Historisch-materialistische Science Fiction (1/X)

⋄ Am 22. Januar jährt sich der Todestag der Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Ursula K. Le Guin zum fünften Mal.

⋄ Aus diesem Anlass soll die Rolle der Science Fiction in der historisch-materialistischen Wissenschaft und das Werk “The Dispossessed” von Le Guin diskutiert werden.

⋄ Science Fiction ist eine Literaturgattung, die sich selbst in ihren Geschichten einen Satz an Regeln und Naturgesetzen auferlegt, die von der empirischen Realität (noch) verschieden sind.

⋄ Folgen diese Regeln den Grundsätzen des historischen Materialismus, sprechen wir von historisch-materialistischer Science Fiction.

⋄ Sie kann die Rolle eines Gedankenexperimentes im wissenschaftlichen Sinne einnehmen, wenn sie die sich selbst auferlegten Regeln in ihren notwendigen Konsequenzen analysiert.
Ersetzt die Flucht zu fernen Planeten den Kampf gegen das Unrecht auf der Erde?

Science Fiction handelt von Robotern und Außerirdischen. Fantasy von Zwergen und Zauberer*innen. So lautet immer noch ein gängiges Klischee über die beiden literarischen Genres. Wer ein paar Folgen Raumschiff Enterprise geschaut hat, weiß zumindest, dass die SciFi oder SF zumindest das imagniative Potential besitzt, sich eine Welt ohne Geld vorzustellen. Eine Fähigkeit, die selbst hochgelobte zeitgenössische Philosphen zuweilen nicht besitzen. Und wer bereits tiefer in die Materie eingetaucht ist, hat sicher festgestellt, dass Science Fiction, und mit Abstrichen gilt das auch für die Fantasy, nicht nur Gegenstand von Wissenschaft, sondern Wissenschaft selbst geworden ist.

Der Begriff Science Fiction hat eigentlich eine Doppelbedeutung: Einerseits kann sie als etwas Ausgedachtes verstanden werden, was sich die Wissenschaft zum Thema nimmt. Andererseits jedoch kann man sie auch als Fiktion verstehen, die wissenschaftlichen Regeln folgt. Letztere Interpretation macht die SF von einem Experiment nicht mehr unterscheidbar. Auch in einem Experiment wird eine vollkommen künstliche, in der Natur so nicht beobachtbare, Situation hergestellt und unter kontrollierten Bedingungen nach ihrem Ausgang hin überprüft. Das tut Science Fiction, die ihren Namen verdient.

Nun lassen sich viele Experimente an Universitäten und Forschungszentren durchführen, andere durch Computer simulieren. Aber beispielsweise auf dem Feld der Geschichte, der Politik-, Kultur-, Sozial- und teilweise auch der Wirtschaftswissenschaften haben Experimente im strengen Sinne, bei denen Experiment und Experimentator klar voneinander getrennt werden können, nur begrenzte Möglichkeiten. Alle jene, die sich also mit den Möglichkeiten einer Gesellschaft beschäftigen, die noch nicht realisiert ist, sind also zum Experimentieren auf die regelbasierte Fiktion angewiesen. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass die Science Fiction Revolutionär*innen, Utopist*innen, aber auch Marxist*innen von jeher angezogen hat.

Am kommenden Sonntag jährt sich der Todestag einer der größten Autor*innen linker Science-Fiction- und Fantasy-Autorin Ursula K. Le Guin zum fünften Mal. Zum Anlass dieses Datum sollen in einem Zweiteiler kurz die Möglichkeiten einer historisch-materialistischen Science Fiction umrissen werden und an Le Guins Werk The Dispossessed/ Freie Geister erörtert werden.

Science Fiction

Die für Marxist*innen vielleicht am besten handhabbare Definition der Science Fiction stammt von einem Marxisten selbst: Dietmar Dath. In Niegeschichte legt er dar, dass Science Fiction und Fantasy zunächst beide gemeinsam hätten, dass sie Elemente aus der objektiven Realität nähmen und verschiedenen Formverwandlungen unterzögen – Dath benutzt die mathematische Metapher der Aufhebungsfunktion –, um einen Erkenntnisgewinn zu ermöglichen. Die Fantasy tut dies, indem sie Gefühle, Metaphern, Charakterzüge, etc. materialisiert. In der Fantasy findet ein leibhaftiger Roboter aus Metall ein Herz aus Fleisch und Blut wie im Zauberer von Oz. Eine pulsierende Metropole pulsiert als großes Lebewesen tatsächlich, wie in Perdido Street Station. Durch die Vergegenständlichung und Personalisierung des Sinnbildlichen wird Erkenntnis über das Seiende und Gewordene möglich.

