Die Auto-Monopolkonzerne leben auf Kosten ihrer Zulieferer

⋄ Die deutsche Automobilindustrie, das Aushängeschild des hiesigen Monopolkapitals, befindet sich zunehmend in der Krise, wovon die gesamte Volkswirtschaft betroffen ist.

⋄ Die Ursachen sind bereits sehr ausgiebig erforscht, allerdings noch nie entlang der kompletten Wertschöpfungskette
.


⋄ Manuel Gracia Santos, Miguel Montanyá und María J. Paz haben dies mittels einer Input-Output-Analyse über die vollständige Wertschöpfungskette nachgeholt.

⋄ Sie zeigen, dass die Profite des vergangenen Jahrzehnts im wesentlichen auf geringen Löhnen der ausländischen Zulieferer und den Produktivitätszuwächsen der nationalen Zulieferer zurückzuführen sind.

⋄ Damit bestätigt sich Lenins Imperialismustheorie, nach der monopolkapitalistische Konzerne eine Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette ausüben.
Monopoly: der deutschen Autoindustrie nicht unbekannt

Nach Lenin leben wir immer noch in der höchsten Stufe des Kapitalismus, dem Imperialismus; und damit im Zeitalter der Herrschaft des Monopolkapitals. Und welcher Sektor würde dieses in Deutschland wohl besser repräsentieren als die Automobilbranche. VW ist per Gesetz mit dem Land Niedersachsen verbunden. BMW und dessen Eigentümerfamilien Quandt und Klatten spendeten der Union in den letzten Jahren sechs Millionen Euro und werden dafür mit einem Verbrennerpopulismus belohnt, den außer BMW keiner mehr will. Mercedes war seine tiefgreifende Lobbyarbeit im Staat sogar so peinlich, dass es eine PR-Agentur beauftragte, den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu manipulieren. Und was hängt das liberale deutsche Selbstverständnis nicht an seiner deutschen Ingenieurskunst.

Gewerkschaften sehen den Erfolg der deutschen Automobile eher in der Lohnzurückhaltung der Arbeiter*innen begründet und verlangen ein größeres Stück vom Kuchen; das Kapital teilt die Prämisse, pocht aber auf Wettbewerbsfähigkeit. Was allerdings die gesamte Wertschöpfungskette zum Erfolg der Autobauer beitrug, das wurde geflissentlich vernachlässigt. Manuel Gracia Santos, Miguel Montanyá und María J. Paz haben sich in der Review of Radical Political Economics mit Hilfe einer Input-Output-Analyse die gesamte Wertschöpfungskette der deutschen Automobilindustrie angeschaut.

Die Theorie des Monopolkapitals

Um die vorletzte Jahrhundertwende begannen kapitalistisch verfasste Staaten, sich außenpolitisch immer aggressiver gegeneinander zu verhalten. Die marxistische Kritik der politischen Ökonomie konnte lange Zeit nicht begrifflich fassen, wie die durch innere Konkurrenz getriebene Kapitalistenklasse so stark mit dem Staat verschmelzen konnte, dass die Interessen des Staates und die des großen Kapitals ununterscheidbar wurden. Es waren Luxemburg und Lenin, welche die theoretisch fundiertesten Analysen anfertigten und das Zeitalter des Konkurrenzkapitalismus durch das Zeitalter des Imperialismus abgelöst sahen. Lenin baute dabei auf Hilferdings Schlussfolgerungen aus dem dritten Band des Kapitals auf, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe durch ihren Vorsprung an organischer Zusammensetzung einen uneinholbaren Produktivitätsvorsprung ausbildeten, der einige wenige Konzerne zu Vertretern des Monopolkapitals mache. Dieses akkumuliere auf Kosten der übrigen Kapitalisten überdurchschnittlich viel Kapital, wobei Luxemburg zeigte, dass durch das Faktum der Ausbeutung die Nachfrage durch den inneren Markt nicht ausreichen könne, um die Produktion abzunehmen. Das Kapital könne sich letztlich nur durch Ausdehnung in andere Märkte oder Konsumkredite zeitweilig realisieren. Daher verschmelze, so Lenin, nicht nur das Monopolkapital mit dem Finanzkapital, sondern es betreibe auch umfassenden Kapitalexport, deren Grenze die Verfügungsmacht anderer Staaten darstellt und so die Grundlage für kriegerische Auseinandersetzungen ist.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die meisten Monopolkonzerne nicht nur geblieben, sondern massiv angewachsen, haben sich aber gleichzeitig internationalisiert und sind untereinander verflochten. Ihre Interessen nach außen vertreten sie in der Regel gegenüber dem globalen Süden, aus dem sie Kraft ihres Entwicklungsvorsprungs und Erpressungspotentials mittels monopolisierter Produktionsmittel Extraprofite abknöpfen. Insbesondere das Reproduktionsmodell Deutschlands basierte nach dem sozialen Angriff der Hartz-Reformen, auf massiven Extraprofiten durch Exportüberschüsse, die dann zur Bewältigung des Klassenkonflikts verwendet wurden.

