Information War’s Bottleneck

⋄ Der Ukraine-Krieg tobt nicht erst seit Februar auf dem Schlachtfeld. Er wird seit Jahren bereits als Informationskrieg geführt.

⋄ Tim Beal hat in der
International Critical Thought die Strategie der USA im Informationskrieg analysiert.


⋄ Er arbeitet vom Begriff der kulturellen Hegemonie aus, der die westlichen Werte und Normen als das Normale framed.


⋄ Eine zentrale Rolle in diesem Informationskrieg spielen die Nachrichtenagenturen.


⋄ Ihre tiefgehende Analyse und marxistische Kritik steht noch weitestgehend aus.
It’s a bit more complex …

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Dieses Zitat wird gerne genutzt. Es ist aber falsch. Die Wahrheit ist immer umkämpft; Jahre, bevor der erste Schuss fällt. Der Vietnamkrieg begann nicht mit der Lüge über den Golf von Tonkin. Er begann mit der Vorstellung, dass der Kommunismus eingedämmt werden müsse, um die Freiheit zu retten. Der zweite Irakkrieg begann nicht mit der Lüge über Massenvernichtungswaffen, sondern mit der Vorstellung, die USA dürften als Weltpolizist eigenmächtig Diktatoren absetzen. Der Ukraine-Krieg begann nicht mit der Lüge über die Scharfschützen auf dem Maidan. Er begann mit der Vorstellung, dass Land müsse sich zwischen Westen und Osten entscheiden. Im modernen Medienzeitalter muss ein Krieg über Jahre vorbereitet werden, möchte man nicht die Quittung an der Wahlurne erhalten. Der Informationskrieg tobt ständig. Während noch die Raketen über den Don geschossen werden, wird bereits der nächste Krieg – vielleicht heiß, vielleicht kalt- gegen China vorbereitet.

In der International Critical Thought hat sich Tim Beal mit der Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika zum Sieg im Informationskrieg auseinandergesetzt. Er weist auf die Bedeutung der kulturellen Hegemonie und die zugrunde liegenden Faktoren hin, sowie auf die besondere Rolle, welche Nachrichtenagenturen im Prozess der Informationsverarbeitung spielen.

Der US-Imperialismus und kulturelle Hegemonie

Eine Informationskrieg wird nicht in den Redaktionsstuben gewonnen. Eine Hegemonialmacht braucht zunächst ganz materielle Grundlagen: eine robuste Ökonomie, ein modernes Militär und in der Regel einen stabilen politischen Wirkkreis. Die USA, die Beal zentral untersucht, haben noch weitere Voraussetzungen: eine isolierte, leichte zu verteidigende geographische Lage, genug Raum für eine große Bevölkerung und genug Rohstoffe, um im Kriegsfall autark zu produzieren. Auf diesen Grundlagen haben sich historisch weitere hegemoniale Strukturen herausgebildet: eine dominante Stellung auf dem Finanzsektor, in den internationalen Organisationen und in der globalen Wertschöpfungskette. Eine solche Dominanz kann natürlich von verschiedenster Seite herausgefordert werden. Außenpolitisch können neue Global Player auftauchen oder kleinere Länder können versuchen, sich dem Einfluss der USA zu entziehen. Innenpolitisch werden häufig die entstehenden Kosten kritisiert, sei es fiskalischer Natur oder im Kriegsfall an Menschenleben.

Zu diesem Zweck muss eine dominierende imperialistische Macht eine kulturelle Hegemonie aufbauen können. Die von ihr angewandte Gewalt muss weitestgehend als legitim angesehen werden. Die politischen Verfahrensweisen sollten auch in anderen Ländern funktionieren. Die innenpolitischen Strukturen und der Way of Life sollten als erstrebenswert gelten, Verbündete in den Genuss nicht nur materieller, sondern auch immaterieller Vorteile kommen. Den USA ist es über mehrere Wege gelungen, ihre hegemoniale Stellung zu festigen. Erstens hat sich auf Grund wissenschaftlicher Erfolge und mit Hilfe kultureller Instanzen wie Hollywood englisch als die Lingua Franca der globalen Kommunikation entwickelt. Zweitens haben die USA einen sehr komplexen tiefen Staat aufgebaut, der den einzelnen Akteueren, wie Regierungen, Geheimdiensten, aber auch Nichtregierungsorganisationen auf der einen Seite große Autonomie einräumt, auf der anderen aber einem Netz gegenseitiger Kontrolle aussetzt, das Ausreißer sanktioniert. Und drittens waren es die militärischen Erfolge im Ersten und Zweiten Weltkrieg, sowie im Kalten Krieg, durch welche die USA in einem Großteil der Erde Fuß fassen konnten.

