Klimawandel als Milliardengeschäft für die imperialistischen Staaten

⋄ Der mit dem Kyoto-Protokoll etablierte Emissionshandel sollte eigentlich Industrieländer zum Sparen und Entwicklungsländer zur Aufforstung ermuntern.

Kritiker*innen sehen darin jedoch eine marktkonforme Scheinlösung für die Klimafrage, die den globalen Süden strukturell benachteiligt.

⋄ Andrea Rizzi und Torsten Krause rechneten in der New Political Economy vor, dass allein aus den Preisdifferenzen für die Tonne CO2-Äquivalent der globale Süden jährlich eine Milliarde draufzahlt.

⋄ Ein großer Teil der freiwerdenden Gelder versickert zudem bei den westlichen Projektleitungen und Zertifizierungsunternehmen.

⋄ Broker für Emissionszertifikate machen dabei durch geschickten Handel teils bis zu mehrere 100% Gewinn.

Der Klimawandel ist eine der großen zivilisatorischen Herausforderungen unserer Zeit. Die kapitalistische Produktionsweise ist dabei, alle planetarischen Grenzen zu sprengen; womöglich noch bevor sie gesellschaftlich überwunden wird. Was der freie Markt zerstört, soll er auch wieder reparieren, lautet die Logik der westlichen Regierungen und so erdachte man sich das System des Emissionshandels. Wenn nur ein Preisschild auf die Zerstörung der Natur geklebt werde, würde sich schon etwas ändern, ohne dass auch Reiche Einschränkungen in ihrem Konsumverhalten vornehmen müssten. Dass dieses System kaum funktioniert, haben viele Klimaaktivist*innen bereits erkannt und fordern Lösungen, die stärker an den Fundamenten des Kapitalismus rütteln. Greta Thunberg ist über jahrelange Auseinandersetzung mit den globalen Folgen der unzureichenden Klimapolitik auf die tiefe Verbindung von Imperialismus und Umweltzerstörung gestoßen. Aber lässt sich auch beziffern, wie stark der Westen vom Emissionshandel profitiert? Andrea Rizzi und Torsten Krause rechneten in der New Political Economy vor.

Klimakompensation und der ungleiche Tausch

Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor die Welt nicht nur in sozialer und ökonomischer Hinsicht vorläufig eine Alternative zum Kapital, sondern auch in den Mitteln zur Bekämpfung des sich zuspitzenden Klimawandels. Die Vereinten Nationen folgten dem marktwirtschaftlichen Paradigma der Klimakompensation, nachdem nicht vermeidbare Kohlenstoffdioxidemissionen durch Beseitigung vermeidbarer Quellen oder CO2-bindende Maßnahmen wie Aufforstungen kompensiert werden sollten, um den Ausstoß an Klimagasen zu reduzieren. Das Problem war, zu definieren, was denn eigentlich eine vermeidbare und was eine unvermeidbare Quelle war. Ist nicht die deutsche Autoindustrie eine vermeidbare Quelle, wenn der öffentliche Personenverkehr nur leistungsfähig genug gestaltet würde? Oder gilt nur das neue Kohlekraftwerk in China oder die Waldrodung in Brasilien als vermeidbar? Solche Entscheidungen sollten natürlich der allmächtigen und alles regelnden unsichtbaren Hand des Marktes überlassen werden, indem man beginnend mit dem Kyoto-Protokoll einen internationalen Karbonzertifikatshandel etablierte. Der Gedanke war einfach. Während die entwickelten Klimagasemittenten durch die Abgaben zu Innovationen bei der Einsparung motiviert werden sollten, könnten die Regionen von den Erlösen leben, die in CO2-Senken investierten.

Das prinzipielle Problem dieser Idee ist es, dass der Imperialismus ökonomisch von der technologischen Überlegenheit der Zentren lebt und ein solcher Handel das technologische Ungleichgewicht nicht reduziert, sondern verschärft. Eduardo Galeano nannte dieses Prinzip eine „globale Spaltung der Umweltarbeit“; Jason Hickel wählte den Begriff des „Karbonkolonialismus“. Ganz spezifisch besagt die Kritik in Form der Theorie des ungleichen Tauschs, dass die die höhere organische Zusammensetzung der entwickelten Industrien Arbeitswert aus den unterentwickelten Regionen abschöpft (Näheres hier und hier) und die Verstetigung der Unterentwicklung damit einen Wertabfluss aus der Peripherie konserviert, der womöglich die Rückzahlungen durch den Emissionshandel übersteigt. Diese Überlegungen wurden etwa in den Theorien des ungleichen ökologischen Tauschs (z.B. durch Hornborg) weiterentwickelt (Näheres hier und hier). Jason Hickel wies hierbei darauf hin, dass in der global integrierten Produktionsweise des zeitgenössischen Kapitalismus dieser Wertfluss vor allen Dingen innerhalb der Wertschöpfungsketten zu suchen ist.

