⋄ Der Papyrossa-Verlag hat 2022 innerhalb weniger Wochen zwei Bücher zu Planwirtschaft und Arbeitszeitrechnung veröffentlicht: „Plädoyer für Planwirtschaft“ (Dunkhase) und „Gesellschaft nach dem Geld“ (Sandleben). ⋄ Nach den jeweiligen Rezension werden diese in einem dritten Artikel miteinander verglichen. ⋄ Die Bücher unterscheiden sich durch unterschiedliche Quellen und Traditionen, sowie durch einen unterschiedlichen Zugang zur Zentralität der Planung und direkter Demokratie. ⋄ Beide Bücher sehen die „Ökonomie der Zeit“ als kommunistische Wirtschaftsweise an und lehnen Mischsysteme aus Plan und Markt ab. ⋄ Zum Weg des Übergangs äußern sich beide Bücher nicht. |
Der Papyrossa-Verlag hat 2022 zwei Bücher über Planwirtschaft und Arbeitszeitrechnung innerhalb weniger Wochen herausgegeben. Guenther Sandlebens „Gesellschaft nach dem Geld“ und Dunkhases „Plädoyer für Planwirtschaft“ sind zwei Bücher, die miteinander in Diskussion treten. Während Sandleben eher den knappen Überlicksband mit Fokus auf die Debatten von Wirtschaftswissenschaftlern aus den kapitalistischen Ländern vorgelegt hat, erweitert und vertieft Dunkhase mit Aspekten der real-sozialistischen Debatten und den konkreten Vorschlägen Cockshotts und Cottrells. Zum Abschluss der kleinen Rezensionsserie möchte ich die beiden Bücher gerne einmal in den Kernpunkten vergleichen.
Unterschiede
Quellen und Tradition
Dunkhases Buch speist sich aus zwei großen Quellen: den Planwirtschaftsdebatten innerhalb der sozialistischen Ökonomien und den cybersozialistischen Ideen von Cockshott und Cottrell. Er zeigt auf, wie sehr grundlegende und mächtige Konzepte bereits in der Sowjetunion entwickelt wurden, letztendlich aber der politische Mut zur Umsetzung gefehlt habe. Er spart nicht mit Kritik an den Ökonomen, die immer wieder die Preisrechnung verteidigten, zeigt aber auch, dass es andere Positionen in der UdSSR gegeben hat. Das bezieht sich nicht nur auf die Entwicklung der linearen Optimierung oder Input-Output-Rechnung, sondern auch auf politische Schriften, wie den Brief Stalins an Jaroschenko, der nahelegt, dass Stalin die Preisrechnung tatsächlich sehr kurzfristig nach dem Zweiten Weltkrieg hätte abschaffen wollen.
Guenther Sandleben orientiert sich mehr an den auch im Westen wahrgenommenen klassischen und heterodoxen Ökonomen. Er geht mehr auf die theoretischen Probleme ein, welche die bürgerliche Wissenschaft für unlösbar hielt, um diesen adäquate Konzepte entgegenzusetzen. Die konkreten Fragen der Planwirtschaft im real existierenden Sozialismus streift er höchstens. An Cockshott und Cottrell kritisiert er deren umständliche Nachbildung eines Angebots- und Nachfragemechanismus:
„Wozu einen komplizierten Preisbildungsprozess nachbilden, der nach Meinung der Autoren einen ungeheuren Rechenaufwand verschlingt, wenn doch ein Zuviel oder ein Zuwenig an Produkten entlang von Lagerbeständen, Zu- und Abgängen erkannt werden kann. Wird ein Produkt knapp, dann ist der direkte Weg, die Knappheit der Produktion zu melden, statt den Umweg über eine Nachbildung von Märkten zu gehen.“
S.57
Zentralität der Planung
Dunkhase verteidigt mit Vehemenz ein Element des Planwirtschaftsmodells, welches in vielen Teilen der Linken stark umstritten ist, dass der Zentralität; denken doch viele an die abschätzige Behandlung der Planwirtschaft als Zentralverwaltungswirtschaft in den Lehrbüchern. Er argumentiert, dass das geschaffene Mehrprodukt natürlich zentral verwaltet werden müsse, um die Ressourcen möglichst zielgenau in der gesamtgesellschaftliche Produktion zu verteilen. Sandleben bleibt hier wage, wenn er formuliert, dass er sich „eine einheitliche Planung und Organisation, gleichgültig ob diese stärker zentralisiert oder föderativ erfolgt“ (S.124) vorstellen kann. Im Interview mit 99 zu Eins sprach er sich etwas direkter für dezentrale Planung aus.
