⋄ Die Frage, welche Bedeutung die sich verschiebenden Kräfteverhältnisse in der globalen Ordnung für den deutschen und internationalen Klassenkampf haben, wird in der kommunistischen Bedeutung weit diskutiert. ⋄ Während Parteien für die KKE oder trotzkistische Gruppen eher eine Autonomie des proletarischen Klassenkampfes herausstellen, sehen andere eine große Bedeutung in den sich wandelnden Umständen. ⋄ Auf dem von der Kommunistischen Organisation veranstalteten Kommunismus-Kongress 2023 sollte dieser Themenkomplex zur Debatte gestellt werden. ⋄ Mit der Spaltung der Organisation im Frühjahr wurde der Kongress mit weniger Kräften veranstaltet als im Vorjahr. ⋄ Debattenschwerpunkte waren neben dem Hauptthema das Verhältnis von Theorie und Praxis und die Frage der Einheit der kommunistischen Bewegung. |
Am vergangenen Wochenende lud die Kommunistische Organisation (www.kommunistische-organisation.de) nach dem Auftakt im vergangenen Jahr erneut zum Kommunismus-Kongress ins Berliner ND-Gebäude. Unter dem Eindruck des nun anderthalb Jahre andauernden Kriegs in der Ukraine und der am Samstag begonnen Zuspitzung der Kämpfe in Israel und Palästina stellte sich der Kongress erneut die Frage, welche Rolle die kommunistische Bewegung in einer sich verschiebenden geopolitischen Lage spielen könne.
Der diesjährige Kongress
Stand beim Kongress des letzten Jahres noch die Frage im Raum, ob es sich beim Imperialismus um eine Epoche handele (Näheres hier), deren Imperative alle kapitalistischen Länder umfasst oder ob man eher von imperialistischen Blöcken sprechen solle, von denen der amerikanisch-europäische Block verschiedenen nicht-, noch-nicht- oder antiimperialistischen Blöcken gegenüber stehe, hat sich der Charakter in diesem Jahr grundlegend gewandelt. Durch die Spaltung der Kommunistischen Organisation in einen Flügel, der die erste Position verficht und einen, der mit Tendenz zur zweiten noch weiter diskutieren wollte, fiel auch ein inhaltliches Standbein des letzten Jahres weg (Debatte hier & hier). Trotz Anfrage nahmen erstgenannte nicht mehr am Kongress teil und deren Position konnte nur durch dritte wiedergegeben werden. Daher wurde weniger über die Frage debattiert, ob die aktuellen Kämpfe auf nationalstaatlicher Ebene überhaupt anti-imperialistischen Charakter tragen, sondern mehr, in welcher Beziehung diese zu den nationalen und zum internationalen Klassenkampf stünden. Mit geringeren finanziellen und personellen Mitteln wurde versucht, das inhaltlich und organisatorisch hohe Niveau des Vorjahres zu halten, was im Großen und Ganzen auch gelang.
Den Kern der Veranstaltungen bildeten Podiumsdiskussion, in denen Vertreter*innen deutscher und internationaler Organisationen aus der kommunistischen, pazifistischen und weitgefasst anti-imperialistischen Bewegung ihre Positionen und Praxis schilderten. Umrandet wurden diese von verschiedenen Vorträgen und Diskussionsrunden, in denen einzelne Themen vertieft besprochen werden konnten. Da sich die veranstaltende Organisation schon lange in einem Forschungs- und Diskussionsprozess zum Charakter des Ukraine-Kriegs befindet, wurden in Kolloquien auch die Zwischenergebnisse der bisherigen Arbeit zur Diskussion gestellt. Die Atmosphäre zeichnete sich erneut überwiegend durch einen solidarischen Diskurs aus, wenn auch aus den besagten Gründen weniger Kontroverse herrschte.
Nationale Frage und Klassenkampf
Dass das Wesen der marxistischen Analyse und der kommunistischen Aktion der Klassenkampf ist, werden die wenigsten bestreiten. Dass diese Kämpfe über politische und nationale Kämpfe vermittelt werden, ist da wohl umstrittener. Und wie sie konkret vermittelt werden, darüber entspann sich auf dem Kongress eine breite Diskussion. Insgesamt wurde positiv beurteilt, dass sich die Welt gerade in einem Umbruch befände. Der Status Quo, den der Niedergang der Sowjetunion hinterlassen hatte, scheine in Frage zu stehen und viele Teilnehmer*innen rechnen sich eine Erweiterung des Möglichkeitsraumes für kommunistische Bewegungen aus. Dennoch blieben Fragen.
