Stadt, Land, Wert

Auf dem Dorf gehen die Uhren anders. Heißt das auch, dass es einen anderen Wertbegriff auf dem Land gibt, wenn Wert gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist? Oder lassen sich die Besonderheiten der Agrarökonomie durch Konstrukte wie Grundrente, Differentialrente oder Produktions- und Zirkulationszeiten beschreiben, die bei Marx eigentlich Besonderheiten der Industrieproduktion adressieren sollten? Und was bedeutete das für soziale und politische Klassenformationen? Die aktuelle F – Philosophy, Theory, Models, Methods and Practice sammelte verschiedene Aufsätze, die sich mit Versuchen einer Konzeptionalisierung des Stadt-Land-Dualismus auseinandersetzen.

Weiterlesen

Warum zirkulierte das Huhn (nicht) über die Straße?

Der zweite Band des Kapitals gilt allgemein als schwer verdauliche Kost. Dabei hat die Resultate jeder omnivore Mensch auf dem Teller, wenn er einen Broiler oder Chicken Nuggets verdrückt. Behandelt Marx im Kapital II die Umschlags-, Produktions- und Zirkulationszeit und ihr Einfluss auf die Profitrate in seiner Allgemeinheit sehr ausführlich, so ist das Huhn, dessen Produktionszeit seit dem Zweiten Weltkrieg mehr als halbiert wurde, die fleischgewordene Totalität dieser Zusammenhänge. Aber was passiert, wenn die Zirkulation unterbrochen werden muss, etwa im Falle der allen sehr geläufigen Vogelgrippe H5N1?

Weiterlesen

Im Herbst der nigerianischen Automobilindustrie

In Nigeria versucht man sich bereits seit über 50 Jahren am Projekt des Aufbaus einer nationalen Automobilindustrie. Nach einem kurzen Hype in der Mitte der 2010er Jahre bricht diese aktuell aber wieder ein. Peter Labe Atime & Michael I. Ugwueze führten Interviews mit Vertretern aller größeren nigerianischen Automobilwerke, so wie Vertretern des Arbeitgeberverbandes und des Nationalen Automobilentwicklungsrates. Sie zeichnen ein Bild davon, was es heißt, selbst nicht in der Liga der Imperialisten mitspielen zu können.

Weiterlesen

Back to School: Schlaglichter moderner marxistischer Didaktik

Wie wird man eigentlich Marxist*in? Didaktik ist hier eine nicht unerhebliche Frage, wenn es darum geht, wie kritische Geister einen Einstieg in die recht anspruchsvolle und gegen alle herrschende Ideologie gerichtete Materie des Marxismus bekommen. In der aktuellen Review of Radical Political Economy wurden zwei dutzend Aufsätze zur Didaktik heterodoxer ökonomischer Theorie gesammelt. An dieser Stelle sollen fünf Konzepte vorgestellt werden, die alle Antwort auf die Frage suchen: Marx, warum soll ich mich mit dem noch beschäftigen?

Weiterlesen

Man kann es nicht oft genug messen: die Profitrate fällt

Es ist mal wieder an der Zeit, eine neue Studie zur Entwicklung der allgemeinen Profitrate vorzustellen. Bisher haben alle deutlich gezeigt, dass die Profitrate langfristig gefallen ist. Ozan Mutlu & Lefteris Tsoulfidis haben im aktuellen International Journal of Political Economy die Profitrate mit den vertrauten Daten der OECD gemessen, dabei aber nur die produktive Arbeit als wertbildend gerechnet. Für zwölf Länder haben sie damit seit 1995 wesentliche Größen der Kritik der politischen Ökonomie bestimmt.

Weiterlesen

Brumaire 2.0: Marx zum Amerikanischen Bürgerkrieg

Marxens Texte über den Amerikanischen Bürgerkrieg sind in den letzten Jahren wieder in Mode gekommen. Anders als etwa der Brumaire fallen diese Texte bereits in die Entstehungszeit des Kapitals, sodass Marx die politische Form bereits viel verzahnter mit der politischen Ökonomie analysierte. Matt Shafer stellte in der Political Theory diese Artikel und die Debatte darum vor.

Weiterlesen

Gramsci kam nur bis Tunis

Die 1980er Jahre gelten als der Wendepunkt, ab dem säkulare Regime allmählich durch islamistische Bewegungen herausgefordert und abgelöst wurden. So setzten die von den Moscheen angeführten Brotaufstände in Tunesien 1984 unter Druck, die Erhöhung der Lebensmittelpreise zurückzunehmen. Sowohl die progressiv-islamische als auch die marxistische Intelligenz waren von der Wucht des Aufstands überrascht worden und diskutierten mit Gramscis Konzept des organischen Intellektuellen ihre eigene Rolle. Florian Keller skizzierte die Diskussion in den Interventions am Beispiel der beiden Journale Outruhat und Revue 21/15 nach.

Weiterlesen

Sind informelle Arbeiter*innen in Afrika die neuen schlesischen Weber?

In Afrika formieren sich wieder politische und soziale Bewegungen, die antiimperialistisch ausgerichtet sind und die mit Verstaatlichungen, Preisfestsetzungen oder Lohnerhöhungen die unmittelbaren Interessen der Arbeiter*innen adressieren. Manch einer träum schon von neuen sozialistischen Revolutionen. Aber wer wäre das revolutionäre Subjekt? Die Industriearbeiterschaft ist marginal. Der Großteil arbeitet als formell freie, aber reell unter das Kapital subsummierte Bauern. Dazu kommen hunderte Millionen an Kleinhändlern. Können diese wirklich ein revolutionäres Klassenbewusstsein ausbilden?

Weiterlesen

Weil Klatschen nicht reicht: Deutscher Care-Extraktivismus

Die COVID-Pandemie hat vielen Menschen wieder ins Bewusstsein gerufen, wie wichtig der Gesundheitssektor für die Gesellschaft ist. Dass allerdings der landesweite Applaus nicht reichen würde, wurde schnell kritisch geäußert. Die Arbeitsbedingungen mit Schichtdienst, zu wenigen Stellen pro Patient und eher geringen Löhnen hat dazu geführt, dass der Beruf seit Jahren kaum noch attraktiv für junge Menschen ist. Die Lücke zwischen benötigten Stellen und freien Arbeitskräften wächst beständig. Daher wirbt die Bundesregierung seit mehreren Jahren um ausländische Fachkräfte. Inwiefern es dabei wirklich so etwas, wie ein Ethical Recuitment gibt oder ob die Abwerbung dieser Arbeiter*innen nicht einen Brain Drain von der Peripherie in die Zentren verursacht, erörterten Tine Hanrieder und Leon Janauschek in der Review of International Political Economy.

Weiterlesen