Die Debatte ist nicht einfach auflösbar. Sehr genau wird in Zukunft darüber geredet werden müssen, was zentral organisiert oder auch nur erfasst werden muss und wie Partizipation ermöglicht wird. Doch sollte man sich bei dieser Debatte bewusst machen, dass eine Planwirtschaft auch die Abschaffung sehr viel sinnfreier Arbeit bedeutet und die dadurch gewonnene Freizeit massiv ansteigen wird. Diese freie Zeit wird immer die Möglichkeit zur Beteiligung an der Gesellschaft im Vergleich zum heutigen Kapitalismus massiv erhöhen.
weitere Unterschiede
Dunkhase sieht Arbeitszeitscheine als Ersatzwährung als mehr oder weniger unumgänglich an. Diese sind in seinem Konzept zwar allerhand Einschränkungen unterworfen, dienen am Ende aber als wichtiges Regularium über die Knappheit. Sandleben führt Arbeitszeitscheine als mögliches Distributionsmittel zwar an, sieht deren Bedeutung jedoch angesichts fortgeschrittener Produktivkräfte eher als randständig an. Knappheit werde durch leere Lager signalisiert, wobei er keine Idee vorlegt, wie die Vergabe bei knappen Gütern geregelt werden könnte, falls die Produktion diese nicht sehr schnell nachliefern kann.
Der Einfluss direkter Demokratie wird von Dunkhase und Sandleben sehr unterschiedlich gewichtet. Während Dunkhase diese auf die Bestimmung des Anteils an sozialen Dienstleistungen beschränken möchte, während der operative Ablauf der materiellen Produktion in den Händen eines größeren oder kleineren Planungsstabes verbleibt, zieht Sandleben die Grenze nicht so eng. Er bleibt hier unspezifisch, deutet aber an, dass sich die Möglichkeiten von Mitbestimmung stark erweitern werden.
Dunkhase legt weit mehr als Sandleben wert auf die technischen Voraussetzungen der Arbeitszeitrechnung. Seine Utopie speist sich aus den informationstechnologischen und mathematischen Möglichkeiten, die bereits heute existieren. Sein Motto: Kommunismus = Sowjetmacht + Internet. Sandleben argumentiert eher aus politischen Erwägungen heraus und sieht in der Digitalisierung eher eine Erweiterung des Möglichkeitsraumes der Planung.
Dunkhase spricht auch in Bezug auf eine Planwirtschaft noch häufig von „Mehrprodukt“, insbesondere, wenn es als Begründung für die zentrale Verteilung dienen soll. Allerdings fragt man sich, warum eine Planwirtschaft eine „Mehr“ von irgendwas produzieren soll. Soll es ein „Mehr“ über die Subsistenz sein? Man würde entgegnen, Maschinen müssen gepflegt und erneuert werden, technischer und produktiver Fortschritt sind gesellschaftliche Bedürfnisse. Warum sollte sie ein „Mehr“ zu etwas darstellen? Sandleben benutzt diesen Terminus wahrscheinlich aus ähnlichen Erwägungen heraus nicht.
Gemeinsamkeiten
„Ökonomie der Zeit“
Für Sandleben ist die Arbeitszeit die unabdingbare Rechengröße. Eine geplante Ökonomie müsse vereinheitlicht werden und in Anbetracht der stofflichen Vielfalt von Waren wäre die Arbeitszeit das Mittel der Wahl. Dunkhase sieht die Arbeitszeitrechnung als Konsequenz eines universellen Erhaltungsgesetzes an, dass nicht mehr konsumiert werden könne als produziert. Beide beziehen sich dabei auf den Satz von Marx aus den Grundrissen, dass eine kommunistische Wirtschaft eine „Ökonomie der Zeit“ sei. Hier möchte ich die Gegenthese aufstellen, dass die Arbeitszeitrechnung weder eine kommunistische, noch die einzig mögliche sozialistische Produktionsweise ist.
