Die Linke und der Frieden: eine kurze Geschichte

⋄ Die Frage nach der Haltung der Arbeiter*innebewegung zu konkreten Kriegen ist so alt wie die Arbeiter*innenbewegung selbst.

⋄ Marcello Musto fasste in der
Critical Sociology die Geschichte der Haltung der Linken zum Krieg zusammen.

⋄ Bei der Bewertung der Kriege haben zumeist taktische über prinzipielle Erwägungen dominiert.

⋄ Der erste Streit über die Kriegsfrage entfachte sich um den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, als deutsche, französische und britische Delegierte unterschiedliche Auffassungen vertraten.

⋄ Ein Pazifismus als Grundhaltung ist eher ein jüngeres Phänomen in der Linken und liegt in den außenpolitischen Erwägungen der Sowjetunion, sowie deren Zusammenbruch begründet.

Für viele Linke gilt das Jahr 1914 als der Sündenfall der Linken. Während die erste und die zweite Internationale unter dem Einfluss von Marx, Engels, Liebknecht und Bebel noch in jedem Krieg einen Bürgerkrieg gesehen hätte, in dem die Arbeiter*innen nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hätten, habe eine arbeiter*innenaristokratische Kaste in den führenden Ländern Europas die traditionell pazifistischen Werte verraten und ihren jeweiligen Regierungen die Treue gehalten. Dies habe den Bruch der Kommunisten mit der Sozialdemokratie notwendig gemacht, in der sich die Bolschewiki als die radikalsten Friedenskräfte herausbildeten. In dieser Tradition sehen sich auch heute noch viele Genoss*innen.

Dabei bestand bereits die erste Internationale ihre Feuertaufe – den Deutsch-Französischen Krieg – eher schlecht als recht. In den Briefen von Karl Marx um die Kongresse der Internationalen Arbeiterassoziation zwischen 1868 und 1871 liest man deutlich heraus, dass die Urväter der Arbeiter*innenbewegung schon 50 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg nicht frei von nationalen Ressentiments waren. Die französischen Delegierten warfen den deutschen pangermanische Bestrebungen vor, weil diese gegen einen Eintritt Großbritanniens gegen die preußische Expansion votierten. Die Engländer wiederum warfen den Russen vor, vom Krieg zu profitieren und die deutsche Emigration in Amerika spaltete sich in Nationalisten und Internationalisten. Zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Differenzen zwischen marxistischen Sozialdemokraten und Anarchisten leitete dieser Streit den Anfang vom Ende des ersten Versuchs einer internationalen Arbeiter*innenorganisation ein.

Der Streit um die Haltung der Linken zum Krieg ist also so alt wie die Arbeiter*innenbewegung selbst. Marcello Musto fasste in der Critical Sociology die Haltung der Linken zum Krieg in der Geschichte zusammen.

Die erste Internationale und der Krieg

Weder Marx noch Engels haben eine systematische Analyse oder politische Strategie zum Umgang der Arbeiter*innenbewegung mit dem Krieg vorgelegt. Dabei schwebte Marx keineswegs über den Parteien, sondern beobachtete als Journalist sehr genau die jeweiligen Entwicklungen und legte sich entsprechend der konkreten Situationen fest. Die einzige Konstante schien seine Abneigung gegen das zaristische Russland zu sein, dass er als größten Parteigänger der Konterrevolution ansah. Engels sah zwar den Patriotismus und Nationalchauvinismus als Hemmschuhe des Klassenbewusstseins an, aber auch seine kriegspolitischen Erwägungen beschränkten sich auf die Zeit des Sozialismus, wenn die stehenden Heere abgeschafft würden. Diese seien mehr der Schutz der herrschenden Klassen vor dem Proletariat als innerem Feind als vor einem äußeren.

