⋄ Die Ford Foundation beteiligte sich an wissenschaftlichen Kooperationen im Ostblock und in den blockfreien Staaten, um den Kommunismus dort einzudämmen. ⋄ Sie stieß sie in Jugoslawien das American-Yugoslav Project an, dass urbane Planungsfragen in Ljubljana, Novi Sad, Belgrad und anderen Städten untersuchen wollte. ⋄ Die beiden führenden Köpfe Jack Fisher und Vladimir Braco Mušič waren nicht nur anerkannte Wissenschaftler, sondern auch hervorragende Netzwerker. ⋄ Wichtigstes Projekt war die Erforschung der kybernetischen Lowry-Methode für Planungsfragen der jugoslawischen Kommunen. ⋄ Vladimir Kulić hat in den Planning Perspectives die Geschichte des AYP erzählt. |
Sozialistische Staaten und kommunistische Parteien sind die Todfeinde der globalen Bourgeoisie. Zumindest in der Theorie. In der historischen Realität hat es weit mehr Kooperation und Verständigung über Systemgegensätze hinweg gegeben, als man vermuten mag. Im Laufe der Jahrzehnte sind dabei einige interessante Geschichten entstanden, wie markt- und planorientierte Unternehmen miteinander, gegeneinander und aneinander vorbei gearbeitet haben.
Eine von diesen Geschichten ist das Engagement der Ford Foundation in Jugoslawien. Sie erzählt ein Kapital aus dem Kalten Krieg, in dem es um Wandel durch Annäherung, kybernetische Utopien und unterschiedliche Sichtweisen über die gesellschaftliche Entwicklung geht. Vladimir Kulić hat sie in den Planning Perspectives Revue passieren lassen. Eine kleine Zusammenfassung.
Die Ford Foundation
Der Name Ford steht für eine Produktionsweise, die ein Versprechen einlösen wollte, welches eigentlich der Sozialismus gegeben hatte: die Bereitstellung hochwertiger Produkte für den Massenkonsum. Damit hat die Familie Ford ein riesiges Vermögen gemacht und es war schon kurz in den 1950er Jahren gute alte Tradition in den Vereinigten Staaten, Teile davon am Fiskus vorbei in wohltätige Organisation zu stecken. So gründete man die Ford Foundation.
Die Ford Foundation verfolgte offiziell das Ziel des internationalen Austauschs zur globalen Bekämpfung der Armut, verfolgte aber auch ein handfestes politisches Interesse: die Eindämmung des Kommunismus. Während die US-Regierung den Bad Cop spielte und notfalls mit militärischen Mitteln intervenierte, war die Ford Foundation der Good Cop, der die helfende Hand der Vereinigten Staaten repräsentierte und in Kontakt blieb, wenn alle anderen Verbindungen abrissen. Das Konzept war recht simpel: Es wurden internationale Forschungsprogramme ins Leben gerufen und finanziell abgesichert. Im Rahmen dieser sollten die besten Wissenschaftler anderer Länder, bevorzugt der blockfreien Staaten, Stipendien an den amerikanischen Spitzenuniversitäten erhalten, um den Wissens- und Technologietransfer in die peripheren Länder herzustellen. Dabei sollten sie mit dem American Way of Life vertraut gemacht werden. Man ging selbstverständlich davon aus, dass dieser so attraktiv sei, dass die Partizipient*innen automatisch nach der Rückkehr in ihre Heimatländer dafür Werbung machen würden.
Ein wichtiges Feld hierbei waren Stadtentwicklung und -planung. Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich viele Länder der kapitalistischen Peripherie in der Übergangsphase von Agrar- zu modernen Industriegesellschaften. Das bedeutete, dass die Landbevölkerung zu Abermillionen in die Städte zog, deren Infrastruktur darauf nicht vorbereitet war. Die daraus resultierenden Probleme waren der soziale Sprengstoff für Revolutionäre aller Art. Klassischstes Beispiel ist wohl die Islamische Revolution im Iran 1979, die von den verarmten Massen in den Slums von Teheran ausging. Von der Hilfe für eine geordnete Stadtentwicklung erhoffte man sich nicht nur, Netzwerke zu knüpfen, sondern gleichzeitig diesen Problemen zuvor zu kommen. Die Ford Foundation initiierte beispielsweise ein großes Planungsprogramm in Kalkutta, da man hier großes Gefahrenpotential für eine Ausbreitung des Kommunismus erblickte.
