Der Jugend die Welt

⋄ Die Jugend gilt als wichtigste Zielgruppe für politische Organisationen.

⋄ Die aktuelle Social History setzte sich mit den verschiedenen Facetten der Verbindung von Jugend und Internationalismus zusammen.

⋄ In der Sowjetunion organisierte der Komsomol die Freizeit von zehntausenden Studierenden aus der kapitalistischen Peripherie.

⋄ Die Reisen junger deutscher Freiwilliger nach Israel wirken in der Linken bis heute nach.

⋄ Im Bürgerkrieg El Salvadors kämpften zu mehr als 50% Jugendliche unter 18 Jahren. Viele wurden Invaliden. Filme trugen ihr Schicksal in die Welt.

Rosa Luxemburg schrieb einst, dass die Jugend die hellste Flamme der Revolution sei. Sie gilt als begeisterungsfähig, progressiv, aktiv und weitestgehend frei von den Sorgen des Alltags. Ihr ist einiges zuzumuten und zuzutrauen. Gleichsam ist sie rebellisch, sucht ihre eigenen kulturellen Ausdrucksformen und lässt sich nicht so leicht vereinnahmen, wie es zuweilen Absicht der Herrschenden war.

Die aktuelle Social History warf einen Blick auf die verschiedenen Formen jugendlichen Internationalismus. Sie fragte dabei nicht nur nach den Inhalten, sondern insbesondere nach den Formen. Ob Reisen oder Solidaritätskampagnen, das Studium im Ausland oder die Brieffreundschaft um den halben Erdball. Und wo Jugend auf Jugend trifft, da gibt es mitunter nicht nur Reibereien mit den Oberen, sondern auch untereinander. Ein kaleidoskopischer Abriss eines erst 150 Jahre alten Phänomens.

Jugend und Internationalismus – ein Problemaufriss

Seit dem 20. Jahrhundert wird die Jugend mit Fortschritt und Progressivität verbunden. Sie gilt als am leichtesten für Ideen entflammbar. Noch ohne den Druck der Lohnarbeit oder die Einschränkungen durch eigene Kinder und meist im gesundheitlichen Zenit, hatte sie die Ressourcen, um Hilfsprojekte auch ohne festes Gehalt umzusetzen und als „Botschafter mit Rucksack” zu agieren. Daher bemühten sich alle politischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts um die Gewinnung der Jugend. Die Erziehung zum Internationalismus wurde hier im Wesentlichen von zwei Strömungen betrieben. Zum einen von der Linken, welche im Sinne des proletarischen Internationalismus zur Gleichheit aller Menschen vor dem Menschen erziehen wollte. Und von christlichen Organisationen, welche die Jugendarbeit als Teil der weltweiten Mission ansahen.

Jugendlicher Internationalismus konnte ganz verschiedene Formen annehmen. Er konnte entweder direkt aus der Jugend selbst entstanden sein oder staatlich bzw. institutionell organisiert worden sein. In der Regel ist beides jedoch gar nicht voneinander zu trennen. Die Jugend ist zumeist stark durch das Elternhaus geprägt, und sei es in Form des Opponierens gegen die elterliche Autorität. In der Regel besitzt sie auch nicht die finanziellen Mittel, um komplett eigenständig internationalistische Arbeit zu leisten und waren dadurch auf Mittel von oben angewiesen. Manchmal wurden Jugendbewegungen von Institutionen aufgegriffen und manchmal verselbstständigten sich Projekte von oben nach unten.

Ein zweiter Problemkomplex ist die Dialektik zwischen historischen Zusammenhängen von Staaten und Völkern und quasi jugendlicher Unschuld. Die Jugendlichen standen in internationalen Projekten meist stellvertretend für ihre Herkunftsländer. Damit wurden ihnen auch eine Reihe von Stigmatisierungen zu teil, welche die Jugendlichen zu bewältigen hatten. Man denke hierbei an die Besuche westdeutscher Jugendlicher in Israel oder heute in Auschwitz-Birkenau. Solche Erfahrungen konnten auch zu negativen Erlebnissen führen. Darüber hinaus sind Jugendliche selbst Teil ihrer Klasse, die ganz unterschiedliche Positionen zu diesen historischen Bezügen besitzt.

