Ukrainian History X: The Past in unwritten

In einer Zeit, in der der Krieg in der Ukraine andauert und materialistische Stimmen gegen jene ankämpfen müssen, die alles schon immer gewusst haben, hat Volodymyr Ishchenko ein ganz besonderes Buch herausgebracht. Eine Anthologie vergangener Artikel ist an sich nichts Besonderes. Normalerweise sind die Gegenstände der Artikel aber bereits geronnene Geschichte und politisch irrelevant. Towards the Abyss wird aber in einer Zeit veröffentlicht, in welcher Einschätzungen des Maidan, der Regierung Selenskys und dem Kriegsbeginn immer noch als politische Statements gelesen werden. Ein Buch gegen das Vergessen.

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Zur Klassenanalyse der Bauern

Die aktuellen Bauernproteste haben gezeigt, dass die Bauernschaft als politisches Subjekt nicht ganz aus dem Fokus der Linken verschwinden sollte. Paramjit Singh und Mukesh Kumar von den Universitäten in Panjab und Toronto haben den Exploitation-Index zur Kategorisierungen der bäuerlichen Klassen in Indien untersucht. Ist jeder, der Landarbeiter*innen anstellt, gleich ein Ausbeuter? Reicht die Fläche des Bodens aus, um auf die soziale Stellung zu schließen? Und wie wirkt sich die zunehmende Mechanisierung in der Landwirtschaft aus?

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Zur Geschichte hinter „Free Palestine“ (1/2)

„Free Palestine“ ist eine Parole, die sich gerade massiver Kritik ausgesetzt sieht. In den Medien wird sie mit der Zustimmung zur Hamas, islamischem Antisemitismus und vor allen Dingen vermeintlich fehlendem Wissen assoziiert. Während die gleichen Medien die massive Repression, die durch Abschiebeforderungen, Vereins- und Veranstaltungsverbote, sowie Racial Profiling ausgeübt wird, mit keinem Wort erwähnt, wird bei jeder Kundgebung genau Buch geführt, ob sich ein*e Redner*in nicht deutlich genug von Terror distanziert hat. Es bleibt meist bei der Verurteilung einzelner Wortfetzen; die ganze Geschichte, die von Palästinenser*innen erzählt wird – und die man am Ende immer noch kritisieren könnte – bleibt für die Mehrheitsgesellschaft unerzählt. Um die Wissenslücken zu füllen, entschloss sich der linke Haymarket-Verlag, drei E-Books für begrenzte Zeit zum kostenlosen Download anzubieten. Eines davon ist Palestine – A Socialist Introduction. An dieser Stelle sollen einige Thesen des Buches dargestellt werden.

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Die Heuschrecken sind weitergezogen

Zeitreise ins Jahr 2003/04. Deutschlands Wirtschaft schrumpfte das bisher einzige Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei aufeinander folgenden Jahren. Die Arbeitslosiggeit hatte einen der höchsten Stände nach der Wiedervereinigung erreicht. Die SPD-Linke ernannte die Orientierung am Shareholder Value zum Sündenbock. Anstelle der geradezu familiären Unternehmensführer, die sich noch um ihre Angestellten sorgten und nur das Beste für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Blick hätten, regierten nun die „verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen“ (Müntefering 2005). Fast 20 Jahre später hat sich die Debatte zwar wieder abgekühlt, Aktionär*innen gibt es jedoch immer noch und man fragt sich, was denn seit dieser Zeit aus der Shareholder Value Orientierung geworden ist. Diliara Valeeva, Tobias J. Klinge und Manuel B. Aalbers haben in der New Political Economy die Ausschüttungen an Aktionäre weltweit empirisch untersucht.

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Zur Klassenanalyse Afrikas

Wohin geht Afrika? Wenn ein*e Marxist*in eine Antwort auf diese Frage sucht, dann wird sie sicher zunächst die Produktionsverhältnisse und die daraus hervorgehende Klassenstrukturierung anschauen. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Eine politisch fruchtbare Klassenanalyse bereit schon in den imperialistischen Kernländern Probleme, wo es eine exorbitante Datenlage und vergleichsweise konventionelle und homogene kapitalistische Gesellschaftsorganisationen gibt. Afrika ist viel pluraler, viele Regionen sind politisch instabil, der Kapitalismus prallt noch immer auf vormoderne Lebensweisen und das koloniale Erbe lastet in verschiedenen Facetten auf den einzelnen Ländern. Paris Yeros von der Staatlichen Universität in Sao Paolo hat sich in seinem Paper Generalized Semiproletarianization in Africa an eine gesamtafrikanische Klassenanalyse gewagt.