Der Beginn der Zusammenarbeit
Nach der Loslösung von Moskau war Jugoslawien unter Tito einer der Anführer der blockfreien Staaten, also jener Nationen, die politisch weder an die USA, noch an die Sowjetunion gebunden waren. Viele davon liebäugelten mit dem Sozialismus oder wenigstens sozialdemokratischen Versuchen, waren jedoch offen für Kooperationen mit westlichen Staaten. Jugoslawien selbst wurde zwar von der Kommunistischen Partei regiert, genoss jedoch weitgehende betriebliche Autonomie, Presse- und Meinungsfreiheit und einen Föderalismus zwischen den einzelnen Staaten. Das Land schien daher geeignet für eine Kooperation auf dem Feld der Stadtentwicklung, da Planung ohnehin ein staatliches Leitziel war und sich bereits eine akademische Struktur aufgebaut hatte. Auch Tito verfolgte mit der Zusammenarbeit nicht nur materielle Ziele. Die Kooperation mit Ford sollte ein Signal Richtung Chruščëv und Brežnev setzen, dass man es mit der Unabhängigkeit und Blockfreiheit durchaus ernst meine.
Die Ford Foundation begann ihr Engagement in Jugoslawien 1959. Adressat der Aktionen sollten drei Gruppen sein: politische Leiter*innen, hochrangige Akademiker*innen und Personen des kulturellen Lebens. Die Genderform kann hier ganz bewusst gewählt werden, denn zur Überraschung der Amerikaner waren viele hochrangige Akademiker*innen weiblich und mit anderen verheiratet. Die Stiftung präferierte Zielpersonen, die aus solchen Akademiker*innenehen stammten, da man „Propaganda für zwei Leute zu den Kosten von einer“ machen könnte. Eines der ersten Projekte, in das sich auch Beteiligte des Ford-Netzwerkes involvierten, war der Wiederaufbau des durch ein Erdbeben zerstörten Skopjes.
Doch bereits in der Anfangszeit verlief die Zusammenarbeit nicht ganz wie geplant. Wichtigster Kooperationspartner in Jugoslawien war das Urban Planning Institute (UPI) aus Ljubljana. Während Ford jedoch vor allen Dingen mit repräsentativen und einflussreichen Figuren zusammenarbeiten wollte, war das UPI stark in praktische Projekte eingebunden, was man bei Ford als weit weniger prestigeträchtig erachtete.
Das American Yugoslav Project (AYP)
Die beiden herausragendsten Persönlichkeiten des AYP waren auf amerikanischer Seite Jack Fisher und auf jugoslawischer Seite Vladimir Braco Mušič. Jack Fisher war Geograph von der Syracuse University. Er kam das erste Mal 1960 über die Ford Foundation nach Jugoslawien und veröffentlichte in der Folge zahlreiche Fachbücher. Sein Hauptwerk Yugoslavia—A Multinational State erschien 1957 genau zu Beginn eines sensationellen wirtschaftlichen Aufschwungs in Jugoslawien, als das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum 13% betrug und wirtschaftliche Umstruktierungsprozesse stattfanden, die Hoffnungen des westlichen Kapitals auf neue Investitionsmöglichkeiten eröffneten. Fisher, der in Jugoslawien ein breites Netzwerk aufgebaut hatte, war damit vor allen in den Augen des Kapitals prädestiniert für eine leitende Tätigkeit im AYP.
Mušič entstammte einer großbürgerlichen Familie, aber war dennoch Teil der kommunistischen Jugendorganisation und zeitlebens für die Sache des Sozialismus politisch aktiv. Wie Camillo Sitte und Otto Wagner, deren Zöglinge auch Lehrer Mušičs waren, studierte er Architektur an der Universität von Ljubljana. Daher genoss er aus westlicher Sicht einen gewissen Vorsprung vor anderen Bewerbern und studierte über die Ford-Stiftung in Harvard. Hauptgrund für seine Berufung in leitende Funktionen war sicherlich, dass er der Leiter des slowenischen UPI war. Zudem war Mušič ein ausgezeichneter Netzwerker, der seine Fühler auch interdisziplinär ausrichtete.
