Clever kombiniert

⋄ Das Transformationsproblem beschäftigt sich mit der Frage, wie sich mit der Durchschnittsprofitrate Preise in Arbeitswerte umrechnen lassen.

⋄ Für dieses Problem gibt es verschiedene Möglichkeiten, von denen einige auf der Lösung eines Gleichungssystem mit zu vielen Unbekannten beruhen.

Um diese Unbekannten zu bestimmen, müssten zusätzliche Annahmen getroffen werden.

Gabriel Montes-Rojas systematisierte alle Ansätze, die mit einer endogenen Ausbeutungsrate arbeiten und erstellte eine Typologie.

Er fand heraus, dass sich die empirischen Ergebnisse der einzelnen Lösungsansätze kaum voneinander unterschieden.
Wie wird Wert zu Geld?

Marxist*innen streiten sehr gern. Und sie streiten sehr gern über sehr abstrakte Themen. Und noch besser ist es, wenn es kein*r Arbeiter*in mehr versteht und es politisch völlig irrelevant ist. Viele sehen hierfür das Transformationsproblem als Musterbeispiel an. Es berührt zwar einen ganz fundamentalen Punkt – die Arbeitswertlehre von Karl Marx – und die Kritik an dieser trägt nicht ganz zu Unrecht den Hauch von bürgerlicher Aufweichung des Marxismus. So polarisiert ein Michael Heinrich zum Beispiel mit seinen Schlussfolgerungen in Die Wissenschaft vom Wert. Aber ist das wirkliche Problem wirklich so unüberwindbar, wie manche glauben machen wollen?

Gabriel Montes-Rojas von der Universidad de Buenos Aires and CONICET systematisierte nach jahrelanger Arbeit die verschiedenen Modelle zur Umrechnungen von Preisen in Wert. Eine Leitfrage war, was dies eigentlich für die Höhe der Profit- und Ausbeutungsraten bedeuten würde? Werden Arbeiter*innen stärker ausgebeutet, als dies durch Anschauung der Lohnhöhen ersichtlich wird? Und noch allgemeiner: Welchen Unterschied macht es eigentlich, ob ich dieses oer jenes Verfahren wähle? Sein Ergebnis ist bemerkenswert.

Das Transformationsproblem mit endogener Ausbeutungsrate

Das Transformationsproblem ist kurz gesagt die Frage nach der Art und Weise, wie sich durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmte Arbeitswerte in Preise transformieren lassen und, ob dies überhaupt möglich bzw. nötig ist. Diese Transformation wäre der Schlüssel zur Bestimmung der Werte überhaupt, da wir Preise überall lesen können, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit jedoch nicht mit der Uhr messen können. Nun scheint es evident zu sein, dass Werte und Preise sich deutlich unterscheiden können und Marx suchte auch nach einer theoretischen Begründung. Im dritten Band des Kapitals stellte er einen Algorithmus vor, der über die Durchschnittsprofitrate die Produktionspreise aus dem Wertgesetz berechnen sollte. Kritiker*innen beanstandeten hierbei jedoch, dass bereits auf der Seite der Werte konstantes und variables Kapital bereits in Preisen ausgedrückt seien und sich die Katze somit in den Schwanz beiße.

Neues Problem, neue Lösungen. Im wesentlichen lassen sich vier von diesen unterscheiden. Die ersten beiden beruhen auf der Formulierung des Transformationsproblems durch von Bortkiewicz, der das Transformationsproblem als ein Gleichungssystem mit zwei Gleichungen für jede Ware ausdrückte: eine im Preis- und eine im Wertsystem. Leider blieben immer drei Variablen pro Ware zuviel unbestimmt, was zwei Schlussfolgerungen zuließ. Entweder war dieses Gleichungssystem nicht lösbar und die Marxsche Transformation falsch. Oder man musste zusätzliche Annahmen treffen, um die freien Variablen durch bestimmte Größen ausdrücken zu können. Hier setze Montes-Rojas an. Daneben existiert noch die monetäre Werttheorie, die keinen Unterschied zwischen Preisen und Werten erkennen möchte und hierfür mitunter recht spitzfindige Argumentationen entwickelt hat. Und es gibt die dialektische Interpretation, die den zeitlichen Faktor bei der Produktion berücksichtigt und Preisen wie Werten im Prozess der Produktion verschiedene Funktionen zuschreibt.

