Ein Puzzlestück der revolutionären Geschichte des Iran

⋄ Im Iran kämpft die Jugend auf den Straßen gegen den Repressionsapparat.

⋄ 2021 untersuchte der Pariser Historiker
Ali Rahnema die revolutionäre Bewegung der Volksfedajin in seinem Buch Call to Arms.

⋄ Er entwickelte dabei, wie die Guerillabewegung und die politische Bewegungen im Iran von der internationalen anti-imperialistischen Bewegung beeinflusst waren.

⋄ Er zeigt, dass die bewaffneten Kämpfer aus rationalen Gründen heraus handelten und welchen theoretischen Erwägungen sie folgten.

⋄ Der Angriff auf die Kaserne von Siyakhal am 8. Februar 1971 wirkte nach Rahnema bis in die Islamische Revolution hinein.

Nachstellung eines Schusswechsels zwischen Volksfedajin und SAVAK 1974 durch Teheraner Student*innen

Wir schreiben den 8. Februar 1971. Fünf junge Guerillas bringen in der iranischen Provinzstadt Siyahkal einem Mann, der an einen Baum gefesselt ist, sein gestohlenes Auto zurück und zahlen ihm hundert Toman für den entstandenen Schaden. Hinter ihnen liegt ein Angriff auf die Kaserne im Ort, von dem sie mit zehn Gewehren und einem verletzten Genossen zurückkehren. Sie verstreuen sich in die Berge. Das Monatsende wird nur einer erleben. Doch man wird im Iran Epen und Gedichte über die fünf jungen Männer schreiben. Die Studierenden werden ihre Kraft entdecken. Das Regime wird lügen müssen, um die eigene Schwäche zu verstecken. Der Shah wird acht Jahre später gestürzt werden. Die Geschichte der fünf jungen Männer wird als nicht zu leugnender Bestandteil der Islamischen Revolution in die Geschichte eingehen.

Im letztjährig erschienen Buch Call to Arms. Irans Marxist Revolutionaries erforschte der Pariser Professor Ali Rahnema Entstehung und Entwicklung der Volksfedajin bis zur Iranischen Revolution. Ausgehend vom Angriff auf die Kaserne von Siyahkal entwickelte er die Geschichte einer aus klandestinen Zirkeln gegründeten Bewegung, welche die Jugend Teherens radikalisieren konnte, dessen sozialistischer Flügel 1979 10% der Stimmen bei den Parlamentswahlen erhielt, deren Anhänger*innen zu Tausenden 1988 vom Regime hingerichtet wurden und die noch heute am Aufbau einer neuen sozialistischen Partei arbeitet. Eine Zeit, in der die Jugend des Iran wieder auf den Straßen gegen Polizei und Geheiomdienst kämpft, ist wohl die richtige, sich der Lektüre anzunehmen.

Der Autor Ali Rahnema

Ali Rahnema wurde 1952 im Iran geboren. Er studierte sowohl in Oregon, als auch in Massachussetts und promovierte an der Universität Sorbonne in Paris. Heute lehrt er dort an der Amerikanischen Universität. Als studierter Ökonom und Historiker ist sein Forschungsschwerpunkt die politische Geschichte des Iran im 20. Jahrhundert. Seine politische Biographie Ali Shariatis wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Sein 2014 von der Camridge University Press herausgegebenes Buch zum Sturz Mossadeqqs gilt mitunter als das beste Werk zur Zeitspanne zwischen den beiden Putschversuchen gegen den iranischen Ministerpräsidenten. Das Werk war eines unter mehreren historischen Forschungen anlässlich des 60. Jahrestages des Putsches, dass die CIA 2013 auf Grund der schlagenden Beweisführung dazu nötigte, ihre Beteiligung an dem Umsturz öffentlich zuzugeben. Obwohl es Rahnema gelingt, zahlreiche Mythen um Mossadeqq zu dekonstruieren, dessen eigene Fehler angemessen zu berücksichtigen und zu belegen, dass die Initative nicht von den USA, sondern Großbritannien ausging, lässt er keinen Zweifel daran, dass der Putsch die Ursünde der politischen Entwicklung des Irans in der postkolonialen Zeit gewesen ist.