Der Begriff der Hegemonie darf dabei nicht so verstanden werden, dass die US-Regierung top-down Anweisungen an fremde Regierungen geben kann oder muss. Vielmehr handelt es sich um ein wechselwirkendes System, welches auch limitiert, wer überhaupt in die Regierung kommt. Die Hegemonie führt dazu, dass in den USA gebräuchliche Verfahrensweisen, moralische Standards oder soziale Schichtung als das Normale erscheinen, während formell gleichwertige oder für das Proletariat vorteilhaftere andere Gesellschaftsentwürfe hingegen als fremd erscheinen. Es geht nicht darum, Kritik an den hegemonialen Formen zu verbieten, sondern sich einen strategischen Vorteil durch Normalisierung zu verschaffen. Selbst viele Menschen, welche die Herausforderung der USA durch China oder Russland unterstützen, werden zugeben müssen, dass sie das chinesische oder russische moralische und politische System nicht als eigenes ansehen.

Der Informationskrieg der USA nach Tim Beal; eigene Abbildung beruhend auf dem Artikel

Die Funktionsweise des hegemonialen System

Um die hegemoniale Karte im modernen Informationskrieg nun bestmöglich ausspielen zu können, bedarf es nach Beal einer funktionalen Struktur, die sich aus Produzenten und Verbreitern von Informationen, sowie hybriden Formen zusammensetzt.

Als Produzent von Informationen ist zunächst die Regierung selbst zu nennen. Sie schafft die Informationen und in den USA hat man weit eher als andernorts verstanden, dass eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit fundamental für die Durchsetzung politischer Ziele ist. Doch auch Geheimdienste ermitteln selbst Informationen und können diese nach eigenem Belieben dosiert an die Öffentlichkeit geben. Darüber hinaus besteht in den USA ein dichtes Netz aus Universitäten und Think Tanks, die sich häufig aus gemeinsamen Quellen finanzieren. Insbesondere konnten sich Universitäten wie Harvard, Yale oder Stanford einen weltweiten elitären Ruf erarbeiten, der ihre Informationen umso glaubwürdiger erscheinen lässt.

Ein Verbreiter von Informationen ist zum Beispiel Voice of America, der staatliche Auslandssender der Vereinigten Staaten. Aus VoA ist beispielsweise der RIAS in Westdeutschland hervorgegangen, aber auch Radio Free Europe, Radio Free Asia und TV Marti in Kuba sind eng mit dem Sender verbunden. Darüber hinaus besitzen die großen Leitmedien der Vereinigten Staaten wie CNN oder die New York Times ein internationales Korrespondent*innennetz. Da die amerikanischen Medien in englisch produzieren, können ihre Nachrichten weltweit schnell weiterverarbeitet werden. Formell sind sie unabhängig, hängen jedoch von Werbeeinnahmen der gleichen Großkonzerne, wie die Wahlkämpfe der Präsidenten und Abgeordneten, sodass eine gewisse Interessenkonvergenz besteht. Auch der privilegierte Zugang zu Regierungskreisen ist harte Währung der Leitmedien.

Hybride verbreiten nicht nur Informationen, sondern sind auch an ihrer Produktion beteiligt. Die meisten Think Tanks lassen sich zu solchen Hybridformen zählen, aber besonders herausragend ist hier wohl das National Endowment for Democracy (NED) zu nennen. Dieses unterstützt weltweit Projekte, NGOs, Think Tanks, Medien oder Influencer, die den kulturell hegemonialen Begriff von Demokratie nach amerikanischem Vorbild umsetzen. Das Netzwerk des NED umfasst weltweit zehntausende Menschen aus dem akademischen oder Medienbereich und sorgt dafür, dass an jedem Ort, an dem potentiell Informationen entstehen, Menschen mit positivem Bezug zu Amerika aus erster Hand entsprechende Narrative konstruieren können. So gehört beispielsweise die „linke“ Commons-Redaktion aus Kiew seit vielen Jahren zu den Geförderten des NED und übt ihren Einfluss entsprechend auch die sozialdemokratische Linke des Westens aus.

