Schuften im Boss-Mode

⋄ Arbeitgeber werben mit anspruchsvollen und abwechslungsreichen Jobs mit Weiterbildungsmöglichkeiten.

⋄ Ob die Auslagerung von immer mehr Planungs- und Organisationstätigkeiten auf einfache Arbeiter*innen die Lebensqualität erhöht, untersuchte Yoko Asuyama auf Grund der Daten von 200.000 Menschen aus 20 Ländern.


Obwohl der Lohn bei boss-like-Tätigkeiten stieg, sank die Zufriedenheit schwach, aber signifikant.

⋄ Nur die Beteiligung von Produktionsarbeiter*innen am Planungsprozess zeigte positive Effekte.

⋄ Die Ergebnisse decken sich mit Marxschen Annahmen zur Entfremdung.
Autonomie oder Papierkrieg? Boss-like-Tasks für Angestellte

„Wir bieten Ihnen vielfältige Aufgaben und Möglichkeiten zu Weiterbildung“. Stellenanzeigen – und sei es nur bei einem Reinigungsdienst – beinhalten in aller Regel Hinweise darauf, dass ein Job nicht monoton ist, man selbstständig anspruchsvolle Aufgaben übernehmen kann oder Hierarchien flach sind. Je weniger man das Gefühl hat, vom Chef rumkommandiert zu werden, desto größer die Jobqualität; so lautet die einfache Rechnung. Aber stimmt der Zusammenhang überhaupt? Oder nutzen Unternehmen hier nur einen Trick, um Aufgaben, die früher durch gut bezahltes, qualifiziertes Führungspersonal erledigt wurden, auf die einfachen Angestellten abzuwälzen?

Yoko Asuyama von der Waseda-Universität in Japan hat den Zusammenhang vergleichend für 20 Länder untersucht. Für Marxist*innen ist die Frage dahingehend interessant, dass bürgerliche Kritiker*innen behaupten, die Marxsche Entfremdung könne allein auf Industriearbeiter*innen im Taylorismus zutreffen, die keine Autonomie über ihre konkreten Aufgaben besäßen. Mit der modernen Gesellschaft und die Abflachung von Hierarchien hingegen, würden die Arbeiter*innen auch weniger entfremdet.

Die Methode: Boss-Aufgaben durch einfache Arbeiter*innen

Die Fließbandjobs des Taylorismus sind – zumindest in den kapitalistischen Zentren – fast gänzlich ausgestorben. Tätigkeiten, welche nur aus einfachen Abfolgen von Arbeitsschritten bestanden, wurden zunehmend automatisiert. Von Arbeiter*innen wird immer mehr erwartet, in ihrem Berufsfeld komplexere Probleme zu lösen. Dabei kann das Berufsbild auf zwei Arten erweitert werden: Entweder horizontal durch Akkumulation einfacher Aufgaben oder vertikal durch Integration von Planungs- und Organisationsaufgaben, die früher der Führungsebene vorbehalten waren. Letzteres interessiert Asuyama. Er nennt dies „making non-bosses making more boss-like tasks“.

Um die Lebensqualität von Arbeiter*innen in Abhängigkeit dieser vertikalen Erweiterung des Berufsbildes messen zu können, definierte er den Job-Enrichment-Indikator JER. Dieser fasst 42 verschiedene Aspekte der Integration von Führungsaufgaben in das Tätigkeitsfeld einfacher Arbeiter*innen zusammen. Diese Aspekte berücksichtigen Organisation, Planung, Weiterbildung, Multitasking und Autonomie. Die Lebensqualität der Arbeiter*innen wurde durch die Lohnhöhe und die subjektive Zufriedenheit erfasst. Die Datengrundlage entstammt dem Programme for the International Assessment of Adult Competencies der OECD, bei der Daten von über 200.000 Erwachsenen in 20 Ländern in zwei Runden zwischen 2011 und 2014 erhoben wurden. Der Indikator kann dabei einen Wert zwischen 0 und 5 annehmen.

Die Resultate

Die Werte zeigten, dass sich die Aufgaben von Chefs und Angestellten nur in den Faktoren Planung, Informations- und Kommunikationstechnologie und Verkäufe wesentlich voneinander unterschieden. Bei den Indikatoren Interaktion, Weiterbildung, Mathematik, Expertenwissen und Papierarbeit waren die Unterschiede eher gering. Die Bandbreite innerhalb aller abhängig Beschäftigten war erstaunlich gering. Es gab also in den untersuchten Ländern nicht mehr die komplett einfachen Jobs, sondern alle enthielten auf die ein oder andere Art boss-like-tasks.

Prinzipiell stieg mit der Übernahme von Führungsaufgaben auch die Lohnhöhe. Am stärksten stieg sie, wenn der Anteil an Multitasking stieg, während Weiterbildung einen kaum messbaren Effekt zeigte. Relativierend muss man entgegnen, dass auch die Arbeitszeit mit der Zunahme an Komplexität wuchs. Auch die Berufszufriedenheit sank mit zunehmender Übernahme von Führungsaufgaben. Der Effekt war zwar eher gering, aber statistisch stark signifikant. Einzig Weiterbildung erhöhte die Zufriedenheit.

