Der Lange-Weg des polnischen Marxismus (2/2)

Die Research in Political Economy hat ihre diesjährige Ausgabe dem Marxismus in Polen nach Rosa Luxemburg gewidmet.

⋄ Im zweiten Teil der Rezension soll der Fokus auf dem polnisch-amerikanischen Ökonomen Oskar Lange liegen.

⋄ Seine Sozialismustheorie beruhte auf einer Mischung aus Marktpreisen, zentral geplanten Investitionen und Arbeiter*innenverwaltung der Betriebe.

⋄ In leitenden Positionen konnte Lange seine Ideen teilweise praktisch erproben.

⋄ Dem Kapitalismus warf er vor, sich als industrieller Feudalismus von seinen liberalen Idealen zu entfernen.
Die polnische Arbeiter*innenklasse kämpft, wenn sie will

Am 21. Mai 1944 veröffentlichte die TASS eine Agenturmeldung des polnischen Intellektuellen und Professors der University of Chicago Oskar Lange. Lange galt zwar als linker, vielleicht sogar marxistischer, doch weitestgehend liberaler Ökonom. Seit 1943 war er auch amerikanischer Staatsbürger. In dieser Meldung berichtete Lange, dass er mit vielen polnischen Soldaten, Intellektuellen und Politikern in der UdSSR über politischen Vorstellungen nach dem Krieg gesprochen habe. Er habe auch mit Marschall Stalin gesprochen und dieser habe bekräftigt, dass ein starkes Polen im Sinne der Sowjetuion sei und das Land zukünftig eine zentrale Rolle in Europa spielen solle. Er danke ihm und Molotow für die Gastfreundlichkeit während seines Russlandbesuchs und wünsche sich einen schnellen Erfolg der Roten Armee.

Die Message galt den Mächten an beiden Fronten des Zweiten Weltkriegs. Offiziell unterstützten London und Washington die Exiregierung unter Sikorski. Nun schlug sich eine Stimme, die in Polen wie in den USA Gehör fand, auf die Seite Stalins, der sowjetnahen Union der polnischen Patrioten und des sich in Gründung befindlichen Lubliner Komitees. Auf der anderen Seite schuf der Besuch des Amerikaners Lange und dessen freigiebige Kommunikation bei der sowjetischen Führung das notwendige Vertrauen, die deutsche und das heißt, die polnische Frage abschließend zu behandeln. Der gelernte Ökonom Lange arbeitete so als Doppelagent zwischen den Fronten des künftigen Kalten Krieges. Nach dem Krieg kehrte Lange 1945 nach Polen zurück, um das Land mit aufzubauen, das zu schaffen er half.

Oskar Lange gilt vielen zeitgenössischen Marxist*innen als eine der spannendsten Persönlichkeiten des polnischen sozialistischen Diskurses nach Rosa Luxemburg. Das Journal Research in Political Economy beschäftigte sich in der diesjährigen Ausgabe genau mit diesem Thema. Werfen wir einen zweiten Blick in die Ausgabe und schauen uns an, was zu Oskar Lange und seinen Nachfolgern geschrieben wurde.

Oskar Langes Sozialismus

Roberto Lampa schaute sich einige Widersprüche der sozialistischen Planungskonstruktion Oskar Langes an. Langes Modell sollte demokratisch und anti-bürokratisch sein. Das sowjetische ökonomische System lehnte er als unwissenschaftlich ab. Seiner Ansicht nach habe die Abwesenheit fester ökonomischer Prinzipien zur Parteiautokratie und Fehlplanung geführt. Als eines dieser Prinzipien sollte die Verteilung der Waren über Marktpreise und die Planung der gesellschaftlichen Investitionen über parteiunabhängige Expert*innen erfolgen. Drittens sollte es weniger direktes Staatseigentum geben, sondern es sollte einen Satz verbindlicher ökonomischer Regeln geben, nach denen sich die ansonsten autonomen wirtschaftlichen Einheiten zu richten hätten. Genauer gesagt, sollte jede produktive Einheit durch Gewerkschaften, Genossenschaften oder Arbeiter*innenräte kontrolliert werden. Eine Zentralbank hätte dann die Aufgabe, die Produktivität der einzelnen Einheiten zu evaluieren, insbesondere ihre Fähigkeit, einen Mehrwert zu erwirtschaften. Entsprechend dieser Evaluation sollten die Einheiten dann zur Einstellung von Arbeitskräften verpflichtet werden, um rationalen Prinzipien folgen zu können. Dieses Konzept war stark beeinflusst vom Austro- und Marktsozialismus. Ihm lag die Theorie des französischen Ökonomen Leon Walras zu Grunde, die Lange als neutral und moralisch ansah.