So stellte sich etwa die Frage, ob Multipolarität (Näheres hier) an sich ein Vorteil für den Klassenkampf sei. Dimitros Patelis von der World Anti-Imperialist Platform merkte an, dass die Ablehnung taktischer Zwischenschritte, die gerade in der Peripherie national vermittelt seien, einer Absage an die reale Revolution gleichkomme. Wenn der Widerspruch zwischen parasitären imperialistischen Ländern und kolonial abhängigen die Klassenkämpfe heute überforme, dann müssten diese nationalen Befreiungskämpfe auch unterstützt werden. Ebenso wies Arnold Schölzel von der DKP darauf hin, dass alle Klassen miteinander in Wechselbeziehung stünden, auch international. Man könne nicht vom Ende der Geschichte, sondern müsse vom Ende einer Geschichte sprechen. Wie sich die Frage stelle, ob die unterdrückende oder die unterdrückte Klasse in einem Land herrsche, so müsse man sich global die Frage stellen, ob unterdrückende oder unterdrückte Nationen herrschten. Mit dem Versiegen der imperialistischen Herrschaft über die unterdrückten Nationen, würde sich dann auch die Frage nach der Klassenherrschaft in Deutschland stellen. Willi Langthaler von der Antiimperialistischen Koordination Österreich formulierte, dass es der weltweiten Arbeiterklasse ungeahnte Möglichkeiten eröffne, wenn der Zwinger des US-Imperialismus bröckle.
Joti Brar – Vorsitzende der britischen kommunistischen Partei CPGB-ML – warf die Frage auf, wer denn eigentlich das anti-imperialistische Subjekt sei. Sie beantwortete ihre eigene Frage mit China, dessen ökonomische Politik überhaupt erst den neuen Möglichkeitskorridor der kapitalistischen Peripherie schaffe. Jörg Kronauer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Engagement der USA in der Ukraine durchaus keinen Widerspruch zur Kriegsvorbereitung gegen China darstelle, sondern einen potentiellen Verbündeten der Volksrepublik perspektivisch schwäche. Allerdings laufe der Krieg gegen Russland Gefahr, zu lange zu dauern, was die amerikanischen Eliten aufschrecken lasse.
In einer weiteren Diskussionsrunde wurde die Frage debattiert, inwiefern ein Krieg den Klassenkampf beeinflusse. Pit Simmons von der Linkspartei unterschied hier in Anlehnung an Mao verschiedene Formen des gerechten Krieges: den nationalen Befreiungskrieg, den revolutionären Krieg und den antifaschistischen Krieg. Während der revolutionäre und der antifaschistische Krieg nur mit der vollständigen politischen und militärischen Niederlage des Gegners zu gewinnen seien, könne der nationale Befreiungskrieg auch als Ermattungskrieg geführt werden, z.B. der <rückzug der Franzosen aus Algerien, als die Kosten des Krieges den Nutzen für die französische Bourgeoisie überschritten. Wie in Vietnam oder Korea könne ein nationaler Befreiungskrieg aber in einen revolutionären Krieg umschlagen, wenn die führende Kraft eine Partei der Arbeiter*innenklasse sei. Mit dem Blick auf Russland stufte er diese Bedingung jedoch nicht als gegeben ein. Aus dem Publikum gab es jedoch auch kritische Anmerkungen, ob nicht zu viel über die nationalen Konflikte gesprochen werde und die autonome Rolle der Arbeiter*innenklasse in diesen vernachlässigt würde.