Science Fiction hingegen ist eine Kunstform, die “unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen eine […] Maschine von sowohl Wissensweisen wie Erkenntnisresultaten werden kann, die anders als mit ihr und durch sie nicht zu denken wären” (Dath, Niegeschichte, S.99), indem die empirische oder einer alternative Realität um einen Katalog an Regeln oder Naturgesetzen ergänzt werden, welche die erzählte Geschichte bestimmen. Ein Meister des Genres war zum Beispiel Isaac Asimov, der in mehreren Werken aus seinen drei Robotergesetzen burleske moralische Probleme entfaltete. Science Fiction ist also ein mehr oder weniger strenges Gedankenexperiment, das es uns erlaubt, Möglichkeiten der Gegenwart durch das Mittel der Fiktion und Narration auszuloten. Anhand dieser Definition wäre beispielsweise 1848 eher der Fantasy zuzuordnen, weil sie nicht regelbasiert auf Grundlage des Gegebenen ein kohärentes Zukunftsbild entwirft, sondern die Ängste und Vorurteile des britischen Kleinbürgertums nach Ausbreitung des Ostblocks wortwörtlich in einen totalitären Staat literarisch transformiert. Die Trennung von Fantasy und Science Fiction ist dabei natürlich nicht starr, sondern gerade die funktionalistische Definition Daths zeigt deutlich, dass sich beide Genres überlappen können. So folgt Buffy – Vampire Slayer sowohl einem festen Regelwer und zugleich sind die auftretenden Vampire und Monster Metaphern für die Albträume eines Teenagers.

Science Fiction und historischer Materialismus

Ist also Science Fiction eine regelbasierte Extrapolation der Wirklichkeit, so ist historisch-materialistische Science Fiction eine, deren Regeln die des historischen Materialismus sind. Unter Weglassung aller Feinheiten könnte man diese zusammenfassen:

1. Gesellschaftliche Verhältnisse entwickeln sich auf dem Boden der Produktionsverhältnisse.

2. Die Produktionsverhältnisse werden durch die Produktivkräfte bestimmte.

3. Am dem Stadium, in dem ein Mehrprodukt erwirtschaft werden kann, teilt sich die Gesellschaft in Klassen auf; ein Zustand der erst mit der gemeinschaftlichen Planung im Kommunismus endet.

4. Der kommunistischen Gesellschaft geht eine Gesellschaft voraus, in der die Klassen, der Staat, die Ware, … abstirbt.

5. Produktivkräfte und Produktionsverhätlnisse, Basis und Überbau, Sein und Bewusstsein, die Klassen bilden jeweils dialektische, d.h. sich durch den inneren Widerspruch weitertreibende, Einheiten.

Entwickelt eine Gesellschaft beispielsweise einen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb, dann benutzt dies die bürgerliche Science Fiction nur dazu, um zu erklären, warum sich Menschen und Außerirdische treffen können, obwohl die Reisedauer zum nächstgelegenen Stern bereits mit unfassbar hoher halber Lichtgeschwindigkeit mehr als acht Jahre betragen würde. Historisch-materialistische Science Fiction hingegen würde diskutieren, welche Produktivkräfte Grundlage einer solchen Entwicklung wären und wie sich diese Entwicklung auf die Produktionsverhältnisse ausgewirkt haben könnte. Träfen mit Hilfe des Überlichtgeschwindigkeitsantriebs Außerirdische und Menschen aufeinander, wären beide Zivilisationen offenbar unterschiedlich entwickelt. Wie wirkt sich diese Ungleichzeitigkeit auf das Verhältnis der beiden Spezies zueinander aus? Durch genau jene Überlegung ist Die drei Sonnen von Cixin Liu eines der populärsten SF-Werke dieses Jahrtausends geworden. Nicht umsonst ist Science Fiction auch im postkolonialen Diskurs beliebt, da zum Beispiel ein Film wie Independence Day die Angst westlicher Machthaber wiederspiegelt, selbst Opfer der Kolonisation durch eine mächtigere Gewalt zu werden.

