⋄ Innerhalb der kommunistischen Weltbewegung wird diskutiert, ob der Imperialismus eine Epoche ist, die alle kapitalistischen Länder gleichermaßen erfasst oder ob die Ökonomien imperialistischer Länder eine besondere Charakteristik haben. ⋄ Die Debatte wird dadurch erschwert, dass imperialistische Beziehungen in aller Regel vermittelt werden, z.B. durch das transnationale Finanzkapital. ⋄ Almeida Oliveira und Bruno De Conti haben die Theorie der Internationalen Spaltung des Finanzkapitals vorgestellt, ein Zweig des lateinamerikanischen Strukturalismus. ⋄ Dieser stellt liquides, aber niedrigverzinstes Kapital der imperialistischen Zentren dem illiquiden,aber hochverzinsten peripheren Kapital gegenüber, die Zusammen eine dialektische Bewegung ausführen, die einen konstanten Werttransfer in den globalen Norden ermöglicht. ⋄ Auf Grund der Nähe zur Erscheinungsebene lässt sich diese Theorie sehr einfach empirisch untersuchen. |

Innerhalb der kommunistischen Bewegung herrscht immer noch ein tiefer Dissens über den Charakter des Imperialismus (Näheres hier). Ist er tatsächlich eine alle Länder umfassende Epoche, in der die nationalen Kapitalistenklassen mit den selben Mitteln konkurrieren und die westlichen einfach nur erfolgreicher sind? Oder hat die Geschichte die Welt in zwei unterschiedliche Sphären geteilt – eine zentrale und eine periphere -, die zu einer prinzipiellen Abhängigkeit der zweiten von der ersten führt und deren Überwindung ein progressiver Akt wäre? Der lateinamerikanische Strukturalismus hat in den vergangenen Jahren das Konzept der internationalen Teilung der Arbeit zum Konzept der internationalen Teilung der Finanzen weiterentwickelt. Es will aufzeigen, wie die auf dem Weltmarkt gehandelten Finanztitel zu unterschiedlichen Abhängigkeiten führen. Édivo de Almeida Oliveira und Bruno De Conti aus Brasilien und Südafrika haben auf Grundlage dieses Ansatzes die Bewegungen des internationalen Finanzkapitals zwischen Zentren und Peripherie untersucht.
Von der Teilung der Arbeit …
Die Theorie der internationalen Teilung der Arbeit ist eine der virulentesten in Lateinamerika. Sie kritisiert die Vorhersage David Ricardos, dass eine Spezialisierung der einzelnen Länder auf ihre produktivsten Bereiche allen Nationen zu mehr Reichtum verhelfe. Insbesondere der Name Raul Prebisch ist mit dieser Kritik verbunden. Dieser sieht vielmehr eine Asymmetrie vorliegen, in der die imperialistischen Zentren den Großteil der hochtechnologisierten Endfertigung konzentrierten, während die peripheren Länder im Wesentlichen auf den Rohstoffabbau beschränkt blieben. Unter den Bedingungen immer stärker integrierter Wertschöpfungsketten wurde diese Theorie dann umformuliert: die imperialistischen Länder würden die Glieder der Wertschöpfungskette an sich reißen, die einen hohen Neuwert schafften, während die peripheren Länder nur in die niedrigwertigen Produktionsschritte eingebunden seien. Das Konzept betrachtet also, wie sich der globale Charakter der Wertrealisierung G-W-G’ unter der Bedingung einzelner Nationalstaaten und nationaler Blöcke realisiert. Profitraten werden dahingehend optimiert, dass jede Nation ihr eigenes Reproduktionssystem der Ware Arbeitskraft institutionell umsetzt, wobei diese in peripheren Ländern stärker auf Überausbeutung basieren ist als in den Zentren.
