Kuba auf den Schultern der Frauen

⋄ Die Kubanische Revolution verfolgte nicht nur den Anspruch, soziale Gleichheit durchzusetzen, sondern auch die Gleichheit von Mann und Frau.

⋄ In den letzten Jahrzehnten gerieten diese Ziele auf Grund der problematischen ökonomischen Lage zusehends aus dem Blick.

⋄ Anamary Linares und Katherine Moos haben auf Grundlage der Social Reproduction Theory den Beitrag weiblich geprägter Arbeit analysiert.


⋄ Demnach werden 31% der Reproduktion der Ware Arbeitskraft auf Kuba durch unbezahlte Hausarbeit gesichert, wovon Frauen drei Fünftel schultern.

⋄ Die Autor*innen bewerten dieses Reproduktionsregime, das zusätzlich von Auslandszahlungen abhängt, als wenig nachhaltig.

Die kubanische Revolution steht vor vielen Problemen, die große Beachtung finden: die Blockade und politisch-ökonomische Isolation durch die USA; die Abhängigkeit von anderen sozialistischen oder popular regierten Staaten wie die Sowjetunion, Venezuela und China; die ökonomischen Reformen und die politischen Proteste auf Grund der problematischen Versorgungslage. Eher weniger Beachtung finden strukturelle politökonomische Merkmale der Karibikinsel. Weder taugt Kuba als Role Model, noch wirklich als Failed State. Aber wie steht es eigentlich um die Erreichung der Ziele der Revolution jenseits der Warenproduktion und Inselbegabungen wie Medizin oder Bildung?

Hier könnte man zum Beispiel nach der Stellung der Frau fragen. Formal ist diese im sozialistischen Kuba gleichgestellt. Die Aufstiegschancen, die grundständige Bildung und viele andere Faktoren sind auf Kuba deutlich besser als in vergleichbaren Ländern. Allerdings stellt auch der noch immer tief verankerte Sexismus die Kommunistische Partei vor viel Arbeit. Anamary Maqueira Linares und Katherine A. Moos untersuchten die Bedeutung der Hausarbeit bei der Reproduktion der Arbeitskraft in Kuba.

Die Social Reproduction Theory

Die Untersuchung fand unter den Prämissen der Social Reproduction Theory (SRT) statt. Diese Theorie versucht aus der Verteilung und Gestalt der Reproduktionsarbeit der Ware Arbeitskraft auf die ideologischen Formen zu schließen, welche diese rechtfertigen. Sie ist gleichermaßen auf den globalen Norden wie Süden anwendbar und betrachtet Sexismus und Patriarchat nicht primär als moralische Verstöße gegen eine postulierte natürliche Gleichheit, sondern kontextualisiert diese ideologischen Formen der Ungleichwertigkeit innerhalb der Gesamtökonomie, wodurch die Basis der Geschlechterungerechtigkeit nicht aus dem Blick gerät. Die SRT muss dabei nicht unbedingt einen marxistischen Analyserahmen für die Ökonomie nutzen, ist aber sehr gut anschlussfähig, wie die Arbeiten von Alessanda Mezzadri und phasenweise auch von Silvia Federici zeigen. Andere Autor*innen zeigen aber auch abseits eine Marxschen ökonomischen Verständnisses die Notwendigkeit kapitalistischer oder imperialistischer ökonomischer Formen als Notwendigkeit der Aufhebung sexistischer Ideologien und Praxen auf.

