Das wichtigste in aller Kürze. Dieser Blog möchte … ⋄ aktuelle Studien, Beiträge und Diskussionen aus der marxistischen Fachliteratur gemeinverständlich darstellen ⋄ darstellen, welche Strömungen und Positionen sich disziplinär, regional und national herausbilden und wie sie sich unterscheiden. ⋄ die Relevanz aktueller Forschungsergebnisse für die politische Praxis ausleuchten. ⋄ nach dem Motto „Auch das gibt es“ unterhalten und zeigen, wie breit und vielfältig die Theorie auf marxistischer Grundlage ist ⋄ ein kleines und unprofessionelles Spektrum der Wissenschaften (leider ohne schicke Infografiken) historisch-materialistischer Forschung sein. |
Die letzten beiden Pandemiejahre haben allen verdeutlicht, wie nahe Wissen und Glauben beieinander liegen. Fakten werden nur akzeptiert, wenn sie den eigenen Klasseninteressen entsprechen. Der Hotelbesitzer stemmt sich nicht nur gegen Regierungsbeschlüsse, sondern stellt prinzipiell die Gefährlichkeit des Virus infrage und entdeckt auf einmal, dass auch die Pharmaindustrie eine profitgetriebene Veranstaltung ist.
Dies ist jedoch kein Grund, verächtlich auf diese Leute zu blicken, da es sich in der marxistischen Diskussion nur selten anders verhält. Der westliche akademische Marxist spricht der chinesischen Regierung jeglichen sozialistischen Charakter ab, weil diese erst die Produktivkräfte mithilfe des Weltmarkts entwickeln, bevor sie weitergehende Schritte unternehmen. Der Regierungssozialist verteidigt Kompromisse mit der Bourgeoisie mit konkreten Reformen gegen revolutionären Erlösungsglauben. Und alle berufen sich darauf, wissenschaftliche Sozialist*innen zu sein. Die Widersprüche rühren jedoch nicht daher, der politische Kontrahent aus Idioten, Verrätern oder Hasenüßen bestünde, sondern die Gegensätze sind in den Bedingungen der uns umgebenden kapitalistischen Welt mit ihren Klassen- und Nationalinteressen zu suchen.
Ein Blog, der sich mit wissenschaftlichem Sozialismus auseinandersetzen möchte, wird diese zwar nicht auflösen können; er muss sich aber dazu positionieren.
1. Leben vs. Tod des Marxismus
Die marxistische Debatte lebt und stirbt zugleich. Sie stirbt, weil mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten auch die real existierende philosophische und politökonomische Alternative vorerst verschwand. Sie stirbt, weil immer weniger Lehrstühle von Marxist*innen besetzt werden und weil sich mit grundlegend kritischer Forschung keine Drittmittel einwerben lassen. Sie stirbt, weil die Klassenanalyse zunehmend vom zahnlosen Tiger des Klassismus abgelöst wird und im Irrgarten aus Multituden, Diskriminierungserfahrungen und kommunitarischen Kleinstkämpfen die Spur der Herrschaft der Bourgeoisie verwischt.
Sie lebt aber, weil die Produktivkräfte des Kapitalismus die Produktionsverhältnisse ständig zum Tanzen bringen. Sie lebt dadurch, dass vielleicht weniger Magazine und Institute marxistisch orientiert sind, diese aber von fast jedem Menschen auf der Welt mit Bibliothekszugang online gelesen werden können. Und sie lebt dadurch, dass wissenschaftliche Methoden, Erkenntnisse und Datensätze zunehmend nicht mehr nur Akademiker*innen vorbehalten sind, sondern durch jede*n genutzt werden können,
Dieser Blog möchte Schlaglichter auf die Vielfalt und Aktualität marxistischer Forschung geben. Er möchte diskutieren, wo Fragen und Probleme des Klassenkampfes diskutiert und vielleicht sogar beantwortet werden. Er möchte ein sozialistisches Spektrum der Wissenschaften (ohne schicke Grafiken) sein, mit Mut zur Lücke und immer ernsthaftem Interesse.
