Neujahrsrede für das Jahr 2025: Daths Vorwort zu „Kommunisten heute“

Der Verlag „Neue Impulse“ hat die Broschüre „Kommunisten heute“ (1995) von Hans Heinz Holz neu herausgegeben.

Das Vorwort schrieb Dietmar Dath, der dem programmatischen Buch von Holz einen nicht weniger programmatischen Text voranstellt.


⋄ Dath sieht im historischen Materialismus die aufhebende Überwindung von Idealismus und Materialismus, welcher aber auf das Experiment als epistemologisches Instrument angewiesen ist
.

⋄ Eine kommunistische Partei sieht er als ein Netzwerk an, dessen Stärke in der Verzeitlichung von Informationsverarbeitungsstrukturen liegt. Es gäbe Zeiten der Diskussion und Zeiten der Aktion.

⋄ Sowohl Holz als auch Dath argumentieren für eine Avantgarde-Partei in ihrem wortwörtlichen Sinne einer Vorhut, die Möglichkeiten auslotet, aber keine Kriege gewinnt.

Wenn Dietmar Dath programmatische Texte verfasst, dann hat er sich dafür in den letzten Jahren insbesondere ein Genre herausgesucht: das Vorwort. Dath schreibt nicht gerade selten Vorworte und nicht alle sind programmatisch, aber wenn Dath dazu noch einen seinerseits programmatischen Text einführt, dann kann man sich sicher sein, dass er sehr Grundsätzliches sagen möchte. Man erinnere sich etwa an das Vorwort zum kleinen roten Bändchen der Marxist Pocket Library zu Lenins Staat und Revolution. Auch die Broschüre Kommunisten heute von Hans Heinz Holz ist solch ein programmatischer Text. Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus trat der bereits rüstige Professor in die DKP ein, der mit der DDR ein wesentlicher Orientierungspunkt der politischen Arbeit verlorengegangen war. Sein 1995 verfasstes Buch sollte dabei helfen, den historisch-materialistischen Kompass der Partei wieder neu zu justieren und überflüssigen ideologischen Balast abzuwerfen, ohne dabei aber die grundlegende Weltanschauung mit zu entsorgen.

Auch heute stehen Kommunist*innen vor einer sich schnell ändernden politischen Landschaft. Die Hochzeit reformorientierter pluralistischer linker Bewegungen ist vorbei, bis in die SPD hinein ist man gewillt, den Imperialismus zu bewaffnen und ob sich die AfD von einem Faschismus in der Bewegung zu einem Faschismus an der Macht entwickeln kann, ist noch nicht ausgefochten. Kommunist*innen kämpfen an zwei Fronten: gegen die AfD, aber nicht mit den sozialdemokratischen Kriegstreibern und gegen den Krieg, aber nicht mit der AfD. In dieser Situation hat der DKP-nahe Neue Impulse-Verlag Kommunisten heute von Hans Heinz Holz erneut herausgegeben. Das Vorwort schrieb Dietmar Dath. Dieses soll an dieser Stelle näher betrachtet, das ganze Buch hingegen wärmstens zum Kauf empfohlen werden.

Von Wolkenköpfen und Tierköpfen

Dath eröffnet mit einer metaphorischen Unterscheidung zwischen Idealismus und Materialismus. Die Idealisten nennt er Wolkenköpfe, die Begriffe wie „Freiheit“ und „Recht“ als tatsächliche Akteure der Geschichte auffassten, anstatt sie als verallgemeinerte Formeln der konkreten Klassenverhältnisse zu erkennen. Die Materialisten nennt Dath Tierköpfe, die alle Geschichte aus einem naturwüchsigen Menschengeschöpf ableiteten und nur wegen vermeintlich egoistischer Triebe dem Menschen eine Wolfsnatur zuschrieben, deren adäquater Ausdruck der Raubtierkapitalismus sei. Die historische Materialismus sei die Flughöhe zwischen beiden Ansichten, die den Menschen zwar als Gewordenes der Gesellschaft betrachtetet, aber eben auch als Subjekt der Geschichte. Dieser Subjekt-Objekt-Widerspruch ließe sich nur durch prozessierende ständige Experimente auflösen, die darüber entscheiden, ob Ideen eine materielle Wirklichkeit zukommt. Und dass ausgerechnet das sonst so experimentierfreudige Bürgertum am Experiment der Oktoberrevolution so gar keinen Anteil nahm, zeugt davon, welcher Klasse es da an den Kragen sollte.