Historisch-materialistische Science Fiction lässt sich dabei in zwei Spielarten unterscheiden. Entweder wird von den realen jetzigen Verhältnissen auf eine Zukunft der Menschheit unter bestimmten Voraussetzungen extrapoliert. Dann misst sich der Wahrheitsgehalt der Geschichte an der Schlüssigkeit, mit der die Regeln des historischen Materialismus auf die Anfangsbedingungen angewandt werden. Ein recht aktuelles Beispiel hierfür wäre Kim Stanley Robinsons Ministerium für die Zukunft. Die zweite Art historisch-materialistischer Science Fiction wäre eine, welche die genannten Regeln nimmt und auf eine fiktive Gesellschaft mit anderen Ausgangsbedingungen anwendet. Der Wert dieser SF läge dann in der Demonstration der Methode in einem abstrakten Rahmen, um beispielsweise politische Vorurteile zu umgehen. Hierunter würden die Werke des Hainisch-Zyklus von Ursula K. Le Guin fallen.

Zuletzt kann man natürlich noch eine historisch-materialistische Erforschung der Science Fiction definieren. Lässt man, wie die meisten Theoretiker*innen es tun, die (Proto-)Science Fiction mit Frankenstein beginnen, dann ist die Gattung immerhin schon über 200 Jahre alt und damit nur wenig jünger als die Romantik. In dieser Zeitspanne hat die Science Fiction immer neue Themen und Topoi herausgebildet, welche die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer technischen, gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt wiederspiegeln. Diese Auseinandersetzung lässt sich dann historisch-materialistisch überprüfen. Auch die moderne Science Fiction verweist auf solche Auseinandersetzungen und ist daher wertvolles Studienmaterial für den Bewusstseinsstand von Autor*innen und Leser*innen, die zunehmend weiblicher und weniger weiß werden.

Marxistische und linke Science Fiction

Utopisch-sozialistische Vorstellungen lassen sich bereits in den klassischen Werken der Proto-Science Fiction finden. H.G. Wells oder Edward Bellamy machten die Zukunft zur Bühne ihrer politischen Ordnungsvorstellungen, ohne diese jedoch historisch zu entwickeln. Der Erste Weltkrieg und die Oktoberrevolution setzten dann neue Impulse für die utopische und dystopische Zukunftsliteratur. Doch sowohl Yevgeny Zamyatins Wir als auch Aldous Huxleys Brave New World sind eher Metaphern auf die zeitgenössische Entwicklung anstatt reale Denkexperimente.

Die ersten Schriftsteller, die in einzelnen Werken Geschichten mit historisch-materialistischer Methodik konstruierten – wenn auch nicht explizit – waren die Futurians um Isaac Asimov, Frederik Pohl, C.M. Kornbluth oder Donald Wollheim. Große Teile der Gruppe standen dem Kommunismus nahe – Pohl war jahrelang Mitglied der CPUSA, seine Frau und Autorin Judith Merril in trotzkistischen Gruppen aktiv – und formulierten ihre Kritik am amerikanischen Kapitalismus dadurch, dass sie die sich immer weiter entwickelnde Warenförmigkeit der Gesellschaft in ihren letzten Konsequenzen aufzuzeigen versuchten. Pohls und Kornbluths Eine Hand voll Venus kann hier stellvertretend genannt werden. Im Zuge der Kommunistenverfolgung in der McCarthy-Ära mäßigten sich viele der Futurians oder hatten unter Repressalien zu leiden.

Den Stein erneut ins Rollen brachte die 68er Bewegung in den Vereinigten Staaten, da diese neue Akzente in Kultur und Wissenschaft setzte, aber auch wieder ein empfängliches Publikum für marxistische Science Fiction schuf. Ein Autor, der einem hier bestimmt nicht als erstes in den Sinn käme, ist Robert Heinlein. Aber seine Fiktion einer Gesellschaft in Starship Trooper, in der die Bürgerrechte an den Militärdienst geknüpft sind, weil eine materielle Bedrohung durch Außerirdische vorliegt, ist ein historisch-fiktives Experiment erster Güte. Dass die Navy es in ihren Bibliotheksbestand aufgenommen hat und Heinlein gerade in der zweiten Hälfte seines Lebens zum Vorläufer des Neokonsveratismus konservierte, zeigt nur, dass ein gutes Gedankenexperiment auch dann funktioniert, wenn es aus einer ideologisch reaktionören Richtung kommt. Dieser Generation entstammen auch Ursula K. Le Guin oder Joanna Russ.