Im Kern dreht sich bei der SRT alles um die Frage, wie und zu welchen Kosten die Ware Arbeitskraft reproduziert wird und zwar aktuell, wie intergenerational. Zahlt ein Kapitalist dem Arbeiter nur wenig Geld zur Reproduktion seiner Arbeitskraft, dann müssen viele dazu notwendiger Arbeiten (Kindererziehung, Reparaturen, Versorgung, …) als nichtwarenförmige Hausarbeit ausgelagert werden. Muss der Arbeiter dies alles selbst tun, dann sinkt zum Beispiel die mögliche Gesamtarbeitszeit oder die Arbeitskraft kann nicht vollständig reproduziert werden, wodurch sie allmählich verschleißt. Eine andere Möglichkeit besteht in der Auslagerung der Reproduktionsarbeit auf bestimmte Familienmitglieder, wovon empirisch und in jeder einzelnen Nation Frauen am stärksten betroffen sind. Eine solche Auslagerung führt in der Regel zur ökonomischen Abhängigkeit der Frauen vom Brotverdiener und einer systematischen Ungleichheit, die sich in häuslicher Gewalt und geringeren Selbstverwirklichungsmöglichkeiten niederschlägt. Aber auch für das Kapital werden solche patriarchalen Verhältnisse phasenweise zum Problem. In Zeiten des Arbeitskräftemangels ist etwa weibliche Arbeitskraft gebunden und das Kapital muss nach Möglichkeiten suchen, die Hausarbeit entweder zu kommodifizieren oder noch weiter zu externalisieren, wobei ersteres zwangsläufig mit „Reallohnerhöhungen“ verbunden ist. Auch Migration spielt der Bewältigung dieses Problems eine große Rolle, insbesondere dann, wenn die Arbeitskraft zwar von Jahr zu Jahr, aber nicht intergenerational reproduziert werden kann, wie es aktuell in Deutschland der Fall ist.

Bei der empirischen Anwendung stößt die SRT jedoch auch ein methodologisches Problem. Hausarbeit ist konkrete Arbeit und kann neben ihrer Mannigfaltigkeit nur vergleichend mit der Uhr gemessen werden. Lohnarbeit hingegen ist abstrakte Arbeit und ihr Wert bestimmt sich dadurch nicht durch die konkrete Arbeitszeit, sondern durch ihr Verhältnis zu gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit. Beide Größen sind also eigentlich nicht vergleichbar. Abschätzungen müssen daher zusätzliche Annahmen und Modifikationen treffen, die jeweils innerhalb der SRT aber auch von außen umstritten sind.

Spezielle Probleme bei der Anwendung der SRT auf Kuba

Noch problematischer wird es, wenn die SRT auf ein sozialistisches Land angewendet werden soll. Zunächst einmal wird auf Kuba zwar noch Lohnarbeit verrichtet. Diese kann jedoch auf Grund der massiven politischen Eingriffe nicht mehr als Spiegel der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit betrachtet werden. Würde eine sozialistische Ökonomie als reine Zeitökonomie (Näheres hier) funktionieren, wo die verrichtete Arbeitszeit durch Gutscheine entgolten wird, könnte man sogar Hausarbeit und Lohnarbeit direkt vergleichen. Aber das ist auf Kuba nicht der Fall. Einige Autor*innen haben sich der Interpretation angeschlossen auf Grund der allgegenwärtigen Warenförmigkeit von Produktion und Reproduktion realsozialistischen Systemen gar keinen eigenständigen ökonomischen Charakter zuzuschreiben. Die Autor*innen der vorliegenden tudie hingegen wollen gerade durch ihre konkrete Untersuchung Kubas diese Charakterisierung differenzieren. Den Anspruch, den die kubanische Führung erhebt, eine Gesellschaft aufzubauen, die sich nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der arbeitenden Menschen richtet, könne man jenseits von der Bewertung nicht einfach außen vor lassen.

Und man kann auch nicht sagen, dass sich die Kommunistische Partei Kubas nicht für feministische Anliegen interessiere. 2016 gab sie einen großen National Survey of Gender Equality Report in Auftrag, aus dem die beiden Forscher*innen hinreichend Daten für eine SRT-basierte Untersuchung entnehmen konnten. Auf Grund dieses Reports beschränkt sich die Analyse allerdings auf dieses Jahr und neue Entwicklungen durch die jüngsten Marktreformen werden nicht mehr erfasst.

Soziale Reproduktion auf Kuba

Moos und Linares identifizierten nun vier grundlegende Faktoren der sozialen Reproduktion auf Kuba: Löhne, staatliche Leistungen, Zuwendungen aus der Diaspora und Hausarbeit. Jetzt galt es, diese abzuschätzen. Die Hausarbeit setzen sie zusammen aus der Zeit für die kostenlose Arbeit im Haushalt (Waschen, Putzen, Kinder, …), der kostenlosen Arbeit für die Kommune (kollektive Gärten, freiwillige Arbeiten, kommunale Kinderbetreuung, …) und subsidäre Arbeiten (Nahrungsmittelproduktion im eigenen Garten, eigene Herstellung einfacher Güter, Reparaturen, Hilfsarbeiten …). Die aufgewendete Zeit konnten sie dem oben genannten Report entnehmen. Die Zeit setzten sie über den Mindestlohn auf Kuba mit der Lohnarbeit ins Verhältnis, was aus mehreren Gründen eine sehr konservative Schätzung ist. Erstens weil viele Arbeiten eben nicht der einfachsten Arbeit entsprechen, sondern komplizierter sind. Zweitens weil viele dieser Leistungen eigentlich mit den wesentlich höheren Preisen auf dem privaten Markt verglichen werden müssten. Drittens werden viele Hausarbeiten parallel durchgeführt, z.B. werden Kinder während des Kochens betreut. Veranschlagt wird aber nur eine Zeit. Und viertens sind selbst in den Mindestlöhnen zusätzliche Leistungen (Essensversorgung im Betrieb, Anteile an der Produktion, Versicherungsleistungen, …), die durch die nominale Höhe garnicht ausgewiesen sind. Der Wert der Hausarbeit ist somit ein konservativer Schätzwert, der unter realistischen Annahmen als signifikant höher eingeschätzt werden müsste.

Die staatlichen Leistungen lassen sich zum einen durch die Ausgaben für die Bereitstellung der universalen Infrastruktur, sowie durch fallgebundene soziale Leisutngen (Kindergeld, Arbeitslosenversicherung, …) zusammenrechnen. Ein großer Teil der Wirtschaft produziert allein für diese Infrastruktur, sodass nicht nur die Lohnabzüge allein hier mit hineingezählt werden können, wie etwa in kapitalistischen Systemen. Die mit Abstand größten Posten sind hier Gesundheitsversorgung und Bildung. Eine umstrittene Frage ist, ob etwa Polizei und Verteidigung der Reproduktion der Ware Arbeitskraft oder der Reproduktion des Staates dienen. Für den speziellen Fall Kubas, das enorm durch die USA bedroht wird, wurden die Kosten mit in die Reproduktion gezählt, auch weil sie nicht erheblich sind und die Armee auch viele Versorgungsaufgaben übernimmt.

Auch die Frage der Löhne ist auf Kuba nicht so leicht zu beantworten, wie in herkömmlichen kapitalistischen Ökonomien. Denn neben den leicht ablesbaren Löhnen staatlicher und nicht-staatlicher Betriebe, gibt es einen großen informellen Sektor, der etwa in der Touristik leichter an den Konvertiblen Peso kommt. Während der Kubanische Peso im Wesentlichen für den inneren Handel Kubas genutzt wird, lässt sich der Konvertible Peso auch in Auslandswährungen umrechnen und damit Importprodukte, falls zugänglich erwerben, was zum Beispiel bei Medikamenten enorm wichtig ist. Während die offizielle Umrechnung zwar 1:1 beträgt, liegt die inoffizielle bei 1:24 und manchmal noch höher. Daher muss der informelle Sektor hier umgerechnet werden. Gleiches gilt für Überweisungen aus der Diaspora. Diese werden entweder direkt für Importprodukte aufgewendet oder in Kubanische Pesos umgerechnet, wodurch der Betrag um ein Vielfaches höher wird. Das spezielle Problem wiederum resultiert daraus, dass sich quasi zwei Monopole gegenüberstehen. Während Importprodukte ausschließlich in Konvertiblen Peso bezahlt werden können, können die subventionierten kubanischen Produkte nur mit Kubanischen Peso bezahlt werden. Es geht also hier nicht um einen gewöhnlichen Wechselkurs, sondern um zwei sich ausschließende Systeme. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass Zuwendungen aus dem Ausland auch für produktive Zwecke verausgabt werden und nicht nur für reproduktive.