Wie misst man ökologische Überausbeutung?

Andrea Rizzi und Torsten Krause wollten nun herausfinden, ob sich das Verhältnis von Karbonhandel und ungleichem Tausch monetär beziffern lässt. Dazu haben sie zunächst einmal von dem ökologischen Einfluss des Emissionshandels abgesehen, also ob dieser überhaupt einen positiven Effekt auf das Weltklima hat. Als Beobachtungszeitraum wurden die vier Jahre zwischen 2020 und 2023 gewählt, sodass die Daten recht aktuell sind.

Das Kyoto-Protokoll definierte seinerzeit zwei Klassen von Ländern. Annex-I-Länder sollten die Nettozahler von Emissionsabgaben sein und durch diese zum Sparen motiviert werden; Annex-II-Länder sollten Netto-Empfänger werden und CO2-Senken etablieren. Die beiden Forscher stellten zunächst eine CO2-Handelsbilanz zwischen den beiden Gruppen auf und diskutierten am konkreten Fallbeispiel Kolumbien die faktischen Auswirkungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht. In einem zweiten Schritt versuchten sie den Wertfluss durch den ungleichen Tausch zu beziffern, wobei sie sich auf Gernot Köhlers maßgeblich durch die Kaufkraftparitäten bestimmten ERDI (Exchange Rate Deviation Index) stützten. Ein ähnliche Methodik wurde bei der Diskussion von Andrea Ricci schon einmal hier näher beleuchtet (hier). Köhlers Methode zählt dabei noch zu den konservativsten, also jenen, welche die Wirkungen des ungleichen Tauschs eher unter- als überschätzen. In einem dritten Schritt diskutierten die beiden Autoren noch kaum zu entdeckende Wertlecks, die innerhalb der Wertschöpfungsketten zu weiteren Effekten führen (könnten), welche die imperialistischen Länder bevorteilen. Diese mögen schwer zu beziffern sein und sind noch spekulativ, gehören aber zur Zeichnung des Gesamtbildes dazu.

Karbonhandel: schon der gleiche Tausch ist problematisch

Wie nicht anders zu erwarten, wurden 88% der CO2-Zertifikate durch die Annex-I-Länder gekauft, wodurch zwischen 2020 und 2023 Kompensation für fast 300 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (65% des Gesamthandels) netto in die peripheren Staaten floss. Zum Verständnis: Die CO2-Zertifikate werden national ausgegeben und können dann an Börsen international gehandelt werden. 2025 lag der Ausgabepreis in Deutschland bei 55 Euro pro Tonne, während die zirkulierenden Zertifikate für knapp 80 Euro gehandelt werden. Da aber alle Länder unterschiedliche Preise festlegen, kommt es auch zu Ungleichgewichten in der Vergütung. Während im Beobachtungszeitraum Annex-I-Länder durchschnittlich eine Tonne CO2-Äquivalent für knapp 30 Dollar verkauften, taten dies Annex-II-Länder für etwas über fünf Euro. Kolumbien handelte in der Zeit etwa 85 Millionen Zertifikate, wovon 40% im eigenen Land verkauft wurden und 18 Millionen an die Annex-I-Länder.

Wichtig hierbei ist, dass der Großteil des Handels aktuell nicht auf Grundlage Klimamaßnahmen wie Aufforstung stattfindet, sondern durch Industrieverzicht der peripheren Länder. Ein Problem dieses Handels ist, dass die Wettbewerbsstruktur dazu treibt, Techniken der Emissionseinsparung i Westen zu monopolisieren, um einen Preisvorteil durch weniger Zertifikatsausgaben vor der Konkurrenz zu erwirtschaften. Baut ein peripheres Land nun eine autarke Industrie auf, wird es zunächst auf einem Entwicklungsstand starten, der eher zu hohen Emissionen führt, was entweder Erlöse durch den Zertifikatsverkauf verringert oder gar zu Käufen teurer westlicher Zertifikate nötigt. Die daraus entstehende Schleife ist die, dass die Unterentwicklung der Industrie eine geringere einheimische Nachfrage nach Zertifikaten erzeugt und somit die Preise peripherer Zertifikate, die sich anteilig an einem definierten Ausstoßvolumen berechnen, drückt. Der Zirkel, aus dem periphere Länder nicht mehr raus kommen ist, dass teure Zertifikate aus den imperialistischen Ländern zu weniger Industrie in den peripheren Ländern führt, was deren Zertifikatspreise drückt und somit eine kostengünstige Extensivierung der CO2-Emissionen in den imperialistischen Staaten ermöglicht.