Tatsächlich bekam Lange die Möglichkeit, seine Ideen an der Praxis zu erproben. Bereits 1948 war Lange nach Polen zurückgekehrt, musste sich zunächst aber dem Primat der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei unterordnen. Nach der Rede Krushchevs auf dem XX. Parteitag der UdSSR im Februar und dem Posener Bahnarbeiterstreik im Juni 1956 reiste der rehabilitierte polnische Aprteichef Wladislaw Gomulka nach Moskau und kam mit einer Reihe an Lockerungen zurück. So gab das Zentralkomitee der PVAP offen zu, dass der Sechsjahresplan zwischen 1949 und 1955 gescheitert war. Man suchte nach weniger komplizierten und fehleranfälligen Methoden der Wirtschaftsplanung und richtete hierzu einen ökonomischen Rat ein, dem Oskar Lange vorsaß. Der Rat erstellte ein Arbeitspapier, das Langes ökonomisches Konzept mit einigen Modifikationen übernahm. Zudem zeigte sich der Rat interessiert an kybernetischen Modellen, wie Lange in einer Festschrift zum Tode Maurice Dobbs oder in seinen Vorlesungen an der Universität von Warschau äußerte. Der stellvertretende Vorsitzende des ökonomischen Rates Włodzimierz Brus teilte ebenfalls Langes anti-bürokratische und marktsozialistische Ansichten.
Aber nicht alle waren dieser Meinung. Auch Michal Kalecki beteiligte sich an der Debatte und kam zu völlig anderen Schlüssen. Ihm zufolge war der Sozialismus durch einen Vorrang der Produktionsgüterindustrie vor der Konsumtionsgüterindustrie geprägt, um eine schnelle Erhöhung der Produktivität und eine Entlastung der Arbeiter*innen zu erreichen. Der Konsumtionsgütersektor müsse harmonisch mitwachsen, um die Reallöhne nur proportional zur Produktivität ansteigen zu lassen. Hier hatte seiner Ansicht nach der Sechsjahresplan versagt, aber dieses Versagen könne man nicht durch Marktpreise beseitigen. Sie würden eher Anreize setzen, verstärkt auf Kosten der Produktivität in die Konsumgüterproduktion zu investieren und die harmonische Entwicklung vollends zu untergraben. Diese Auffassung vertrat er in harten Auseinandersetzungen auch im Ökonomischen Rat. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass er als einziges Mitglied des Rates, dass nicht auch Mitglied der Regierungspartei war und auf Grund seiner späten Remigration nach Polen sich als einziger nie am Stalin-Kult beteiligte, vor der Überreaktion auf den bisherigen “stalinistischen” Kurs warnte.

Letztendlich war der Ökonomische Rat mehr eine Diskussionsplattform, die Fragen für den akademischen Betrieb erarbeitete. Die harte Politik – auch die Wirtschaftspolitik – wurde im ZK der PVAP und ab den 60ern verstärkt wieder im ZK der KpdSU gemacht. Gomulka gab nach und nach dem Druck aus Moskau stand, während die Liberalisierung während des Polnischen Oktobers 1956 eine Basis für den Schwarzmarkt und die Unterhöhlung jeglicher Planung legte. Langes Modell konnte also nicht in der Langzeit evaluiert werden, auch wenn die Mischung aus Markt- und Planelementen bis zum Ende der Volksrepublik charakteristisch für die polnische Wirtschaft blieb.

Polen und die bürgerlichen Revolutionen

Lange beteiligte sich auch an den Diskussionen um die polnische Geschichte. Polen durchlief im 20. Jahrhundert gleich zwei “bürgerliche Revolutionen”. Einmal von 1905 bis 1918, einmal von 1980 bis 1993. Grzegorz Konat untersuchte, wie sich Lange und andere polnische Marxisten mit diesen Ereigenissen auseinandersetzten.