Der große Gatekeeper

Das Hauptproblem des westlichen Informationskrieges ist jedoch nicht, die Informationen zu generieren oder an den Endverbraucher zu bringen. Das kriegen China und Russland in der gleichen Weise hin. Das Kunststück liegt darin, aus einem riesgigen Pool an Informationen die richtigen Nachrichten zum richtigen Zeitpunkt mit dem richten Kontext an die richtigen Stellen zu lancieren. Der Flaschenhals des modernen westlichen Kapitalismus, der aus einer pluralen Meinungswelt die propagandistische Struktur herstellt, sind die großen Presseagenturen: Associated Press (AP), Reuters, Agence France-Presse (AFP) und der Bundesrepublik die Deutsche Presse Agentur DPA.

Nachrichtenagenturen können sowohl kommerziell, nicht kommerziell oder gar staatlich sein. AP als größte der Agenturen beschäftigt rund 4000 Mitarbeiter*innen weltweit, wird durch 12.000 Zeitungen oder Rundfunksender genutzt und erreicht so ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung. 98% aller deutschen Medien nutzen die Deutsche Presse-Agentur und 80% eine der drei großen Agenturen.

Anfangs wurden sie gegründet, um es auch kleineren Lokalzeitungen zu erlauben, über nationales und internationales Geschehen zu berichten, ohne überall durch eigene Journalist*innen alles abdecken zu müssen. Schon damals war ihre Existenz eng mit dem Krieg verknüpft. So wurde die AP geboren, um Informationen zum Mexiko-Krieg schneller als über den Postweg in den Norden zu bringen. Bereits zu Anfangszeiten hatten die Agenturen eine große Macht, da sich die Berichte meist nur mit großem Aufwand verifizieren ließen. Heute fällt die Überprüfung der Artikel zwar durch die digitalen Möglichkeiten leichter, jedoch sind es heute ökonomische Faktoren, die den Agenturen ihre Sonderstellung verschaffen. Alle Redaktionshäuser müssen sparen und es ist günstiger für Zeitungen, einzelne Artikel über die international gut vernetzten Agenturen zu beziehen als sich selbst teure Korrespondent*innen zu halten. Waren Agenturmeldungen rüher eher als Vorlage gedacht, auf den Artikel aufbauen konnten, werden sie heute großenteils und manchmal fast vollständig im Wortlaut übernommen. Das Ergebnis sind identische Artikel in unterschiedlichen Zeitungen. Selbst Korrespondenten von Leitmedien übermitteln häufig zuerst Agenturmeldungen an die Heimatredaktionen, bevor sie mit eigenen Recherchen beginnen. Der Druck zu Aktualität potenziert hier die Macht der Agenturen. Die Website Swiss Policy Research (bitte Anmerkungen lesen) veröffentlichte in einer Fallstudie, dass ca. 78% der Artikel über den Krieg in Syrien der neun größten deutschsprachigen Nachrichtenzeitungen komplett oder überwiegend auf Agenturmeldungen fußten. Interessant hierbei ist, dass die Nachrichtenagenturen selbst Vorreiter der digitalen Nachrichteninfratsruktur waren, um diese schnell möglichst vielen Redaktionen zur Verfügung stellen zu können. Auf Grund des enormen Aufwands besitzen die großen Presseagenturen quasi eine Monopolstellung.

Die Presseagenturen versuchen zwar, durch möglichst neutrale Sprache, korrekte Quellenangaben und Sorgfalt bei der Faktenauswahl eine hohe Vertrauenswürdigkeit zu erreichen. Aber am Ende wählen sie aus, was wichtig ist und was nicht; welche Studie zitiert wird und welche nicht; was über den Feind berichtet wird und was nicht. Der Informationskrieg funktioniert nicht durch Manipulation der Informationen, sondern durch Selektion. Und selbst innerhalb der neutralen Sprache geben die Agenturen ihren Mitarbeiter*innen das Wording vor. Als sich 2021 Emily Wilder auf twitter darüber beschwerte, dass die Begriffe „Israel“ und „Konflikt“, aber nicht „Palästina“ und „Besatzung“ vorgeschrieben seien, wurde sie kurzerhand entlassen. Wer berichtete darüber als erstes? AP! Und konnte dadurch die Journalistin als parteiisch pro-palästinensisch framen. Umgekehrt sind die großen Presseagenturen auch selbst Produzenten der hegemonialen Sprache. Die AP gibt jedes Jahr ein Kompendium über Sprachstil heraus und übt so wesentlich Einfluss darauf aus, was überhaupt als sachliche und neutrale Sprache gilt. Die Agenturen sind hierbei nicht unerfolgreich. Selbst in China oder Russland greifen die staatlichen Medien häufig auf die Agenturmeldungen zurück, insofern sie nicht das eigene Land betreffen. Die Agenturen selbst arbeiten wiederum mit bestimmten Think Tanks und Freelancern zusammen, die Informationen sehr gezielt erstellen.