Theorie und Praxis
Marxistische Theoriebildung ist nicht trennbar von der daraus resultierenden Praxis. Auf dem zweiten Podium skizzierte Joti Brar in einer eloquenten Rede das Verhältnis von Marxismus und Kommunismus wie folgt: Kommunismus sei Marxismus plus dessen Popularisierung. Um eine komplexe Theorie jedoch überhaupt popularisieren zu können, müsse man sie erst tief durchdrungen haben. Nur dann könne man sie auch für alle Adressat*innen zugänglich machen. Daraus ergebe sich dann auch die Praxis, für die man kein Schema entwerfen könnte. Trotzkist*innen würden wegen jedem Problemchen am Arbeitsplatz gleich zu einem unrealistischen Generalstreik aufrufen wollen, es sei aber die Wirkung der Erfolge durch die richtige Wahl der Kampfmittel, die das Klassenbewusstsein des Proletariats stärke. Ähnlich argumentierte Patelis, welcher insbesondere marxistischen Wissenschaftler*innen eine vermehrt bürgerlich-strukturalistische Herangehensweise anstatt organischer Zusammenfassung der imperialistischen Totalität vorwarf. Diese habe zu einer Vernachlässigung geopolitischer Fragen im Marxismus geführt, die er als ursächlich für die Spaltung der Bewegung erachtete.
Kontrovers wurde die Frage diskutiert, ob und in welchem Umfange sich anti-imperialistische und kommunistische Kämpfe an Aktionen beteiligen könnten, an denen auch rechte Parteien wie die AfD mitwirkten. Willi Langthaler argumentierte, dass die Stoßrichtung des Antiimperialismus eine klar linke sei. Wenn sich auch rechte Kräfte gegen ihre eigenen Interessen daran beteiligten, sei dies umso besser. In ein ähnliches Horn blies der stellvertretende Vorsitzende des Freidenker-Verbandes, Klaus Hartmann, der eine Fokussierung auf die wesentlichen Konfliktlinien der globalen Politik anmahnte. Dies sei der US-Imperialismus und seine Durchsetzung mithilfe verbündeter Staaten wie Deutschland. Der Freidenker-Verband knüpfe seine Beteiligung an Aktionen mit Rechten jedoch an die Bedingung, breiten Raum für Agitation zu erhalten. Man müsse die Rechten vor sich hertreiben, denn nur so könne man sie über ihre eigene Kumpanei mit dem deutschen Kapital hinaustreiben und entlarven.
Ebenfalls umstritten waren Harri Grünbergs (AUFstehen) Aussagen zu einer kommenden Wagenknecht-Partei. Grünberg postulierte, dass die Brandt-Ära erstmals in der Bundesrepublik die Tür für eine breite Politisierung der Gewerkschaften und der Arbeiter*innenklasse geöffnet habe. Dies sei heute noch im historischen Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse verwurzelt, weshalb eine Neuauflage der 70er-Jahre-SPD wieder so ein Türöffner sein könne. Der Linkspartei sei es nicht gelungen, der SPD ihren Einfluss in den Gewerkschaften abzutrotzen, weshalb sie dem Linksliberalismus verfallen sei. Eine Wagenknechtpartei könne eine antimonopolistische Plattform aufbauen, von deren Strahlkraft auch Kommunist*innen profitieren würden.
Zur Einheit in der kommunistischen Bewegung
Ein dritter Fragenkomplex war der, in welcher Form sich die kommunistische Bewegung selbst und in Relation zu anderen anti-imperialistischen Bewegungen organisieren könne, um die Schlagkraft zu gewinnen, die nötig wäre, um praktische Gewinne aus den theoretischen Debatten zu erzielen. Die Frage der Einheit stellte sich dabei im doppelten Sinne. Einmal als Einheit der mehr oder weniger stark gespaltenen Fraktionen der kommunistischen Bewegung in Maoismus, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und andere Spielarten; aber auch in der Frage der Relevanzgewinne der einzelnen Strömungen selbst.
