⋄ Am 26. September 2022 wurden Sabotageakte auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2 verübt. ⋄ 2022 veröffentlichte der Autor Andreas Malm ein Buch mit dem prophetischen Titel How to Blow Up a Pipeline. ⋄ Spoiler: Es geht nicht um die Sprengung von Pipelines. ⋄ Malm wendet sich gegen die pazifistische Strategie der Umweltbewegung, sondern fordert auf, klimafeindlichen Privatbesitz zu zerstören. ⋄ Malm verwendet auch einige marxistische Motive, wie Klassenanalyse, Warenfetischismus und Überlegungen zu Basis und Überbau. |
2020 bringt ein schwedischer Autor ein Buch mit dem Titel How to Blow Up a Pipeline heraus. Am 10. September 2022 wird erstmals der gleichnamige Film gezeigt. Nur zwei Wochen später kommt es tatsächlich zu Anschlägen auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2. Kann das Zufall sein? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon. Aber es ist dennoch gutes Meme-Material für Photoshops, wie nach Gusto Biden, Putin oder Scholz mit dem Buch in der Hand dasitzen.
Der Autor des Buches heißt Andreas Malm. Die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi nannte den Autoren Malm „eine prominente Stimme eines erneuerten ökologischen Marxismus“, wie der Freitag zu berichten weiß. Daher sind Autor, Filmpremiere und der hellseherische Titel Grund genug, mal einen Blick ins Buch zu werfen. Wer ist der Autor? Was steht drin? Argumentiert es wirklich marxistisch? Und lernt man tatsächlich etwas über das Hochjagen von Pipelines?
Autor und Buch
Andreas Malm ist ein schwedischer Humangeograph, Humanökologe, Politikjournalist und Sachbuchautor. Er schrieb für syndikalistische und anarchosyndikalistische Publikationen und ist seit 2010 Mitglied der trotzkistischen Sozialistischen Partei in Schweden. Darüber hinaus hat er bereits einige Artikel für das Jacobin-Magazin (hier) verfasst. Der 1977 geborene Malm ist seit Anfang der 1990er Umweltaktivist gewesen, besucht nunmehr aber eher als unorganisierter Teilnehmer Aktionen wie Ende Gelände teil und versucht die Bewegung durch Forschungsarbeit und theoretische Beiträge zu unterstützen.
Sein Buch How to blow up a Pipeline erschien 2020 sowohl auf Englisch beim linken bzw. linksakademischen Verso-Verlag, sowie auf deutsch unter dem Titel Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen bei Matthes & Seitz. Zum Buch gibt es auch einen gleichnamigen Film, der von Daniel Goldhaber inszeniert wurde und am 10. September diesen Jahres bei den Filmfestspielen in Toronto seine Uraufführung feierte.
Inhalt
Das Buch beginnt zunächst einmal sehr gewöhnlich mit einer kaleidoskopartigen Beschreibung der größten Klimasünden der letzten Jahre, ikonischer Umweltkatastrophen und deren Auswirkung auf die Bevölkerungen der kapitalistischen Peripherie, sowie der Hilflosigkeit der Klimaaktivist*innen. Hitzewellen, Greenpeace-Performances in der Fußgängerzone, 2-Grad-Ziel, Überschwemmungen, ExxonMobile, Ankettungen am UN-Gebäude, Hurricanes, Ölfelder, Extinction Rebellion, Waldbrände, SUVs, CO2-neutrale Festivals und Zeltstädte, FFF. Long Story short: Malm stellt in Frage, ob der gewaltfreie Widerstand, wie er bisher praktiziert worden ist, ausreicht, da sich nichts ändert. Er dekonstruiert die strategischen Motive des Pazifismus als nicht haltbar und beruft sich auf das moralische Recht zum Widerstand im Angsicht der Tyrannei. Die Suffragettenbewegung oder die Revolution auf Haiti dienen ihm als historische Anschauungsbeispiele. Und selbst die Ikone Gandhi habe sich aus taktischen Gründen in den Burenkriegen bei den Briten andienen wollen und schlug vor, bei der Rekrutierung von Indern für den Zweiten Weltkrieg zu helfen. Die Umweltbewegung sei damit die einzige Bewegung, die pazifistisch geblieben wäre. Gewaltfreiheit könne allerdings nur taktisch Erfolge bringen, der Kampf gegen fossile Brennstoffe dauere aber lange an und die Gegenbewegung werde sich ständig neu formieren.
30 Jahre erfolgloser Kampf gegen die CO2-Emissionen lasse nur eine Schlussfolgerung zu:
„Beschädigt und zerstört alle neuen CO2-emittierenden Geräte. Reißt sie aus den Läden, nehmt sie weg, macht sie kaputt, verbrennt sie, jagt sie in die Luft. Lasst die Kapitalisten wissen, dass das Eigentum von jedem, der weiter das Feuer schürt, entsorgt wird.“
S.67
Malm möchte das Investitionsrisiko erhöhen. Als prägnantestes Vorbild führt er die Bewegung für die Befreiung des Niger-Deltas an, deren Aktionen für den Namen des Buches Pate gestanden haben. 2005 und 2006 versuchte diese junge Rebellengruppe durch die Zerstörung von Pipelines und Ölterminals die Umweltzerstörung im Süden Nigerias zu beenden. Bei den Gegenschlägen des staatlich-privatwirtschaftlichen Militärapparats starb eine zweistellige Anzahl an Aufständischen. Auch auf die Zusammenarbeit der Roten Armee Fraktion mit der französischen Action Directe und den belgischen Cellules Communistes Combattantes bei der Planung von Anschlägen auf NATO-Pipelines geht er ein. Anschläge auf SUVs in Stockholm führt er als moderne Beispiele der westlichen Welt an. Die Ziele sollten sich allerdings auf Luxusartikel beschränken und nicht den Subsistenzbedarf der Bevölkerung treffen. Hier blickt er warnend auf die Proteste der Gelbwesten, die seiner Ansicht nach berechtigterweise gegen die Steuererhöhungen auf die Straße gegangen seien.
„If we have to cut emissions now, that means we have to start with the rich!“
S.94
Im dritten Kapital wendet sich Malm sowohl gegen eine zu lässige Lesart, dass der Widerstand ja warten könne, bis das Klima noch extremer geworden sei, als auch gegen die fatalistische Interpretation der Klimakrise, dass die Würfel bereits gefallen seien und jeglicher Aktivismus zum Scheitern verurteilt wäre. Er argumentiert, dass die Summe aller kleinen Aktionen große Wirkung entfalten könne, auch wenn es für die einzelne*n Aktivist*in anders erscheine. Dazwischen baut er Powersätze über Pipelines ein, wie:
„Es ist besser, stehend zu sterben als auf den Knien zu leben. Es ist besser, mit einer Pipeline selbst hochzugehen, als durch Passivität auszubrennen.“
S.151
Er schließt ab, dass der ökologische Widerstand jedoch noch gar nicht an dieser Stelle sei. Im Falle von Ende Gelände werde beispielsweise bereits die Zerstörung eines Zauns von den Medien als Akt zügelloser Gewalt dargestellt. Das zeigt jedoch auch, dass sich bereits durch recht harmlose Aktionen die herrschende Klasse in Angst und Schrecken versetzen lasse.
marxistische Analyse
How to blow up a Pipeline ist in erster Linie eine Intervention in die taktische Debatte um gewaltfreien Widerstand in der ökologischen Bewegung. Dennoch baut Malm in seine Argumente einige marxistische Versatzstücke ein. Schauen wir uns ein wenig näher an, ob es sich hierbei um ein kohärentes Konzept oder wohlklingenden Vulgärmarxismus handelt.
Zunächst einmal nutzt Malm den Klassenbegriff. Er spricht von den herrschenden Klassen, die nicht in der Lage sei, auf die Klimakatastrophe zu reagieren. Die parlamentarischen grünen Parteien könnten sich von diesen auch nicht emanzipieren, sodass ihre Programme letztlich wirkungslos blieben. Dieses begründete er mit der Abhängigkeit des Staates vom Funktioneren der erweiterten Reproduktion und damit von der Borugeoisie. Auf konkrete Beziehungen zwischen herrschenden und beherrschten Klassen, sowie ihrer ökonomischen, politischen und ideologischen Vermittlung geht Malm jedoch in diesem Buch nicht ein. Auf einer sehr abstrakten Ebene ist Malms Argumentation zwar stichhaltig, aber weder neu noch wirklich elaboriert.
Seine Überlegungen zum Klassenkampf hingegen sind schon etwas interessanter. Er argumentiert, dass die Methoden Nigerias natürlich nicht auf die EU übertragen werden könnten, da hier der Stand der Klassenkämpfe ein ganz anderer sei. Im globalen Norden sei Gewalt als Mittel des Klassenkampfes nicht akzeptiert. Aber Malm geht auf die Dynamiken zwischen Gewalt und Akzeptanz ein. Die Postulierung von Gewaltfreiheit sei ein Herrschaftsinstrument der herrschenden Klassen, da diese selbst als Träger des staatlichen Gewaltmonopols ja garnicht auf Gewalt verzichteten. Dadurch hätten sie einen taktischen Vorsprung. Wenn es der Klimabewegung gelänge, Gewalt in einem vermittelbaren, begründeten und zielorientierten Umfang als mögliche Form des Widerstandes zu legitimieren, dann profitiert auch die Arbeiter*innenbewegung von der Erweiterung ihres Instrumentariums.
Ebenso interessant sind seine Überlegungen zum Warenfetisch. Er begegnet dem Argument „Wer heute Autos anzündet, zündet morgen Menschen an.“ mit dem Verweis auf die Marxschen Fetischbegriff, dass dieser Satz bereits belege, dass Waren nicht einfach nur nützliche Gegenstände seien, sondern gesellschaftliche Beziehungen in sich verkörperten. Daher sei Gewalt gegen Sachen auch immer ein Angriff auf gesellschaftliche Beziehungen. Damit werde einer militanten Umweltbewegung auch die Analysearbeit auferlegt, welche gesellschaftliche Beziehung ein Gegenstand widerspiegelt. Seine Schlussfolgerung daraus ist, dass sich Angriffe auf Luxusartikel der Reichen konzentrieren sollten. Denn wenn ein*e Arbeiter*in ein Auto fährt, dann in der Regel, weil sie abhängig beschäftigt ist und flexibel zu ihrer Arbeitsstelle kommen muss, während die Gesellschaft vielleicht keinen angemessenen ÖPNV zur Verfügung stellt. Das Auto drückt somit ein Verhältnis des abhängig-seins aus und dient damit nicht als Ziel. Ein SUV als Luxusartikel drückt gerade entgegengesetzt den vergegenständlichten von den Arbeiter*innen erpressten Mehrwert aus. Der Gebrauchswert des Autos eine*r Arbeiter*in lässt sich am Ende tatsächlich fast vollumfänglich durch einen gut ausgebauten ÖPNV subsumieren. Der Gebrauchswert eines SUVs hingegen nicht, denn sein Gebrauchswert ist die Darstellung gesellschaftlicher Macht.
Zusammenfassung
Der Titel des Buches führt in die Irre. Man lernt sehr wenig über das Sprengen einer Pipeline. Leider. Das Buch erklärt eher, warum man machen sollte. Im Wesentlichen ist es ein kleiner historischer Abriss, der die zeitgenössische Umweltbewegung in die Geschichte militanten und pazifistischen Widerstands einordnet und dafür argumentiert, sich an ersterem zu orientieren. Es ist auch eine ganz persönliche Kampfansage an Extinction Rebellion, deren fast religiöse Überspitzung der Gewaltfreiheit bis hin zum Bullenknuddeln Malm immer wieder als Anschauungsbeispiel dient, wie man es nicht machen sollte. Mit 180 Seiten ist das Buch recht schmal und durch zahlreiche historische Anekdoten sehr flüssig lesbar. Also lohnt sich ein Blick hinein auf jeden Fall.
Auf der Ebene politischer Ökonomie ist wenig aus dem Buch herauszuholen. Malms Gedanken zum Verhältnis zwischen Basis und Überbau, zur Ideologieproduktion und zur Wirkungsweise des Warenfetischismus sind jedoch durchaus fundiert und bieten Marxist*innen zumindest Anknüpfungspunkte. Malm schreibt mit How to blow ein neues Kapitel seiner wichtigsten Message: Bei der Klimakrise sitzen wir nicht alle in einem Boot. Es ist eine Klassenfrage, wer die Lasten der Umweltzerstörung trägt. Und das sollte die Umweltbewegung sich auf die Fahnen schreiben. Friede den Hütten, Krieg den Pipelines!
Literatur:
Malm, A. (2021): How to Blow Up a Pipeline. Learning to Fight in a World on Fire. London & New York: Verso.