Der deutsch-französische Krieg zeigte sich als erste Bewährungsprobe. In Deutschland stimmten die sozialdemokratischen Führer Wilhelm Liebknecht und August Bebel 1870 im preußischen Parlament gegen die Kriegskredite und wurden für ihr Wahlverhalten wegen Hochverrats zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. International diskutierte man insbesondere, ob sich die erste Internationale für eine Intervention Großbritanniens zu Gunsten Frankreichs aussprechen solle, was mehrheitlich abgelehnt wurde. Die Pariser Commune spielte auch deshalb eine so zentrale Rolle im späteren Selbstverständnis des marxistischen Flügels, weil ihre Gründung und die Niederschlagung durch deutsche und französische Truppen, der unausgegoren Kriegsstrategie im Nachhinein zu ein wenig Geltung verhalfen.

Die zweite Internationale und der Krieg

In der zweiten Internationale nahm der Krieg eine wesentlich zentralere Rolle ein. Nachdem die erstarkende Arbeiter*innenbewegung wenigstens grundlegende Verbesserungen erreichen konnte, war der Krieg nicht mehr nur Fanal der Revolution, sondern auch Bedrohung für das mitunter nunmehr lebenswerte Leben der Arbeiter*innen. Auf dem Stuttgarter Kongress 1907 wurde ein internationaler Gerichtshof zur Beilegung internationaler Streitigkeiten vorgeschlagen und die Mitgliedsparteien zu einer Abrüstungspolitik verpflichtet. Der Generalstreik gegen den Krieg hingegen wurde als zu radikal abgelehnt und nur ein von Luxemburg, Lenin und Martov eingebrachter Zusatz zur revolutionären proletarischen Aktion im Falle eines Krieges angenommen. Dieser geradezu bürgerliche Ansatz zur Konfliktlösung warf die Schatten auf den Zusammenbruch des proletarischen Internationalismus voraus. Es waren die radikalen Kräfte wie Lenin oder Luxemburg, in Ansätzen auch moderate Kräfte wie Hilferding, die systematisch die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Frieden herausarbeiteten. Die britischen, französischen, deutschen und alle anderen Sozialdemokrat*innen, die russischen ausgenommen, stellten sich zu Beginn des Krieges hinter ihre jeweiligen Regierungen. Jede Fraktion sah die eigene Nation in einer Verteidigungssituation, die anderen als belehrungsresistente Aggressoren. Die verbliebenen antimilitaristischen Genoss*innen trafen sich zu den Konferenzen von Zimmerwald (1915) und Kienthal (1916), bei denen die Illusionen eines bürgerlichen Pazifismus verworfen und die Umwandlung des Weltkrieges in einen revolutionären Bürgerkrieg beschworen wurde.

Während die Spaltung der Sozialdemokratie über den Ersten Weltkrieg weitgehend bekannt ist, ist die Spaltung der anarchistischen Bewegung über die gleiche Frage vielfach in Vergessenheit geraten. Peter Kropotkin, einer der Gründungsväter des Rätekommunismus, sah es als zivilisatorische Pflicht eines jeden Menschen an, die preußische Aggression in Westeuropa zu stoppen. Im Manifest der Sechzehn sprachen sich eine solche Anzahl an führenden Köpfen der anarchistischen Bewegung für die Unterstützung des Sieges der Entente aus. Der Sieg der französischen Republik und britischen Liberalismus über den preußischen Militarismus sei der Sieg des geringeren Übels. Auf der anderen Seite stand etwa der Italiener Errico Malatesta, dessen Manifest gegen den Krieg 1915 von Vertreter*innen der anarchistischen Internationale angenommen wurde, unter anderem Emma Goldman und Alexander Berkman. Sie sahen die Wurzel des Krieges im Staate begründet und befürchteten im Falle eines alliierten Sieges einen Ausbruch des nationalistischen Chauvinismus, welcher dem deutschen in nichts nach stehen würde.