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Der Jahresrückblick 2022: Die 10 besten marxistischen Studien

Das Jahr 2022 steht in den Büchern. Mit dem Jahr 2022 geht auch ein Jahr Spectrum of Communism zu Ende, das in aktuelle Studien und Publikationen aller Art und aller Strömungen zum wissenschaftlichen Sozialismus schaute. Der Blog wirft zum Jahresabschluss einen Blick zurück auf die zehn spannendsten theoretischen Beiträge des Jahres 2022. Und richtet einen Dank an die vielen Leser*innen (immerhin 3-4x so viele wie zu Beginn geschätzt) und die vielen Rückmeldungen per Mail, Kommentar oder auf twitter.

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zeitgenössische Marxist*innen: Guglielmo Carchedi

Heute wird die Serie zu zeitgenössischen marxistischen Wissenschaftler*innen fortgesetzt. Und wieder soll ein Marxist vorgestellt werden, den in Deutschland eher wenige kennen: Guglielmo Carchedi. Die Unbekanntheit hat er leider zu Unrecht. Seine Formalisierung der Hegelschen und Marxschen Dialektik, welche die Berücksichtigung der Zeit als wesentlichen Mehrwert der dialektischen gegenüber der formalen Logik identifiziert, ist leicht verständlich und erklärungsmächtig. Carchedi kann Dialektik, Ontologie, Klasse und politische Ökonomie zusammendenken, beharrt in bester wissenschaftlicher Tradition aber auf die empirische Überprüfbarkeit von Theorie. Im Folgenden sollen seine wesentlichen Leistungen dargestellt werden.

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Und sie verelenden doch …

Kaum ein anderes Argument wird so stark gegen den Marxismus gewandt, wie die Verelendungstheorie. Marxist*innen müssten doch erkennen, dass sich die Lage der Arbeiter*innen in den letzten 150 Jahren verbessert habe. Demokratische Teilhabe und soziale Sicherheit seien auch ohne Revolution Wirklichkeit geworden. Und man muss zugeben. Lässt man seinen Blick durchs Land schweifen, scheinen Arbeiter*innen mehr verlieren zu können als nur ihre Ketten.
Carlos Alberto Duque Garcia von der Universidad Autonoma Metropolitana in Mexiko hat für die Capital&Class die ökonomischen Grundlagen der Marxschen Verelendungtheorie untersucht. Kann er das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, die Grundlage der Marxschen Verelendungstheorie, empirisch bestätigen?

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Das gute Leben im Falschen – Zur Aktualität Mariateguis

Schutz und Einheit mit der Natur, Verbundenheit mit der Gemeinschaft, Spiritualität, ein gutes Leben in Selbstbestimmung … dafür steht der Begriff des Sumak Kawsay der Andenvölker Südamerikas. Viele Linke und Sozialist*innen erblicken in diesem einen Weg zu einem kommunitarischen Sozialismus, der gleichzeitig der ökologischen Krise und dem globalen Imperialismus entgegengesetzt werden kann. Bereits vor hundert Jahren entwickelte der peruanische Marxist Jose Carlos Mariategui die Konzeption eines Sozialismus, der indigene Traditionen in sich aufnimmt. Die Latin American Perspectives haben die Theorie Mariateguis im Spiegel aktueller Entwicklungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent interpretiert. Sie zeigen, dass sich Entwicklungen zwischen Linken und Indigenen weit konfliktreicher abgespielt haben, als es nach Mariategui zu erwarten wäre.

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Protest in Translation

Der „heiße Herbst“ kommt langsam ins Rollen. Doch die Verhältnisse sind kompliziert. Auf Seiten der Linken besteht eine permanente Angst, man könne sich von rechts vereinnahmen lassen. Daher ist es ungeheuer wichtig, sich mit der aktuellen Protestforschung und marxistischen Interpretationen des ideologischen Überbaus moderner kapitalistischer Gesellschaften auseinanderzusetzen.
Eine Theorie, welche hier Beachtung finden sollte, ist die so genannte Regulationstheorie. Sie analysiert, wie sich Gesellschaften politisch, ökonomisch, sozial, ideologisch und ökologisch aufstellen, um Krisen hinauszuzögern, gesellschaftlichen Konsens zu erzwingen und Proteste zu vermeiden.

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