Die genauen Funktionsmechanismen der Informationsprozesse zwischen Regierungen, Agenturen und Quellen sind noch unzureichend erforscht. Unterkomplexe Darstellungen, dass Regierungen den Agenturen direkte Anweisungen geben könnten, laufen hier fehl, auch wenn in der Regel zwischen dem General Manager von AP und dem Präsidenten persönlicher Kontakt besteht. Es handelt sich vielmehr um einen hegemonialen Komplex. Die Agenturen selbst sind finanziell unabhängig, aber ihre eigentliche Währung ist die Information. Und über die besonders brisanten verfügen Regierungen und Geheimdienste. Diese können bereits kanalisieren, was überhaupt an die Agenturen weitergelangt und fällt eine Agentur durch zu kritische Berichterstattung auf, könnte ihr privilegierter Zugang zu Informationen entzogen werden.

Neben den Agenturen gibt es nur noch einige Leitmedien, die sich ein größeres Redaktions- und Korrespondenznetz leisten können. Die Anzahl der konkreten Medien, auf die eine Regierung Einfluss nehmen muss, um ein hegemoniales Gesellschaftskonzept durchzusetzen, ist also auf einige dutzend größere Akteure begrenzt.

Ziele und Methoden des Informationskrieges

Inhaltlich unterscheidet Beal zwischen Zielen und Methoden des Informationskrieges. Die Ziele seien die Erlangung von Glaubwürdigkeit, die Dämonisierung des politischen Gegners, die Betonung der moralischen Handlunsgdoktrin der Vereinigten Staaten, die Rechfertigung und Legitimierungen konkreter Aktionen und Schuldumkehr. Gerade der Aspekt der Glaubwürdigkeit lässt eben nicht zu, dass die Regierung oder regierungsnahe Medien lügen oder sehr plumpe Propaganda betreiben. Die kulturelle Hegemonie muss daher durch wesentlich feinere Methoden hergestellt werden.

Mittels Dekontextualisierung können Handlungsmotive des Gegners ausgeblendet werden. Ohne diese kann der Gegner auf Grund moralischer Standards verurteilt und Gegenmaßnahmen gerechtfertigt werden. Ein wesentliches Element der Dekontextualisierung ist die historische Amnesie, also die Nichtberücksichtigung der Entwicklungsgeschichte eines Konfliktes. Beispielhaft könnte hier Frage genannt werden, ob der Ukraine-Krieg 2014 oder 2022 begann. Aber auch durch Desequenzierung, also die zeitliche und kausale Umgruppierung von Ereignissen, kann Geschehnisse dekontextualisieren. Die Unterdrückung oder neutraler gesprochen, die Nichtberücksichtigung von Ereignissen und Fakten, die nicht dem eigenen Narrativ entsprechen, ist vielleicht die wichtigste Strategie. Worüber nicht berichtet wird, hat auch nicht stattgefunden. Euphemismen oder Dysphemismen kann man unter dem Begriff Wording zusammenfassen. Die Deutungshoheit über Begriffe wie Krieg, Militäreinsatz, Spezialoperation, Kollateralschaden usw. ist ein Kampf um die Bilder in den Köpfen, da mit jedem Begriff andere Imaginative assoziiert werden. Etwas konkreter sind hier die Auswahl historischer Analogien. Die Appeasement-Politik Großbritanniens wird zum Beispiel als Legitimation für ein frühzeitiges hartes Vorgehen gegen einen vermeintlichen Aggressor herangezogen. Personalisierungen wiederum lassen historische Prozesse zu Neurosen psychisch labiler Machthaber zusammenschrumpfen. Widersprüchliche Interessen und Fraktionskämpfe würden zeigen, dass es auch alternative und konkurrierende Narrative gibt. Die Pathologisierung hingegen erklärt die Abweichung von der Hegemonie zur Krankheit. Mit dem Begriff der Verschleierung hat der Autor allerdings eine Kategorie geschaffen, die selbst schwer zu operationalisieren ist. Wann und ob etwas verschleiert wird, hängt stark von subjektiven Einschätzungen und dem Überblick über die gesamte Faktenlage ab.