Nach dem großen Zeitalter der Weltraumopern in den späten 70ern und in den 80ern orientierte sich die geschriebene Science Fiction in Abgrenzung zu den effekthascherischen Spielfilmen immer mehr an einem neuen Realismus mit bewusst experimenteller Methodik. Die Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson kann hier als Blaupause historisch-materialistischer Science Fiction angesehen werden, da sich die dutzenden ausgesponnen Ideologien alle aus dem Widerspruchsgeflecht von enormen Produktivkräfte der Erde, massiver Überbevölkerung und drphender Ressourcenknappheit der Erde entwickeln, auf die die einzelnen Protagonist*innen je nach Klassenzugehörigkeit, Generation und Sozialisation unterschiedliche Antworten finden. Die Moral des Zyklus: die Zukunft der Erde liegt nicht auf dem Mars, selbst wenn die technischen Möglichkeiten die heutige Vorstellungskraft übersteigen würden.

Seit den 2000er Jahren hat sich die marxistische Science Fiction immer wieder mit Stilelementen der postmodernen Linken vermischt und diskutiert die materielle Basis von Gendernormen, Rassismus und Klassismus recht unmittelbar. Exemplarisch kann man hier die SF-Werke Dietmar Daths, wie Die Abschaffung der Arten heranziehen. Vielleicht nimmt diese Generation die Science schon fast zu ernst und vergisst das Spielerische der Belletristik, aber das ist sicher Geschmackssache.

Marxistische Kritik an Science Fiction

Natürlich hat die Science Fiction auch Kritik durch Marxist*innen hinnehmen müssen. Sie begann mit dem Eingang des Genres in die Literaturwissenschaften. Dabei war die Beschäftigung mit weltfernen Abenteuergeschichten, die in den Bahnhofskiosken für wenige Cent verkauft wurde, wenn es nicht um eine Selbstüberhöhung gegenüber der Massenkultur ging, innerhalb elitärer Kreise bereits ein subversiver Akt. Dies weckte die Neugier kritischer Wissenschaftler*innen, deren Urteil jedoch zunächst eher negativ ausfiel, wobei man teilweise elitären Dünkel übernahm. Darko Suvins strukturalistische Definition der Science Fiction fand weiten Anklang:

“a literary genre whose necessary and sufficient conditions are the presence and interaction of
estrangement and cognition, and whose main formal device is an imaginative framework
alternative [i.e., the novum] to the author’s empirical environment”

“eine Literaturgattung, deren notwendige und hinreichende Bedingung das Vorhandensein und die Wechselwirkung zwischen Entfremdung und Bewusstsein sind und dessen wichtigstes formales Mittel der imaginäre Rahmen einer zur empirischen Umwelt de*r Autor*in unterschiedenen ist.”

Suvin, D. (1979)

Dass Suvin die Entfremdung zur Bedingung der Science Fiction macht, selbst wenn er die Feststellung durch den Verweis auf die Dialektik mit dem Bewusstsein entschärft, schlägt den Ton an, in der die marxistische Kritik ihre Musik spielt. Adam Roberts kritisierte darauf aufbauend beispielsweise, dass durch die Aufhebung der Alterität zwischen Mensch und Roboter, wenn sie positiv interpretiert würde, die Entfremdung im Kapitalismus auf die Spitze getrieben würde.

