Ein spät gehobener Schatz: Daschkowskis Kritik an Isaak Rubin

⋄ Isaak Rubins Theorie der abstrakten Arbeit, die erst durch die Gleichsetzung im Tausch gesellschaftlich anerkannt werde, hat bis in die Neue Marx Lektüre nachgewirkt.

⋄ Helmut Dunkhase hat eine lesenswerte Erwiderung Ilja Daschkowskis aus
Unter dem Banner des Marxismus von 1926 digitalisiert und übersetzt
.

⋄ Daschkowski argumentiert, dass abstrakte Arbeit als reine Absehung vom konkreten Inhalt der Arbeit auch außerhalb des Kapitalismus zu finden sei.

⋄ Im Sozialismus sei es sogar so, dass alle möglichen, sinnvollen Arbeiten der Produktionssphäre gleich gültig seien, wodurch der abstrakte Wert bereits in dieser Sphäre gesellschaftlich sei.

⋄ Das Maß der Gleichsetzung sei jedoch der Freiheitsgrad des Sozialismus, für den die technische Entwicklung hin zu einer konkreten Ermöglichung gleich gültiger konkreter Arbeit die Voruassetzung sei.

Neben David Ryazanov steht der Name Isaak Iljitsch Rubin wie kein zweiter für eine bis in die späten 1920er aktive und zur herrschenden Politik oppositionelle Marxrezeption in Sowjetrussland und der Sowjetunion. Insbesondere die Neue-Marx-Lektüre, die sich etwa in Person von Michael Heinrich in Stellung gegen einen so genannten Arbeiterbewegungsmarxismus brachte, entdeckte Rubin als wichtigen Bezugspunkt. Seine Ermordung in den Säuberungen von 1937 entkräftet aus sich selbst heraus jeden Verdacht, sich bei marxistischer Theoriebildung auch mit dem Stalinismus gemein zu machen. Zu Rubin ist daher in den vergangenen Jahrzehnten viel geforscht worden und ohne Zweifel ist die Erschließung seines Werkes eine der Sternstunden deutscher Marxismus-Forschung.

Seine Kritiker in der Sowjetunion hingegen sind weitgehend vergessen. Helmut Dunkhase hat in der Zeitung Под знаменем марксизма – Unter dem Banner des Marxismus einen Artikel eines seiner Gegner – Ilja Daschkowski – gefunden und ins Deutsche übersetzt. Daschkowski bietet eine philosophische Alternative zur Behandlung des Wertes als reiner gesellschaftlicher Abstraktion; einer Interpretation, die nicht zu Unrecht im Verdacht steht, das revolutionäre Potential des Marxismus abzuschwächen. Im Folgenden sollen seine Ausführungen nachgezeichnet werden.

Die Werttheorie Isaak Rubins

Ilja Daschkowski gibt zunächst zu, dass Rubins Studien zur Marxschen Werttheorie den Ruf als eines der besten Werke zum Begriff der abstrakten Arbeit genieße und dessen Begriffsbildung breit übernommen werde. Er setzt also sehr weitgehende Kenntnisse von Rubins Text voraus, weshalb dessen Argumentation zunächst umrissen werden muss.

Rubin kritisiert die so genannte physiologische Auffassung der abstrakten Arbeit, welche diese als eine Verausgabung von Hirn, Muskel oder Nerv im Allgemeinen auffasse; im Unterschied zur besonderen Verausgabung in der konkreten Arbeit. Damit werde die abstrakte Arbeit zu einer ahistorischen und auch außerhalb der kapitalistischen Verhältnisse anwendbaren Kategorie. Wenn es aber nun richtig ist, dass die abstrakte Arbeit den Wert schafft und der Wert selbst eine Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft ist, dann müsste es falsch sein, den Begriff der abstrakten Arbeit überhistorisch zu deuten. Die Vergleichung der Arbeit finde umgekehrt erst über den Wert, über die Warenform, über deren Tausch und damit in der Zirkulationssphäre statt:

„Die abstrakte Arbeit erscheint nur im eigentlichen Akt des Markttausches. Die physiologische Gleichheit der verschiedenen Arten von menschlicher Arbeit hat immer existiert und ist an sich keine gesellschaftliche Tatsache, die unabhängig von der gesellschaftlichen Produktionsform ist. Aber die in der Warenproduktion durch den Tauschprozess geschaffene Gleichheit der verschiedenen Arten von Arbeit, das Gleichgewicht zwischen der in den verschiedenen Produktionszweigen aufgewendeten Arbeit, der Übergang der Arbeit von einem Zweig auf den anderen, sozusagen das Streben aller Arbeitskräftereserven der Gesellschaft nach Gleichheit, ist eine der Warenproduktion innewohnende gesellschaftliche Erscheinung und findet ihren Ausdruck im Begriff der abstrakten Arbeit.“

Rubin selbst war sich des Problems dieser Ansicht bewusst, das eigentlich den Pferdefuß der ganzen NML darstellt. Wenn die Arbeiten erst im Tausch gleichgesetzt werden, wie kann es dann sein, dass der Wert in der Produktion geschaffen wird. Michael Heinrich versuchte dies durch die Auffassung aufzulösen, dass der Wert im Tausch nicht geschaffen, aber realisiert werde. Rubin selbst versuchte das Problem zu bewältigen, indem er einen doppelten Tauschbegriff einführte: einmal als den des separaten Prozess in der Zirkulationssphäre und einmal als allgemeine „gesellschaftliche Form des Reproduktionsprozesses“ (Rubin, S.112). Da der Tausch immer schon in der Produktion durch den Kapitalisten mitgedacht sei, nehme der Produktionsprozess bereits bestimmte Formen an, welche die Realisierung des letztendlichen Tauschs befördern. Argumentierte Rubin schon vorher eher mit schwachen Belegen aus Vorarbeiten zum Kapital oder der Französischen Übersetzung (Näheres hier) gegen zentrale Marx-Zitate aus der standardisierten vierten Auflage, so kann er sich hier gar nicht mehr auf Belege durch Marx stützen. Daschkowski versucht aber nun nicht nur zu zeigen, dass sich Rubin nicht auf Marx stützen könne, sondern, dass die Theorie an sich unstimmig sei.

Historisch, ahistorisch oder überhistorisch?

Er argumentiert, dass sich Rubin bei seiner Argumentation mit leeren Abstraktionen beschäftigen würde. Denn wenngleich die Formen der Produktionsweise immer historisch und gesellschaftlich bestimmt seien, gebe es auch überhistorische Kategorien, wie die Produktion und Reproduktion menschlichen Lebens und die dazu genutzten Produktivkräfte. Habe der Begriff der abstrakten Arbeit überhaupt eine Verwurzelung in der Realität, so müsse er in jeder historischen Produktionsweise bereits ideal vorgelegen haben. Erst im Kapitalismus konnte die abstrakte Arbeit auch gesellschaftliche Wirklichkeit erlangen, da hier Arbeit ganz allgemein und materiell austauschbar genug geworden sei. Das Argument hat in der Debatte um den Sozialismus sehr weitreichende Folgen. Schließlich sehen in der Tradition der NML stehende Marxist*innen die Aufhebung des abstrakten Werts als die wesentliche Bestimmung zur Überwindung des Kapitalismus. Damit ist jedoch jede sozialistische Gesellschaft, in welcher noch Geld als Tauschmittel genutzt wird und im Zweifelsfall sogar jede Arbeitszeitrechnung verdächtig, den Kapitalismus nicht hinreichend überwunden zu haben. Damit lassen sich aber auch kaum sozialistische makroökonomische Systeme denken und die revolutionäre Tat beschränkt sich auf Kritik, Dekonstruktion des Tauschwerts und unmittelbare Solidarität im Kleinen. Es fehlt sozusagen der Hebel, an dem transhistorisch angesetzt werden könnze, um die Formen gesellschaftlicher Produktion zu ändern. Wenn es aber nach Daschkowski richtig ist, dass abstrakte Arbeit bereits in historischen Gesellschaftsformationen vor dem Kapitalismus identifizierbar war, wenn auch nicht materiell realisierbar, dann scheidet sich auch die Differenz von Sozialismus und Kapitalismus nicht an der abstrakten Arbeit.