Ein dritter Aspekt, der insbesondere in den letzten 20 Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist die Frage, welche Formen der Internationalismus annehmen kann. Mit Jugendlichen aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen, ist in Zeiten von sozialen Netzwerken und Computerspielplattformen Teil des Alltags. Die Bewegung Fridays for Future war und ist eine weltweite Jugendbewegung, die sich aber die Limitierung von Reisen selbst auferlegt hat. Und bereits zu DDR-Zeiten, wo das Reisen durch die historischen Umstände erschwert war, haben die Kinder in den Schulen Brieffreundschaften in die Sowjetunion oder Grußkarten für Angela Davis geschrieben. Inwiefern kann man als von Internationalismus als separatem Phänomen sprechen, wenn er Teil der Alltagswelt ist? Ist es wirklich nur der persönliche Kontakt, der die Relevanz ausmacht? Die Autor*innen der Social History erörterten die Problemkomplex nun an konkreten Beispielen.

Die Arbeit des Komsomol mit internationalen Studierenden

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrten viele Jugendliche, die im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Frankreichs oder des British Empire gekämpft und den größten Krieg der Geschichte mit gewonnen hatten, in ihre Länder zurück und erkannten, dass diese immer noch unfrei waren. In den Kolonien brach der Widerstand gegen die Kolonialherren aus und die Sowjetunion bot sich als Verbündeter an und wurde als solcher gesucht. Der Ruhm des Landes, dass von Arbeiter*innen und Bäuer*innen ohne Kapitalisten und Großgrundbesitzer aufgebaut worden war, überlebte die Schreckensmeldungen aus der Zeit des Großen Terrors. Doch der Kampf gegen die ehemaligen Imperien war das eine, der postkoloniale Aufbau das andere. Hierfür benötigte man viel Arbeit und vor allen Dingen Wissen. Im Februar 1960 verkündete der durch Moskitos und die Hitze schwer angeschlagene Nikita Krushchev daher bei einem Besuch in Indonesien den Aufbau einer neuen Universität in Moskau, die für Student*innen aus der kapitalistischen Peripherie reserviert sei. Nicht weniger als 43.000 junge Menschen bewarben sich auf die zunächst 600 Plätze. Bis zum Ende der Sowjetunion sollten 130.000 Personen aus dem Trikont ihren Abschluss in der UdSSR machen.

Man kann hier bereits von einer kleinen Migrationsbewegung sprechen und dabei stellt sich natürlich immer die Frage der Integration. Die meisten der ersten 400 Studierenden kamen aus Nepal, Indonesien, Afghanistan, dem Sudan, Syrien, Kenia, dem Irak, Nigeria, Ghana und dem Benin. Später erhöhte sich nach der Kubanischen Revolution natürlich der Anteil südamerikanischer Studierender. Die Studierenden gehörten also unterschiedlichsten Kulturen an, pflegten verschiedenste Religionen und kaum einer war die Witterungsbedingung in der Heimat Väterchen Frosts gewöhnt. Kaum ein Herkunftsland war sozialistisch, auch wenn Sympathien für die Sowjetunion gehegt wurden. Daher stellte sich der 14. Kongress des Komsomol, der Jugendorganisation der KPdSU, die Aufgabe, die Student*innen abzuholen. Man wollte die Einheit im Kampf gegen Kolonialismus, Faschismus und Armut als gemeinsame Grundlage nehmen. Natürlich ging es auch darum, Konflikte zwischen fehlender Pluralität in vielen Fragen der sowjetischen Innenpolitik mit der Pluralität der neuen Studierenden zu vermeiden. Demnach war „Safety First“ die oberste Prämisse aller gemeinsamen Aktivitäten.

Das Selbstbild des Komsomol.

Leider zeitigte die Übertragung dieser Aufgabe an den Komsomol auch einige Probleme. Die Jungkommunist*innen hatten selbst einen intensiven Studienplan, jedoch an den einheimischen Universitäten und Lehrbetrieben. Der Kontakt zu den ausländischen Studierenden verlief daher sehr sporadisch. Während es in den Quellen keine Hinweise darauf gab, dass sich die Gaststudent*innen als integrationsunwillig zeigten – im Gegenteil, viele waren dankbar über die Chance, in Moskau studieren zu dürfen – klagten viele über Isolation. Die Einrichtung der Volksfreundschaftsuniversität sollte zwar den sprachlichen und pädagogischen Hürden Rechnung tragen, aber die Ausländer*innen blieben häufig unter sich. Dazu galt das Interesse vieler Komsomolzen eher den Studierenden aus westlichen Ländern oder der DDR. Man muss ebenso bedenken, dass die Studierenden nunmal Jugendliche waren. Schlägereien nach Trunkenheit, Konflikte um Liebesbeziehungen, Skepsis aus der Bevölkerung. All dies verursachte soziale Probleme und reguläre Bestrafungssysteme konnten aus politischen Gründen nicht angewendet werden. Die lokalen Behörden wiesen die unerfahrenen Komsomolzen daher einfach nur an, eine Lösung zu schaffen, auch wenn diese dazu weder Mittel noch Wege besaßen. Auch außenpolitische Faktoren beeinflussten das Verhältnis. Der sino-sowjetische Konflikt spaltete die antikoloniale Bewegung und viele Länder wollten es vermeiden, nach der Abschüttelung der alten Kolonialherren in neue Abhängigkeiten zu geraten. Das beeinflusste natürlich die Grundhaltung, mit der das Studium begonnen wurde.