Auf einige Widersprüche, die sich aus der Arbeitszeitrechnung ergeben, insbesondere wenn mit Arbeitszeitscheinen bezahlt wird, wurde im letzten Artikel zu Sandleben hingewiesen. Diese mögen zwar technisch zu bewältigen sein, deuten jedoch an, dass die Ökonomie noch keine kommunistische ist und der Mensch noch kein von prinzipiellen Widersprüchen freies Gattungswesen. Dass zwischen Mensch und Produkt immer noch die abstrakte Größe Arbeitszeit tritt, die besonders in Dunkhaseschen Modell Entfremdungserfahrungen kaum beseitigt, kann unmöglich kommunistischen Charakter für sich beanspruchen.
So ist die Arbeitszeitrechnung eine sozialistische Wirtschaftsrechnung, eine Rechnung der Übergangsperiode, die bereits sehr viele Aspekte menschlicher Emanzipation enthält. Aber sie ist nicht die einzige. Anders als Sandleben behauptet, ist eine kybernetische Gebrauchswertökonomie keinesfalls auf den Vergleich von Arbeitszeiten angewiesen. Vom Gebrauchswertcharakter können auch die Modelle Sandlebens und Dunkhases nicht vollständig abstrahieren. Eine Planwirtschaft wird wahrscheinlich immer ein Hybridwesen aus Arbeitszeit- und Gebrauchswertrechnung bleiben. Daher sollten auch die Methoden und Ansätze letzterer beleuchtet werden.
komplizierte und einfache Arbeit
Eine der häufigsten Kritiken an der Arbeitszeitrechnung ist, dass sie gleichsetzt, was nicht gleichzusetzen ist, nämlich unterschiedliche menschliche Arbeiten. Manche können komplizierter sein als andere. Manche benötigen jahrelange Bildung und Ausbildung. Andere sind äußerst unangenehm bis gesundheitsschädigend.
Mit dieser Kritik gehen beide Autoren sehr souverän um. Bei Dunkhase leuchtet ein, dass, wenn einfach die Zeit zur Ausbildung entsprechend der geleisteten Arbeitsstunden vergütet wird, die zur Verrichtung der komplizierten Arbeit notwendigen Voraussetzungen ja bereits von der Gesellschaft beglichen wurde. Dies wäre ein enormer Vorteil gegenüber der heutigen Organisation, wo die Ausbildung mehr oder weniger unbezahltes Privatvergnügen ist und Student*innen nicht nur Bücher büffeln, sondern auch noch nebenbei Saft schupsen müssen, um sich das WG-Zimmer leisten zu können.
Sandleben zerteilt gleich die komplizierten in eine Summe vieler einfacher Arbeiten. Er führt das Argument an, dass in einer entwickelteren Gesellschaft die Menschen ohnehin eher einen größeren Kreis verschiedener Tätigkeiten ausführen werden als in der stumpfen und repetitiven Lohnarbeit. Dadurch verschwinde auch der qualitative Unterschied zwischen höherer und niedrigerer Arbeit. Vielleicht sollte man auch betonen: Alle Arbeiten gleichzusetzen ist eine bewusste und politische Entscheidung. Die Begründung von Privilegien, besseren Jobs und höheren Zugriff auf die Konsumgüter durch akademische Abschlüsse und Titel soll ja gerade kritisiert und abgeschafft werden. Wer sich dann ungerecht behandelt fühlt, kann immer noch die Straße kehren. Wer das ausschlägt, muss zugeben, dass die „kompliziertere“ Arbeit doch nicht so unangenehm ist.
weitere Gemeinsamkeiten
Sowohl Dunkhase, als auch Sandleben lehnen Mischsysteme aus Markt und Plan konsequent ab. Dunkhase sieht noch in Anlehnung an die NÖP eine Zulassung von Marktelementen für wenige Jahre als zulässig an, Sandleben kritisiert aus sehr allgemeinen Erwägungen heraus ein Nebeneinander. Beide sind sich einig, dass die Warenform als solche verschwinden muss und maximal im Außenhandel als bewusst begrenzte Notwendigkeit weiter existieren darf.