2. internationales Kapital vs. nationaler Marxismus
Die Welt wird kleiner. Durch Flugzeuge und das Internet sind längst Kommunikations- und Infrastrukturbarrieren durchbrochen. Produktionsketten verlaufen fast grundsätzlich international. Das Schicksal der Arbeiter*innen wächst objektiv global zusammen. Und doch hat man in der linken Soziologie häufig den Eindruck, die deutsche Gesellschaft sei so unvergleichlich einzigartig, dass Erkenntnisse aus anderen Ländern gar nicht berücksichtigt werden müssen. In den Literaturverzeichnissen marxistischer Bücher (bei den populärwissenschaftlichen stärker als bei den wissenschaftlichen) finden fast nur deutschsprachige Bücher, während teils besser geeignete englischsprachige Literatur unbeachtet bleibt. Debatten aus anderen Ländern finden in Deutschland recht wenig Beachtung, während andere endemisch deutsche Debatten (etwa die um Antideutsche) über alle Maßen ausgehandelt werden.
Dieser Blog möchte daher internationale Debatten und Beiträge in den Fokus rücken und die deutschsprachigen Erzeugnisse nur entsprechend ihres absoluten Anteils an der marxistischen Theorieproduktion berücksichtigen. Denn eine historisch-materialistische Wissenschaft benötigt den internationalen und historischen Vergleich, um die allgemeinen Entwicklungslinien des Kapitalismus überhaupt identifizieren zu können.
3. Marxologie vs. Aktivismus
Je tiefer man in die marxistische Theorie eintaucht, desto schlechter ist ihr Standing. Sie gilt als unverständlich und die Fragen als kaum praxisrelevant. Spielt es denn eine Rolle, ob der Wert der Zirkulation oder der Produktion entspringt, wenn gleichzeitig die NATO aufrüstet, die letzten besetzten Häuser geräumt werden und der Klimawandel womöglich Teile des Planeten unbewohnbar machen wird? Haben nebensächliche Fragen über die korrekte Auslegung der Klassiker nicht zu oft zur Spaltung geführt, wo Einheit von Nöten gewesen wäre?
Die Kritik mag eine gewisse Berechtigung haben, aber sie verfehlt einen zentralen Punkt. Da sie den Inhalt der Debatten und damit mögliche Konsequenzen von vorneherein als praxisfern ablehnt, übersieht sie nicht selten die tiefgreifenden Konsequenzen, die darin verborgen sind. Man könnte die Kritik auch umkehren und sagen, wer bestimmte Diskussionen nicht ernst nehme, schmücke die eigene sozialdemokratische Politik, das Kratzen an der Oberfläche, die täglich zermürbenden Stellungskämpfe gegen die Übermacht des Kapitals, nur mit marxistischen Phrasen.
Ja, es gibt sie. Die Diskussionen, die nur um der Eitelkeit ihrer Partizipienten willen geführt werden, aber es sind lange nicht so viele, wie überschätzt wird. Dieser Blog möchte in jedem Artikel die praktischen Konsequenzen einer empirischen oder theoretischen Erkenntnis oder Diskussion herausstellen, um die dialektische Einheit von Theorie und Praxis zu bewahren.
4. Akademie vs. Nichtakademie
Fick die Uni! Sie ist ein schlimmer Ort mit vielen schlimmen Leuten und die wenigen guten werden mit nur kurzer Halbwertszeit auch schlimm. Im Dauerstress zwischen Projektanträgen, Drittmitteleinwerbung, Lehre und Konkurrenzkampf mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen leidet nicht nur das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse, sondern auch der Charakter. Schnell bilden sich Routinen und ein Habitus heraus, der außerhalb des akademischen Betriebes nicht mehr verstanden wird. Im besten Fall wird noch die eigene Meinung durchgeboxt, um das Alleinstellungsmerkmal im Kampf um die wenigen Fördertöpfe zu verteidigen, im schlechteren die des Professors, in dessen Diensten man steht.
Doch so schlecht es um die Universität steht: sie sind fast der einzige Ort, an dem Menschen noch potentiell Zeit und Mittel hätten, wissenschaftliche Fragestellungen hinreichend tief zu beantworten. Trotz der miserablen Zustände schaffen es immer wider, Genoss*innen diese Institution zu nutzen – mal subversiv, mal offen – um wertvolle Beiträge für die aktuelle historisch-materialistische Analyse zu liefern.