Nicht zuletzt spaltete sich auch die Frauenbewegung über die Frage des Krieges. Während die bürgerlich dominierten Suffragetten einen Burgfrieden mit der Regierung schlossen, für den sie 1918 mit einem bedingten Wahlrecht belohnt wurden – und teilweise sogar das Recht auf Einberufung für Frauen forderten-, sah die sozialistische Frauenbewegung den Krieg als einen neuen Ausdruck des Patriarchats an. Während die bürgerlichen Frauen den steigenden Einfluss in der Gesellschaft durch den Wegfall männlicher Arbeitskräfte und Leitungsfunktionen genossen, waren die Arbeiterinnen diejenigen, die am meisten unter den Teuerungen des Krieges zu leiden hatten. Der Aufstand der Petersburger Frauen am 8. Mai 1917 (nach gregorianischem Kalender) steht bis heute als Weltfrauentag in den Kalendern.

Die dritte Internationale und der Krieg

Im Ersten Weltkrieg gelang es jedoch nur einer Partei, den Krieg in einer revolutionären Bürgerkrieg umzuwandeln: den Bolschewiki. Während die sozialdemokratischen Parteien ihren Burgfrieden mit den bürgerlichen Regierungen zur Abwehr eines kommunistischen Umsturzes verlängerten, sahen die linksradikalen Kräfte in der Gewalt ein probates Mittel, um das Momentum einer kampferprobten Arbeiter*innenklasse, die Vorbildwirkung der Sowjets und die Disziplinierung der Kommunistischen Parteien zu nutzen. Bis zum Anfang der 20er Jahre forcierte man den Bürgerkrieg, der jedoch in allen zentraleuropäischen Ländern nicht in eine Revolution umkippen wollte. In Italien wurde die militante sozialistische Bewegung durch den Faschismus bekämpft, in Deutschland durch die SPD und die Freikorps. Als sich die Zwecklosigkeit dieser Unterfangen abzeichnete und die Sowjetunion nach dem blutigen Kampf gegen die Weißgardisten mit dem friedlichen Aufbau zu beginnen versuchte, trat die kommunistische Bewegung in eine Phase des taktischen Pazifismus über. Die Komintern versuchte, anstatt Umsturzversuche zu finanzieren, die Anerkennung für die Sowjetunion im Ausland zu bewirken. Die KPD unterstützte beispielsweise die Aufführung von „Im Westen nichts Neues“ und als sich der Faschismus auch in den Ländern außerhalb Italiens auszubreiten begann, suchte man verstärkt die Einheitsfronten mit den Reformisten. In dieser allgemeinen Stimmung fand Trotzkis Theorie der permanenten Revolution keinen Widerhall und die Mehrheit der Bolschewiki wandte sich zum Beispiel gegen eine Eskalation in der China-Frage.

Mitte der Dreißiger Jahre wendete sich das Blatt erneut. Die friedliche Entwicklung kommunistischer Ideen in China erwies sich als Trugschluss und endete an blutigen Massakern an CCP-Kadern. In Deutschland übertrugen die bürgerlichen Kräfte Hitler und der NSDAP die Macht, die ganz offen den Vernichtungskrieg im Osten anvisierte. Und in Spanien musste die bürgerliche Republik durch linke Milizen gegen eine faschistischen Umsturz verteidigt werden; jedoch ohne Erfolg. Die Arbeit der Kommunist*innen wurde zunehmend illegalisiert und auch die Sozialdemokratie befand sich in ganz Europa unter Druck. Die Versuche der Sowjetunion, einen Pakt mit den bürgerlichen Demokratien gegen einen faschistischen Angriff zu schmieden, scheiterten spätesten mit dem Münchener Abkommen. Illegalität, Sabotagetätigkeit, Milizkampf schlugen mit dem Einmarsch Deutschlands in der Sowjetunion in Partisanenkrieg und freiwillige Verpflichtung in der Roten Armee um. In der Sowjetunion wurde nationalistische Symboliken wiederbelebt, um Partikularinteressen der einzelnen Völker den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Krieg wurde zu einem gerechten Krieg, einem patriotischen Krieg, einem Überlebenskampf der Linken und der slawischen Völker.