Oskar Lange sah in der Abschrift einer Rede vor der Jugend der polnischeneine Sozialistischen Partei im Jahre 1931 die bürgerlichen Revolutionen im Zuge des Ersten Weltkriegs als Folge der Schwäche der Arbeiter*innenbewegung an. Ziel und sozialer Inhalt der Revolutionen seien zwar bürgerlich, aber der Motor sei das Proletariat gewesen. Aus Angst, dass das Proletariat seine Kraft dazu nützen könnte, die bürgerliche in eine sozialistische Revolution umzuwandeln, kooperierte das Bürgertum mit den jeweiligen Ancien Regimes. Im Kampf gegen die alten feudalen Kräfte hätte die Arbeiter*innenbewegung die bürgerlichen Republiken schützen müssen und sei zu deren wichtigster Stütze geworden. Allein der russischen Sozialdemokratie sei die sozialistische Revolution gelungen, da die oppositionellen Bolschewiki der sozialdemokratischen Regierung ihre Kompromisse mit dem alten Regime nicht durchgehen ließen. Soweit weniges Neues. Diese Ansicht ist zum Beispiel in der linken Rezeption der deutschen Novemberrevolution weit verbreitet.

Konat vergleicht diesen Text nun mit der Einschätzung eines der wichtigsten Schüler*innen Langes, Thadeusz Kowalik. In seinem Text “August – die bürgerliche Revolution der Epigonen” von 1996 sah Kowalik im Zusammenbruch des Ostblocks eine tragik-komische Wiederholung der Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg. Analog zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg seien neben Polen die ehemaligen Länder unter der Habsburger Monarchie die treibenden Kräfte der Geschichte gewesen. Und erneut sei die Arbeiter*innenbewegung der eigentlich Motor gewesen, aus dessen Kraft heraus sich letztenlich die arbeiter*innenfeindlichsten Regime gebildet hätten. Die zeitlichen Umstände hätten ein Bündnis von Arbeiter*innen, Intellektuellen, katholischer Kirche und internationalen Institutionen ermöglicht, die zu einem friedlichen Wandel in der Volksrepublik führten. Doch ebenso wie 1918 verloren die Arbeiter*innen. Diesmal war nicht der alte Adel das Spukgespenst, dass die Gewerkschaften zu Lohnzurückhaltungen und dem Abbau sozialer Rechte motivieren sollte – diesmal war das Spukgespenst der Bolschewismus. Die Furcht vor einer politischen Revision der erkämpften Erfolge, verkaufte die Solidarnosz den sozialen Inhalt der Revolution. Dieser Prozess der Passivität beschränkte sich nicht alleine auf 1989. Bereits nach dem Streik auf der Leninwerft verwarf die Solidarnosz viele soziale Forderungen, da sie als kommunistisch geframed werden konnten. Der Umsturz in Polen sei deshalb ein Epigone gewesen, da diese Art des Klassenkompromisses zwischen Bürgertum und Proletariat nicht in die Zeit bereits entwickelter Industrie passt. Das Resultat sei das politische Monster Polen, dass in den 90ern alle linken Organisationen erfolgreich geschliffen, den Katholizismus seines progressiven Inhalts beraubt, das Volkseigentum geplündert und dauerhaft konservativ-autoritäre Regierungen ermöglicht habe. 1996 konnte Kowalik die ökonomische Bedeutung der Integration in die EU sicher nicht voraussehen, aber sein Konzept erscheint plausibel angesichts der aktuellen politischen Kämpfe in Polen.

Industrieller Feudalismus

Jan Toporwoski, einer der führenden Köpfe hinter dieser Research-Ausgabe zum polnischen Marxismus legte den Finger auf Oskar Langes Theorie des industriellen Feudalismus. Analogiebildungen zum Feudalismus haben mit der Wiederentdeckung der Grundrententheorie auch in den letzten Jahren wieder Einschlag in die marxistische Literatur gefunden.

Die Theorie stammte im Original aus der Feder Ludwik Krzywickis, einem Soziologen und Ökonomen, der in Briefkontakt mit Friedrich Engels stand und das Kapital ins Polnische übertrug. Er entwickelte sie das erste Mal 1889 in der Waschauer Prawda, der Zeitung der unabhängigkeitskritischen und reformorientierten sozialistischen Positivisten Polens. Krzywicki sah Kartelle als mythische Wiederbelebung feudaler Bande zur Sicherung der sozialen Stabilität an. Marktmechanismen würden durch diese ausgesetzt, der technische Fortschritt behindert und die Wirtschaft der Planung des Finanzsektors unterworfen. Mit diesen Befunden war Krzywiski einer der ersten, der Hilferdings Finanzkapital antizipierte und er nahm Lenins Beschreibung einer “Arbeiteraristokratie” gut ein Viertel Jahrhundert vorweg. Allerdings änderte sich sein Blickwinkel nach dem Besuch der Weltausstellung in Chicago 1893. Hier sah er, welche technischen Errungenschaften die amerikanischen Trusts entgegen seiner Theorie zustande brachten. Eine Lösung dieses Widerspruchs zwischen den augenscheinlichen Empirie und seiner Theorie brachte er Zeit seines Lebens nicht zustande, da er sich Kolakowski zufolge zu stark daran aufhängte, dass der Kapitalismus durch die Anarchie des Marktes scheitere und erst der Sozialismus eine großräumige Planung zustande brächte.

