ist die Bevölkerung wie nirgends sonst auf der Insel von US-amerikanischen Anwerbe- und Propagandaaktionen betroffen. Basu analysiert nun, wie sich die Begegnung auf die doppelte Herausforderung in der Stadtgestaltung niederschlägt. Er unterteilt in drei Hauptaspekte: Caimera als Raum von Planungsidealen und eines revolutionären Ethos, die Form und Funktion öffentlicher Plätze und Maßnahmen für einen neuen Internationalismus.

Caimanera sei eine mit immateriellen Gütern reich ausgestattete Vorstadt. Es gibt sowohl eine Primar- als auch eine Sekundarschule, in denen fast 800 Pädagog*innen arbeiten. Das Gesundheitswesen umfasst bei 10.000 Einwohner*innen über 500 Mitarbeiter*innen. In den Polykliniken werden überregionale Aufgaben übernommen, um die anderweitig eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten zu kompensieren. Für Schüler*innen gibt es ein großes Musical-Theater-Projekt, sowie umfangreiche Sport- und Werkmöglichkeiten.

Öffentliche Plätze seien bewusst schlicht, aber funktional gehalten. Sie setzten Kontrapunkte zur kolonialen Architektur, die prunkvoll, aber nur wenigen zugänglich und weitestgehend für das Alltagsleben unbrauchbar war. Der Kerngedanke sei, eine „gewöhnliche Stadt zu schaffen, die gewöhnliche Leute dazu befähigt, außergewöhnliche Dinge zu tun“ (S.702). Auch Denkmäler, wie das der Mutter Kubas, Mariana Grajales´ weisen schlichte und unverschnörkelte Formen auf. Sie sind zugleich Treffpunkte für das soziale Leben der Stadt.

Der Internationalismus werde durch regelmäßige Konferenzen gestärkt. Das besondere in Caimanera sei ihr öffentlicher Charakter. Als 2015 200 Delegierte Caimanera zur „Zone des Friedens“ erklärten, fand dies auf dem zentralen Platz des Orts statt. Auch stehen die Sportvereine in ständigem Austausch mit venezolanischen Arbeiter*innen.

Zusammenfassung

Ranu Basu entwirft ein emphatisches Bild einer revolutionären, anti-imperialistischen Vorstadt. Dennoch bleibt das Gefühl, dass das Potential der kritischen Geographie in dem Artikel nicht ausgeschöpft wurde. Basus Analyse beschränkt sich leider weitestgehend auf Oberflächlichkeiten und ist zu stark von einem revolutionären Pathos getragen, der die materialistische Durchdringung des politischen Raums Caimanera erschwert. Man hätte gerne mehr über die konkreten Probleme erfahren, über den Umgang mit begrenzten Mitteln, Überlegungen der Wirtschaftsplanung, über die Veränderung der Demographie und Wirtschaftsstruktur oder über die Rezeption und die Integration der Bevölkerung in die Stadtentwicklung.

Dennoch klärt Basu über ein interessantes Kapitel politischer Geographie auf. Allein die Besetzung eines Küstenstreifens, die Bedrohung von Fischern und die Möglichkeit konterrevolutionäre Aktivitäten vor Ort fördern zu können, sind Momente der Geographie des Imperialismus. Die gesamte politische Geographie des Kapitalismus und Imperialismus sind darauf ausgerechnet, das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Herrschaft der Bourgeoisie zu schützen. Guantanamo Bay ist Ausdruck dieses weltweiten Herrschaftsanspruchs der besitzenden Klasse.

Genauso ist umgekehrt die Raumgestaltung ein Moment der Revolution. Architektur und Funktion sind die materiellen Ausprägungen der Ideen der im Sozialismus zur Herrschaft gekommenen Klassen. Es ist ein Unterschied, ob besondere Gebäude für besondere Menschen von einfachen Arbeiter*innen erbaut werden oder ob gewöhnliche Gebäude für gewöhnliche Menschen gebaut werden … um außergewöhnliche Dinge zu tun.

Literatur

Basu, R. (2022): The Anti-Imperialist Geopolitical Suburb? Caimanera as Guantanamo’s Revolutionary Frontier. In: Antipode. Jahrgang 54, Nr. 3, S. 681–707.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert