⋄ Da sich die Zukunft des Klimawandels nur in Zahlen ausdrücken lässt, arbeitet Climate Fiction an einer Übersetzung in sinnlich erlebbare Geschichten. ⋄ Science Fiction und Climate Fiction sind Gedankenexperimente, welche strengen Regeln auf selbst gewählten Prämissen folgen. ⋄ Der Afrofuturismus schafft es, Afrika nicht nur als passives Opfer des Klimawandels darszustellen, sondern eine eigenständige Rolle zuzuschreiben. ⋄ Carl Death untersuchte das Werk Nnendi Orokafors unter dem Aspekt einer afrikanischen Wahrnehmung des Klimawandels. ⋄ Er arbeitete die Strukturelemente Wandel, Gewalt, Wildheit und Deutungshoheit heraus. |
Dass der zukünftige Gang der Produktivkraftentwicklung ganz maßgeblich von der Klimakrise abhängen wird, ist weitgehend unstrittig. Da die Klimakrise ein dynamisches Problem, bei welchem lineares in exponentielles Wachstum übergehen kann, bei dem alle Faktoren miteinander interagieren und Kipppunkte erreicht werden können, nach denen bestimmte Entwicklungen nicht mehr aufzuhalten sind, ist der Mensch auf Simulationen angewiesen. Sie beschreiben, wie sich Temperaturen, Niederschlagsmengen und Katastrophenwahrscheinlichkeiten verhalten werden bzw. können, aber auch, welche Bedeutung sie politisch haben, welche Regionen nicht mehr bewohnt werden können oder wie die Landwirtschaft mit den Insekten stirbt. Um solchen Modellwerten eine narrative und emotionale Komponente hinzuzufügen, hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten die Cli-Fi – die Climate Fiction – als Seitenarm der Science Fiction herausgebildet. Werke der Cli-Fi können dabei als Gedankenexperimente verstanden werden, welche Szenarien unter Voraussetzung einiger Modellwerte entwerfen und sich selbst weitertreiben. In Carl Deaths Aufsatz „Africanfuturist Socio-Climatic Imaginaries and Nnendi Okorafor´s Wild Necropolitics“, welche in der aktuellen Antipode, einem Journal für kritische Geographie erschienen ist, untersucht der Autor eine ganz spezielle Perspektive.
Marxismus und Science Fiction
In der Science Fiction werden Prämissen gesetzt, deren Fortentwicklung so weit wie möglich aus diesen deduziert werden. Solche Prämissen können in weiter Zukunft oder auf fernen Planeten liegen. Sie können auch antirealistisch sein, wie Ted Chiangs Kurzgeschichte über den Turmbau zu Babel, in dem ein Bautrupp an der Spitze sich tatsächlich durch Himmelsgewölbe arbeitet. In der Science Fiction verweben sich dann alle Zufälligkeiten der persönlichen Erlebnisse um die logisch konsistente Entfaltung der Implikationen, welche in die erfundene Welt hineingesteckt wurden.
Der Gang in der marxistischen Geschichtsphilosophie ist ähnlich. Die Prämisse ist, das sich der Mensch einst bis zu einem Punkt entwickelte, an dem er mehr produzieren konnte, als er unmittelbar verbraucht. Die eigentliche Geschichte treibt sich von da an selbst fort, indem sich die Produktivkräfte weitertreiben. Aus den Verwaltern über das Mehrprodukt werden Herrscher Herrscher über deren Produzent*innen. Klassengesellschaften entstehen, Klassenkämpfe brechen aus, Klassen siegen und bringen neue Klassengesellschaften hervor, solange bis eine universelle Klasse die Klassengesellschaft als Ganzes aufhebt. Der Zufall – die großen Herrscherpersönlichkeiten, die hohen Ideen – sind auf einen äußeren Handlungsrahmen reduziert und funktionieren nicht, wenn sie der inneren Handlungslogik widersprechen.
Der Unterschied zwischen Science Fiction und der marxistischen Geschichtsauffassung ist lediglich, dass der Marxismus nicht frei darin ist, die Prämissen zu setzen, sondern dieser materialistisch aus der Geschichte entnimmt.
Probleme der Climate-Fiction
Science Fiction und Marxismus sind strukturierende Narrative mit unterschiedlichen Graden an Verbindlichkeit der Wirklichkeit gegenüber. Der Wert einer Climate Fiction, die sich eng an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert und sich als Genre selbst ernst nimmt, ist daher nicht gering zu schätzen. Auch der sachlichste Kopf benötigt imaginatorisches Futter, um sich der Bedeutung seiner Erkenntnisse bewusst werden zu können. Materialisten sind die letzten, welche den Wert sinnlicher Erfahrung für die Formung des Geistes in Abrede stellen sollten. Und so hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein kleiner Kanon an entsprechender Literatur herausgebildet. Denken wir nur an das im letzten Jahr erschienene „Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson, in welchem er darstellt, dass nicht der globale Doomsday das realistische Szenario ist, sondern die schleichende, beschleunigt tröpfelnde, immer nur punktuell sichtbare Katastrophe, bei der Nationen alleine gelassen werden, in Konflikte geraten und alle anderen die Köpfe wegducken.
Carl Death stellt hierbei richtigerweise fest, dass ausgerechnet die Regionen, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sein werden, fast ausschließlich passiv in der Cli-Fi auftreten. Afrika tritt als Vorwarnung der Apokalypse auf, welcher die zivilisierten Völker Nordamerikas und Europas wachrüttelt, doch endlich Maßnahmen zu ergreifen. „Afrika“ besitzt die Funktion des „so schlecht könnte es hier auch werden.“. Eine eigenständige oder gar führende Rolle Afrikas in der Bekämpfung des Klimawandels wird weitgehend ausgeblendet. Death möchte untersuchen, ob sich aus einer afrikazentrierten Cli-Fi andere Erkenntnisse ziehen lassen könnten, als aus der westlichen. Dies möchte er am Beispiel von Nnendi Okorafor und des Afrofuturismus durchspielen.