1966 hoben Fisher und Mušič dann das American-Yugoslav Project in Regional and Urban Planning Studies aus der Taufe. Das Startkapital und große Teile der laufenden Kosten wurden von der Ford Foundation gedeckt, aber das AYP war ein weit größeres Netzwerk. Universitäten, Verwaltungen, Stiftungen, Betriebe Einzelpersonen und sogar die UN … irgendwie hingen alle mit drin und daher waren die sozialen Fähigkeiten Fishers und Mušičs genauso gefragt, wie ihre fachlichen. Genauso komplex war die Finanzierung. Ford hing mit knapp 742.000 US-Dollar (nach heutiger Kaufkraft) in dem Projekt, aber auch die US-amerikanische und jugoslawische Regierung beteiligten sich in erheblichem Umfang.
Anders als in anderen unterentwickelten Ländern, in denen sich Ford engagierte, arbeitete das AYP nicht an direkt anwendungsbezogenen Projekten, sondern wollte gleichberechtigt mit den Amerikanern an zukunftsorientierten Lösungen arbeiten. Technologietransfer wurde von jugoslawischer Seite tatsächlich in beide Richtungen gedacht, wären es die Amerikaner gewöhnt waren, einfach nur Wissen zu exportieren. Dutzende US-Experten residierten über die Jahre in Ljubljana. Im Laufe der Zeit wurden eine große Anzahl an Publikationen herausgegeben und Konferenzen veranstaltet. Es gab monatliche Seminare und Sommerschulen. Auch Wissenschaftler*innen aus anderen Ländern, wie Westdeutschland, Österreich, Italien, Rumänien, der Tschechoslowakei oder Ungarn nahmen teil.
Kybernetische Stadtplanung
Die Ford Foundation erwartete jedoch auch handfeste Ergebnisse. So riefen Fisher und Mušič für die Finanzierungsphase 1968-1970 eine große Demonstrationsstudie ins Leben, in welcher die so genannte Lowry-Methode in der Stadtplanung Ljubljanas angewandt werden sollte. Dabei handelte es sich um ein kybernetisches Modellierungsprogramm, dass Ira Lowry Anfang der 60er Jahre mit Unterstützung Fords für die RAND Corporation, einen Think Tank, des militärisch-industriellen Komplexes der USA, entwickelt hatte. Funfact: Die RAND Corporation war mit der Erstellung der Pentagon-Papers vertraut, welche die Schuld der USA am Vietnamkrieg belegten und deren Veröffentlichung durch Daniel Ellsberg einen der ersten Whistleblower-Skandale darstellte (mehr hier).
Das Programm war kurz gesagt darauf ausgelegt, auf Grundlage empirischer Daten zu Grundstückskosten, Transportkosten und zur Verteilung der wichtigsten Arbeitgeber Entscheidungen zur Planung von Wohnvierteln und Dienstleistungszentren zu erteilen. Ziel der Studie waren weniger konkrete Modelle für die Planung von fünfzehn Kommunen Ljubljanas, sondern mehr die Überprüfung der Tauglichkeit und das Training der Beteiligten. Die Arbeitsphase der Studie war durch eine Vielzahl an Mängeln geprägt: es gab Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den amerikanischen und jugoslawischen Wissenschaftler*innen, Spionageverdacht und die Untersuchungsgebiete deckten sich nicht mit den Verwaltungseinheiten. Dazu besaß das Programm selbst einige Mängel auf Grund der damals noch recht simplen Struktur.