Parallel hat sich neben dem akademischen Betrieb ein riesiger Kosmos an Zeitschriften, Blogs, Podcasts, Initiativen, Bündnissen, Parteien und Organisationen, Theoriekursen u.v.m. gebildet, die den Einschränkungen des akademischen Zirkus unverdächtig erscheinen. Entgegen des Trends der Zurückdrängung des Marxismus an den Universitäten wuchs dieser Kosmos mit den immer leichter verfügbaren elektronischen Publikationswegen. Dieser Blog versteht sich als Teil dieser Welt und zwar mit Fokus auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Aber was bedeutet eigentlich Wissenschaftlichkeit? Dieser Blog wird sich zunächst auf Journale konzentrieren, die einem Peer Review-Prozess unterliegen. Das bedeutet, dass eine Studie oder ein Artikel vor der Veröffentlichung von mehreren qualifizierten Gutachtern kritisiert und korrigiert wird. Ist ein Peer-Review-Verfahren eine Garantie für Wissenschaftlichkeit? Nein, immer wieder landen sogar komplette Fakestudien, die absurde Schlussfolgerungen hinter fachlichem Jargon verstecken in etablierten Magazinen. Sind nur Journale mit Peer-Review-Verfahren wissenschaftlich? Natürlich nicht. Die Wahrheit einer wissenschaftlichen Erkenntnis hängt niemals von der Akzeptanz und der Anzahl korrigierender Fachleute ab. In politischen Zeitungen oder auf Flugblättern finden sich mitunter fachlich fundiertere Beiträge als in wissenschaftlichen Publikationen. Dieser Blog grenzt durch diese Methodik zunächst jedoch seinen Gegenstandsbereich ein, auch wenn er von dieser Regel mitunter immer mal abweichen wird.
5. Die Einheit in der Vielfalt
Wie der Name bereits sagt, möchte sich dieser Blog mit dem gesamten Spektrum marxistischer Wissenschaft auseinandersetzen, ob trotzkistisch oder maoistisch, ob am westlichen Marxismus orientiert oder am östlichen, ob analytisch oder deskriptiv. Die Vielfalt marxistischer Debatte soll abgebildet werden. Natürlich stellt sich hier auch eine Abgrenzungsfrage: Was ist noch marxistisch und wo beginnt bereits ein bürgerliche Wissenschaft? Welche Einheit soll in der Vielfalt gefunden werden? Dieser Blog stellt drei Kriterien zur Definition für wissenschaftlichen Sozialismus:
- historischen Materialismus
- Klassenanalyse
- Doppelcharakter der Ware
Der historische Materialismus wird hier als die Einsicht aufgefasst, dass die menschlichen Gesellschaften im Laufe der Geschichte vom Stand der Produktivkräfte abhängen. Darauf aufbauend muss anerkannt werden, dass Gesellschaften, in denen die Produktionsmittel in irgendeiner Weise von den Produzenten getrennt waren oder sind, Klassengesellschaften sind, in den sich die Klassen je nach Stellung zu den Produktionsmitteln unterscheiden lassen. Final muss als Grundelement der Analyse kapitalistischer Gesellschaften anerkannt werden, dass die Ware in widersprüchlicher Einheit in Gebrauchswert und Tauschwert zerfällt. Dies sind zunächst sehr allgemeine Bedingungen, welche sehr weitreichend interpretiert werden können. Sie scheinen mir jedoch eine hinreichend scharfe Trennung zu bieten, um unmarxistische Werke aus marxistischen Journalen und umgekehrt marxistische Beiträge aus eigentlich nichtmarxistischen Beiträgen herausfiltern zu können.
6. bürgerliche vs. revolutionäre Methoden
Der Streit zwischen bürgerlicher und marxistischer Methodik lässt sich sehr gut an der Diskussion um das Klassenbewusstsein illustrieren, welche bereits seit Engels und Lenin unter den Nachfolger*innen Marxens erbittert geführt wird. Auf der einen Seite das objektive Klassenbewusstsein, welches aus den Produktivverhältnissen, aus der politischen Ökonomie und dem Verhältnis von Basis und Überbau theoretisch abgeleitet werden kann. Auf der anderen Seite steht das spontane Klassenbewusstsein, welches empirisch über soziologische Methoden wie Befragungen ermittelt werden kann. Das objektive Klassenbewusstsein fragt nach dem Wesen der Gesellschaft, das spontane nach der Erscheinung. Letzteres kann direkt handwerklich gemessen werden, zweiteres nur durch indirekt abstrakte Denkarbeit bestimmt werden. Empirische Untersuchungen genießen einen guten Ruf in den Wissenschaften, da sich mit ihnen überzeugende Statistiken, Diagramme und Fehlergrenzen erstellen lassen, während theoretische Aussagen mit Wahrheitsanspruch über die Objektiv als Metaphysik abgetan werden.