Der ungleiche Tausch kostet den globalen Süden eine Milliarde pro Jahr

Und genau hier liegt ein erster Schlüssel für den ungleichen Karbontausch. Diesen ungleichen Tausch zu beziffern, ist dann nicht allzu schwer. Man vergleicht nur die Kaufkraftparitäten mit den Karbonpreisen, um aus der Differenz auf den monetären Wertfluss zu schließen. Ein Beispiel mit realistischen Werten: Angenommen, die Lebenshaltungskosten seien in einem peripheren Land nur ein Drittel so hoch wie in einem imperialistischen und der Karbonpreis liege bei bei einem Sechstel, dann wird jede Tonne CO2-Äquivalent aus Sicht der Arbeiterklasse nur zur Hälfte vergütet. Das Verhältnis der Kaufkraftparitäten wird, wie bereits angemerkt, im ERDI gemessen, der auch die Wechselkurse mit integriert. Die Autoren zeigen nun, dass kaufkraft- und wechselkursbereinigt jede Tonne CO-2-Äquivalent, die vom globalen Süden in die imperialistischen Zentren verkauft wird, eigentlich das Fünffache kosten müsste, um letzteren keinen komparativen Vorteil zu verschaffen. Bei einem durchschnittlichen Preis von 3,57 Dollar pro CO2-Tonnenäquivalent, dass von der Peripherie in die Zentren verkauft wurde, einem Volumen von 300 Millionen Zertifikaten und damit einem Gesamthandelsvolumen von 1 Milliarde Dollar, macht das vier Milliarden Dollar Wertfluss von der Peripherie in die Zentren in vier Jahren. Und wie gesagt, schätzt der ERDI das ökonomische Ungleichgewicht zwischen globalem Süden und Norden noch konservativ.

Fallbeispiel Kolumbien

Durch den konkreten Blick auf Kolumbien zeigt sich dann, wie eigentlich die Auswirkungen auf der Ebene der Erscheinungen aussehen. Dass mit 41% der Großteil des Emissionshandels inländisch betrieben wird, hat vor allen Dingen mit der Erdölindustrie zu tun. Ecopetrol, Primax und Biomax gehören zu den größten Käufern. Hierbei handelt es sich vor allen Dingen um einen Mechanismus zur Umgehung der Karbonsteuer, die eine „No-Causation“-Klausel enthält, wenn den Emissionen entsprechende Aufforstungsprojekte gegenüberstehen. Diese Projekte finden meist in eigenen Tochterfirmen statt, wodurch der Emissionshandel teilweise nur zur inneren Verrechnung führt. Da die Karbonsteuer ebenfalls für die Finanzierung ökologischer Projekte gedacht ist, finanziert Kolumbien auf Kosten der möglichen Einnahmen durch den Emissionshandel den Großteil seiner ökologischen Maßnahmen außerhalb des Kyoto-Mechanismus; also aus eigener Tasche und nicht wie angedacht, gefördert durch die entwickelteren Ökonomien.

Insgesamt hat Kolumbien durch den Emissionshandel schätzungsweise hundert Millionen Dollar zwischen 2020 und 2023 eingenommen, während ERDI-bereinigt eigentlich dreihundert Millionen Dollar zu einer global gerechten Kompensation geführt hätten. Ein Problem ist dann, was eigentlich mit den Einnahmen passiert. Nach dem Bürgerkrieg sind nicht wenige Regionen immer noch konfliktbeladen und Eigentumsrechte an den Landflächen umstritten. Dazu kommen indigene Wirtschaftsformen, die sich schwer mit den Karbonpreisen beziffern lassen. Die Regierung ist immer noch auf die finanzielle Bevorzugung bestimmter Kreise angewiesen, um das Land einigermaßen zu befrieden. Daher kommen trotz vieler gestellter Anträge auf Vergütung aus dem Emissionshandel nur bei einer kleinen Schicht an Projekten überhaupt etwas an. Auch hier gibt es eine Selbstverstärkung. Je kleiner der Topf, desto größer der Verteilungskampf, des prekärer die politische Situation und desto ineffizienter die Verteilung.