Die Ergebnisse

Hiermit sind die grundlegenden methodologischen Entscheidungen zur Analyse der Reproduktionskosten skizziert. Das Ergebnis sieht wie folgt aus:

Quelle: siehe Literatur. S.827.

31 % der kubanischen Reproduktionskosten werden durch unbezahlte Hausarbeit gedeckt. Das entspricht der Höhe von 45% der Bruttoinlandsproduktes. Laut der Nationalen Geschlechtergerechtigkeitsumfrage verrichten Frauen hierbei 36 Stunden unbezahlte Arbeit und Männer 22,7 Stunden. Geld- oder Warensendungen aus dem Ausland decken weitere 27% der Reproduktionskosten. Die soziale Infrastruktur stellt 23% des Reproduktionsaufwandes bereit und die Löhne decken gerade einmal 19%.

Die unbezahlte Hausarbeit stellt auf Kuba den wichtigsten Krisenkompensationsmechanismus dar. 2016 etwa geriet die kubanische Wirtschaft nach einer Erholungsphase erneut in eine Stagnation. Grund war die ökonomische Destabilisierung des wichtigsten Partners Venezuela auf Grund der sinkenden Erdölpreise. Die dadurch entstandenen Engpässe wurden im wesentlichen von den Haushalten abgefangen und damit stärker von den Frauen als von den Männern. Das gilt umso mehr, als die Möglichkeiten, überhaupt Geld nach Kuba zu überweisen, stark von der politischen Wetterlage in den USA abhängt und natürlich auch von der ökonomischen Situation der Exilkubaner*innen. In dieser Art und Weise ist das ökonomische Systeme Kubas weder als stabil, noch als nachhaltig zu bezeichnen, resümmieren die beiden Autorinnen.

Zusammenfassung

Anamary Linares und Katherine Moos haben sehr sensibel darauf verzichtet, unbedachte Vergleiche zu anderen, rein kapitalistisch wirtschaftenden Staaten zu ziehen. Denn tatsächlich bedürfen die Zahlen einigen Kontext, um zu sprechen. Das lässt natürlich danach fragen, wozu die Zahlen überhaupt gut sind, wenn sie nicht von selbst sprechen.

Die Studie fördert jedenfalls mehr oder weniger zwei sehr distinkte Probleme heraus. Zum einen ist die unbezahlte Arbeit auf Kuba noch immer und seit den Reformen 2010 wieder zunehmend ungleich verteilt. Drei Fünftel wird von Frauen und nur zwei Fünftel von Männern verrichtet. Das ist für eine sozialistische Politik durchaus ein Problem, auch wenn es im Vergleich zu vielen kapitalistischen und erst recht zu vielen peripheren Staaten noch eine gute Quote ist. Zum anderen aber nimmt die Hausarbeit als solche einen großen Platz in der Reproduktion ein. Es gibt auf Kuba demnach eine Tendenz zur Privatisierung der unbezahlten Arbeit in den Familien, was der eigentlich angestrebten Zunahme vergesellschafteter Arbeit widerspricht. Leider wiesen die beiden Autor*innen nicht aus, wie groß der Anteil kommunal verrichteter unbezahlter Arbeit war, weil dies zur vergesellschafteteten nichtwarenförmigen Arbeit mit hineinzählen würde.

Letztlich muss Kuba also nicht nur die Versorgung der Bevölkerung wieder in den Griff bekommen, es muss auch den egalitären Idealen der Revolution neues Leben einhauchen. Dazu waren die liberalen Reformen seit 2010 eher schädlich.

Literatur:

Linares, A. & Moos, K. (2024) The distribution of the cost of Cuban social reproduction in 2016: the relative contributions of domestic and diasporic households, the private sector and the state. In: New Political Economy. Jahrgang 29. Ausgabe 5. S.819-833.

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