Vorbild blieb für viele Redner*innen dabei die Dritte Internationale. Pawel Wargan, Koordinator des internationalen Sekretariat der Progressiven Internationale, erinnerte daran, dass die Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkriegs nicht weniger zerstritten gewesen sei als heute. Die Arbeiter*innenbewegung sei zu schwach gewesen, um den Krieg zu verhindern. Dennoch sei es gelungen, innerhalb weniger Jahre eine internationale Organisation von kommunistischen Parteien zu schmieden, auf deren Erbe sich fast alle heutigen K-Gruppen und -Parteien beriefen. Er erinnerte weiterhin daran, dass bereits der zweite Weltkongress der Komintern die koloniale Frage als wesentlich für die Bewegung herausstellte und in der Folge taktische Bündnisse mit allen Arten nationaler Befreiungsbewegungen einging. Angesichts eines Raubs in Höhe mehrerer Trillionen Dollar an der kapitalistischen Peripherie seit 1960 könne die Imperialismus-Frage heute daher nicht weniger wichtig gelten. Die kapitalistische Überproduktion, die Überdehnung der militärischen Kapazitäten der USA und die Überreizung ihrer ideologischen Kohäsionskraft müssten von allen revolutionären Organisationen gemeinsam attackiert werden. Er schloss mit den Worten seines polnischen Landsmannes Karl Radek, der die Arbeiter*innen und Bäuer*innen der Welt aufrief, erst einmal das Land ihrer Väter zurück zu gewinnen, bevor sie es verteidigten.
Allerdings wurde auch klar, dass fast alle Projekte zur Vereinigung der kommunistischen Bewegung parallel liefen. Viele Vorschläge und Beispiele wurden unterbreitet, ohne jedoch wirkliche Perspektiven einer schlagkräftigen gemeinsamen Plattform aufzuzeigen. Insbesondere die Frage, welcher kommunistische Kern der verbindende sein solle und welche Formen von nationaler oder organisatorischer Eigenständigkeit man zulassen könne, wurde unter Verweis auf die allgemeine Richtigkeit marxistischer und leninistischer Lehren nicht einmal gestreift.
Zusammenfassung
Der Kommunismus-Kongress hat trotz seiner organisatorisch bedingten inhaltlichen Verengung nur wenig an Tiefe der Diskussionen eingebüßt. Auch wenn man nicht die mehrheitlich vertretene These teilt, dass die momentanen Konflikte eine Kräfteverschiebung des globalen Imperialismus bedeuteten und in allen Teilen der Welt neue Spielräume für Klassenkämpfe eröffneten, ist für an der Debatte Interessierte eine Nachlese der Podien und Vorträge (siehe Literatur) empfehlenswert. Zusammenfassend sprach sich eine Mehrheit der Referent*innen dafür aus, die internationalen Konflikte in einem eher allgemeineren theoretischen Rahmen zu analysieren, als sie methodisch ausgefeilt einzeln in ihren Details zu betrachten. Das mag angesichts der aktuellen Häufung der Konflikte und der einhergehenden Überforderung, jeden einzelnen bis ins letzte Detail verstanden zu haben, auch praktikabel sein. Allerdings muss dennoch kritisch reflektiert werden, wie man ohne methodisch fundierte Evaluation die Erklärungsmacht einer globalen Imperialismustheorie überprüfen möchte, ohne allein auf die Klassiker zu verweisen. Und zuletzt krankte die Debatte wie im letzten Jahr an der breit geteilten Einsicht in die Vereinigung und Bündelung der revolutionären Kräfte und der entgegen dieser Erkenntnis praktizierten Vereinzelung der Gruppen. Hinsichtlich der Ausformulierung eines demokratisch-zentralistischen Prinzips, das unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts anwendbar ist, ist der Kongress leider nicht schlauer als 2022. So verbleibt er mit: to be continued.
Literatur:
Programm, Kongresszeitung und Zusatzinformationen finden sich unter der Internetpräsenz https://kommunistische-organisation.de/kongress/
Die Podien sind auf dem youtube-Kanal der Kommunistischen Organisation (.de) als Video angesehen werden. In der Folge werden auch weitere Vorträge eingestellt: https://www.youtube.com/@kommunistischeorganisation/streams
Da die Spaltung der KO auch einen erheblichen finanziellen Einschnitt für die Organisation bedeutete, können Spenden für die weitere Arbeit unter folgenden Daten übersendet werden:
Kontoinhaber: Verein für internationale Bildung und Solidarität
IBAN: DE88 8605 5592 1090 3249 91
BIC: WELADE8LXXX
Verwendungszweck: Spende Kongress
oder via Paypal an kongress2023@gmx.de (https://kommunistische-organisation.de/kommunismus-kongress/spendenaufruf-zum-kommunismus-kongress-2023/)
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