Die zweite Spaltung der Linken über den Krieg

Der Sieg der Sowjetunion über Deutschland und die Niederlage Japans stellten die Situation ein vorläufig vorletztes Mal auf den Kopf. Die UdSSR schuf einen Ring von sozialistischen Staaten um sich, welche in der Regel nicht oder nicht lange von der Mehrheitsbevölkerung aktiv getragen wurden. In China brach der Bürgerkrieg erneut aus und endete mit dem Sieg der Truppen Maos. Der Sozialismus hatte sich um ein großes Stück ausgeweitet. Demgegenüber blieb der bürgerliche Westen nicht untätig. Man unterstützte die faschistischen, anti-kommunistischen Kräfte in Griechenland, beschloss die Doktrin der Eindämmung des Kommunismus und gründete zu diesem Zweck das NATO-Bündnis.

Diese neue Situation einer Block-Konfrontation sollte in der Folge die kommunistische Bewegung noch einmal teilen. Während der Sowjetunion nach der Politik der verbrannten Erde der Wehrmacht am friedlichen Wiederaufbau mehr gelegen war als an einer neuen gewaltsamen Konfrontation, entfachte der Sieg der chinesischen Kommunist*innen zuerst in Asien und später in Afrika und Südamerika die Flamme des Antikolonialismus, dessen treuester Verbündeter bislang die kommunistische Weltbewegung gewesen war. Der Maoismus postulierte antikoloniale Volkskriege, deren heroischer Impetus auch auf die westliche Jugend großen Einfluss ausüben sollte. In Korea, Vietnam oder auf Kuba kämpften Bündnisse aus proletarischen, bäuerlichen und (klein)bürgerlichen Klassen gegen die USA und ihre lokalen Marionetten. In vielen anderen Ländern des Trikonts bildeten sich Guerilla-Armeen. Militante Gruppen in Europa konnten im Wesentlichen jedoch keinen Erfolg in den Massen erzielen konnten.

Die Sowjetunion verhielt sich in der Regel so passiv wie möglich und selbst dieses vorsichtige Vorgehen wurde zum Beispiel in der Kubakrise mit scharfen Reaktionen des Westen attackiert. Während Krushchev auf der einen Seite die Parole der „friedlichen Koexistenz“ ausgab, versuchte man andererseits die antikoloniale Bewegung durch Hilfeleistungen zu unterstützen. Kritik musste man sich wegen der militärischen Interventionen in 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR gefallen lassen. Dennoch bildete diese außenpolitische Passivität die Grundlage des Engagements der sowjetnahen Kommunist*innen in der sich formierenden Friedensbewegung. In dieser fanden sie einen Anknüpfungspunkt an Intellektuelle, die wachsende studierende Jugend, Teile der linken Sozialdemokratie und die sich formierende junge Umweltbewegung. Diese Strategie lebt in Teilen der Linkspartei und der DKP bis heute fort, auch wenn die eigentliche Ursache, der Schutz der Sowjetunion bereits verschwunden ist. Denn letztlich scheiterte die UdSSR an ihrem einzigen militärischen Abenteuer, dem Einsatz in Afghanistan, der sich wie ein Brandbeschleuniger auf die Erosionsprozesse der Sowjetunion auswirkte.

Die Linke nach dem Kalten Krieg

Mit dem Wegfall des Ostblocks wurde jedoch keine Epoche des Friedens eingeläutet. Die USA führten zahlreiche Weltordnungskriege (z.B. im Irak 2002) und auch Juniorpartner wie Deutschland griffen zunehmend aktiver in die Geopolitik ein. Zeitgleich zeichnete sich eine mal schnelle, mal langsame Niederlage der Guerillabewegungen ab, die bis heute nicht vollständig verschwunden, aber zumeist entideologisiert oder national integriert worden sind. In Anbetracht der kurz- und mittelfristigen Aussichtslosigkeit bewaffneter Aufstände in in allen Teilen der Welt wurde der Pazifismus in der linken Bewegung auch weniger taktisch und mehr prinzipiell. Die Ablehnung westlicher Interventionskriege bildete ein Klammer um weite Teile der Linken.