Auch der vorliegende Band Call to Arms. Irans Marxist Revolutionaries beginnt 1953. Jede im Buch beschriebene politische Theorie iranischer Revolutionäre beginnt 1953. Rahnema hat hierbei sämtliches auf Persisch und Englisch verfügbare parteieigene und parteiferne Material – Briefe, Zeitungsberichte und Sekundärliteratur – gesichtet, um eine Geschichte der Volksfedajin zwischen 1964 und 1976 zu verfassen. Er zeichnet nicht nur die Ereignisse nach, sondern auch die dahinter stehenden Debatten und Theorien.

Die Gründung und Formierung der Volksfedajin

Die Gründung der Volksfedajin fällt in die Blütezeit der Guerillabewegungen. Auf Kuba, in Vietnam, Algerien oder Palästina forderten Revolutionäre, geschützt durch Landeskenntnisse und Sympathie der Bauern, die imperialistischen Mächte heraus. Maos Bruch mit Moskau exportierte nicht Waffen, wie die Komintern, aber revolutionäres Verlangen. Der Versuch Mosadeqqs, Demokratie auf friedlichem Wege durchzusetzen, endete in einem Putsch. Die blutigen Aufstände in der Folge der kritischen Reden Ruholla Khomeynis führten die Brutalität des Shah-Regimes aller Welt vor Augen. Selbst moderate Sozialdemokraten sprachen von der Notwendigkeit, sich zu bewaffnen. Attentate auf Regierungsvertreter samt Sühneaktionen des Geheimdienstes gehörten in den 60er und 70er Jahren zur Tagesordnung.

In dieser Zeit schossen die marxistischen Zirkel aus dem Boden. Viele Student*innen wurden durch einen dreitägigen Streik zur Bildung einer Einheitsfront gegen den Shah an der Universität Teherans am 10. Januar 1960 politisiert und durch die anschließenden Verfolgungen radikalisiert. Unter anderem traf sich eine kleine Gruppe ab September 1963 in den Wohnungen der Freunde des ehemaligen Unternehmers Bijan Jazanis. Sie erörterten die Fragen der Zeit, die politischen Lehren aus dem Sturz Mossadeqqs, den sino-sowjetischen Konflikt oder die Frage von Agitation und Aktion.

Darstellung von Bijan Jazani

Die größte linke Partei des Irans, die Tudeh-Partei, die im Wesentlichen aus dem Exil geleitet wurde, konnte den revolutionären Drang der Jugendlichen immer weniger auffangen. Auch wenn sie sich angesichts der wachsenden Zahl maoistischer Anhänger*innen in den eigenen Reihen immer wieder lauwarm zum bewaffneten Kampf bekannte, so blieb sie doch stark an der Sowjetunion orientiert und ruderte zurück, als sich Breshnev dem Shah politisch annäherte. Im Gegenzug verachteten die revolutionären Jugendlichen die Tudeh für ihre Wankelmütigkeit und sahen ihre Passivität verantwortlich für den Sturz Mossadeqqs.

Jedes Mitglied der Gruppe um Jazani wiederum war in andere Netzwerke involviert, von denen viele Vorstellungen des bewaffneten Kampfes entwickelten und sich darauf vorbereiteten. So lernten Mitglieder im Teheraner Bergsteigerverein Sicherungstechniken für den Guerillakampf. Die Anhänger Jazanis waren nicht die einzigen, die zu diesem Zweck an den Expeditionen des Vereins teilnahmen. Als am 8. Januar 1968 Gholam-Reza Takhti, ein Ringer, nationales Idol und bekannter Mossadeqqist Selbstmord beging, führte der iranische Geheimdienst SAVAK Razzien zur Vorbeugung eines Aufstands durch. Auch die Jazani-Gruppe war betroffen und alle führenden Mitglieder, inklusive Jazani selbst, wurden verhaftet. Viele wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Es war ausgerechnet die Bergsteiger-Gruppe, die der Verhaftung entging und die nun die Pläne zur weiteren Arbeit schmiedete. Gemeinsam mit den Bergsteiger-Fraktionen anderer zerschlagener Gruppen begannen sie mit den Vorbereitungen auf bewaffnete Überfälle und Gefangenenbefreiungen. Ein erster Bankraub zur Geldbeschaffung war erfolgreich und die Restrukturierung der Gruppe begann. Einige trainierten ihre paramilitärischen Fähigkeiten bei der PLO und kamen als ausgebildete Veteranen in den Iran zurück. Andere lernten und lehrten das Bergsteigen. Wieder andere entwickelten ihr marxistisches Verständnis. Letztendlich lag das Gewicht aber auf Seiten der Praktiker des bewaffneten Kampfes.

Die Begründung des bewaffneten Kampfes

Rahnema legt viel Wert darauf, einige Legenden zu den Motiven der jungen Kämpfer*innen zu widerlegen. Jede*r sei sich bewusst gewesen, dass der Weg in den bewaffneten Kampf gegen eine despotische Staatsgewalt ein kurzes Leben verheißen würde. Die Strategie der Guerillas ist nicht der Sieg auf dem Feld, sondern die Eskalation der Gewalt, bis sie von den Massen nicht mehr ertragen werden kann. Wer früh daran teilnimmt, wird nicht alt. Systeme, in denen ein Machtwechsel auch friedlich organisiert werden können, bräuchten diese Art des Widerstands nicht. Der Iran der Shahs hingegen schrie danach. So beginnt Rahnema auch mit einem detaillierten Überblick über die Motivationslage der Guerilla. Er zeigt auf, dass es sich bei den Kämpfer*innen keinesfalls um todessüchtige Narzist*innen handelte, sondern dass sie sich ganz rational Rechenschaft über die Methode des bewaffneten Kampfes ablegten. Ob Hasan Zia-Zarifis dunkle Gegenwartsanalyse, Amir-Paviz Pouyans kurze und emotionale Pamphlete, Massoud Ahmad-Zadehs lange und mit mathematischer Präzision verfasste Lenin- und Castro-Exegesen oder Mihan Jazanis Stufentheorie. Im Kern sagten sie alle das gleiche aus: In einer Gesellschaft, in der jede politische Tätigkeit ohnehin unterdrückt und mit dem Tod bestraft werden konnte, erblickten die Guerillas keinen Sinn, auf einer unteren Stufe der Eskalationsspirale zu beginnen. In einem System, dass sich durch seine Allmacht definiert, sahen sie in jeder Darstellung der Verwundbarkeit einen Angriff auf das System im Allgemeinen. Das um sich schlagende System würde Repression auch gegen Schichten anwenden, die sich bisher erfolgreich in die innere Immigration zurückgezogen hatten und diesen nur die Wahl zwischen Kampf oder Tod lassen. “Let us not attack in order to survive. In order to survive we are obliged to attack” (S.88)

Uneinigkeit herrschte jedoch in Fragen der praktischen Umsetzung des bewaffneten Kampfes. Sollten sich die Revolutionäre eher auf die Landbevölkerung stützen, die zwar das Shah-Regime genauso hasste wie die urbanen Milieus, allerdings eher zu einem konservativen Islamismus anstatt zum revolutionären Marxismus neigte. Oder solle man sich auf die proletarische Stadtbevölkerung konzentrieren, wo allerdings das Netz des Geheimdienste SAVAK dichter war.

Der Angriff auf Siyahkal

Der umtriebigste Teil der neu organisierten Jazani-Gruppe war die P-A-M-Fraktion in Teheran und Tabriz. Diese führten zunächst einige Banküberfälle ohne nennenswerten Widerstand durch. Danach griffen sie eine Polizeistation mit Pistolen und Molotov-Cocktails an, um dort gelagerte Maschinengewehre zu erbeuten. Doch die Erfolge brachten auch Probleme mit sich. Die Unterteilung in kleinere autonome Fraktionen ermöglichte zwar höhere Mobilität, verschlang jedoch auch Zeit und Kräfte für interne Verhandlungen. Die gute Vernetzung zu anderen revolutionären Gruppen generierte zwar Ressourcen, barg jedoch eine erhöhte Gefahr der Inflitrationen durch den SAVAK.

Als sich die Schlinge des SAVAK enger um den Hals der Bergsteigergruppe legte, entschloss man sich zum Gegenschlag. Man stahl am 8. Februar 1971 einen Transportwagen und plante, die Gendarmeriestation von Siyahkal in die Luft zu sprengen, die Waffen zu stehlen und anschließend die Bevölkerung über diverse Kommunikationswege zum politischen Charakter der Operation zu informieren. Fünf Guerillas drangen in das Büro der Gendarmerie ein, woraufhin sich ein wilder Schusswechsel entwickelte, dessen genauer Ablauf bis heute nicht mehr geklärt werden kann. Letztendlich konnten zehn Gewehre erbeutet werden. Neun Gendarmeristen wurden getötet, ein Widerstandskämpfer wurde verletzt. Nach der Attacke fuhren die Guerillas mit dem gestohlenen Wagen zu dessen Besitzer zurück und zahlten ihm hundert Toman für den entstandenen Schaden. Man zog sich in die Berge zurück, doch der einsetzende Schneefall machte den nach wenigen Tagen erschöpften Kämpfern zu schaffen. Sie grasten angelegte Lebensmitteldepots ab, da die Armee nun sämtliche Dörfer der Region kontrollierte. Es entspann sich eine Treibjagd durch die Wälder, wobei die Armee den Fußspuren folgte, weshalb man sich aufteilte. Doch immer wieder geriet man unter Beschuss, bis Ende Februar nur noch der völlig erschöpfte und ausgehungerte Mohaddes-Qandchi am Leben war. Beim Versuch, in einem Dorf Lebensmittel zu beschaffen, wurde er festgenommen.

Die Wirkung des Angriffs

Der Shah versuchte, den Angriff auf die Kaserne von Siyahkal als ein Selbstmordkommando unpatriotischer und geistig verwirrter Teenies herunterzuspielen. Auch die Tudeh-Partei verurteilte den Anschlag als unmarxistisch und anarchistisch. Die maoistische Opposition hingegen begann, Epen über die Märtyrer zu verfassen. Um die Volksfedajin entwickelte sich in der städtischen Jugend eine reichhaltige Folklore. Verstärkend kam hierbei hinzu, dass diese durch die strikte Kontrolle der öffentlich zugänglichen Informationen auf Gerüchte angewiesen war. Fakten und Fiktion mischten sich mit Hoffnungen und Wünschen und ließen heldenhafte Märytrer in den Köpfen der Jugend entstehen. In Gedichten und Liedern wurde der sagenhafte Heldenmut der Volksfedajin besungen.

Objektiv erreichte die Bergsteigergruppe ihre Ziele nicht. Trotz des eindeutigen taktischen Vorteils der Überraschung gelang weder die Erbeutung der gewünschten Zahl an Gewehren, noch die Sprengung der Gendarmerie oder die Flucht. Stattdessen wurde eine komplette Gruppe zerschlagen, die eigentlich mit den neuen Waffen neue Rekruten hätte ausbilden sollen. Die Guerrilas zeigten sich nicht dazu fähig, kurzfristige Änderungen des Plans zu adaptieren. Dennoch setzte eine kleine bewaffnete Gruppen aus fünf Leuten die bewaffnete Militanz auf die Tagesordnung. Ob unter der Bevölkerung stumme Sympathie oder Ablehnung für den Angriff vorherrschte, kann unter den Bedingungen der Pressezensur nicht mehr rekonstruiert werden. Aber jeder wusste nun, dass das System verwundbar war. Wenn fünf Kämpfer das System herausfordern konnten, was könnten dann fünfhundert, fünftausend oder fünf Millionen tun? Diese Frage stellten sich nicht nur die marxistischen Kräfte. Auch die Volksmudschaheddin, die sich teilweise bewaffnet hatten, wollten in der Frage des bewaffneten Aufstands nicht von den Marxisten-Leninisten überholt werden und verschärften die eigenen Bemühungen. Sie starteten ihre Kampagne 1972.

Die Volksfedajin selbst führten fortan jährlich dutzende militanter Aktionen durch. 1973 verkündete der Shah zwar das Ende des Terrorismus im Iran. Hier wurde er jedoch von den eigenen Gefolgsleuten betrogen, welche die Ereignisse verheimlichten, um die Hilflosigkeit des Shahs nicht publik zu machen. Hierdurch verlor das Regime jedoch die propagandistische Vorhand.

Zuletzt darf man die Wirkung auf die Studierendenschaft an sich nicht unterschätzen. Die Guerillas stammten aus ihren Reihen. Ob man ihnen politisch zustimmte oder nicht. Es waren Student*innen, die Polizei und Militär in Atem hielten. Die Student*innen bildeten eigene Schutzgarden. Der Campus wurde zum Schlachtfeld mit dem SAVAK. Die Universität von Teheran wurde zum Hort revolutionärer Bewegungen aller Art; eine Faktum, dass die Islamische Revolution von 1979 prägen sollte.

Die weitere Entwicklung der Volksfedajin

Vom Gefängnis aus versuchte Jazani, die Volksfedajin neu zu konstituieren. In „Wie der bewaffnete Kampf ein Massenkampf wird“ stellte er dar, dass der begrenzte Erfolg des Angriffs in Siyahkal zeige, dass Massenagitation und Propaganda die notwendige Grundlage für den erfolgreichen bewaffneten Kampf bildeten. Neue Methoden des Kampfes müssten gefunden werden. Jazani erlang hierdurch wieder die Deutungshoheit unter den maoistisch orientierten Marxist*innen, die zwischenzeitlich dem Praktikerflügel außerhalb der Gefängnismauern mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ökonomische Kämpfe sollten nach Jazani zunächst entfaltet werden und die bewaffnete Karte erst im rechten Moment gezogen werden. Strukturen einer Massenpartei unter den Bedingungen eines despotischen Regimes ließen sich nicht durch gewaltsamen Kampf schaffen, sondern schafften erst die Grundlage des bewaffneten Kampfes, wie an der Bewegung in Vietnam illustriert werden könne. Rahnema interpretiert Jazanis Schrift als stumme Entwaffnung der Bewegung.

Am 18. April 1975 wurde Bijan Jazani hingerichtet. Mit ihm starb auch die Organisation aus kleinen klandestinen Zirkeln. Die Strukturen der Volksfedajin wurden demokratisiert und im März 1975 wurden alle Vorschläge Jazanis ins Programm aufgenommen. Man wollte eine avantgardistische Struktur von Berufsrevolutionären schaffen, die sich auf mehr als den bewaffneten Kampf stützte. 80% der Energie sollten in die Arbeiter*innenbewegung fließen, 20% in die bewaffnete Militanz. Im Rahmen einer erneuerten Realpolitik wurden auch Gespräche mit dem linken Flügel der Volksmudschaheddin geführt.

1976 fiel Hamid Ashraf, eine der letzten Ikonen des bewaffneten Kampfes. Auch wenn er dem militanten Flügel angehörte, ordnete er sich dennoch der Generallinie der Bewegung unter und integrierte so einen Teil der geduldlosen Jugend. Ohne ihn spalteten sich die Volksfejadin in drei Teile: eine rein politische, eine rein militante und eine kombinierte Fraktion. Dann überstürzten sich die Ereignisse im Iran.

Die erste Sargnagel des Shahs war der Verlust internationaler Unterstützung durch die USA, als die Regierung Carter den Gerüchten aus den Folterkellern, in denen auch die Volksfedajin „befragt“ wurden, immer mehr Glauben schenkte. Ohne Rückendeckung aus Washington war der Shah gezwungen, die Büchse der Pandora zu öffnen und mehr Pressefreiheit zuzulassen. Dies förderte derweil immer neue Untaten des Regimes zu Tage und brachte das Königspaar mit jedem Tag mehr unter Druck. Die Revolution im Iran, die so komplex und umstritten ist, dass sie hier nicht dargestellt werden kann, brach aus. Die Volksfedajin spalteten sich in der Folge in 19 unabhängige Revolutionen, die sich überall innerhalb der Matrix bewaffnet-politisch und revolutionär-reformistisch ansiedelten. Der Mehrheitsorganisation gelang bei der ersten Wahl sogar mit 10% der Stimmen der Einzug ins Parlament. Auf Grund des vermeintlich anti-imperialistischen Charakters des neuen Regimes ließ man vom bewaffneten Kampf ab. Die Quittung: 1988 ließ Chomeyni die Partei zerschlagen und tausende Mitglieder, Anhänger und Sympathisant*innen hinrichten. Mittlerweile vertritt die Mehrheitspartei keine marxistisch-leninistische Weltanschauung mehr, sondern einen demokratischen Sozialismus und unterhält Kontakte zur Linkspartei. Fast alle Gruppen besitzen noch eine persisch-, wie englischsprachige Internetpräsenz, die Interessiert leich tüer eine google-Suche finden können.

Zusammenfassung

Ali Rahnemas Erzählstruktur der Geschichte der revolutionären Phase der Volksfedajin kann man mit der Form einer Sanduhr vergleichen. Politische und internationale Rahmenbedingungen, theoretische Debatten, praktische Vorbereitungen, Organisierung und Zerschlagung … als mündet über irgendeinen Erzählstrang im Angriff auf die Kaserne von Siyahkal. Und von dort wiederum entfaltet sich eine Wirkungsgeschichte, die bis tief in den Charakter der Islamischen Revolution reicht. Flotte historische Erzählung und detaillierte Werkexegese wechseln sich beständig ab, was gut für jene ist, die an beidem interessiert sind und schlecht für jene, die eine knappe Ereignisgeschichte bevorzugen. Zum Glück gelingt es Rahnema in allen Abschnitten, durch klare Sprach- und Gedankenführung das Lesen zu erleichtern.

Das ist nicht nur spannend für Interessierte an der iranischen Geschichte, sondern zeigt auch, wie Marx´, Engels´, Lenins oder Trotzkis Theorien der revolutionären Gewalt in der Praxis interpretiert und umgesetzt wurden. Das Buch ordnet die Vorgeschichte der Islamischen Revolution in den Kontext militanten Globalgeschichte der 50er bis 70er Jahre ein und verdeutlicht die spezifisch iranische Sicht auf diese. Dieser Zusammenhang hat wahrscheinlich bisher nicht für alle Leser*innen auf der Hand gelegen.

Im Iran gärt es erneut. Und erneut ist es die Jugend, die das Regime herausfordert. Die Jugend hat heute andere Vorbilder, andere Kommunikationswege, andere Orte des Rückzugs und andere Formen des Kampfes. Aber um mit dem Zitat Mohammad-Reza Shafiʿi-Kadkanis, mit dem auch Rahnema sein Werk beendet, abzuschließen:

“Der bewaffnete Kampf, der in Siyahkal begann und auf den epische Konflikte folgten, hat die Idee des Kampfes und die gesellschaftliche Utopie der Jugend, sprich: der Mehrheit der Gesellschaft, für immer verändert.”

Mohammad-Reza Shafiʿi-Kadkani, Advar-e sheʿr-e farsi, S.80.

Literatur:

Rahnema, A. (2021): Call to Arms. Iran´s Marxist Revolutionaries. Formation and Evolution of the Fada’is Movement 1964-1976. London: Oneworld Publications.

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