⋄ Die Einmischung von Elon Musk in den bundesdeutschen Wahlkampf hat die Rede von einem Neofeudalismus der großen Plattformbetreiber wieder aktuell gemacht. ⋄ Erst vor zwei Jahren skizzierte auch der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis sein Konzept eines Technofeudalismus, in dem eine Klasse von Cloudkapitalisten von Renten lebten, die den Profiten übergeordnet seien. ⋄ Der chinesische Autor Jinqi Yan wendet ein, dass die durch den Technofeudalismus beschriebenen Phänomene viel besser durch den Monopolkapitalismus erklärt werden können. ⋄ Er schildert, dass das Kapital zur Krisenbewältigung schon immer neue Räume schaffen musste und dass dieser digitale Raum nur einer davon ist. ⋄ Von einem neuen Feudalismus könne nicht die Rede sein, da u.a. im Grundbesitz schon immer Reste der Feudalgesellschaft erhalten geblieben seien. |

Das Interview von Elon Musk mit Alice Weidel auf X hat im Vorfeld der Bundestagswahl für einigen Trubel gesorgt. Letztendlich war es sehr anbiedernd, langweilig und teilweise auch grotesk. Man denke nur an die Behauptung, Hitler sei eigentlich Kommunist gewesen. Dennoch hat viele überrascht, welche Aufmerksamkeit der reichste Mann der Welt der AfD zuteil werden lässt. Welche Rolle Musk genau in der Trump-Administration einnehmen wird, ist noch ungewiss. Mit seinem Anarcholiberalismus sticht er jedenfalls aus den Reihen des amerikanischen Monopolkapitals heraus. Manche wähnen in ihm bereits einen neuen Feudalherren, einen Fürsten, dessen Privatmeinung längst die traditionellen ideologischen Instrumente des Monopolkapitals abgelöst hat. Dieser merkwürdige Bezug zum Feudalismus wird dabei sehr breit geteilt. Sowohl Al Jazeera als auch Jacobin, die Zeit wie der Cicero bedienen sich dieser historischen Analogie. Yanis Varoufakis hat sogar ein ganzes Buch über den vermeintlich aufziehenden Technofeudalismus herausgebracht.
Der chinesische Autor Jinqi Yan ist skeptisch. In Anlehnung an Rosa Luxemburg, Lenin und David Harvey erklärt er, warum keinesfalls eine neue Produktionsweise den Kapitalismus abgelöst habe und wie mit Hilfe der Begriffe des Monopolkapitals und der ursprünglichen Akkumulation die festgestellten Phänomene begrifflich sauberer zu fassen sind.
Die Theorie des Technofeudalismus
Tatsächlich wurde die Theorie des Technofeudalismus in den letzten fünf Jahren in der marxistischen Linken sehr wohlwollend aufgenommen. Nicht nur Yanis Varoufakis bediente sich dieser Analyse, sondern auch Cédric Durand, Jodi Dean, Evgeny Morozov, Slavoj Žižek und Mariana Mazzucato. Im wesentlichen geht es hier um eine zentrale These: Dass die Renteninteressen einer Cloudisten-Klasse die Profitinteressen der industriellen Kapitalistenklasse ersetzt haben. Um sich eine genaue Vorstellung von dem Wirkprinzip des Technofeudalismus zu machen, kann man sich folgende schematische Darstellung von Varoufakis zur Hand nehmen:

Zunächst einmal gibt es hier einen klassischen kapitalistischen Sektor. Mit Kapital werden Produktionsmittel und Arbeitskraft gekauft und der im Produktionsprozess erzeugte Mehrwert wird in Profite, Grundrenten und Zinsen an das Finanzkapital aufgespalten. So weit, so wenig neues. Nun postuliert Varoufakis aber eine darüber hinausgreifende Struktur. Über der ganzen industriellen Produktionsweise stehe ein Reich der Clouds, dessen Zugang von wenigen Cloudalisten monopolisiert ist. Dieses Cloudkapital bediene sich nicht nur einer Vielzahl unbezahlter Leibeigener, die von gewöhnlichen Proletariern, die ihre Freizeit in den sozialen Netzwerken verbringen, bis hin zu kleinbürgerlichen Content Creatorn reicht, die allesamt mehr oder weniger entgeltlos für das Cloudkapital arbeiten und einzig durch ihren Zugang zu diesem vergolten werden. Damit das industrielle Kapital Zugang erhält, muss es eine gesonderte Cloudrente zahlen, die zum einen hilft, die Bedürfnisse der Werktätigen so zu steuern, dass sie zu den produzierten Waren passen und auf der anderen Seite Produktions- und Zirkulationsprozesse soweit zu beschleunigen, dass das Kapital häufiger umschlägt. Insbesondere sorgt das Cloudkapital dafür, dass es sich selbst reproduziert und macht daher zunehmend alle Sphären der Ökonomie von sich abhängig.
Die Kritik an diesem Schema ist weniger, dass die einzelnen Zusammenhänge falsch dargestellt werden, sondern die Überordnung des Cloudkapitals über die industrielle Kapitalistenklasse. Schließlich ließe sich das Cloudkapital unter Beibehaltung aller Charakteristika auch der Zirkulationssphäre bzw. dem Handelskapital zuordnen. Dann würde die der Charakter einer über der Einheit von Produktion, Zirkulation und gesamtgesellschaftlichen Reproduktion stehenden Sphäre verschwinden. Um allerdings hier eine Entscheidung zu treffen, muss ein Blick in die Genese geworfen werden.
Krisenbewältigung durch das Kapital
Die Voraussetzung dafür, dass die kapitalistische Produktionsweise durch eine neue technofeudalistische ersetzt werden konnte, ist zunächst, dass die alte Produktionsweise in eine Krise geraten wäre und alle Produktivkräfte soweit entwickelt waren, dass eine Reorganisation keinen Krisenbewältigungsmechanismus mehr darstellt. Wie aber bereits Lefebvre festgestellt hat, lässt sich aus dem Kapital heraus nicht nur eine Krisentheorie formulieren, sondern noch stärker eine Krisenbewältigungstheorie des Kapitals.
Nach Rosa Luxemburg konnte das Kapital seine ersten großen Überakkumulationskrisen durch geographische Ausdehnung und ursprüngliche Akkumulation in bisher nicht-kapitalistischen Weltregionen beheben; sprich durch den modernen Kolonialismus. Als zweiten Modus fand sie die innere ursprüngliche Akkumulation; also die Kommodifizierung von Lebensbereichen, die zuvor nicht der Profitlogik unterworfen waren. Lenin beschrieb in seiner Imperialismus-Schrift zwei weitere: Erstens die Erwirtschaftung von Surplusprofiten durch konzentriertes Kapital in Form des Monopolkapitals. Und zweitens die Verschiebung der Realisierung des Mehrwerts in die Zukunft durch die Verschmelzung mit dem Bankkapital.
Die Frage ist aber nun: Wenn sich der Kapitalismus nach innen und nach außen vollständig entwickelt hat; durch Monopolkonzerne Surplusprofite aus aller Welt abschöpfen kann und sich auch noch die Ebene der Zeit angeeignet hat … was bleibt als neuer Krisenbewältigungsmechanismus über?
Räume schaffen, um sie zu besetzen
Wenn es keine neuen Räume, zur kapitalistischen Einhegung mehr gibt … dann kann sich das Kapital noch immer welche schaffen. Auch Lefebvre argumentierte ähnlich mit Blick auf die französische Mittelmeerküste. Erst wurden hier nach der französischen Revolution die Schollen aufgelöst und konnten fortan vom besitzenden Bürgertum angeeignet werden. Nachdem das landwirtschaftliche, industrielle und Handelspotential der Region ausgeschöpft war, konnte die Bourgeoisie durch die Ausgestaltung des Raums Tourismus neue Verwertungsmöglichkeiten schaffen. Der Raum darf dabei nicht rein geographisch verstanden werden, sondern als jede Art von Sphäre, die sich prinzipiell der Kapitallogik unterwerfen lässt. Ein anderer Raum, der zur Krisenbewältigung geschaffen wurde, ist der staatliche Raum. Dass ideelle Gesamtkapitalisten in Krisenzeiten Schulden aufnehmen, um in strategische Bereiche zu investieren, ist ja keineswegs naturwüchsig so, sondern wurde seit der Popularisierung des Keynesianismus vom Monopolkapital auch immer phasenweise gefordert.
Und ein solcher Raum ist eben auch der digitale. Mit der Entstehung des Internets, einer Heimcomputerstruktur und der Schaffung eines entsprechenden Angebots wurde der Raum geschaffen, den heute die „Cloudisten“ besetzen. Dieser Raum war dabei nie immateriell. Kabel mussten verlegt, Satelliten ins All geschossen, Smartphones und PCS produziert und hergestellt, Serverparks errichtet und Programme geschrieben werden. Die Vorstellung, dass der digitale Raum einst eine Allmende war, ist schon immer recht kurzsichtig gewesen. Man erinnere sich nur daran, wie viel Geld man noch um die Jahrtausendwende für ein übertragenes Magebyte aufwenden musste. Damit geht einher, dass die gesamte Infrastruktur der modernen digitalen Welt ebenfalls schon immer fest mit dem Industriekapital verbunden war. Microsoft, IBM, Apple, Samsung oder die chinesische Tech-Giganten konnten immer riesige Profite, Surplusprofite und Monopolrenten einstreichen. Die heutigen Monopolisierungstendenzen des Handels lassen sich daher genauso gut durch die Verschmelzung von Handels- und Industriekapital beschreiben. Allein bei Meta gehören Investmentgruppen wie Vanguard oder Blackrock mehr Anteile als Zuckerberg, auch wenn dieser als Vorstandsvorsitzender wesentlich das operative Geschäft bestimmt und das Unternehmen nach außen repräsentiert. Ein Pfeil vom Cloudkapital zum Finanzkapital fehlt aber in Varoufakis’ Modell.
Daneben gibt es noch den Raum der intellektuellen Eigentumsrechte. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war Wissen meist mit materiellen Zugangsbeschränkungen verbunden. Bücher und Schallplatten mussten gekauft werden, um die entsprechenden Inhalte konsumieren zu können. Mit der verbesserten Reproduzierbarkeit von Daten ist die technische Schranke zunehmend weggefallen und die juristische Schranke ist seitdem maßgebliches Instrument der Trennung der Menschen von den Mitteln ihrer (geistigen) Reproduktion. Allerdings ergibt sich auch hier ein große Abhängigkeit der Cloudisten von staatlichen Institutionen, auf die wiederum das industrielle Monopolkapital noch immer den dominanten Einfluss ausübt.
Auf das Narrativ kommt es an
Wenn nun allerdings viele kluge Köpfe wie Morozov, Dean oder Varoufakis einen Gewinn im Begriff des Technofeudalismus sehen, kann eigentlich nicht nichts dran sein. Und dafür argumentiert auch Jinqi Yan. Anstatt das Konzept per se zu verwerfen, macht er sich lieber für eine passende Epistemologie stark. Denn zumindest in der Frage der Rechtsungleichheit, welche die Grundlage des historischen Feudalismus war oder auch nur in der Frage des Zugangs zu den Rechtsinstanzen, liegt kein feudales Abhängigkeitsverhältnis vor. Und während der Feudalismus sich aus der produktiven Sphäre speiste, die Herren erhielten ja einen Teil der landwirtschaftlichen Produkte und Arbeitsleistung, öffnen die digitalen Räume zumeist den Zugang zu speziellen Bereichen der Zirkulationssphäre. Der Zugang ist nur so eng und regulierbar, dass er stark von den persönlichen Interessen einzelner Kapitalisten beeinflusst werden kann. Aber wie ergibt die Rede eines Technofeudalismus doch Sinn?
Nach Yan verhält es sich so, dass feudale Strukturen schon immer den Übergang zum Kapitalismus als dominanter Produktionsweise überlebt haben. Dass überhaupt Boden, der weder das Produkt eigener noch angeeigneter Arbeit ist, überhaupt monopolisiert werden kann, ist ja ein Überrest der Feudalgesellschaft. Und noch bis 1945 hatten die ostdeutschen Junker einen erheblichen gesellschaftlichen Einfluss, auch wenn die Mittel damals noch nicht die digitaler Plattformen waren. Der Zins als Preis der Ware Geldkapital und die Grundrente als Preis des Bodens waren schon immer juristische Anspruchstitel, die nie allein in der kapitalistischen Produktionsweise aufgingen.
Was Cloudkapitalisten wirklich so mächtig macht, ist, dass sie an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Sphären sitzen. Einmal zwischen dem Individuum und der Gesellschaft und zum anderen zwischen der Produktions- und Konsumtionssphäre. Hier können die Kapitalisten einen erheblichen Einfluss ausüben, aber weniger im Sinne einer Überordnung der Renten über die Profite, sondern eher durch die Gestaltung des Akkumulationsregimes. In diesem Sinn kann von einem Technofeudalismus in dem Sinne gesprochen werden, in dem feudalähnliche Elemente heute über den Zugang zu digitalen Plattformen vermittelt werden.
Am Ende siegt die trinitarische Formel
Aber einem Gesetz unterliegt letztendlich auch die Cloudrente: ihre Höhe bemisst sich entsprechend der Marxschen Ausführungen zur Differentialrente an den Kosten der alternativen Produktions- bzw. Zirkulationsmethode. Senkt etwa der Zugang zu einer Plattform die Höhe der Zirkulationskosten oder erhöht die Jahresprofite durch Verringerung der Umschlagszeit, wird ein Kapitalist nur so viel Rente bezahlen, bis der positive Effekt höchstens ausgeglichen ist. Dass Produkte heute gänzlich unverkäuflich sind, wenn ein Kapitalist keine Werbung auf twitter, facebook, instagram oder google schalten kann; soweit sind wir noch lange nicht.
Aber selbst gesetzt den Fall, die Monopolstellung der Cloudkapitalisten übe eine derartige Erpressungsmacht aus, dass die Industriekapitalisten jeden Preis für den Zugang zu Plattformen bezahlen müssten. Dann stiegen die allgemeinen Verbraucherpreise, was zum einen wieder die Profite der Cloudkapitalisten beeinträchtigt und die eigenen Lohnkosten erhöht. Denn entgegen der These von Varoufakis kommen digitale Plattformen nicht ohne bezahlte Arbeit aus. Die Ausarbeitung und Überarbeitung von Programmcodes, die Einrichtung der Serverstruktur, die Bereitstellung der Energie, die Verwaltung; alles sind Lohnarbeitsprozesse, die von Millionen Arbeiter*innen in aller Welt durchgeführt werden. Microsoft und Google verbrauchen zusammen bereits mehr Energie als etwa Jordanien. Die Vorstellung, digitale Infrastruktur sei braches Land ist falsch; sie ist bearbeiteter Raum. Und damit entkräftet sich jedoch die Hauptthese von Varoufakis, nämlich, dass die Renten durch Enteignung des industriellen Kapitals die Profitlogik abgelöst hätte.
Zusammenfassung
Folgt man Yan, treffen verschiedene Befunde der Vertreter*innen der Technofeudalismus zwar zu, es kann aber nicht von einer neuen ökonomischen Ordnung in dem Sinne gesprochen werden, dass die Industrieprofite absolut den Cloudrenten untergeordnet würden. Das vernachlässigt erstens, dass der Rente immer die Ausbeutung im Produktionsprozess vorangehen muss und jede Beeinträchtigung des Verwertungsprozesses durch übermäßige Cloudrenten am Ast sägt, auf dem das Cloudkapital sitzt. Zweitens vernachlässigt es, dass der digitale Raum durchaus ein Produkt menschlicher Arbeit ist und keine unbeackerter Boden. Und drittens zeigt sich die Argumentation über den Monopolkapitalansatz als deutlich stichhaltiger als die Analogie zum Feudalismus.
Elon Musk mag zwar ein sehr extrovertierter Vertreter der Bourgeoisie sein, doch auch seine Macht wäre weit begrenzter, wenn er nicht den engen Draht zu Donald Trump hätte. Und dieser wiederum hätte die Wahl zum US-Präsidenten nicht derart deutlich gewonnen, wenn er nicht auch die wichtigsten Fraktionen des Monopolkapitals mit vertreten würde. Und die freuen sich über die vergangenen Finanzspritzen durch die Bidenomics und die zukünftige Aussicht auf geringere Steuern und billigere Arbeitskraft gleichermaßen. Musk ist nur der Advocatus Diaboli und nicht der Steuermann.
Literatur:
Yan, J. (2024): Techno-Feudalism as Primitive Accumulation: A Marxist Perspective on Digital Capitalism. In: Critical Sociology. Online First. DOI: 10.1177/08969205241302838.