In die sich daraus ergebende politische Stagnation habe Hans Heinz Holz sein Buch „Kommunisten heute“ hineingeschrieben. Was heute als experimentell gilt, etwa ganz aktuell die Ausbreitung „künstlicher Intelligenz“ in alle Bereiche der Produktion, ist eigentlich nichts Neues, sondern nur Fortsetzung der Entwertung mühsam erworbener Qualifikationen der Arbeiter*innenklasse. Vor hundert Jahren wurden die selbstständigen Schuhmacher und Schlosser zu schlichten Aufsichtspersonen über die entsprechenden Maschinen degradiert, heute trifft Bürojobs und die so genannten Kreativen. Holz habe vor seinem Tode 2011 viele Entwicklungen bereits vorausgesehen, nicht weil er einen magischen Blick in die Zukunft habe, sondern weil die Entwertung lebendiger Arbeit ein historisches Gesetz der herrschenden Produktionsweise ist.

Holz und der Parteiaufbau

Bereits in jungen Jahren saß der 1927 geborene Holz wegen antifaschistischer Aktivitäten im Knast und lernte dort Kommunisten kennen, die ihn an den Marxismus-Leninismus heranführten. Über die Journalistik kam er zur Philosophie. Die anhaltende Kommunistenverfolgung in der BRD, die zuerst durch das KPD-Verbot und später durch den Radikalenerlass die intellektuelle Landschaft des Marxismus zu zersetzen versuchte, trieb ihn an die Universität nach Groningen. 1994 trat er der DKP bei, um gerade im Klima der politischen und geistigen Erschütterung der kommunistischen Bewegung die programmatische und intellektuelle Erneuerung der Partei voranzutreiben.

Das reicht hier auch schon als biografischer Abriss, denn es folgt Daths obligatorische Metapher aus der Mathematik. Eine Partei sei auf einem Stand der Produktivkräfte, auf dem Arbeitsteilung eine Notwendigkeit wird (wenngleich der unbewusste Charakter der Arbeitsteilung nicht notwendig ist), ein Koordinationsorgan, ein „informationsverarbeitender Produktionszusammenhang“, der – genauso wie die kapitalistische Wirtschaft Bedürfnisse schafft – das Bedürfnis nach der Umwälzung der bestehenden Gesellschaft schaffen soll. Informationstheoretisch könne ein Netzwerk drei Grundstrukturen besitzen: das Erdös-Renyi-Modell, einen probabilistischen Block oder das „Royal-Family-Modell“. Beim ersten Modell seien die Punkte des Netzes ganz zufällig verknüpft, beim zweiten gäbe es Abweichungen vom Zufall auf Grund erkannter Gemeinsamkeiten und beim dritten ein definiertes Netz aus Rechten und Informationsrichtungen. Nach Dath weise jeder der Netztypen eigene Opportunitätskosten auf, sei es die Dauer von Prozessen oder die Langlebigkeit falscher Informationen.

Das Prinzip des demokratischen Zentralismus versteht Dath daher als eine Temporalisierung der Organisationsprinzipien. In Phasen der Debatte, in der lose, konsensorientierte Strukturen vorherrschten, wäre es leichter, Falschinformationen herauszufiltern. In Phasen der Aktion und des Kampfes bräuchte es aber klare Führungsstrukturen, Befehlsketten und Disziplin. Dath sieht in diesem Prinzip den Abbau der Komplexität des Willensbildungsprozesses als Voraussetzung für eine bewusste Partizipation aller Genoss*innen: alle entscheiden mit und unterwerfen sich dem Gremium, das bestimmt ist, diese Entscheidungen auch durchzusetzen. Imperative Mandate seien hier ein historisch etabliertes Instrument, denn ein solches Prinzip, ließe sich nicht mit einer Mandatsausübung vereinbaren, die dem subjektiven Gewissen unterliege. Die grundlegende Entscheidung einer kommunistischen Partei sei die klare Regelung, wie diskutiert wird, wenn diskutiert wird, wann diskutiert wird und wie konkret-dialektisch Phasen des Kampfes wieder in Phasen der Diskussion überführt werden.