Mehr als ein Leck bei den Ausgaben

Überhaupt sind die Klimaprojekte im globalen Süden meist prekär strukturiert. Ein Projektleiter beantragt ein Aufforstungsprojekt aus einem nationalen Klimafonds, in den die Karbonhandelgelder eingehen. Dieser Projektleiter bekommt dann eine festgelegte Summe, die aber gar nicht die Ausgaben mit abdeckt. Meist werden die Projekte zusammen mit kommunalen, meist indigenen Gemeinschaften organisiert, die unbezahlte Mehrarbeit leisten, um am Ende einen höchstmöglichen Betrag zu erhalten. Der Selbstausbeutung im globalen Süden sind durch diese Art der Verteilung damit keine Grenzen gesetzt. Gut bezahlt hingegen werden die Leute, die Projekte zertifizieren und die CO2-Einsparungen messen; meist Unternehmen aus den imperialistischen Ländern, die hier teilweise 40-60% der Projektkosten erhalten. The Guardian konnte für das Kariba-Projekt zeigen, dass pro hundert Dollar Ausgaben 43 Dollar für die Dachorganisation – die vor Ort überhaupt nicht präsent war, aber 18 Dollar als Profit ausschrieb – eingeplant wurden, während von den 57 Dollar, die am Ende wirklich Zimbabwe erreichten, nur 14 Dollar wirklich in den lokalen Gemeinden ankamen.

Und noch ein Problem tut sich auf. Kann ein Land durch eine Klimaschutzmaßnahme und den Nachweis der CO2-Bindung tatsächlich Zertifikate verkaufen, dann braucht es dabei in der Regel eine Art Broker. Nicht einmal gut informierte NGOs wie Carbon Market Watch haben auch nur annähernd Einblick darin, was eigentlich auf den Börsen mit den Karbonzertifikaten passiert. Unearthed konnte in einer Dokumentation verfolgen, dass ein Broker, der in Nordbrasilien Zertifikate für 2,75 Dollar einkaufte und diese für 20 Dollar sogar noch unter Marktpreis an Air France und Coca Cola verkaufte. Eine Stiftung, die ein Mangrovenschutzprojekt in Myanmar betreibt, verkaufte Emissionszertifikate für rund 10,70 US-Dollar an einen Schweizer Händler, der diese dann für über 30 US-Dollar weiterverkaufte; ein satter Gewinn von 300%. Das ist leider die Realität des Karbonhandels.

Zusammenfassung

Das Urteil über den Emissionshandel könnte deutlicher kaum ausfallen. Der globale Süden zahlt in einem System drauf, dass ihn strukturell von den imperialistischen Zentren abhängig macht. Der Zynismus wirkt gleich doppelt, wenn die eigene Unterdrückung nicht nur selbst bezahlt wird, sondern auch noch moralisch durch den dringend gebotenen Umweltschutz grüngewaschen wird. Die jährliche eine Milliarde Dollar Wertfluss in den Westen ist dabei nur eine Fußnote gegenüber den Billionen an Ressourcen, die exportiert werden, aber sie erzählt eben die Geschichte der Wirkungsweise des bourgeoisen Herrschaftssystems. Und am Ende bleibt selbst ein Großteil der nach Süden transferierten Gelder nur bei den Mittelsmännern hängen. Die einfache Wahrheit ist: Die Bekämpfung des Klimawandels lässt sich nicht einfach schön zurecht tauschen. Sie erfordert eine nachhaltige Planung der Produktion, den sparsamsten Einsatz aller Ressourcen und eine Umstellung vieler Lebensgewohnheiten. Die Menschheit wird die Größe der Aufgabe erst erkannt haben, wenn der Chef der Deutschen Bahn auch wirklich Bahn fährt.

Literatur:

Rizzi, A. & Krause, T. (2025): The unequal exchangeof carbon: calculating value appropriation and atmospheric colonisation through carbon offsetting. In: New Political Economy. Online First. DOI: 10.1080/13563467.2025.2572047.

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