Objektives und spontanes Klassenbewusstsein existieren jedoch nicht getrennt nebeneinander, sondern werden dialektisch vermittelt. So wirkt sich die objektive Klassenlage auf die Bewusstseinsformen aus, sowie die sich aus den Bewusstseinsformen heraus entwickelnde Praxis zu neuen Klassenlagen führt. Aufsätze, Schriften oder Bücher, welche empirische Forschung ohne Berücksichtigung der Vermittlung zwischen Sein und Bewusstsein betreiben, werden auf diesem Blog als bürgerliche Wissenschaft keine Berücksichtigung finden oder als solche kritisiert. Bürgerliche Wissenschaft ist somit nicht bloß Kampfbegriff, sondern soll einen ganz konkreten Sachverhalt zurückweisen.
7. korrekte Sprache vs. verständliche Sprache
Jeder Blog, welcher sich wissenschaftsjournalistisch betätigt, steht vor diesem Problem. Fachdiskurse erfordern ein hohes Maß an Präzision, mathematisch wie in der Sprache. Wenn Fachbegriffe plötzlich im Alltagsverständnis gedeutet werden, kann ein kompletter Theoriestrang plötzlich seine analytische Schärfe verlieren. Ein Beispiel hierfür wäre der Begriff des „Warenfetischismus“, der bei Marx etwas sehr explizites beschreibt, aber in der Sekundärliteratur bis zur Unkenntlichkeit ausgeleiert wird. Auf der anderen Seite müssen die Texte auch für Leser*innen lesbar sein, die mit den Fachbegriffen nicht vertraut sind.
Dieser Blog stellt sich folgende Ziele, um den Kriterien einer einfachen Sprache gerecht zu werden: eine kurze Überblicksbox mit einer Zusammenfassung des Inhalts, möglichst kurze Sätze, Erläuterung von Fachbegriffen mit Beispielen, Vermeidung unnötiger Fremdwörter, keine Abstriche bei der Begriffsschärfe. Das ist ein Ziel. Ob das zu jeder Zeit zu leisten ist, wird sich zeigen.
Und natürlich hier noch die Frage: Wie hältst du es eigentlich mit dem Gendern? Ich werde Genderformen einbauen, wenn sie passen und zur korrekten Darstellung notwendig sind. Ich werde immer Arbeiter*innen schreiben, um in Erinnerung zu rufen, dass ein großer Teil des Proletariats nicht nur aus Autoschlossern und Stahlarbeitern besteht, sondern aus Näherinnen, Reproduktionsarbeiterinnen, Autoschlosserinnen usw.. Und genauso werde ich fast ausschließlich von Kapitalisten sprechen, da der Anteil von Frauen an der fungierenden Bourgeoisie marginal ist.
8. big Picture vs. small Pieces
Viele Blogs setzen sich zum Ziel, die ganze Welt zu erklären und viele Leser*innen wollen dies auch lesen. Es gibt nur einen entscheidenden Nachteil. Um die ganze Welt zu erklären, muss man entweder eine Bibliothek vollschreiben oder so voraussetzungsvoll anfangen, dass man leicht in den Verdacht gerät, ein in sich geschlossenes Ideologiegebäude im Wolkenhimmel zu errichten. Dieser Blog möchte sich hingegen auf die Details konzentrieren. Was kommt denn heraus, wenn man einen Theoriestrang zu Ende denkt? Was leistet diese oder jene Methode und was nicht? Wie deckt sich jene Studie mit unseren politischen Fragen. Es soll hier auch ein bisschen generdet werden, der Marxismus ist auch dazu da, konkrete Fragen schonungslos bis zum Schluss auszudiskutieren. Das Big Picture wird nicht aus einem Guss gemalt, sondern als Mosaik zusammengesetzt, mit vielen fehlenden, unpassenden und überlappenden Steinchen.