Da jedoch die Arbeit in der marxistischen Analyse eine der abstraktesten Kategorien ist, ist sie auf der Ebene der Erscheinungen – der empirischen Daten also – auch sehr schlecht beobachtbar. Arbeit wird schließlich nicht nur durch die Arbeitszeit gemessen, sondern durch ihr Verhältnis zur allgemeinen Durchschnittsarbeit. Da es aber so ist, dass die abstrakten Kategorien durch ihre konkreten Formen vermittelt werden, bieten sich genau diese an, um die Theorie der internationalen Teilung der Arbeit zu untermauern. Die konkreteste Ebene der kapitalistischen Totalität, die noch von Marx selbst analysiert wurde, ist die Ebene der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion des Kapitals, in der insbesondere das Finanzkapital eine große Rolle spielt. Der Ansatz der internationalen Teilung des Finanzkapitals setzt nun daran an, dass die internationale Arbeitsteilung sich auch in einer internationalen Teilung des Finanzkapitals reflektieren muss, die wiederum der empirischen Untersuchung leichter zugänglich ist.
… zur Teilung des Finanzkapitals
Es ist bereits intuitiv logisch, dass globalen Wertschöpfungsketten auch globale Finanzierungsstrukturen gegenüber stehen müssen. Hierbei spielt zum einen die Währungshierarchie eine bestimmende Rolle, aber auch die zeitlichen Zusammenhänge von Anlagen, Stabilität von Finanzierungen, Kausalketten, Zinssätze und Anlagetiteln. Dabei folgen die lateinamerikanischen Ökonom*innen einer Reihe an Prämissen. So wird ein qualitativer Unterschied zwischen imperialistischen Zentren und der Peripherie angenommen, den es empirisch zu bestätigen gilt. Der qualitative Unterschied ergibt sich daraus, dass wenig fluide Finanztitel langfristig hohe Zinsen tragen, während in den Zentren eher flüssiges Kapital niedrige Zinsen trägt. Im Folgenden sollte die Funktionsweise dieses Konzeptes noch klarer werden. Aus dieser Spaltung resultiert eine strukturelle Abhängigkeit der Peripherie von den Zentren und ein konstanter Werttransfer von der Peripherie in die Zentren. Auch hier sollte klar sein, dass es weniger darum geht, Ansätze einer internationalen Spaltung der Arbeit zu ersetzen, sondern nur ihren monetären Ausdruck genauer zu untersuchen.
Aber wie tut man dies? Zunächst einmal lässt sich eine Teilung der Welt entlang der Bedeutung der Währungen aufmachen. Während der Dollar eine uneingeschränkte Weltwährung ist, sind Euro, Yen und das britische Pfund ebenso Währungen, die funktionell den Charakter einer Weltwährung haben. Ihr Besitz verspricht, auf dem Weltmarkt unmittelbar fast alle Waren kaufen zu können, wobei sich der US-Dollar durch das Ölmonopol (Näheres hier) besonders auszeichnet. Da die jeweilige Geldware nur Repräsentant eines allgemeinen Werts ist, folgt, dass strukturell anders funktionierende Währungen auch den Wert der Produktionsmittel, Böden und der Arbeitskraft eines Landes anders widerspiegeln. Wenn die Währung eines peripheren Landes auf dem Weltmarkt abhängig von der Tauschbarkeit in eine Weltwährung ist, dann sollten auch die Assets eine adäquate Struktur aufweisen.
Weiterhin hält sich das Kapital an der Oberfläche der Erscheinungen an folgende Regel. Lange Investments werden mit hohen Zinssätzen vergütet, während flüssiges Kapital eher niedrige Zinssätze abwirft. Da die Zinsen jedoch nur Bestandteil des von der Arbeiter*innenklasse ausgebeuteten Mehrwerts sind, müssen hohe Zinsen durch mehr abstrakte Arbeit in der Produktionssphäre realisiert werden. Um in Zeiten schwacher Konjunktur billiges Geld für solche eher kurzfristigen Risikogeschäfte bereitstellen zu können, senken die Leitbanken der imperialistischen Länder in der Regel ihre Zinsen. Um die Zinsverluste des Finanzkapitals zu kompensieren, investieren diese dann in die langfristigen Anlagen der peripheren Länder. Führt der Anstieg der Geldmenge zu einer Inflation können die Banken dann sogar von der Aufwertung der peripheren Währung profitieren. Eine Aufwertung der Währung wiederum macht die Arbeit in den peripheren weniger günstig und drückt das produktive Kapital wieder in die imperialistischen Zentren, wodurch die Konjunktur dieser gestärkt wird, das Finanzkapital aus der Peripherie wieder abfließt und die peripheren Länder zu einer erneuten Abwertung der Währung gezwungen werden.