In Folgeuntersuchungen konnte ein Einfluss von Alter, Gender, Industriezweig oder Produktivitätsgrad ausgeschlossen werden. Alternative JER-Definitionen zeigten das gleiche Ergebnis. Eine vergleichende Analyse zu einer britischen Studie konnte die Ergebnisse ebenfalls weitestgehend stützen.

Die angegebenen Erkenntnisse bilden Durchschnitte ab, was nicht heißt, dass es nicht Elemente der vertikalen Erweiterung des Berufsbildes gibt, die nicht die Lebensqualität steigern können. Auf den positiven Aspekt der Weiterbildung wurde bereits hingewiesen. So zeigte Asuyama, dass es für Blue-Collar-Arbeiter*innen (produzierendes Gewerbe, Maschinenbau, etc.) besonders motivierend ist, in die Planung mit eingebunden zu werden.

Diskussion: Take-Aways für Marxist*innen

Die Ergebnisse zeigen, dass die bürgerliche Annahme, dass mit der Übernahme von mehr Planungs- und Organisationsaufgaben, Autonomie und Möglichkeiten zur Weiterbildung auch die Qualität eines Berufs zunehme, falsch ist. Das ergibt aus marxistischer Sicht hochgradig Sinn. Entfremdung wird von Marx nicht so verstanden, dass sie allein kritisiert, dass die Arbeiter*innen den ganzen Tag nur Schräubchen drehen und keinerlei Abwechslung haben. Diese Art der Entfremdung gibt es zwar, aber sie ist nur eine Facette. Entfremdung ist eine gesamtgesellschaftliche Erscheinung, die auf der Trennung der Produzent*innen von den Mitteln ihrer Reproduktion beruht. Es scheint dabei empirisch vollkommen irrelevant zu sein, ob die Arbeiter*in ihre Tätigkeiten konkret vorgeschrieben bekommt oder mehr Autonomie bei der Effektivierung ihrer Ausbeutung erhält.

Unterstellt man den einfachen Zusammenhang, dass Klassenbewusstsein und Jobzufriedenheit negativ korrelieren, dann sollte die moderne vertikale Erweiterung von Berufen auch keinen prinzipiellen negativen Einfluss auf das Klassenbewusstsein haben. Es mag durch andere Faktoren sinken – der Wegfall bisheriger Kommunikationsräume, materielle Klassenkompromisse auf Kosten Dritter, der Einfluss der ideologischen Organe des Bürgertums – es sinkt jedoch nicht mit dem Anspruch an den Beruf. Eine politische Strategie, die unterstellt, dass Arbeiter*innen mit eintönigen Jobs ganz prinzipiell leichter zu organisieren und agitieren sind, würde genauso fehlgehen, wie das Missverständnis der Personalverwaltungen, allein mit chefähnlicheren Jobs die Motiviation ihrer Angestellten zu steigern. Arbeiter*innen wissen, dass sie keine Chefs sind.

Dass sich die Integration handwerklicher Arbeiter*innen in den Produktionsprozess trotzdem als motivierend erweist, könnte eine Lehre für kommende sozialistische Gesellschaften sein. In der DDR wurde dies in großen Kampagnen versucht, wurde aber wahrscheinlich von anderen negativen Faktoren und Erfahrungen überformt.

Zu guter Letzt: Wenn mehr boss-like-Aufgaben die Motivation der Arbeiter*innen gar nicht steigern, dann liegt die Funktion der vertikalen Erweiterung auch nicht darin begründet. Ein Kapitalist mag sich verschätzen, die gesamte Bourgeoisie tut es in aller Regel nicht. Eine alternative Erklärung wäre die, immer mehr höherqualifizierte Aufgaben so zu gestalten, dass sie von einfachen Arbeiter*innen mit geringeren Löhnen durchgeführt werden können. Dabei macht man sich zu Nutze, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Autonomie intuitiv als richtig erscheint. Um so wichtiger ist es, empirisch nachzuschauen und diesen Schein zu lüften.

Zusammenfassung

Yoko Asuyama hat eine sorgfältige geprüfte, theoretisch fundierte und empirisch breit aufges Studie mit signifikanten Ergebnissen vorgelegt. Sie bestätigen marxistische Annahmen zur gesellschaftlichen Ursache von Entfremdung. Mit mehr Autonomie im Arbeitsalltag werden die Arbeiter*innen nicht zufriedener, auch wenn der Lohn leicht ansteigt. Die Ergebnisse sollten aktive Marxist*innen darin bestärken, die Menschen stärker nach ihrer Rolle im gesamtgesellschaftlichen Produktionsprozess zu sehen und weniger anhand ihrer konkreten Tätigkeiten zu bewerten. Nur weil jemand wie ein Chef aussieht und ähnliche Aufgaben übernimmt, ist er keiner, wenn er keiner ist.

Literatur

Asuyama, Y. (2022): Doing boss-like tasks and worker well-being: Job enrichment revisited. In: LABOUR. Jahrgang 36, Ausgabe 2. S.196-203.

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