Gerade im aktuellen Diskurs um Fake News muss hier bemerkt werden, dass keine*r der vielen Faktenchecker, die momentan echte oder vermeintliche Fake News enttarnen, eine Analysemaske besitzt, welche diese Punkte erkennen könnte. Die Nichtnennung eines Kontextes oder eines Ereignisses kann nicht als falscher Fakt kritisiert werden. Kulturelle Hegemonie bedeutet also auch, die Definitionsmacht darüber zu besitzen, was überhaupt wahre Berichterstattung ist. Sie hat ein Bild in den Köpfen geschaffen, dass es die für alle gleich aussehende auf Fakten beruhende Wahrheit gibt, über die es keinen Streit geben könne und die gegnerische Seite sich unbedingt der Lüge bedienen müsse, die man auch aufdecken könne. Eine solches Bewusstsein ist nicht automatisch in einer Gesellschaft vorhanden, es muss schon geschaffen werden.

Zusammenfassung

Tim Beal macht alles richtig, wenn er den Begriff der kulturellen Hegemonie zum Ausgangspunkt seiner Analyse des Informationskrieges macht. Wir als Leser*innen und Zuschauer*innen können häufig Informationen nicht aus erster Hand prüfen. Wir müssen vielen Informationen vertrauen. Und wir vertrauen den Informationen mehr, wenn sie unseren moralischen, kulturellen und sozialen Vorstellungen entsprechen. Dieses Bewusstsein wird wiederum durch die kulturelle Hegemonie der führenden imperialistischen Länder und um das Kind beim Namen zu nennen, durch die USA geprägt. Beal bearbeitet ein riesiges Feld auf wenigen Seiten. Vieles musste hier sicher ungesagt bleiben.

Zwei große Kritikpunkte müssen jedoch am Artikel festgemacht werden. Erstens stützt sich Tim Beal auch auf unseriöse Quellen (siehe Anmerkungen). Das macht den kompletten Artikel angreifbar. Auch wenn der genutzte Artikel vielleicht unproblematisch ist, hätte Beal ihn einfach zur Grundlage tiefergehender Recherchen nutzen und damit prüfen können, anstatt ihn direkt zu zitieren. Dass es im Peer-Review-Prozess der International Critical Thought hierzu offensichtlich keine Bedenken gab, wirft kein gutes Licht auf ein ansonsten hervorragendes Journal. Der zweite Punkt ist, dass Beal sein eigenes Konzept der kulturellen Hegemonie am Ende nicht ernst genug nimmt. Es läuft doch sehr viel darauf hinaus, dass die US-Regierung Prozesse steuert. Doch gerade die Hegemonieanalyse erlaubt es, zu erkennen, dass auch die US-Regierung in ihrer ganzen Tiefe dieser Hegemonie unterliegt und daher in ihren Freiheiten eingeschränkt ist. Zeitungen unterliegen nicht nur der Hegemonie, sie produzieren und reproduzieren sie selbst. So geht es mit jedem Akteur. An der Entwicklung dieser Dialektik wurde leider gespart. Sie ist aber wichtig, um die Analyse ganzheitlich abzuschließen.

Tim Beals Fokus auf die Nachrichtenagenturen als Gatekeeper und Bottleneck zwischen der vielfältigen Welt aller Informationen hin zu einer durch Personalmangel geprägten Pressewelt ist spannend und angebracht. Hier liegt noch einer riesiger blinder Fleck der linken und marxistischen Analyse. Die bisherige Literatur sieht die Agenturen entweder als die namenlosen Frontschweine, die für die Pressefreiheit Kopf und Kragen riskieren; oder die kritische Literatur entstammt eher der rechten Ecke und fokussiert sich auf den Borderline-Linksliberalismus der meisten Pressedienste. Als das Buch Breaking News 2006 über die AP erschien, war es das erste nach 66 Jahren über eine der mächtigsten Meinungsinstanzen der Welt. Einfache Geschichten verbieten sich hier. Agenturen haben mit der Konkurrenz durch soziale Netzwerke und die chronisch klammen Printmedien zu kämpfen; sie versuchen auch mal, sich gegen Interventionen durch Regierung und Unternehmen zu wehren. Aber es ist zweifellos, dass sie einer der Hauptträger der kulturellen Hegemonie der Vereinigten Staaten bzw. des westlichen Blocks sind. Hier gibt es noch viel zu schreiben und zu forschen. Nachrichtenagenturen sind für die Informationsgesellschaft das, was nach Asimov Phosphor für das Leben ist: der Flaschenhals.

Literatur:

Beal, T. (2022): Imperialism’s Handmaidens: Cultural Hegemony and Information Warfare. In: International Critical Thought. Jahrgang 12. Ausgabe 3. S. 399-425.

Unbekannte*r Autor*innen (2016/2019): The Propaganda Multiplier. In: Swiss Policy Research [Online Only: https://swprs.org/the-propaganda-multiplier]

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