Montes-Rojas schaute sich Lösungsversuche an, die versuchen, die freien Variablen durch weitere Bestimmungen zu definieren. Eine erste Bestimmung aller Ansätze ist die, dass die Ausbeutungsrate endogen ist, also nicht aus Gleichungen berechnet werden kann. Dies ist zum einen schlüssig, da der Kampf um die Länge des Arbeitstages respektive die Lohnhöhe ein Klassenkampf ist, dessen Ausgang nicht nur von im bürgerlichen Sinne ökonomischen, sondern auch politischen, sozialen, kulturellen und historischen Faktoren abhängt. Andererseits ist diese Annahme aus empirischer Sicht unproblematisch, da die Ausbeutungsrate seit langer Zeit in modernen Industriegesellschaften ca. 1 beträgt. Das heißt, dass die Arbeiter*innen zusätzlich zu jeder Stunde, die sie für sich selbst arbeitet, eine für den Kapitalisten arbeitet.

Eine Typologie der Lösungen

Montes-Rojas entwickelte nun eine Typologie der zusätzlichen Bedingungen, die vorgeschlagen wurden, um das Gleichungssystem zu lösen. Die möglichen Bedingungen sind nun folgende:

A1: Die Summe aller Werte entspricht der Summe aller Preise.

A2: Die Summe aller Werte der Produktionsmittel entspricht der Summe aller Preise aller Produktionsmittel.

A3: Die Summe aller Mehrwerte im Wertsystem entspricht der aller Mehrwerte im Preissystem.

C1: Die Summe des Kapitals im Wertsystem entspricht der Summe des Kapitals im Preissystem.

C2: Die Summe aller variablen Kapitale im Wertsystem entspricht der Summe aller variablen Kapitale im Preissystem.

C3: Die Summe aller konstanten Kapitale im Wertsystem entspricht der Summe aller konstanten Kapitale im Preissystem.

Montes-Rojas betrachtet den Fall A3 nicht, obwohl er häufig in der Literatur anzutreffen ist, da er redundant zu allen anderen ist. Auf den ersten Blick natürlich wirkt die Bedingung A1, da es logisch erscheint, dass alle Preise zusammen ein gutes Maß für die gesamte inkorporierte Arbeitszeit sind. Auch C2 scheint sehr stichhaltig, da variables Kapital, also die Löhne weitestgehend unmittelbar konsumtiv und wenig spekulativ verwendet werden. Jede der oben genannten Bedingungen stützt sich auf Zitate aus den Kapital-Bänden oder den Grundrissen. Allerdings gibt es für jede dieser Bedingungen auch gute Gegenargumente.

Stichhaltigkeit der Kombinationen

Insgesamt lassen die fünf Bedingungen 4+3+2+1=10 Kombinationen zu. Jede drückt eine bestimmte Interpretation des Kapitals aus. A1-C1 führt zum Beispiel zu dem interessanten Resultat, dass die Profitrate sowohl im Preis-, als auch im Wertsystem jeweils gleich ist. Die Kombination A2-C1 ist die Freak-Kombination. Sie lässt zum Beispiel die theoretische Möglichkeit zu, dass es Profite ohne Ausbeutung gibt, was mit der Argumentation von Marx wohl kaum mehr zu vereinbaren wäre. A2-C2 entspricht der so genannten Neuen Interpretation des Transformationsproblems. Diese sieht beispielsweise im Value Added der bürgerlichen Ökonomie einen legitimen Ausdruck des variablen Kapitals und ist für die Datenanalyse die am leichtesten handhabbare. Aber sie ist streng genommen kein dualistischer Ansatz, da sowohl Produktionsmittel in Preisen (A2), als auch Löhne in Preisen (C2) erfasst werden. Bekannteste Vertreter sind wohl Duncan Foley und Dumenil, die Kritiker Fred Moseley und Saad-Filho. A1-C2 ist eine Spielart der Neuen Interpretation, wie sie von Mohun für andere Datensätze vorgeschlagen wurde.

Die Kombinationen A1-A2, A1-C3 und A2-C3 sind nur dann miteinander vereinbar, wenn eine abstrakte Standardware definiert wird, die den Dreh- und Angelpunkt der Transformation bilde. Dieses Verfahren entspricht dann den Überlegungen Pierro Sraffas. Bei A1-A2 sind Profitrate und Ausbeutungsrate in beiden Systemen identisch, was die Bestimmung dieser beiden fundamentalen Größen natürlich recht einfach mache. C1-C2, C2-C3 und C1-C3 tun alle im Wesentlichen das Gleiche. Sie lassen zwei der drei Bestandteile des Wertgesetzes durch Preise ausdrückbar und der dritte wird durch die Durchschnittsprofitrate beeinflusst. Diese Lösungen liegen sehr nah an den betriebswirtschaftlichen Planungen, die Kapitalentscheidungen zu Grunde liegt. Alles in allem gibt es also sechs verschiedene Kombinationen, die sich inhaltlich wirklich unterscheiden.

ein numerisches Beispiel

Über die Stichhaltigkeit der einzelnen Modelle ist schon sehr viel diskutiert worden. Natürlich ist theoretische Konsistenz dabei sehr wichtig. Aber Montes-Rojas fragte nun danach, wie groß die Unterschiede bei der tatsächlichen empirischen Arbeit wären. Hierzu nutzte er ein Zahlenbeispiel von Pierro Sraffa, bei dem es nur drei Waren – Kohle, Eisen und Mehl – in recht willkürlichen Proportionen und mit unterschiedlichen Arbeitszeiten gibt.

Als Beispiel für seine Resultate sei hier das Diagramm gezeigt, in welchem Montes-Rojas die Profitrate im Wertsystem der Profitrate im Preissystem gegenüberstellte:

Abb.: Montes-Rojas (2023). siehe Literaturverzeichnis. S.135.

Die schwarze Linie A1-C1 zeigt die Kombination an, bei der die Profitraten in Werten und Preisen per definitionem gleich sind. Alle anderen Modelle sehen zwar die Profitrate in der Arbeitszeitrechnung leicht über der in Preisen ausgedrückten, aber wichtiger ist, dass diese Modelle fast einheitlich sind und sich auch von A1-C1 nur um ca. 5% unterscheiden. Einziger Ausreißer ist A2-C1, die Freak-Kombination. Diese kann deshalb verworfen werden, da sie Profite ohne Ausbeutung zulässt und damit epistemisch nicht sinnvoll ist.

Zusammenfassung

Diese Arbeit von Gabriel Montes-Rojas ist das Ergebnis jahrelanger systematischer Arbeit. Ohne die Vereinheitlichung der verschiedenen Ansätze könnten diese auch nicht verglichen werden und der Vergleich zeigt eine ganz wichtige Erkenntnis: die praktische Bedeutung der einzelnen Lösungen für das Transformationssystem ist marginal. Ob Standardware, nicht streng dualistische Ansätze oder andere Verfahren. Die empirischen Unterschiede sind recht gering. Zumindest in diesem Zahlenbeispiel. Das würde bedeuten, dass auch wenig ausgefeilte Verfahren, die mathematisch einfach handhabbar sind und deshalb von einer größeren Zahl Marxist*innen benutzt werden könnten, gute Resultate lieferten. Der Nachweis, dass sich diese an einem recht einfachen Zahlenbeispiel gemachte Entdeckung auch in komplexeren Systemen zeigt und damit verallgemeinern lässt, stünde noch aus. Aber ein solcher Nachweis wäre für die Vereinheitlichung der marxistischen Diskussion und die breite, konkrete Analyse des Kapitalismus Gold wert.

Literatur:

Montes-Rojas, G. (2023):A typology of Marxian transformation procedures with endogenous exploitation rate. In: Metroeconomica. Ausgabe 74. S.119-137.

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