Den persönlichen Kontakt beförderten am stärksten die gemeinsamen Arbeitseinsätze. Hier waren die ausländischen Studierenden tatsächlich gleichberechtigt untereinander und meist geschlechtlich getrennt. Hier e man Souvenirs aus und hörte gemeinsam durch die mitgebrachten Transistorradios von der Führung unerwünschte Musik oder Nachrichten. Außerhalb dieser Einsätze wurden gemeinsame Filmabende abgehalten oder Sportveranstaltungen organisiert. Zudem versuchte die Schule des Komsomol stärker auf die Nachfragen der Studierenden einzugehen. Als sich beispielsweise afrikanische Interessierte einen Filmkurs in den Sommerferien wünschten, wurde dies vom Komsomol und nicht der Universität organisiert. Jedoch war weder die Sowjetunion, noch der Komsomol wirklich reich, und die Budgets begrenzt.

Wie erfolgreich die Ausbildung an sich war, lässt sich schwer beurteilen. Da 80% der Studierenden aus Ländern kamen, wo ihre Partei illegal war und daher auch Abschlüsse aus Moskau nicht anerkannt wurden, mussten sich die Kompetenzen ganz praktisch zeigen. Dies erklärt auch die Klagen über das mangelnde Interesse am Marxismus-Leninismus, das von Professoren beklagt wurde. Lebenslange Verbindungen zwischen den sowjetischen Genoss*innen und den Studierenden sind jedoch verbürgt.

Westdeutsche Jugendreisen nach Israel

Ein weiteres interessantes Kapitel des jugendlichen Internationalismus ist der bundesdeutsch-israelische Austausch. Vor 1965 fanden die Jugendreisen, welche auf christlicher Seite z.B. durch die Aktion Sühnezeichen und auf Seiten der Arbeiter*innenbewegung durch die Falken organisiert wurden, in einem politisch brisanten Umfeld statt. Westdeutschland pflegte keine vollständigen diplomatischen Beziehungen nach Jerusalem, da in diesem Falle eine Anerkennung der DDR durch die oder auch nur offizielle Staatsbesuche in den arabischen Staaten drohten, die Hallstein-Doktrin zu unterlaufen. Die ersten solcher Reisen fanden dennoch seit 1958 statt. Die Zielgruppe waren in aller Regel männliche Bildungsbürgerkinder zwischen 19 und 25 Jahren. Während die Falken in erster Linie Bildungsreise mit aktuellen politischen Schwerpunkten wie der Gewerkschaftsarbeit in Israel oder der Kibbuz-Bewegung veranstalteten, war die Aktion Sühnezeichen darauf ausgelegt, durch freiwillige Arbeitseinsätze Wiedergutmachungsarbeit für die Shoah zu leisten. Überraschend ist hier vielleicht das Engagement der Deutsch-Israelischen Studiengruppen, die dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund nahe standen und deren Agenda sich gegen Antisemitismus und Antizionismus richtete. Andere Vereine, wie der Christliche Verein Junger Männer, suchten nach den biblischen Spuren in Israel.

Die politische und persönliche Dimension der Israelreisen entpuppte sich jedoch ebenfalls als vielgestaltig. Deutsche Jugendliche kamen das erste Mal persönlich mit den Opfern der Konzentrationslager zusammen. Teilweise wurden die jungen Menschen, welche die Nazizeit nur in ihren ersten Kindheitsjahren erlebt haben, täglich auf ihre Herkunft und Geschichte angesprochen. Fragen von Mitschuld der Eltern und Kollektivschuld wurden aufgeworfen. Diese emotionale Belsatung ließ kaum ein symmetrisches Kennenlernen zu. Auch in einer anderen Hinsicht waren die Reisen nach Israel asymmetrisch. Der Kontakt mit Palästinenser*innen wurde auf ein Minimum reduziert und von den Werturteilen der jüdischen Gastgeber*innen überlagert. So gaben Israelreisende überdurchschnittlich häufig an, dass arabische Israelis sehr aggressiv seien, obwohl sie kaum in Kontakt mit diesen kamen. Der Siebentagekrieg, zu dem viele Reisende auch im Land zugegen waren, spielte hier eine große Rolle. Während auf Grund des Vietnamkriegs die Stimmung der deutschen Linken jenseits der SPD gegen die USA und für den antikolonialen Befreiungskampf kippte, interpretierten die Reisenden das von einer Überzahl an arabischen Nachbarstaaten angegriffene kleine Land Israel als ihr Vietnam. Der Autor der Studie, Nicholas Papadogiannis, legt nahe, dass dieser von den unmittelbaren, wenn auch selektiven, Erfahrungen geprägte Teil der Linken den Grundstein für die spätere Entwicklung der antideutschen Strömung legte.