Zu einem der intensivsten Rezipienten Krzywickis avanicierte dann kein geringerer als Oskar Lange. Er legte allerdings sein Augenmerk darauf, dass durch die Monopolbildung die soziale Stratifizierung des Kapitalismus zunehme und undurchlässig werde. Gerade im Vorkriegsengland sah Lange die Gefahr, dass diese Form der Wirtschaftsorganisation nicht in der Lage sei, dem Faschismus im Kriegsfall militärisch Einhalt zu gebieten und schlug daher eine Anti-Kartell-Gesetzgebung vor. Das Proletariat sah er durch die Monopolbildung doppelt unterdrückt, ökonomisch und politisch. An das liberale Bürgertum richtete er die Frage, ob es aus Angst vor dem Sozialismus lieber diesen neuen Feudalismus bevorzuge. Die Antwort der britischen Bourgeoisie kennen wir. Sie trieb nach der Deindustrialisierung Englands die Finanzmarktabhängigkeit radikaler voran als jedes andere Land.

Die Theorie der kritischen Reformen

Zuletzt gehen wir einem zentralen Motiv des polnischen Marxismus nach, das Gavin Rae in seinem Aufsatz besprach: die kritische Reform. Polen als Nationalstaat existierte während des 20. Jahrhunderts entweder als kapitalistischer Staat unter dem Protektorat Großbritanniens oder als realsozialistischer Staat in Abhängigkeit Moskaus. Die Frage einer radikalen und autarken sozialistischen Revolution stellte sich den polnischen Marxist*innen nie wirklich. Daher entwickelten sie das Konzept der kritischen Reform, sowohl in der Bedeutung der Transformation vom Kapitalismus zum Sozialismus als auch von einem autoritären zu einem demokratischen Sozialismus. Wortführer waren hier Michał Kalecki und Tadeusz Kowalik, die sich in der Tradition Rosa Luxemburgs und Oskar Langes sahen. Eine zentrale Annahme war hierbei die Beobachtung, dass sich in den 50ern die kapitalistischen Staaten durch den Ausbau der Sozialsysteme und die realsozialistischen Staaten durch die Revision des Stalinismus anzunähern schienen. Kritische Reformen sollten in den jeweiligen Staaten diese Annäherung beschleunigen, um unter dem Aspekt des Wachsens der Arbeiter*innenklasse symbiotisch unter der Führung der Arbeiter*innenparteien zusammenzuwachsen.

Anders als die gleichklingenden Ansätze Bernsteins oder Hilferdings gehört die Theorie der kritischen Reformen nicht dem Zweig der evolutionären Sozialismusvorstellungen an. Vielmehr schließt sie an der Analyse Luxemburgs an, dass der Kapitalismus ein permanentes Defizit an effektiver Nachfrage erzeuge. Anders als die KPD-Gründerin sahen Kowalik und Kalecki dieses Defizit jedoch ohne imperialistische Expansion bewältigbar. Die kritische Reform wäre die, welche dieses Nachfragedefizit füllen könne, etwa durch einen öffentlichen Investitionssektor. Die Theorie ist demnach dem Keynesianismus ähnlich, ihre Ursprünge reichen jedoch bis in die Dreißiger Jahre. Könnte der Kapitalismus seiner Krisenhaftigkeit entkleidet werden, so könnte die wachsende Arbeiter*innenschaft langfristige, friedliche Prozesse einleiten, die in die Emanzipation der Klasse mündeten. Die sozialistischen Staaten hingegen sollten die Luxemburgschen Reproduktionsschemata nutzen, um die Größe des Nachfragedefizits zu bestimmen und mittels demokratischer Wirtschaftsplanung und rätebasierter Selbstverwaltung entsprechende Investitionen zu allokalisieren.

Das Konzept Kowaliks und Kaleckis scheiterte praktisch wie theoretisch. Der prosperierende Staatskapitalismus der USA, den die beiden Polen vor Augen hatten, geriet bereits Anfang der 70er in ernste Probleme, also zu dem Zeitpunkt, an dem Kalecki und Kowalik ihre Vorstellungen zur kritischen Reform systematisierten. Das System zerfiel in den 80ern vollends und führte zur Renaissance des Raubtierlieberalismus. In Polen konnten die demokratischen Reformen zwischen 1956 und 1968 weder die politischen noch dien ökonomischen Probleme der Volskrepublik lösen. Enttäuscht über die Ergebnisse, aber auch die Reaktion ab 1968, emigrierten viele marxistisch orientierte Ökonomen in die westlichen Staaten. Theoretisch scheiterte das Konzept an der Vorstellung, es gäbe universelle ökonomische Werte, die Sozialismus und Kapitalismus nur unterschiedlich nutzten. Kein Wunder also, dass Kowalik und Kalecki bei ihren Überlegungen die Kategorien Ausbeutung, Mehrwert und Profit kaum berücksichtigten.

Zusammenfassung

Das Spannende an der polnischen marxistischen Debatte ist, dass sie um einige zentrale Figuren und Themen kreist, die miteinander in persönlicher Korrespondenz standen, teilweise sogar in den gleichen politischen Gremien arbeiteten. Die Autoren waren jeweils mit den Werken der anderen vertraut und entwickelten sich gemeinsam weiter. Die Theorien wurden dazu nicht nur diskutiert, sie konnten unter den spezifischen Bedingungen der polnischen Nachkriegsgesellschaft vielfältig erprobt werden.

Dennoch zeigt sich, dass der polnische Theoriestrang immer ein wenig zum Dritten Weg und Marktsozialismus neigte. Fragen der politischen Revolution wurden hinter Fragen der harmonischen Entwicklung der Sektoren zurückgestellt. Der Kapitalismus wurde nicht als System der Ausbeutung und der imperialistischen Tendenzen begriffen, sondern seine Kritik erschöpfte sich in Ineffizienz und iliberalen Tendenzen. Dass der Kapitalismus nicht kritisiert werden sollte, weil die Klassenschranken kaum durchlässig sind, sondern weil es überhaupt Klassen gibt, kam nach Rosa Luxemburg zu kurz. Natürlich kann es in bestimmten Situationen hilfreich sein, den Liberalismus an seinen eigenen Werten zu messen. Seine Welt ist keine der Gleichen und Freien, sondern fast genauso festgefügter sozialer Formationen wie der Feudalismus. Aber darin darf sich die Kritik nicht erschöpfen.

Doch auch marktsozialistische Argumente wollen gehört und geprüft werden. Es steht außer Frage, dass Oskar Lange seinen Walrasischen Marxismus klug und scharfsinnig entwickelte und an vielen Stellen trotz der fruchtlosen Richtung interessante Konzepte entwickelte, die den Marxismus als Wissenschaft bereichert haben. Seine Biographie gibt genug Stoff für eine dicke Biographie her und offenbar arbeitet Jan Toporowski, leitender Akteur dieser Ausgabe der Research, an einer solchen. Wenn sie so interessant wird, wie die Beiträge dieser Ausgabe, dürfen wir uns alle über ein richtig spannendes Buch freuen.

Literatur

Alle Beiträge aus:

Research in Political Economy (2022): Polish Marxism after Luxemburg. Jahrgang 37. Bingley/ West Yorkshire: Emerald.

Konat, G.: Oskar Lange and Thadeusz Kowalik on the Bourgeois Revolutionsin Twentieth-Century Poland: A Note on two Papers. S. 187–201.

Lampa, L.: Between Anti-Bureaucratism and technocratic Democratisation: Was Oskar Lange’s Theory tightrope walking?. S. 157–171.
Rae, G.: False Dawns: The failed Crucial Reforms of Capitalism and Socialism. S. 217–233.

Szymborska, H. & Toporowski, J.: Industrial Feudalism and the Distribution of Wealth. S. 61–75.

Toporowski, J.: Industrial Feudalism and American Capitalism. S. 43–59.

andere Artikel:

Cienciala, A. (1996): New Light on Oskar Lange as an Intermediary between Roosevelt and Stalin in Attempts to create a new Polish Government (January-November 1944). In: Acta Poloniae Historica. Jahrgang 73. S. 89-134.


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