Beide Autoren teilen einen etwas technokratischen Blick auf die bisherige Geschichte. Das Scheitern bisheriger Planwirtschaftsmodelle oder die Durchsetzung von Marktwirtschaften wird weniger aus den Kräfteverhältnissen zwischen Klassen erklärt, sondern zumeist idealistisch auf theoretische Erwägungen zurückgeführt. Zugänge zu bisherigen Problemen erfolgen nicht wirklich historisch-materialistisch.
Beide Autoren sehen das Wirken der Durchschnittsprofitrate bei der Preisbildung als eines der wesentlichen Probleme der Preisrechnung an und dessen Wegfall als einen der größeren Unterschiede bei der Arbeitszeitrechnung.
offene Frage: Wie hinkommen?
Weder Sandleben, noch Dunkhase äußern sie zu Fragen des Übergangs; zu Fragen, wie eine revolutionäre Strategie, die in den heutigen Verhältnissen beginnt, aussehen könnte. Wenig bis nichts wird über das dialektische Verhältnis von Revolution und neuer Ökonomie gesagt, zum Beispiel, welche politischen Verhältnisse den ökonomischen Vorausgehen müssten. Beide Autoren verschweigen nicht, dass das Privateigentum, die Klassengesellschaft und das Geld verschwunden sein müssten. Aber gerade mit dieser Voraussetzung ist bereits auch die Planwirtschaft, die bewusst durch die Bevölkerung organisierte Produktion, vorausgesetzt. Die Arbeitszeitrechnung ist ohne ein Erörterung der Fragen des Übergang nur eine Folge ihrer eigenen Voraussetzung.
Es ist sicher zu verlangt, auf zusammengenommen knapp 200 Seiten Reinschrift eine befriedigende Antwort auf diese Fragen zu erwarten. Es sei nur darauf hingewiesen, dass diese Fragen dennoch unabdinglich für die künftige Diskussion sein dürften. Nur so können die theoretischen Überlegungen Sandlebens und Dunkhases vielleicht ihre Fühler aus einer fernen Utopie in die gegenwärtige politische Praxis ausstrecken.
Ausblick
Dem Papyrossa-Verlag ist mit der zeitnahen Veröffentlichung der Bücher von Dunkhase und Sandleben ein großer Wurf gelungen. Beide Bücher kommunizieren miteinander, sie ergänzen sich, streiten und hinterlassen gemeinsam offene Fragen für die zukünftige Debatte. Sie stammen aus verschiedenen Traditionen, referenzieren auf unterschiedliche Quelle, beleuchten die Planwirtschaft mal aus wirtschaftswissenschaftlicher, mal aus mathematisch-informationstechnischer Seite. Sie sind ein hervorragendes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Fraktionen der sozialistischen Bewegung konstruktiv in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Der Vergleich beider Bücher ermöglicht es, Unterschiede in den Konzepten trennschärfer hervorzuheben und sich innerhalb dieser zu positionieren.
Wahrscheinlich empfiehlt es sich, zuerst Sandleben zu lesen, da sein Buch eine konsistente innere Struktur aufweist und dann mit Dunkhase zu ergänzen, der ein konkreteres Bild entwirft und die Konzepte des real existierenden Sozialismus mit berücksichtigt. Der umgekehrte Weg funktioniert jedoch auch für Leser*innen, die nicht ganz unbeleckt sind.
Arbeitszeitrechnung ist letztendlich nur eine Möglichkeit von Planwirtschaft, vielleicht sogar nur eine Facette. Es werden in Zukunft hoffentlich noch Modelle zu Gebrauchswertökonomien publiziert, an denen sich die der Arbeitszeitrechnung messen lassen, um geschärft oder verworfen zu werden. Die wichtigste offene Frage ist sicher die nach dem Weg hin zur Arbeitszeitrechnung. Welche politischen Kräfteverhältnisse bräuchte es? Wie lassen sich die neuen politischen Kräfteverhältnisse gegen die herrschende Klasse durchsetzen? Wie sieht der organische Übergang von Preis- in Zeitrechnung aus? Kann die Entwicklung evolutionär oder muss sie revolutionär erfolgen?
Literatur
Dunkhase, H. (2022): Plädoyer für Planwirtschaft. Vom Umgang mit Widersprüchen in DDR, Sowjetunion und China. Köln: papyrossa.
Sandleben, G. (2022): Gesellschaft nach dem Geld. Arbeitszeitrechnung als Alternative. Köln: Papyrossa.
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