Dennoch kann vor dem Hintergrund der zeitgebundenen Kybernetikbegeisterung dem Projekt ein gewisser Erfolg innerhalb Jugoslawiens bescheinigt werden. Die erstellten Masterpläne für Ljubljana wurden von anderen Regionen übernommen. Da Planungsinstitut der zweitgrößten serbischen Stadt Novi Sad schloss eine Kooperation mit dem AYP ab und Belgrad knüpfte über das Projekt direkt Kontakte in die USA zur Wayne State University, die deren Stadtplanungsbüro für 1,35 Mio. Dollar (inflationsbereinigt) unterstützten. Diese Kooperation kulminierte 1976 in einen „Computeratlas“ Belgrads.
Ende und Bilanz
Dennoch fand die Zusammenarbeit zwischen der Ford Foundation und Jugoslawien ein jähes Ende. Aus dem Munde der Ford Foundation klingt das Fazit folgendermaßen:
„Alles zusammengenommen präsentierte sich die Amerikanisch-Jugoslawische Zusammenarbeit als eine exzellente Möglichkeit, um im marxistischen Europa Türen und Köpfe zu öffnen; eines der zentralen Ziele der Beteiligung der Ford Foundation an den osteuropäischen Programmen. Zurückblickend könnte man eine gewisse Ironie darin erkennen, dass ein kommunistisches Land, in dem systematische Planung eine Art Ersatzreligion geworden war, bereit war zuzugeben, dass es Defizite in einem kritischen Bereich gab: der Gestaltung des öffentlichen Raums auf regionaler Ebene. Die Ironie wurde dann durch den Fakt auf die Spitze getrieben, dass Jugoslawien Hilfe weder bei den sozialistischen oder sozialdemokratischen Regimen Westeuropas, Skandinaviens oder Großbritanniens, oder wenigstens beim dirigistischen Frankreich suchte, sondern bei der wahrscheinlich liberalsten und am wenigsten geplanten Gesellschaft der westlichen Welt.“
Winnick, Louis; zit. nach Kulić (2022, S.21)
Diese Einschätzung ist wohl eher ein Zeugnis der Überheblichkeit der amerikanischen Seite, als der historischen, praktischen und politischen Realität. Stärker als die Begeisterung jugoslawischer Intellektueller für den American Way of Life war die Entwicklung von Sympathie für den jugoslawischen Weg. Schließlich darf man die Vorprägung nicht außer Acht lassen. Wenn die USA von jugoslawischen Austauschpartner*innen im Vorneherein als sehr wohlhabend angesehen wurde, dann konnte der Eindruck der Realität nicht überraschen und wenn, dann nur negativ. Andersherum haben viele US-Amerikaner Vorurteile von einer verarmten und unterdrückten Bevölkerung abgebaut.
Zweitens wurden dennoch allen Beteiligten die ideologischen Differenzen bewusst. Beispielhaft könnte man hier die Auswertung des Lowry-Programms herziehen. Jugoslawische Wissenschaftler*innen bewerteten die Methode als zu stark im Kapitalismus verhaftet. Viele Prämissen, auf denen das Programm aufbauen würde, wären somit nicht auf jugoslawische Probleme anwendbar. Fisher hingegen bestritt diesen Bias vehement und sprach sich für die generelle, übersystemische Eignung aus. Dass er es letztendlich nicht fertigbrachte, mögliche eigene Vorurteile kritisch zu reflektieren, spricht daher für ein gewisses subjektives Gefälle zwischen amerikanischen und jugoslawischen Wissenschaftler*innen.
Hinzu kamen ganz praktische Probleme. Übergreifende Planungsprojekte zeigten oft Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit der kommunalen Selbstverwaltung. Nationale Streitigkeiten und Eigersüchtigkeiten zwischen Kroaten, Slowenen, Serben oder Mazedoniern lähmten stellenweise die wissenschaftliche Arbeit. Und je nach politischer Wetterlage setzten sich beteiligte Wissenschaftler*innen auf der einen oder der anderen Seite dem Spionageverdacht aus. So blieb das Projekt eine kurze, aber interessante Episode des jugoslawischen Sonderwegs zum Kommunismus … der nie zu Ende gegangen wurde.
Literatur:
Kulić, V. (2022): Ford’s network: the American-Yugoslav project and the circulation of urban planning expertise in the Cold War. In: Planning Perspectives. Online First. DOI: 10.1080/02665433.2022.2111592.