Diese Verzeitlichung des Kampfes um eine emanzipatorische Gesellschaft mache auch die Unterscheidung in Sozialismus und Kommunismus so wichtig. Aufgaben, die zum Kommunismus führen, können noch nicht im Kapitalismus begonnen werden und Aufgaben der Überwindung des Kapitalismus müssen nicht mehr im Sozialismus bewältigt werden.

Plan, Spezialisierung und Demokratie

Dath straft jeden ab, der irgendwo einen überhistorischen Masterplan zu erkennen glaubt und erst recht, wenn er aus den Grundrissen so etwas wie ein Primat der demokratischen Beteiligung bei Marx herauslesen will, die am Ende genauso genutzt werden kann, um Ausbeutungsstrukturen zu effektivieren. Demokratie Partizipation sei nur eine Säule des Kampfes um eine sozialistische Gesellschaft. Ebenso bräuchte es bis zum Erreichen der Überflussgesellschaft ein Leistungsprinzip und Spezialisierung, um konkrete Probleme zu lösen, die der Klassenkampf stellt. Und es braucht einen Plan als in der Gemeinschaft konkretisiertem Bewusstsein statt Naturwüchsigkeit. Die Rasanz, mit der der Kapitalismus den Planeten vor die Wand fährt, duldet evolutionäre Geduld genauso wenig, wie die überausgebeutete Näherin in den Sweatshops Südostasiens. Dath gibt zu bedenken, dass sich diese drei Säulen gegenseitig auch destabilisieren. Die Fachfrau kann aus ihrer Expertise heraus Einwände gegen einen partizipativ beschlossenen Plan erheben. Und was dann? Kommunismus ist in diesem Sinne eben kein Zustand, sondern eine Bewegung, ein Weg.

Es gibt hier jedoch eine kleine Leuchte, die im Weg durch das Dunkel erhellen kann. Denn der Weg ist jahrzehntelang real beschritten worden und wird noch beschritten. Aus ihm lassen sich nicht nur Lehren ziehen, welche Konfigurationen nicht zielführend sind: etwa, die Verabsolutierung des Plans und des Spezialwissen über der demokratischen Partizipation, außer im antifaschistischen Krieg, wo dies die beiden tragenden Säulen des Sieges waren. Es gibt auch viele kulturelle, ökonomische und demokratische Leistungen und Errungenschaften, die dazu geführt haben, dass die Sowjetunion, die DDR oder Kuba trotz durch den Klassenfeind erschaffener schlechter Ausgangslagen eine enorme Resilienz gezeigt haben. Fehler und Leistungen stehen dabei zumeist noch im gemeinsamen historischen Zusammenhang. Nur ein linker Wolkenkopf könne einerseits die chinesischen Volkskommunen der 60er idealisieren, aber die marktwirtschaftliche Öffnung in den 80ern verdammen, ohne den kausalen zwischen beiden zu erkennen. Sonderwirtschaftszonen oder sozialistisches Eigentum vergleicht Dath mit der Beziehung zwischen „Host“ und „Client“ auf Computern, wo der Client einen eigenen Computer simuliert, um spezielle Probleme zu lösen. Die Gefahr bestehe laut Dath darin, dass ein Mac-User, der zulange mit einem Windows-Client arbeitet, technische Probleme, die sich aus diesem Arrangement ergeben falsch einschätzt, weil er sich die Mac-Struktur abgewöhnt hat. Um schlimmsten Fall kann ein Mensch, der in ein künstliches Koma versetzt wurde, um Wunden auszuheilen, nie wieder aufwachen. Eine Referenz zu Gorbatschow.