Der größte Teil der marxistischen Kritik an der Science Fiction lässt sich auf den Nenner Eskapismus bringen. Warum, so fragen die Kritiker*innen, sollte man in Gedanken in andere Welten fliehen, wenn die konkreten Umstände der schonungslosen Kritik bedürfen? Sind denn die Lehren, die man ziehen könnte, nicht zu verpackt und indirekt, um von den Massen verstanden zu werden? Die obige Definition historisch-materialistischer Science Fiction nimmt dieser Art Kritik bereits den größten Wind aus den Segeln. Frederic Jameson, dessen Kritik an Ursula K Le Guin im nächsten Text nochmal näher angeschaut wird, hingegen warf der Science Fiction vor, zu sehr in der gegenwärtigen und zu wenig in der extrapolierten Gesellschaft beheimatet zu sein, wodurch sich mehr über die jetzigen Zustände als über die zukünftigen lernen ließe. Heute würde man sagen: “Es ist leichter, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.”

Auch die kritische Theorie schlug in die gleiche Kerbe. Sie erblickte in den kleinen billigen Heftchen mit dünnen, eng bedruckten Seiten und scheinbar austauschbaren Geschichten von Weltraumhelden einen zugespitzten Ausdruck der postfordistischen Massenkultur, die für die Einheit der Schönheit in Form und Inhalt kein ästhetisches Gefühl mehr besitze. Allerdings verhält sich auch hier die Sache komplizierter. Natürlich gab es in den 50er und 60er Jahren Fließbandliteratur ohne jeden künstlerischen Wert, wo Autoren nur für das Schreiben nach Tonnenideologie und nicht das Nachdenken über die Geschichte bezahlt wurden. Aber unter diesen tausenden Geschichten gab es eben auch jene Perlen, die von den Leser*innen als solche erkannt wurden und ex post, manchmal erst nach Lebzeiten, zu gebührendem Ruhm kamen. Die Science Fiction war eines der Genres, in denen große Literatur erzeugt wurde, ohne dass die Feuilettons der großen Zeitungen darüber berichteten und die gebildete Klasse ihren Habitus über den Konsum dieser Werke konstituieren konnte. Und in vielerlei Hinsicht hat sich bis heute wenig geändert.

Zusammenfassung

Science Fiction kann, was der Marxismus nicht kann. Sie ist nicht an das Bilderverbot gebunden, sondern ihre ausdrückliche Fiktionalität erlaubt es, ein Blick darauf zu werfen, was nach einer Revolution sein könnte oder was uns im Sinne ihres Ausbleibens blühen könnte. Sie konkretisiert die Wahl zwischen “Sozialismus oder Barbarei”, und dass die Mehrzahl der aktuellen Werke eher die Barbarei zum Gegenstand nimmt, gibt Auskunft über die politische Ohnmacht der revolutionären Linken. Science Fiction kann simulieren, was mangels an politischer Kraft des Proletariats noch keine Praxis werden kann und wer Computersimulationen einen höheren Wahrheitsgehalt zuschreibt, hat Programmierung nicht verstanden. China Mieville nannte es in Red Planets “Doing things with words.”.

Der wissenschaftliche Sozialismus hat gute Gründe, die kommunistische Zukunft allein aus der Negation (der Negation) der bestehenden Gesellschaft zu artikulieren, aber notwendigerweise muss diese Zukunft abstrakt bleiben. Ob diese abstrakte Vorstellung aber dazu taugt, das Proletariat zu seiner historischen Mission zu motivieren, muss fraglich bleiben. Selbst die Teilchenphysikerin, die weiß, dass es sich bei Elektronen um Aufenthaltswahrscheinlichkeiten bestimmter messbarer Eigenschaften handelt, stellt sich diese als um einen Atomkern kreisende Kugeln vor, da menschliche Sinne dafür gemacht sind. Erst in der bildhaften Vorstellung, was sein könnte, erkennt man den Mangel. Was nicht sein kann, braucht man sich nicht wünschen. Der Kommunismus ist jedoch auch ein Kampf um die Erweiterung des Möglichkeitshorizontes, was sein kann. Und solange zwischen uns und dem praktischen Aufbau einer zukünftigen Gesellschaft noch eine ganze Revolution liegt, bedürfen wir des Gedankenexperiments. Und wissenschaftlicher: der Science Fiction als Gedankenexperiment.

Literatur:

Bould, M. et al. (Hrsg., 2009): The Routledge Companion to Science Fiction. London & New York: Routledge.

Bould, M. & Mieville, C. (Hrsg., 2009): Red Planets. Marxism and Science Fiction. Middletown: Wesleyan University Press.

Dath, D. (2019): Niegeschichte. Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine. Berlin: Matthes & Seitz.

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