Um es kurz zu fassen ist die Überausbeutung der kapitalistischen Peripherie der finanzielle Puffer, mit dem Zentralbanken und Regierungen auf der konkreten finanziellen Ebene arbeiten können, um durch die Koordination der Zinssätze entweder die Kapitalakkumulation anzuregen oder die Inflation zu bremsen. Periphere Staaten hingegen spielen hier eine reaktive Rolle.
Der Unterschied macht sich nicht durch fixe Eigenschaften fest, sondern durch die Einbindung in den Rhythmus der Kapitalflüsse. Oder nochmal anders gesagt. In den Portfolios der internationalen Finanzinstitutionen spielen die Investitionen in den verschiedenen Sphären des imperialistischen Weltsystems unterschiedliche Rollen. Das Kapital in den peripheren Ländern schafft durch Überausbeutung die Profitraten, welche den Wert der Anlagen erhöhen, deren Wert vor allen Dingen durch die Produktionsmittel und sonstigen Assets der fortgeschrittenen imperialistischen Länder repräsentiert wird. Je nach Konjunktur schwankt die Bedeutung der einzelnen Portfoliobestandteile.
Das hat einige Folgen. Erstens bleibt der Großteil der Welt solange abhängig in das internationale Finanzsystem eingebunden, solange die Regierungen eher zu Freihandel und nicht einer strikten Kapitalverkehrskontrolle neigen. Da der Kapitalverkehrsfreiheit aber eine wesentliche Stütze der Reproduktionsregime der imperialistischen Staaten ist, wird diese notfalls gewaltsam durchgesetzt. Zweitens überlagern sich internationale und nationale Konjunkturzyklen weitgehend ungestört. Das kann dazu führen, dass in Boom-Zeiten fantastische relative ökonomische Aufstiege möglich sind, aber auch, dass Krisen, wenn sie zusammenfallen, ungebremst Volkswirtschaften im globalen Süden zerstören.
Empirische Untersuchung
Wie bereits angemerkt, lassen sich die Thesen der IDF empirisch leichter untersuchen, als zum Beispiel die Theorie des ungleichen Tausches (Näheres hier). Dazu folgen die Autoren dem Ansatz von Akyüz. Dieser definiert zwei Revenuequellen des Finanzkapitals: Zinsen auf Verbindlichkeiten und Profite aus produktiven Kapitalanlagen. Diese können entweder aus den Ländern mit einer Weltwährung oder Ländern ohne Weltwährung stammen. Die meisten Verbindlichkeiten der peripheren Länder entsprechen den Vermögenswerten der zentralen Länder und die meisten externen Vermögenswerte der peripheren Länder werden in zentralen Währungen gehandelt. Dass die Mathematik mit diesen Annahmen denkbar einfach ist, versteht sich. Man zählt einfach Renditen aus Assets und Verbindlichkeiten und kann zur Zusammenfassung noch entsprechende Differentiale bilden.
Die Autoren haben mit diesem Ansatz folgendes Diagramm erstellt.

Die wesentlichen Aussagen fallen sofort ins Auge. Erstens sind die Zinsgewinne in der Peripherie deutlich höherer als in den imperialistischen Zentren. Zweitens laufen die Zinsen und die produktiven Profite in den kapitalistischen Zentren weitestgehend uniform. Wir haben hier wirklich eine fast einheitliche Profitrate von produktivem und Finanzkapital in den Zentren, während die Gewinne der peripheren Assets zwar der allgemeinen Durchschnittsprofitrate folgen, die Zinsen aber deutlich darüber liegen. Drittens weist damit die Konjunktur aller Erträge des Finanzkapitals in den kapitalistischen Zentren einen fast gleichförmigen Verlauf auf, während die Erträge aus der Peripherie wesentlich stärker schwanken. Daraus ergibt sich ein beständiges negatives Differential zwischen Renditen auf Verbindlichkeiten und Assets in peripheren Ländern, das als Wertabfluss in die Zentren interpretiert werden kann.