Und noch zwei Dilemmata

Als ob Dath nicht nun schon genug Dilematta aufgezeigt hätte, die ihrer praktischen Lösung durch eine kommunistische Bewegung harren, endet er mit zwei weiteren. Zum einen ist selbst die Säule demokratische Partizipation gar nicht so leicht zu haben. Angenommen es bestünden verschiedene Wege, ein von allen geteiltes Planziel zu erreichen, wäre es demokratisch, nicht nur die favorisierten Möglichkeiten durch Abstimmung abzufragen, sondern auch auch Tendenzen: Möglichkeit A am liebsten, aber wenn nicht, dann Möglichkeit C vor B. Dafür gelten folgende Regeln. Es muss die Transitivität gewahrt bleiben. Wenn B beliebter ist als C und A beliebter ist als B, muss A auch beliebter sein als B. Wenn alle Abstimmenden A besser finden als B, muss das Ergebnis dies abbilden. Das Verfahren bildet alle Rangfolgen ab, die möglich sind, darf nicht von unabhängigen Faktoren beeinflusst werden und kein Mitglied macht sein Abstimmungsergebnis vom Ausgang der Abstimmung selbst abhängig. All dies ist leicht einzusehen, aber tatsächlich mathematisch nicht gleichzeitig lösbar. Plandemokratie ist also nicht nur die Wahl zwischen Planalternativen, sondern auch bewusste Festlegung des Planungsprozesses selbst.

Und ein zweites Dilemma tut sich unter der vernünftigen Annahme auf, dass nicht die ganze Welt zeitgleich vernünftig werde, es also eine Spaltung in sozialistische und kapitalistische Welt gebe. Am Beispiel der Umweltfrage lässt sich das illustrieren. In der Regel schadet bei gleicher technischer Entwicklung eine erweiterte Produktion der Umwelt mehr als eine reduzierte, erfüllt aber gleichzeitig mehr Bedürfnisse. Wenn dies der Fall ist, kommt man in eine Art Gefangenendilemma, als jener Situation, wo zwei Einbrecher gefasst werden und folgende Möglichkeiten haben: entweder schweigen sie beide, dann kann beiden nur ein kleines Delikt mit einer Haftstrafe von einem Jahr angehängt werden. Schweigt einer und der andere verpfeift seinen Kumpanen, kommt der Verräter frei, während der andere die Höchststrafe von 5 Jahren erhält. Und verpfeifen sich beide gegenseitig, bekommen beide die Höchststrafe von 5 Jahren.

Produziert nun ein sozialistisches System umweltfreundlicher, kann aber bei gleicher Arbeit weniger Bedürfnisse befriedigen, droht es, die eigenen Legitimationsgrundlage zu verlieren. Versuchen die kapitalistische Welt und die sozialistische gleichermaßen, extensiv zu produzieren, geht der Planet für beide krachen. Nur wenn beide mit einem gewissen Vertrauen zusammenarbeiten, kann sowohl das sozialistische System wie auch der Erdball überleben. Ähnliche Analogien könnte man zum Kalten Krieg ziehen, in dem Maoisten bis heute der Sowjetunion Verrat vorwerfen, weil sie die Atombombe nicht der Volksrepublik zur Verfügung gestellt haben.

Zusammenfassung

Dietmar Dath schreibt hier erneut einen Text, für Leser*innen, denen Links-sein etwas anderes bedeutet als Lieb-sein: Mitleid mit den Schwachen haben, Müll trennen und Welpen kuscheln. Links-sein ist eine Einstellung, die im unauflösbaren Gegensatz zur Klassenherrschaft der Bourgeoisie steht und deshalb auch nur im Kampf mit ihr denkbar ist. In diesem Kampf ist die Kommunistische Partei für Holz die Avantgarde, wobei er Wert darauf legt, dass dieser Begriff eine Vorhut und keinesfalls den Generalstab bezeichnet. Die Vorhut erringt nicht den Sieg, sondern bereitet das Feld, lotet Schwachstellen aus und bringt die Verhältnisse in Bewegung; doch erst die ganze Armee stürmt zum Sieg. Und nicht mehr, aber auch nicht weniger erwarten sowohl Holz, wie auch Dath, von einer kommunistischen Partei: „den Imperialismus in neue Kämofe verstricken, damit wir ihn schlachten können.“

Literatur:

Dath, D. (2025): Wie man das Monster fängt und schlachtet. Was dieses Buch warum lehrt – sieben Punkte. In: Holz, H. (1995): Kommunisten heute. Essen: Neue Impulse. S.IX-XXXIX.

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