Die Anatomie des Grammophons

Der Dokumentarfilmer, Autor und Lehrer Michael Chanan zeichnete in seinem Buch From Printing to Streaming die technische Entwicklung der Medienindustrie nach und zeigte auf, wie die materielle Basis der Kunst immer wieder neue ideologische Formen schuf, die auf ihre technische Basis zurückspiegelten. Das Buch wurde für den Isaac-Deutscher-Preis 2023 nominiert, konnte sich jedoch nicht gegen Heide Gerstenbergers Market and Violence durchsetzen.

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Historisch-materialistische Science Fiction (Teil 2): Die Parabel vom Sämann (Octavia Butler)

In etwa einem Jahr, am 20. Juli 2024, wird die Geschichte von Otavia Butlers Die Parabel vom Sämann beginnen. Die Geschichte der sechzehn bis achtzehnjährigen Pfarrerstochter Lauren, die den Zusammenbruch ihrer Gemeinde überlebt und sich durch eine Welt – eine Mischung aus dem 18. Brumaire des Louis Bonaparte, Fallout und The Walking Dead – schlagen muss, ist mehr als eine Endzeitstory. Sie ist ein Musterbeispiel für literarisch verarbeiteten dialektischen Materialismus. Kürzlich gab der Heyne-Verlag das Buch als Neuübersetzung heraus, im nächsten Jahr wird die Fortsetzung Die Parabel der Talente folgen. Teil 2 zur Serie über historisch-materialistische Science-Fiction.

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Die Schule des dialektischen Materialismus

„Mittlerweile ist es eher zum Problem geworden, zu erklären, warum sich die Dinge nicht ändern sollten, statt warum sie sich ändern.“ Diesen Satz formulierte Dwayne Huebner bereits vor 55 Jahren mit Blick auf amerikanische Lehrpläne. Zusammen mit João M. Paraskeva kritisiert er seit vielen Jahren das Bildungssystem der Vereinigten Staaten. Dabei geht es den beiden nicht nur um materielle Ausstattung, soziale Segregation, Ungleichheit, bestimmte neokolonialistische Inhalte oder die mangelnde Ausbildung der Lehrkräfte. Sie gehen tiefer und stellen die Frage nach der philosophischen Grundlage verbindlicher Lehrpläne überhaupt. Welchen Sinn ergibt es, in einer Klassengesellschaft, in der ein weißer Farmersohn aus dem mittleren Westen vor ganz anderen Problemen steht als die schwarze Schülerin aus der Chicagoer South Side, das gleiche zu lernen? Was verraten Lehrpläne über eine Gesellschaft, wenn sie seit 80 Jahren kaum verändert wurden, obwohl die Gesellschaft einen grundlegenden Wandel durchlaufen hat? Die Autoren werben für eine Verankerung des dialektischen Materialismus im Bildungssystem. Sie kritisieren Bildung als Derivat einer einmal errichteten Klassenherrschaft und fordern ein System, welches die permanente Veränderung der Lerngegenstände durch die Lernenden erlaubt.

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Ökologisch ungleicher Tausch? Eine Diskussion

Wer ein Bild der Erde bei Nacht ansieht, sieht ein Stück politische Ökonomie. In den imperialistischen strahlen die Lichter. In den Regionen, in denen Öl, Kohle und andere Bodenschätze lagern, ist es dunkel. Die Ressourcen wandern vom globalen Süden in den Norden. Der Müll nimmt den entgegengesetztem Weg. Eine zeitgemäße politische Ökonomie des Imperialismus muss dieses Paradox erklären können. Alf Hornborg hat sich seit nunmehr 30 Jahren mit er Frage beschäftigt, warum ausgerechnet die Herkunftsländer unserer wichtigsten Ressourcen am wenigsten von ihnen profitieren. Gemeinsam mit an deren Wissenschaftlern entwickelte er die Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs.

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Ursula K. Le Guin: The Dispossessed (hist.-mat. Science Fiction 2/X)

Im vorangegangenen Artikel wurde die historisch-materialisische Science Fiction als ein regelbasiertes Gedankenexperiment beschrieben, welches das Mittel der Fiktion nutzt, um Erkenntisse zu gewinnen, die ohne sie nicht möglich wären. Das ist natürlich reichlich abstrakt und verlangt nach Anwendung. Ein erstes Fallbeispiel soll Ursula K. Le Guins The Dispossessed (dt. Freie Geister) sein. Der Roman zählt als einer der Klassiker, nicht nur der linken, Science Fiction. Im Sinne der obigen Definition soll der Roman als Experiment im engen Sinne verstanden werden. Ursula K. Le Guin starb am kommenden Sonntag vor fünf Jahren.

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Historisch-materialistische Science Fiction (1/X)

Am kommenden Sonntag jährt sich der Todestag einer der größten Autor*innen linker Science-Fiction- und Fantasy, Ursula K. Le Guin, zum fünften Mal. Zum Anlass dieses Datum sollen in einem Zweiteiler kurz die Möglichkeiten einer historisch-materialistischen Science Fiction umrissen werden und an Le Guins Werk The Dispossessed/ Freie Geister erörtert werden.

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Howard Zinn und der Marxismus

Am 24. August 1922 wurde Howard Zinn geboren. Sein Buch A People’s History of the United States war eines der bedeutendsten und meistgelesenen Bücher der amerikanischen Linken. Das Buch, dass in Kolumbus nicht den Helden, sondern den Räuber indigenen Landes; in den Gründervätern nicht Vorbilder, sondern einen Club von Sklavenhaltern und jede demokratische Errungen als Ergebnis blutiger Klassenkämpfe sah, wurde und wird bis heute an Colleges und High Schools von Millionen gelesen und diskutiert. Für das FBI und die politische Rechte in den Vereinigten Staaten war klar, dass Zinn ein Kommunist, zumindest ein Marxist sein musste. Aber war Zinn tatsächlich einer? Wie nahm er Marx war? Und wie nahmen Marxist*innen Zinn wahr? Teil 2 (Teil 1: hier) der kleinen Serie zum hundertsten Geburtstag von Howard Zinn.

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Marxismus in Russland

In den letzten Wochen sind einige Artikel erschienen, wie sich „russische Marxisten“ im Ukrainekrieg positionieren. In der Regel verurteilen sie den Krieg, geißeln das Putin-System als protofaschistisch und gehen auf Distanz zur KPRF. Aber was ist eigentlich „russischer Marxismus“? Gibt es nur einen? Wie einflussreich ist er in Wissenschaft und Politik?
In der aktuellen Critical Sociology geben Wissenschaftler*innen aus Moskau und St. Petersburg einen Überblick über den akademischen Marxismus in Russland. Insbesondere Olga Barashkova zeichnet in einem Artikel die unterschiedlichen Strömungen mit ihren Leitideen und -figuren nach. Sie geht insbesondere auf die Strömung der post-sowjetischen Schule des kritischen Marxismus ein.

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