Die neue Qualität der Invasion Russlands in der Ukraine ist, dass dieser Krieg eine Herausforderung für die Weltordnungsstrategie des Westens ist anstatt dessen Instrument. Die Linke steht vor drei Optionen: Unterstützung der Ukraine als angegriffener souveräner Staat, Unterstützung Russlands als Herausforderung der unipolaren Weltordnung der kapitalistischen Großmächte oder proletarische Äquidistanz gegen NATO und Russland. Die Bewertung erfolgt in den einzelnen Teilen der Linken entlang der Muster nach 1945. Während die Maoist*innen in der Regel Russland als imperialistische Macht geißeln und Abwehr fordern, wie sie auch alle Kämpfe um die Souveränität des Trikonts unterstützt haben, betonen orthodox-kommunistische Kräfte die zahlreichen Ausgleichsbemühungen Russlands im Vorfeld des Krieges. Die Sozialdemokratie stellt sich erneut auf den Standpunkt der herrschenden Klasse und ihrer außenpolitischen Bündnisse. Anarchist*innen und Feminist*innen erwägen mehrheitlich wie 1914 die Parteinahme für den vermeintlich progressiveren Kontrahenten.

Zusammenfassung

Der Überblick von Marcello Musto zeigt: Die Linke hat sich in Kriegszeiten nie hinter Parolen wie „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ oder der Forderung nach einer revolutionären Überwindung des Krieges versteckt. Vielmehr hat sie ein zumeist taktisches Verhältnis eingenommen und sich an Bedingungen und Möglichkeiten orientiert. Ein prinzipieller Pazifismus ist eigentlich ein recht neues Phänomen, dass im allseitigen Sieg des Weltkapitalismus begründet liegt. Bereits Lenin argumentierte in „Sozialismus und Krieg“, dass der Unterschied des dialektischem Materialismus und bürgerlichem oder anarchistischem Pazifismus die konkrete historische Analyse jedes einzelnen Krieges sei: „Es hat in der Geschichte manche Kriege gegeben, die trotz aller Greuel, Bestialitäten, Leiden und Qualen, die mit jedem Krieg unvermeidlich verknüpft sind, fortschrittlich waren, d.h. der Entwicklung der Menschheit Nutzen brachten, da sie halfen, besonders schädliche und reaktionäre Einrichtungen (z.B. den Absolutismus oder die Leibeigenschaft) und die barbarischsten Despotien Europas (die türkische und die russische) zu untergraben.“ (LW 22, S.251) Und Simone Weil stellte 1933 in ihren „Reflexionen zum Krieg“ zur Disposition, ob der revolutionäre Krieg überhaupt zur Durchsetzung einer gerechteren Gesellschaft tauge oder nicht vielmehr der Sargnagel emanzipatorischer Entwicklung sei.

Die Lektion, die sich also lernen ließe, ist, dass sich auf die Haltung der Linken zum Krieg kein allgemeines Schema aufsetzen lässt. Und das führt in ein Dilemma. Wenn jeder Krieg individuell untersucht werden muss, sind nicht nur Interpretationsstreitigkeiten innerhalb der Bewegung unvermeidbar, deren Klärung erst am Ende des Forschungsprozesses stehen kann. Der Forschungsprozess selbst wiederum benötigt Zeit, welche die Linke nicht hat, da der Krieg schnell Tatsachen schafft. Eine Konsolidierungsphase ist notwendig, wenn die Analyse nicht den Gegenstand verfehlen soll. Wenn die Linke also gerade zerstritten ist, sollte man dies nicht als Mangel, sondern lebendige Praxis auffassen. Einig sein muss sie sich jedoch in der Abwehr von Nationalismus und arbeiter*innenfeindlicher Kriegspolitik. Wenn sie den Spagat zwischen gemeinsamer Abwehr des Kriegschauvinismus und zielorientierter Debatte bewältigt, kann sie aus dem Krieg gestärkt hervorgehen oder einen Beitrag zu dessen Ende leisten.

Literatur:

Musto, M. (2023): War and the Left: Considerations on a Chequered History. In: Critical Sociology. Jahrgang 49. Ausgabe 3. S.515–527.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert