Ökologisch ungleicher Tausch? Eine Diskussion

⋄ Im Kapitalismus strömen die Bodenschätze von der kapitalistischen Peripherie in die Zentren, während der Müll den umgekehrten Weg nimmt.

⋄ Alf Hornborg versuchte in der Tradition mehrerer Wissenschaftler*innen durch das Prinzip des ökologisch ungleichen Tausch diesen Umstand in die marxistische Theorie einzubetten.

⋄ Gebrauchswert sei als Energieinhalt messbar. Der Tauschwert werde in Geld gemessen. Der Unterschied aus beidem führe zu struktureller Ungleichheit.

⋄ Hornborg sieht sein Konzept als materialistisch an, auch wenn er die Marxsche Arbeitswerttheorie entsorgen musste.

⋄ Peter Sommerville wirft Hornborg ein tiefgreifendes Missverständnis von Ausbeutung, Kapitalismus und Materialismus vor.

Wer ein Bild der Erde bei Nacht ansieht, sieht ein Stück politische Ökonomie. In den imperialistischen strahlen die Lichter. In den Regionen, in denen Öl, Kohle und andere Bodenschätze lagern, ist es dunkel. Die Ressourcen wandern vom globalen Süden in den Norden. Der Müll nimmt den entgegengesetztem Weg. Eine zeitgemäße politische Ökonomie des Imperialismus muss dieses Paradox erklären können.

Alf Hornborg hat sich seit nunmehr 30 Jahren mit er Frage beschäftigt, warum ausgerechnet die Herkunftsländer unserer wichtigsten Ressourcen am wenigsten von ihnen profitieren. Gemeinsam mit an deren Wissenschaftlern wie Stephen Bunker, Christian Dorninger oder Andrew Jorgenson entwickelte er die Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs. Dazu musste er jedoch die marxistische Arbeitswertheorie über Bord werfen. Peter Somerville warf ihm daraufhin tiefgreifende theoretische Fehler vor. In der Capitalism Nature Socialism führen die beiden seit nunmehr einem Jahr eine Diskussion über die ökologische Dimension des Imperialismus.

Hornborgs ökologisch ungleicher Tausch

Alf Hornborg geht davon aus, dass die politische Ökonomie von Karl Marx daran kranke, dass sie keine konsistente Theorie der Bedeutung natürlicher Ressourcen formulieren könne. So habe Marx allein die Arbeit als Quelle des Mehrwerts betrachtet, während das 20. Jahrhundert zeige, dass Rohstoffe und Energie nicht weniger als Quelle des Mehrwerts angesehen werden müssten. Der Export von Ressourcen aus der kapitalistischen Peripherie zur Steigerung der Produktivität in den kapitalistischen Zentren sei der Kern einer ökologischen Interpretation des imperialistischen Mechanismus. Ähnlich dem Wertfluss von der kapitalistischen Peripherie in die Zentren durch den ungleichen Tausch (näheres hier) gäbe es einen Energiefluss in der gleichen Richtung.

Sein Ansatz ist, dass die Arbeitskraft auf dem Markt einen einen geringeren Preis erziele, als sie eigentlich wert sei; ein Unterschied, der in der Warenförmigkeit der Arbeitskraft und dem Auseinanderfallen von Tausch- und Gebrauchswert begründet liege. Dieser Ansatz ließe sich auch auf natürliche Ressourcen erweitern. Um allerdings eine Differenz zwischen Tausch- und Gebrauchswert messen zu können, müsste man den Gebrauchswert an sich messen können. Hornborgs Vorschlag: Letztendlich sei der Gebrauchswert der Arbeit, also die „Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv“ immer eine Verausgabung von Energie, die Regeneration der Ware Arbeitskraft ein Konsum von Energie. Daher müsste sich eine direkte Beziehung zwischen Energieinhalten und dem Tauschwert ableiten lassen. Wenn dies stimme, sollte es auch eine ähnliche Beziehung zwischen dem Energieinhalt von Rohstoffen und deren Tauschwert geben. Arbeitskraft sei hierbei eben nur eine Form von Energie. Hornborg glaubt, dass man mit diesem Konzept Ökonomie und Physik zusammenbringen könne. Einen entscheidenden Vorteil erhofft sich Hornborg davon, dass sich dadurch der Gebrauchswert quantifizieren lasse, mit dem Tauschwert verglichen und die Differenz als Ausbeutung interpretiert werden kann. Da jede Ware in Gebrauchs- und Tauschwert auseinanderfalle, könne man so auch das Konzept der Ausbeutung auf natürlich Ressourcen übertragen. Ein kleines Beispiel für seinen physikalischen Ansatz: Nach Marx gibt eine Maschine im Laufe ihres Lebens ihren Wert an die hergestellten Waren ab. Hornborg interpretiert dies in Anschluss an Steve Keen so, dass eine Maschine zu Beginn ihrer Arbeitszeit minimale Entropie besitzt, zu deren Herstellung Energie benötigt wurde. Während des Arbeitsprozesses steigt die Entropie der Maschine, während sie Energie an die Waren überträgt. Aber einer bestimmten maximalen Entropie ist die Maschine nicht mehr nutzbar und aus der Entropiedifferenz könne man den Gebrauchswert in der Größe der Energie feststellen. Der globale Handel sei deshalb ungleich, weil nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ein Rohstoff zwar mehr Energieinhalt besäße als eine Maschine, aber der Preis genau das gegenteilige Verhältnis ausdrücke.

Hornborg sagt selbst, dass dieser Ansatz bei Marx noch nicht vorhanden sei, er sich aber aus der Notwendigkeit zu theoretischer Stringenz ergebe. Zusammenfassend hat Horborgs Theorie drei Kernelemente:

1. Arbeit ist nicht die einzige Quelle des Mehrwerts.

2. Der Gebrauchswert könne über den Energieinhalt bestimmt werden.

3. Ausbeutung sei die Differenz zwischen im Marktpreis ausgedrückten Energieinhalt und dem realen.

Kritik von Peter Somerville

Peter Somerville kritisiert zunächst, dass die Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs das Phänomen einer Benachteiligung der kapitalistischen Peripherie nur beschreibe, aber nicht erkläre. Warum sollte denn der globale Süden seine Rohstoffe unter Wert verkaufen und nicht zu ihrem Wert? Hin und wieder hätten direkte militärische Interventionen zwar einen Einfluss. Der Großteil des Handels finde jedoch auf einem weitestgehend freien Markt statt. Dieser Oberflächlichkeit liege ein Missverständnis der Ausbeutung zu Grunde. Ausbeutung sei nicht die Differenz zwischen dem Gebrauchswert der Arbeit und ihrem Tauschwert, sondern die Differenz zwischen dem Wert der benötigten Waren zur Reproduktion der Arbeitskraft und dem Wert der Arbeit selbst. Es wird als Tauschwert mit Tauschwert verglichen. Dass die Löhne in den kapitalistischen Zentren höher sind, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Kosten zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft auf dem lokalen Produktivitätsniveau höher seien. Es entfiele also die Notwendigkeit, den Gebrauchswert durch so etwas wie Energie messen zu müssen und damit ein wesentlicher Pfeiler von Hornborgs Argumentation. Überhaupt sei ein Gebrauchswert nichts, was man messen könne (Wie quantifiziert man den Gebrauchswert eines Stuhls, dass man bequem auf ihm sitzen kann?), noch etwas, das den Energieinhalt widerspiegele (Hat ein gutes Buch mehr Energieinhalt als ein schlechtes?). Auch dürfe der ungleiche Tausch nicht als Unterschied zweier Werte verstanden, sondern beruhe auf dem Marxschen Preisbildungsmechanismus über die Durchschnittsprofitrate. Dieser Mechanismus sei auch nicht der einzige, welcher den Imperialismus ausmache. Man müsse Monopole, Subventionen, Steuerregime und die Verteilung der Produktion der Wertschöpfungsketten mit berücksichtigen. Die Theorie des ökologisch ungleichen Tausches leiste dazu keinen Beitrag.

Alf Hornborg: ein neuer Materialismus

Hornborg antwortet auf die Kritik nun, indem er die grundsätzliche Frage nach dem Materialismus stellt. Wäre eine Theorie, welche den Wert allein aus menschlicher Tätigkeit herleite, nicht subjektivistisch und idealistisch. Müsste eine materialistische Kritik nicht die Eigenschaften der Materie selbst berücksichtigen? Und im Produktionsprozess sei der Mensch eben nicht die einzige Materie, sondern Boden, Rohstoffe und Energie gingen mit ein.

Ein*e Arbeiter*in aus den USA lebe von fast zehnmal mehr Hektar Anbaufläche als ein*e mozambikanische*r Arbeiter*in. Eine Analyse, die also alle Materie mit betrachte, könne sich nicht allein auf die menschliche Arbeitskraft beschränken, sondern müsse ein übergreifendes Konzept wählen und das Konzept der Energie dränge sich auf. Dafür müsse man seinen Blick interdisziplinär weiten, weg von den reinen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, hin zu einem inklusiven Konzept unter Berücksichtigung der Naturwissenschaften. Warum sich nicht den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik bei der Wertrechnung zu Nutze machen?

Peter Somerville: die Realität den Kapitalismus zur Kenntnis nehmen

Somerville zeigt sich sehr erschrocken über die Antwort. Materialismus könne nicht mit Objektivismus gleichgesetzt werden. Die Bestimmung des Werts als gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit sei nicht weniger materialistisch, weil die Bestimmung gesellschaftlich ist. Der Zwang zu Ausbeutung und Profitmacherei sei unter den Bedingungen des Kapitalismus nicht weniger gesetzlich als die Schwerkraft unter der Bedingung der Anwesenheit einer Masse. Der Materialismus von Marx war ein historischer, weil die Gesetze der Ökonomie die einer menschlichen historischen Epoche sind, unabhängig davon ob sie den ganzen Planeten zu Grunde richtet. Der Kapitalismus zeige doch gerade, dass Boden und Energieinhalt keine Werte seien, sondern im Gegenteil nur Mittel zur weiteren Expansion. Die Ableitung aus diesem Widerspruch zwischen Theorie und Empirie, dass dann eben ungleich getauscht würde, beraube den Marxismus seines emanzipatorischen Potentials. Wenn einfach nur noch gleich getauscht werden müsste, brauchte man keine neue Gesellschaftsordnung.

Die Schlussplädoyers

Alf Hornborg macht zuletzt nochmals ein Argument stark. Wert im Sinne einer Preissumme sei eine soziale Konstruktion. Die umstrittene Ansicht, dass Wert der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit entspreche, beruhe auf dem Fetisch, dass Wert ein rein menschliches Produkt sei, obwohl die Bedeutung des Einflusses von Boden und Ressourcen offenkundig sei. Der ungleiche Tausch beruhe auf dem Unterschied zwischen der sozialen Konstruktion Wert und dem physisch-materialistischem Gehalt von Waren. Marx sei ein Pionier gewesen, der die Grundlagen für die Analyse der globalen Ungerechtigkeit gelegt habe. Die letzten vierzig Jahre Forschung hätten ihn aber über sich hinaus getrieben. Wenn schon die bürgerliche Ökonomie alles nur am Geld messe, dann müsse eine heterodoxe Ökonomie sich von diesem Zwang lösen.

Peter Somerville fasst im vorläufig letzten Beitrag seine Position zusammen, dass Ausbeutung keine Frage des Tausches, sondern der Produktion sei. Demnach müsse eine Begründung der globalen Ungerechtigkeit auch in der globalen Produktion gesucht werden. Der Tausch sei schon allein deswegen der ungeeigneteste Ort für Hornborgs Theorie, weil sich die physikalische Eigenschaft von Holz oder Öl während des Tausches überhaupt nicht ändere, sondern erst in der Produktion. Somerville stellt die Frage, wenn denn Energie, Land und Arbeit gegen Geld getauscht würden – ob gleich oder ungleich – wo denn dann überhaupt das vergleichende Dritte liege. Ohne dieses sei jeder Vergleich willkürlich.

Zusammenfassung

There is more than one way to skin a cat … und es gibt mehr als einen Weg, eine Theorie zu kritisieren. Man kann sie intrinsisch kritisieren, in dem man innere Widersprüche aufzeigt oder aber extrinsisch, indem man die komplette Theorie verwirft. Als marxistische Theorie ist Alfred Hornborgs ökologisch ungleicher Tausch nicht haltbar. Sie missversteht die Begriffe Gebrauchswert, Wert und Ausbeutung grundlegend. Sie nimmt die Grundrententheorie überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie versteht den Materialismus objektivistisch und mechanistisch und ist damit als nicht mehr anschlussfähig für den historischen Materialismus. Der Kapitalismus wird nicht mehr als soziales Phänomen verstanden, sondern durch die Rückführung auf Energie naturalisiert. Aber wie soll man etwas überwinden, was ganz natürlich ist? Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, ob eventuell die marxistische Theorie nicht generell als anthropozentrisch und angesichts der Ungleichverteilung von Energieressourcen und Reichtum als überholt zurückgewiesen werden muss. Dazu müsste der ökologisch ungleiche Tausch etwas erklären, was der Marxismus bisher nicht erklären konnte. Und hier liegt Peter Somerville den Finger in die Wunde. Der ökologisch ungleiche Tausch beschreibt nur, was auch ohne ihn schon messbar war, selbst innerhalb der bürgerlichen Ökonomie. Vielmehr sogar. Der ökologisch ungleiche Tausch ist ja nur deshalb ungleich, weil postulierte Werte (Energie) und Preise eben nicht zusammenfielen. Die Ungerechtigkeit der Welt wird aus der Nichtbeobachtbarkeit der Theorie geschlossen. Sommerville argumentiert über die Länge sicherlich alles andere als schlagend, aber in diesem Punkt hat er absolut recht.

Jedoch bieten die offensichtlichen Fehler und Lücken der Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs keinen Anlass zur Häme. Eine solche Theorie konnte nur deshalb Fuß fassen, weil der konventionelle Marxismus in der Tat die globale Ungerechtigkeit und die ungleich verteilten Umweltlasten noch nicht hinreichend gut beschreibt. Dafür muss man vielleicht nicht die ganze Theorie über Bord werfen, aber man hat noch einiges an Weg – analytisch wie empirisch – vor sich.

Literatur:

Hornborg, A. (2019): The Money-Energy-Technology Complex and Ecological Marxism: Rethinking the Concept of “Use-value” to Extend Our Understanding of Unequal Exchange, Part 1. In: Capitalism Nature Socialism. Jahrgang 30. Ausgabe 3. S. 27-39.

Hornborg, A. (2019) The Money–Energy–Technology Complex and Ecological Marxism: Rethinking the Concept of “Use-value” to Extend Our Understanding of Unequal Exchange, Part 2. In: Capitalism Nature Socialism. Jahrgang 30. Ausgabe 4. S.71-86.

Somerville, P. (2022): A Critique of Ecologically Unequal Exchange Theory. In: Capitalism Nature Socialism. Jahrgang 33. Ausgabe 1 S. 66-70.

Hornborg, A. (2022): Ecologically Unequal Exchange Theory as Genuine Materialism: A Response to Somerville. In: Capitalism Nature Socialism, Jahrgang 33. Ausgabe 2. S.79-84.

Somerville, P. (2022): Ecologically Unequal Exchange Theory: A Rejoinder to Hornborg. In: Capitalism Nature Socialism. Jahrgang 33. Ausgabe 3. S.98-100.

Hornborg, A. (2023): Ecologically Unequal Exchange: Disagreements with Somerville. In: Capitalism Nature Socialism. Online First. DOI: 10.1080/10455752.2023.2166551

Somerville, P. (2023): Further Comments on Ecologically Unequal Exchange. In: Capitalism Nature Socialism. Online First. DOI: 10.1080/10455752.2023.2174638




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