Der deutsche Autosektor als Monopolkapital

Da sich ein Automobil aus vielen verschiedenen Komponenten zusammensetzt – Metallteile, Feinmechanik, Motor, Gummi- und Plastikprodukte – war die Automobilindustrie schon immer ein Vorreiter für Konzentrationsprozesse. Bereits 1929 fusionierte etwa das amerikanische General Motors und der deutsche Opel-Konzern miteinander. Die Marke Ford steht wie kein anderer Firmenname für eine riesig skalierte Produktionsweise, in der tausende von Arbeitern an einer einzigen Ware kleinste Tätigkeiten getaktet verrichten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Autoproduktion zunächst von den Besatzungsmächten kontrolliert, überließen die durch den Hitlerfaschismus zentralisierten Strukturen jedoch nach einer Übergangsphase wieder der deutschen Bourgeoisie. Überhaupt hatte das Hitler-Regime in Vorbereitung des Krieges enorm in die Automobilindustrie investiert und Volkswagen gegründet. Das nötige Kapital stammte von der deutschen Bevölkerung, die mit der Aussicht auf ein eigenes Auto fleißig Anleihen zeichnete. Produziert wurde aber für den Krieg. Zwar wurde ein Großteil der Produktionsanlagen zerstört, aber die Strukturen blieben und die Nachkriegsbourgeoisie konnte auf diesen aufbauen.

Mit diesen günstigen Startvoraussetzungen schaffte es Westdeutschland, als eines der wenigen Länder neben den USA eine konkurrenzfähige Automobilindustrie aufzubauen. Es gelang, eine breite Palette aufzubauen und sowohl etwa den Käfer für das Massenpublikum von VW, Limousinen von Mercedes oder BMW und Sportwagen von Porsche auf den internationalen Märkten zu platzieren. Dank der Sozialpartnerschaft mit den DGB-Gewerkschaften gelang es, wichtige Teile des Industrieproletariats auch politisch zu integrieren. Die ersten Krisenentwicklungen im Zuge der Ölpreisschocks in den 70ern konnten dank der Annexion der DDR vorläufig kaschiert werden. Mit Hilfe eines großzügigen Umtauschkurses wurde auf Kosten der Ostökonomie der Autoindustrie hier ein Konjunkturpaket geschnürt, da viele Ostdeutsche ihren Trabant gegen einen „richtigen“ Wagen ersetzen wollten, insofern sie überhaupt einen hatten.

Allerdings sind die strukturellen Probleme bereits seit den 80er Jahren bekannt. Konnte man in Fragen der Fahrzeugsicherheit permanent mit die Weltspitze stellen, wurde man in den Kategorien des Benzinverbrauchs, des Gewichts und des Preises von ausländischen Konkurrenten immer weiter unter Druck gesetzt. Die Fahrzeugsicherheit hat damit auch etwas mit den für die deutsche Automobilindustrie charakteristischen recht schweren Karosserien und Grundgerüsten zu tun, die leistungsstarke Motoren erfordern.

Monopolkapital in Wertschöpfungsketten

Da der Niedergang der Automobilindustrie so axiomatisch für das bundesdeutsche Akkummulationsregime ist, fehlt es nicht an Untersuchungen über die Ursachen. Sie reichen von eher links-sozialdemokratischen Interpretationen, dass die an der Produktivität gemessenen geringen Löhne zu einer geringen Kaufkraft geführt hätten bis hin zu rechten Narrativen, die insbesondere Bürokratie und Sozialabgaben als Ursachen der Krise identifizieren. Das Neue an der vorliegenden Studie ist, dass sie sich nicht auf die Unternehmen allein konzentriert, sondern deren Rolle in der gesamten Wertschöpfungskette. Die Fragmentierung der Produktion läuft dabei in zwei unterschiedlichen Prozessen ab: Offshoring und Outsourcing.

Für das Gesamtunternehmen gibt es eine Profitrate, die sich einmal aus der Mehrwertrate und einmal aus der organischen Zusammensetzung heraus berechnet. Der Anreiz bei der Organisation der Wertschöpfungskette ist es, die Prozesse, die unterhalb der Unternehmensprofitrate liegen, auszulagern, in der Hoffnung, dass man entweder durch Produktion in Billiglohnländern, innovative Verfahren oder die Bereitschaft zu geringeren Profitraten in anderen Firmen niedrigere Einkaufspreise hat, als man selbst zusammen für Lohn und Material ausgeben würde. Auf der anderen Seite werden insbesondere Mechanismen aus der Zirkulationssphäre im Unternehmen mit eingelagert, um etwa durch direkte Beteiligung an der Finanzierung Zinsen zu generieren.

Ein in der marxistischen Theorie häufig untertheoretisierter Faktor der Monopolstellung eines monopolistischen Unternehmens ist dabei die Dominanz über die Wertschöpfungskette. Das Monopolunternehmen kann etwa entscheiden, wie es die Produkte und zu welchen Finanzierungskonditionen verkauft oder es kann entscheiden, für welche Produkte zu welchen Preisen für Zulieferunternehmen Nachfrage besteht. Das stellt selbst für innovative Unternehmen eine absolute Akkumulationsschranke dar, sodass sie nicht entsprechend wachsen können, um selbst durch hohe organische Zusammensetzungen Extraprofite erwirtschaften zu können.

Empirische Untersuchung

Um die Abhängigkeiten innerhalb der Wertschöpfungskette auch empirisch untersuchen zu können, haben die Autor*innen der vorliegenden Studie die so genannten VIULC, die vertikal integrierten zusammengefassten Arbeitskosten definiert. Zusammengefasste Arbeitskosten bedeutet, das berücksichtigt wird, dass auch eingekaufte Produkte durch Arbeit hergestellt werden, die entweder produktiver/ unproduktiver oder billiger/teurer als die Arbeit im Unternehmen ist. Um es kurz zu beschreiben, vergleicht der VIULC sowohl Lohnhöhen, Arbeitszeiten als auch Produktivitäten, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit den nationalen und internationalen Zulieferern. Als Grundlage dienen hierfür Input-Output-Daten, die für die Jahre 1995 bis 2007 vorliegen. Mit der zusammengesetzten Größe der VIULC lassen sich folgende Prozesse sichtbar machen: Generierte Extraprofite auf Kosten der nationalen Zulieferer, Extraprofite durch Import von Arbeit oder Waren der internationalen Zulieferer, sowie Extraprofite durch vergünstige Produktionsmittel der internationalen Zulieferer, sowie die Auswirkungen von Veränderungen bei Löhnen und Produktivitäten bei nationalen und internationalen Zulieferern.

Quelle: siehe Literatur. S.586.

Man könnte es auch so formulieren, dass der VIULC für den Klassenkampf genauer definiert, wessen Löhne die Automobilkapitalisten in erster Linie zu senken versuchen: die der eigenen Belegschaft, dem Proletariat der nationalen Zulieferer oder dem internationalen Zulieferer.

Erkenntnisse

Im Untersuchungszeitraum haben die Löhne bei den Automobilbauern um 41% zugenommen, bei den deutschen Zulieferern jedoch nur um 17% und bei internationalen Zulieferern jedoch nur um 5%. Damit konnten die integrierten Arbeitskosten bei den einheimischen Zulieferern um 17% und bei ausländischen Zulieferern sogar um 28% gesteigert werden. Richtig interessant wird es aber bei der Entwicklung der einzelnen Komponenten bei der Entwicklung der gesamten vergegenständlichten Arbeit. Abgesehen von einem einzigen Jahr im Untersuchungszeitraum spielten die Importe aus dem Ausland immer die größte Rolle bei der Erhöhung der Produktivität. Nur 1998 übertrumpfte die Produktivitätsentwicklung der deutschen Zulieferer die aus dem Ausland.

Quelle: siehe Literatur. S.591.

Den geringsten Anteil an der Lohnstückkostensenkung hatten über den gesamten Untersuchungszeitraum hindurch die Automobilkonzerne an sich. Den größten Anteil insgesamt an der Einsparung vergegenständlichter Arbeit hatten summa summarum die deutschen Zulieferbetriebe. Diese erhöhten zwar die Löhne stärker als das Ausland, konnten aber ihre Produktivität besser entwickeln. Damit zeigt sich auch, dass der Erfolg der deutschen Automobilindustrie im deutschen Exportregime im Anschluss an die Hartz-IV-Reformen durch die technischen Entwicklungen in den Zulieferbetrieben zu verzeichnen waren.

Interpretation

Daraus lassen sich nun mehrere Schlüsse ziehen. Erstens hängt der Erfolg der deutschen Automobilindustrie vielleicht weniger an den Innovationen in den Betrieben selbst ab als eher am Druck zu geringeren Lohnsteigerungen und höheren Produktivitätsentwicklungen bei den Zulieferbetrieben. Das führt zum einen innerhalb der Arbeiter*innenklasse zu dem bereits viel beachteten Aspekt, dass die Löhne und Arbeitsbedingungen bei den Mutterkonzernen immer ausgesprochen gut waren und dass die Annahme nicht von der Hand zu weisen ist, dass diese durch eine stärkere Ausbeutung an anderen Teilen der Wertschöpfungskette ermöglicht wird; auch innerhalb Deutschlands. Man muss hier unwillkürlich an die die Leninsche Verknüpfung der Entstehung einer Arbeiteraristokratie im imperialistischen Zeitalter denken. Auf den Seiten der Bourgeoisie sollte dies dazu führen, dass die Gewinnmarschen bei den Zulieferern im Vergleich zu den Monopolisten strukturell geringer ausfallen und sich eine Konkurrenz auf Augenhöhe mit VW, BMW und co. nicht entwickeln kann. Auch hier deuten die Indizien auf die Richtigkeit der Leninschen Charakterisierung des Imperialismus hin.

Für das Reproduktionsregime wäre hier wichtig, dass das Fehlen von Konkurrenz oder genauer gesagt – das Fehlen der Akkumulationsmöglichkeiten von Kapital in innovativen Betrieben, um neue Verfahren auch größer skalieren und weltmarktfähig zu machen – das Innovationspotenzial der Automobilindustrie als ganzes lähmt. Dafür ist der Automobilbau jedoch auch sehr integriert in die Zulieferlandschaft und nur bedingt umsiedelbar. Damit werden die Verwertungsbedingungen der Automobilindustrie auch eine Sache der gesamten deutschen Bourgeoisie und versammelt diese wieder hinter einem monolithischen Block, den derzeit die CDU und teilweise die AfD bilden.

Zusammenfassung

Die Verfeinerung der Erforschung von Wertschöpfungsketten mit verschiedensten Methoden, inklusive der hier benutzten Input-Output-Analyse, kann uns auch viel über die Ausprägung des Monopolcharakters der Bourgeoisie verraten. Das ist kein Ersatz für die politische Beschreibung der Verflechtungen von Staat, Industrie- und Finanzkapital, sowie den daraus erwachsenden imperialistischen Bestrebungen, es dient aber der Triangulation der politischen Theorie des Imperialismus durch ökonomische Indikatoren. Manuel Gracia Santos, Miguel Montanyá und María J. Paz haben, ohne dass es das eigentliche Untersuchungsziel war, gezeigt, wie sich die Gewinne des deutschen Automobilsektors nicht nur auf die billigen Importe von vorgefertigten Gütern aus dem Ausland, sondern insbesondere aus der Steigerung der Produktivität der Zulieferindustrie speiste; so, wie man es nach Lenins vor über hundert Jahren aufgestellter Theorie auch annehmen müsste. Das Monopolkapital kann der individuellen tendenziell fallenden Profitrate dadurch begegnen, dass es ungleich nicht nur mit ökonomisch rückständigen Ländern Waren tauscht, sondern auch mit der eigenen mittleren Bourgeoisie, die nicht genügend Kapital akkumulieren kann, dass sie ihre Produktion so hoch skaliert, dass sie die Produktivität der Monopolkonzerne erreicht.

Das daraus entstehende Abhängigkeitsverhältnis rächt sich in Zeiten, da die Nachfrage nach den Monopolprodukten einbricht, weshalb sich auch politisch die bürgerliche politische Landschaft nun hinter dem Wohlergehen der Automobilindustrie versammelt. Doch ausgerechnet die kann gerade am wenigsten tun, da ein Großteil der Produktion bereits abseits von ihr läuft. Und so gerät das gesamte bundesdeutsche Akkumulationsregime allmählich ins Wanken. Wenn das nicht der perfekte Cliffhanger für den Übergang ins neue Jahr ist. Guten Rutsch!

Literatur:

Santos, M.; Montanyá, M. & Paz, M. (2024): Decomposition and Dynamics of Unit Labor Costs in a Context of International Fragmentation of Production: Evidence from the German Automotive Sector. In: Review of Radical Political Economics. Jahrgang 56. Ausgabe 4. S.576–596.



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