Die Trenszendenz der abstrakten Arbeit im Sozialismus

Das führt zum Filetstück des Textes. Daschkowski interpretiert Marxens populäre Beschreibung einer kommunistischen Gesellschaft, mit der individuellen Fähigkeit „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“ kreativ neu. Während die Stelle herkömmlicherweise als Aneinanderreihung von konkreten Arbeiten gelesen wird, die auf eine reine Gebrauchswertökonomie hinweisen, macht Daschkowski eine wichtige Feststellung. Marx beschreibe hier eine Gesellschaft, in der es aus Sicht des Individuums zunächst gleich gültig sei, welche konkrete Arbeit es verrichte. Im Kapitalismus ist es das nicht. Nur wer die Arbeit verrichtet, die er verkaufen kann, erhält die Waren zur Reproduktion seiner Arbeitskraft. Die Lohnarbeit ist nicht gleich gültig zu allen anderen Privatarbeiten. Die Gleichgültigkeit aber mache alle konkreten Arbeiten für die Arbeiter*in damit abstrakt. Kommunismus wäre damit die Aufhebung der abstrakten Arbeit nicht in dem profanen Sinne einer Abschaffung des abstrakten Werts. Er sei vielmehr die Aufhebung des abstrakten Werts durch seine Allgemeingültigkeit.

Schauen wir in den Kapitalismus. Innerhalb der Produktionssphäre ist die Arbeit konkret und nicht abstrakt. Arbeiter*innen mögen ihre Stelle wechseln können, aber die ausgezeichnete konkrete Arbeit bestimmt sie, führt zur maximalen Intensität und Produktivität einzelner Arbeitsschritte und zur Verkümmerung anderer Talente. Abstrakt ist die Arbeit für die Arbeiter*in nur in der Zirkulationssphäre: einmal da, wo sie ihre Arbeitskraft verkauft (und zwar mit wenig Rücksicht darauf, welche konkrete Arbeit verrichtet werden muss) und einmal da, wo sie Geld erhält, um Waren zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft zu kaufen.

Bedenken wir: Marx kritisierte die bürgerlichen Ökonomen dafür, dass sie die Zirkulationssphäre für den eigentlichen Ort der Ökonomie hielten, weil es der gesellschaftlicher Ort ist, an dem die Bourgeoisie als Besitzer über Waren und Kapital herrscht und durch Vernachlässigung der Produktionssphäre nie auf einen Begriff des Werts kam, sodass die Doppelnatur der Arbeit verschwand. Bei Daschkowski verschwindet die Doppelnatur der Arbeit auch, aber auf eine ganz reale Weise. Indem alle Arbeit für die Arbeiter*in abstrakt wird, weil ihr alle als gleich gültig gegenübertreten, verliert die Zirkulationssphäre erstens ihre Auszeichnung gegenüber der Produktionssphäre und zweitens ihren Vorrang als Ort von Gesellschaftlichkeit. Überall da, wo sich Arbeit bereits in der Produktionssphäre als abstrakt darstellt (und wo wir nicht von atomisierter Arbeit sprechen), hat die Arbeit bereits Gesellschaftlichkeit. Der Sozialismus hebt damit genauso die abstrakte Arbeit auf. Warum? Weil die abstrakte Arbeit keine Abgrenzung mehr kennt, wenn alle Arbeit in allen Sphären abstrakt ist. Genauso wie bei Hegel aus dem reinen Sein das reine Nichts hervorgehen muss, weil dem reinen Sein jede Bestimmung fehlt, die es vom Nichts unterschiede, hebt sich die abstrakte Arbeit somit auf.

Sozialismus als Dialektik von Technik und Organisation

Der Hebel, mit dem diese Aufhebung vermittelt werden kann, ist für Daschkowski für einen hundert Jahre alten Text erstaunlich klar. Es ist eine Produktivkraft, die es ganz konkret den Menschen erlaubt, ihre Arbeit auch individuell als gleich gültig zu betrachten.

„Die kapitalistische Technik hat dazu geführt, dass nicht nur der konkrete Inhalt der Arbeit dem Arbeiter gleichgültig wird, sondern dass sich die Erscheinungsformen der Arbeit in ihrer Konkretheit (Arbeit im ökonomischen Sinne, als „Lebensnotwendigkeit“) immer mehr annähern, indem nach und nach die Funktionen menschlicher Organe durch die Arbeit von Automaten ersetzt werden. Dieser Prozess hat sich im Sozialismus noch gigantischer entwickelt. Folglich werden sich die ökonomischen Verhältnisse, die im Kapitalismus den Boden für die Trennung von konkreter Arbeit und abstrakter Arbeit geschaffen haben, nach dessen Zusammenbruch noch stärker entwickeln. Die Verwirklichung der Zweiteilung der Arbeit wird sich dann nicht im Sinne einer Rückkehr zum Patriarchat, zur Bindung der Menschen an bestimmte Berufe vollziehen, sondern im Sinne einer immer stärkeren Angleichung der Arten konkreter Arbeit, ihrer Verwandlung in einen monotonen Prozess der Verausgabung von Energie unter beobachtender Überwachung der Arbeit der Maschine.“

Daschkowski, S.9.

Das ist reichlich voraussetzungsvoll. Erstens müssen Menschen über die entsprechende Bildung verfügen, um so viele Arbeiten wie möglich (alle möge man vielleicht als ideal betrachten, ist individuell aber auch gar nicht notwendig) verrichten zu können. Zweitens muss Energie so organisiert werden, dass die menschliche Kraft hier keine Schranke darstellt. Und drittens muss der Übergang zwischen einzelnen Arbeitsfeldern möglichst leicht organisierbar sein. Dies Bedingungen mögen anspruchsvoll sein. Sie sind aber vorstellbar realisierbar. Sie bedürfen nur, und hier kommen wir zum gesellschaftlichen Inhalt der Form einer solchen Produktionsweise, einer bewussten Organisation der Produktion. Die herrschende Klasse im Kapitalismus lebt von der Ausschließung der Arbeiter*innen von allen Arbeiten und von der Festlegung dieser auf nur bezahlte Tätigkeiten. Eine Gesellschaftsordnung, die die abstrakte Arbeit durch allseitige Verallgemeinerung überwinden will, muss diese Ausschließungsprinzipien ebenfalls überwinden.

Die Allseitigkeit der abstrakten Arbeit hat nach Daschkowski noch eine zweite weitreichende Facette. Da es außerhalb der abstrakten Arbeit keinen definierten Bezugspunkt zu deren Messung gäbe, trete sie als ein gesellschaftlicher Freiheitsgrad auf. Denn, wo eine Gesellschaft zusammen plane, müssten zwei Arbeiten dennoch durch ein vergleichendes Drittes aufeinander bezogen werden. Eine Gesellschaft kann somit darüber befinden, ob abstrakte Arbeit lieber in konkreter Zeit gemessen werden soll, in komplexen Interpretationssystemen oder sonst vorstellbaren Einheiten. Die Wahl des Maßes wird keinesfalls ohne Auswirkung auf die gesellschaftliche Produktion bleiben, aber es steht nun einer Gesellschaft frei, durch die Wahl des Maßes auch den Weg der Produktionsweise zu bestimmen, anstatt sich wie von einer Naturgewalt durch sie bestimmen zu lassen.

Daschkowskis Kritik an Rubin

Daschkowski kritisiert Rubin in erster Linie dafür, dass er den Warenfetischismus bereits in der abstrakten Arbeit selbst begründet sieht. Das stimme aber nicht, sondern er folge daraus, dass die abstrakte Arbeit gegenständliche Form erlange und damit das gesellschaftliche Verhältnis, was die Arbeiten überhaupt vergleicht, als ein sachliches erscheine. Der Sozialismus hingegen beziehe die abstrakten Arbeiten eben nicht erst über Ware und Tausch aufeinander, sondern über bewusste Abstraktion. Zu sagen, es dürfe im Sozialismus keine abstrakte Arbeit mehr geben, wäre so, als würde man sagen, man dürfe nicht mehr zählen. Denn auch jeder Akt des Zählens ist Abstraktion von den natürlichen Eigenschaften der gezählten Gegenstände. Gesellschaftlichkeit bedeutet aber Kommunikation. Kommunikation bedeutet Regulierung. Regulierung bedeutet Bilanzierung. Bilanzierung bedeutet Abstraktion. Einen Sozialismus ohne Regulation und Bilanzierung zu fordern, hieße, die Vergesellschaftung im Sozialismus und damit die historische Voraussetzung zur Überwindung der Warenform als unbewusstes Regulativ und materielle Grundlage des Warenfetischismus zu negieren. Von solch einem Standpunkt aus ist außer „kritischer Reflexion“ dann wirklich nicht mehr viel Praxis möglich; was die NML auch herausstreicht. Oder etwas pointierter: Rubin behauptet, die Vergleichung von Arbeit könne nur durch den Tausch erfolgen. Daschkwoski wendet ein, Arbeit ließe sich auch gesellschaftlich bewusst vergleichen; was nichts darin ändere, dass Arbeit verglichen, sprich von ihrem konkreten Inhalt abstrahiert werden, müsse.

Ein weiterer Einwand gegen Rubin ist, dass dieser, da die abstrakte Arbeit ja jeglicher physiologischer Natur entkleidet ist, nicht mehr begrifflich zwischen Arbeit und Arbeitskraft unterscheiden könne. Das sei aber die Grundlage der gesamten Ausbeutungstheorie. Aber genauso, wie die abstrakte Arbeit eben nur von ihren konkreten Formen abstrahiere (und nicht noch einmal doppelt von ihrem Charakter, Arbeit selbst zu sein), so abstrahiert der Wert der Ware Arbeitskraft eben nur von den bestimmten Mitteln zur Reproduktion und nicht allgemein davon, dass sie durch produzierte Waren reproduziert werden muss. Diese Doppelabstraktion – einmal von ihrer konkreten Form und dann von ihrem bereits von der Form absehenden Inhalt – führe Rubin letztendlich in ein wissenschaftsphilosophisches Dilemma. Welche Untersuchungsgrundlage bietet sich Rubin noch, wenn abstrakte und konkrete Erscheinungen weggelassen werden? Es gibt ja in dieser Theorie nichts mehr, was erst in der Warenform versachlicht, sprich fetischisiert, erscheinen könne. Wenn Rubin selbst sagt, dass sie die gesellschaftliche Gleichsetzung „isoliert und unabhängig von den quantitativen Aspekten vollzieht, die die Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozess charakterisieren“ (Rubin, S.119), worin begründet sich dann eigentlich der Fetischcharakter der Ware? Wenn die Wertgegenständlichkeit tatsächlich aus nichts anderem aus dem Tausch der Gegenstände herrühre, dann ist die Objektivierung gesellschaftlicher Beziehungen kein Fetisch mehr, sondern einfach Praxis. Damit gerät Rubin jedoch auch in einen logischen Zirkel (Wert als Produkt des Tausches ist gleichzeitig das wirkliche Verhältnis und dessen Verschleierung), Dann lässt sich daraus aber auch so ziemlich alles behaupten und schließen.