Beiträge durch Nnendi Okorafors Werk
Für Carl Death sind die beiden auszeichnenden Momenten des Afrofuturismus Ungleichzeitigkeit und Transhumanismus: „Das Ende der Welt hat für einige Menschen bereits begonnen.“, zitiert er Yussof (Death 2022, S.246). Und damit sind nicht nur die Auswirkungen des Klimas gemeint. Der besondere afrikanische Blickwinkel ist, dass die Zerstörung der Tradition und Kultur durch eine von außen aufgezwungene Gewalt bereits Bestandteil der jüngeren afrikanischen Geschichte ist, während sich der konservative Teil der deutschen Gesellschaft als selbst verstandene Autofahrernation von Klimaaktivisten keinen Kulturwandel aufzwängen lassen möchte. Die einen möchten nicht erleben, was die anderen bereits durchgemacht haben. Unter Transhumanismus versteht Death eine Neuaushandlung der Beziehung zwischen Mensch und Natur. „Der Mensch als höchstes Wesen für sich selbst“ kann nur bestehen, wenn er die zerstörerische und ausbeuterische Beziehung gegenüber der Natur verlässt und sich symbiotischen Verhältnissen zuwendet. Für Marxist*innen ist eine solche Auflösung im Gattungswesen natürlich nur unter der revolutionären Änderungen der Produktionsverhältnisse denkbar. Im Afrofuturismus kommt dies zum Beispiel durch Perspektivübernahme von Tieren, Pflanzen und Natur als Entität zum Ausdruck.
Mit Nnendi Okorafor hat sich Death auf eine Autorin fokussiert, welche keine konkrete Climate Fiction schreibt, sondern für die die sich veränderte Umwelt die Hintergrundfolie anderer Handlungen bildet. Nnendi Okorafor ist eine aus Cincinnati stammende Autorin mit nigerianischen Wurzeln. Sie selbst schreibt ihre Bücher nicht als Teil einer Science-Fiction-Community, sondern versucht mit Hilfe der Science Fiction ihre zahlreichen Besuche in Nigeria zu verarbeiten und zu übersetzen und nigerianische Mythen und Traditionen in zeitgenössischen Kontexten zu verknüpfen. Für ihre symbolbeladenen und verstörenden Erzählungen erhielt sie die beiden höchsten SF-Auszeichnen: den Hugo- und den Nebula-Award.
Carl Death stellt in ihrem bekanntesten, auch ins Deutsche übersetzten Werk „Wer fürchtet den Tod“ vier produktive Momente in Auseinandersetzung mit der zukünftigen Klimakrise fest: Wandel, Gewalt, Wildheit und Deutungshoheit. Wandel sei im Sinne eines radikalen Bruchs zu verstehen. Die Gewalt drückt sich dabei vorrangig in einer Nekropolitik aus, die darüber entscheidet, wer zu sterben hat und wer leben darf. Die Wildheit versteht als das über den Menschen hinausgehende. Als wild wird das andere bezeichnet und das kann auch ein Mensch sein, der auf diese Weise entmenschlicht wird. Mit Deutungshoheit ist gemeint, dass es herrschaftsspezifische Formen der Wissensvermittlung gibt, welche die Herrschaft selbst festigt. Galt beispielsweise in Gesellschaften mit persönlichen Herrschaftsbeziehungen das gesprochene Wort als bindender (Urkunden konnten leicht gefälscht werden), ist es in der unpersönlichen Herrschaftsweise des Kapitalismus das geschriebene Wort.
Zusammenfassung
Carl Death hat sich einem spannenden und legitimen Thema gewidmet. Allerdings wirken die herausgearbeiteten Punkte so schwach auf der Brust, dass sie wohl kaum zur vertieften wissenschaftlichen Lektüre motivieren. Wenn Death das Motiv des Wandels bei Okorafor herausarbeitet, fragt man sich, ob Wandel nicht ein strukturierendes Element jeder Erzählung ist. Es bleibt unklar, was dieses Werk in Bezug auf die gewählte Fragestellung neues zu bieten hat. Überhaupt verlässt Death die Fragestellung, was der Afrofuturismus an neuen Perspektiven zum Klimawandel beitragen kann, zu Gunsten sehr allgemeiner Feststellungen über postkoloniale Strukturelemente im Werk Okorafors. Und dass letztere diese auch bewusst eingebaut hat, ist stark zu vermuten. Schließlich sollte eine linksliberale Akademikerin mit dem Werk Fanons vertraut sein. Der Aufsatz bleibt daher sehr blutleer und nichtssagend.
Marxist*innen sollten sich dennoch nicht abschrecken lassen, Science Fiction und Afrofuturismus als Inspirationsquellen einer weitgehenden materialistischen Kritik des Klimawandels zu nutzen. Die Geschichte „Bloodchild“ von Octavia Butler etwa ist eine sinnlich ansprechende und daher gut zugängliche Übersetzung der Dialektik von Herr und Knecht. Ihre argumentative Strenge macht Schriften der Science Fiction zu echten Gedankenexperimenten, welche den Weg von der Utopie zur Wissenschaft und von der Wissenschaft zur Utopie immer wieder auf und ab gehen.
Literatur
Death, Carl (2022): Africanfuturist Socio-Climatic Imaginaries and Nnendi Okorafor´s Wild Necropolitics. In: Antipode. 54/1. S.240-258.
Okorafor, Nnendi (2017): Wer fürchtet den Tod. Ludwigsburg: Cross Cult.