Der 6-Tage-Krieg. Das Vietnam vieler westdeutscher Jugendlicher

Internationale Solidarität mit den Kranken in El Salvador

Heather Vrana warf einen Blick auf die Schnittstelle zwischen internationaler Solidarität, Jugend, medizinischer Versorgung und Filmkunst. Zwischen 1980 und 1992 befand sich die salvadorische Armee im Bürgerkrieg gegen die FMLN – die Farabundo Marti National Liberation Front. Dieser Konflikt an sich war schon ein Krieg der Jugend, da schätzungsweise 50% der Kombattant*innen unter 18 Jahren alt waren.

Ein Krieg der Jugend: El Salvador 1980-1992.

Der Bürgerkrieg war auch eng mit dem Aufbau des Gesundheitswesens verknüpft. Die Besetzung des Universitätskrankenhauses durch das Militär kann als ein Auslöser des Krieges gelten. Eine der mächtigsten Propagandawaffen der FMLN war das Versprechen einer egalitären medizinischen Versorgung, auch auf dem Land. Und nicht zuletzt lebte die internationale Solidarität durch die Entsendung freiwilliger Ärzt*innen, medizinischer Fachkräfte und unausgebildeter Freiwilliger in die Krankenhäuser. Die Lazarette, provisorischen Ärztebaracken und neuen Krankenhäuser der FMLN standen Zivilist*innen wie Guerillas offen und schufen so das Vertrauen der Dorfbevölkerung.

Ein wichtiges Mittel, mit dem die Lage El Salvadors in Südamerika, aber auch auf den anderen Kontinenten transportiert wurde, waren Filme. Mit den ausgehenden 70er Jahren hatte sich in Südamerika eine starke und kreative revolutionäre Filmszene entwickelt, die mit avantgardistischer Schnitt- und Tontechnik so manche Entwicklung Hollywoods vorwegnahm. Diese, meist höchstens halbstündigen, Filme zeigten den Alltag El Salvadors im und außerhalb des Krieges. Die Autorin würdigte die Filme und das politische Engagement der FMLN als Teil der Inklusion. Denn der Krieg bedeutete für viele junge Menschen auch den Verlust ihrer körperlichen Gesundheit. Den Umgang eines Regisseurs beschreibt sie eindrücklich:

„He assures them that by healing, they are playing an important role in the struggle and that their main objective is to recover and then return to the struggle, in the areas that now suits them.“

Viele Filme setzen sich mit der Möglichkeit der Reintegration invalider Guerillas auseinander. Sie zeigen, wie sie organisch in der Gesellschaft weiterhin mitwirken, Kämpfer*innen und Helfer*innen anleiten, mit ihnen feierten und gemeinsam lebten. Viele Versehrte wurden nach Kuba überführt, um die dortigen Kapazitäten nutzen zu können und knüpften Kontakte mit der kubanischen Jugend. Nichtsdestotrotz sollte der Krieg für viele ein nicht mehr rückgängig zu machender Einschlag in die persönliche Biographie werden.

Fokus legt der Artikel auch auf die internationalistische Medizinerin Christa Baatz, deren Wirken im Film Victoria dokumentiert wurde. Während ihr Name in Deutschland weitestgehend in Vergessenheit geraten zu sein scheint, ist sie auf Grund des Filmes und eigener wissenschaftlicher Beiträge, insbesondere zur Vernichtung des Gesundheitsweisens von unten nach der Niederlage im Bürgerkrieg, in El Salvador noch recht populär.

Literatur:

alle Artikel entstammen:

Social History. Jahrgang 48. Ausgabe 1.

Die Artikel:

Hornsby (2023) Engineering friendship? Komsomol work with students from the developing world inside the USSR in the 1950s and 1960s. S.65-86.

Laqua, D. & Papadogiannis, N. (2023): Youth and internationalism in the twentieth century: an introduction. S.1-16.

Papadogiannis, N. (2023): An uneven internationalism? West German youth and organised travel to Israel. S.114-139.

Vrana, H. (2023): All the love: transnational youth and disability in El Salvador’s civil war.S.162-183.

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