Kritik an Daschkowski

Nun ist Daschkowskis Text sicherlich nicht selbst ohne seine ganz eigenen Probleme zu haben. Eines davon ist die Verkürzung des sozialistischen Aufhebungsprozesses des Kapitalismus auf eine technologische Entwicklung und die Frage nach dem dieser Prognose innewohnendem Realismus. Denn noch sind wir von der „Verwandlung [der Arbeit] in einen monotonen Prozess der Verausgabung von Energie unter beobachtender Überwachung der Arbeit der Maschine“ weit entfernt. Neue Technologien erfordern zuweilen immer neue Spezialisierungen. Universalgenies zählen zu einer ausgestorbenen Gattung. Viele Arbeiten werden auf Jahrzehnte hin nicht standardisierbar und automatisierbar sein. Und ob die Vollautomatisierung energetisch überhaupt zu bewältigen wäre oder nicht in den Umweltkollaps mündet, steht in den Sternen. Wenn Daschkowski diesen Prozess bereits im Jahr 1926 in vollem Trab sieht, dann können wir ein Jahrhundert später feststellen, dass dieser Prozess aus dem Galopp gekommen ist.

Weiterhin ist die Einordnung der Kategorie der abstrakten Arbeit als „außerhistorisch“ fragwürdig, wenngleich für den Gang der Argumentation auch gar nicht notwendig. Es ist dem historischen Materialismus ja gerade essentiell, dass seine Abstraktionen keine Denkabstraktionen sind und sich nur auf historische Praxis beziehen können. Wo eine historische Praxis vorherrscht, welche die Absehung vom konkreten Inhalt einer Arbeit nicht benötigt, weil der Hunger nur durch Nahrungsgewinnung gestillt und der Schutz vor wilden Tieren nur durch Feuermachen erreicht werden kann, da macht es auch keinen Sinn, abstrakte Arbeit auch ideal zu vermuten. Es ist ja gerade der Punkt, dass die Abstraktion mit zunehmender Vergesellschaftung als konkreter Praxis zunimmt. Da der Sozialismus aber genau eine solche zunehmende Vergesellschaftung darstellt, berührt die postulierte Existenz historischer Zeiten, in denen es einfach keine abstrakte Arbeit gab, die Argumentation Daschkowskis nicht.

Und drittens geht Daschkowski darüber hinweg, dass Rubin durchaus zwischen abstrakter Arbeit und „gleichgesetzter Arbeit“ im Sozialismus zwecks Bilanzierung und Planung unterschieden hat. Rubin selbst verwehrte sich gegenüber Vereinfachungen seines Ansatzes, die jegliche gleichgesetzte Arbeit als abstrakte Arbeit betrachteten, womit er eigentlich auch schon vorläufig einigen späteren NML-Vertreter*innen den Wind aus den Segeln nahm. Abstrakte Arbeit verstand Rubin nur als die explizit kapitalistische Form gleichgesetzter Arbeit, die in der Warenform aufgehe. Dann könnte man natürlich den Punkt machen, dass es sich hier schlichtweg um ein Problem der Bezeichnung handele und Daschkowski mit seinem Begriff der abstrakten Arbeit das bezeichnet, was Rubin die gleichgesetzte Arbeit nennt; und weil sich beide ohnehin auf die bürgerliche Gesellschaft beziehen, würde es keinen Unterschied machen. Daschkowski stellt hierzu keine Erwägungen an. Rubin müsste man vielleicht zum Vorwurf machen, dass er immerhin in Hinblick auf seine Nachfolger, Verwirrung gestiftet hat.

Abgesehen davon bietet Daschkwoski eine der fruchtbarsten Auseinandersetzungen mit der Werttheorie Isaak Rubins. Sein Aufsatz zeigt, mit welch hohem theoretischen Niveau und innerhalb welcher Pluralität noch in den späten 20er Jahren der Sowjetunion gestritten wurde. Inwiefern eine so breit gefächerte Debatte notwendigerweise durch die massiven Aufgaben der Industrialisierung und die Vorbereitung auf eine faschistische Invasion verengt werden musste oder ob man fahrlässig und überflüssig das geistige Leben der Sowjetunion lähmte, möge jede*r selbst bewerten. Helmut Dunkhase gebührt jedenfalls großer Dank für die Entdeckung und Übersetzung eines spannenden Stücks sowjetischer Debattenkultur.

Literatur:

Rubin, I. (1924/1973): Studien zur Marxschen Werttheorie. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.

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