Man kann also sagen, dass sich periphere Kapitalisten zu stets hohen Zinsen Kapital bei den zentralen Banken leihen müssen, was die eigenen Profite beschneidet. Diese Zinsen müssen erstens aus verstärkter Ausbeutung der einheimischen Proletarier*innen finanziert werden und verhindern zweitens eine Kapitalkonzentration, welche dazu führt, dass die peripheren Länder langfristig selbst Kapitalexport betreiben könnten. In der Ideologie der Bourgeoisie wiederum erscheinen die höheren Zinsen aus der Peripherie nicht als verstärkte Ausbeutung, sondern als als ein Risikoaufschlag auf Investitionen in Ländern mit instabilen Währungen. Der Modus des Werttransfers reicht dabei bis zu den bereits teilweise industrialisierten Ländern, nur dass diese für die jeweiligen Finanzgeschäfte andere Waren produzieren.
Die Autoren beschreiben dieses Zinsdifferential als „Doppel-Raub“ am in der Peripherie produzierten Reichtum neben der Aneignung des Value Added in den Wertschöpfungsketten. Hier muss allerdings hinterfragt werden, ob es sich tatsächlich um zwei getrennte Prozesse der Wertaneignung handelt oder ob der Zinskanal und der Value-Added-Kanal nicht einfach zwei Aspekte der gleichen Überausbeutung an sich sind. Die Autoren begründen hier leider nicht tiefergehend.
Zusammenfassung
Oliveira und de Conti legen eine leicht verständliche und technisch wenig anspruchsvolle empirische Interpretation der Abhängigkeit der Peripherie von den imperialistischen Zentren vor. Dabei ist der Gang über die Erscheinungsebene des Finanzkapitals eben der Schlüssel zu der Einfachheit der Datenerhebung, was keinen Mangel der Untersuchung darstellt. Die Autoren legen damit auch nahe, dass imperialistische Länder und periphere Länder nicht nur zu einem unterschiedlichen Grad in einen epocheprägenden Imperialismus eingebettet sind, sondern dass sich der Imperialismus als eine spezifisches Verhältnis von Ländern untereinander darstellt. Der Weltmarkt vermittelt über den unterschiedlichen Zugang zu Währungen und die Sitze der internationalen Finanzinstitutionen in den zentralen Ländern samt Bindung an deren Jurisdiktion auch sehr unterschiedliche ökonomische Systeme und Abhängigkeiten. Diese können selbst bei Kapitalexport aus teilweise entwickelten Ländern wie China oder Russland gar nicht im gleichen Maße auf noch weniger entwickelte Staaten übertragen werden. Und so mag der Imperialismus eine Epoche und das Finanzkapital transnational organisiert sein; es gibt dennoch prinzipielle qualitative Unterschiede zwischen den Weltregionen, nicht nur graduelle.
Natürlich müsste noch hinreichend begründet werden, dass sehr unterschiedliche Länder wie China, Russland und etwa Mosambique und Myanmar zu einer Gruppe zusammengefasst werden, nur weil ihre Währung nicht die gleiche Liquidität auf dem Weltmarkt besitzt wie andere. Doch immerhin zeigt die Untersuchung, dass sich die Folgen etwaiger ökonomischer Differenzen auf der Erscheinungsebene des Finanzkapitals nicht ausmitteln.
Literatur:
Oliveira, E. & Conti, B. (2025): The InternationalDivision of Finance: reassessing the peripheral condition in a financialised capitalism. In: New Political Economy. Jahrgang 30. Ausgabe 2. S.163-177.