⋄ Die sudanesische Region – inklusive des unabhängigen Südens – ist seit Jahrzehnten vom Bürgerkrieg gebeutelt. ⋄ Seit dem 80er Jahren spielt Öl dabei eine zentrale Rolle, sowohl beim Krieg zwischen Norden und Süden, als auch innerhalb des Südens. ⋄ Seit dem Verfall des Ölpreises ab 2012 und neu einsetzenden Spannungen mit dem Sudan kann der südsudanesische Präsident Kiir seine Anhänger jedoch nicht mehr mit Ölrenten bestechen. ⋄ Joshua Craze zeigte in der Environment & Security, wie sich das Regime um Kiir dennoch stabil hält. ⋄ Er erklärt, dass die Lizenzierung des Raubes von Ressourcen als Machtinstrument die Verteilung der Ölrenten abgelöst hat und damit ein negatives Szenario der Dekarbonisierung eingetreten ist. |
Wie häufig hört man den Vorwurf, sich immer nur mit Israel und Palästina zu beschäftigen, während es doch weit mehr Gewalt gibt, wie etwa im Sudan? Meistens möchte der Vorwerfende mitteilen, dass er selbst nicht viel darüber weiß und unterstellt dies auch seinen politischen Gegnern das gleiche, obwohl bisher die Palästina-Solidaritätsbewegung als einzige öffentliche politische Veranstaltungen zum Thema durchgeführt. Allerdings herrscht oftmals nicht mehr Wissen über die Region vor, als dass diese Konflikte mit denen des Nahen Ostens nur schwer zu vergleichen sind. Heute wollen wir einen kleinen Blick in die Region werfen, genauer gesagt, in die seit 2011 unabhängige Region des Südsudan. Hier hat die Entdeckung großer Ölfelder zum Bürgerkrieg und zur Unabhängigkeit des südlichen Landesteils geführt, der Kampf um die Ölfelder wiederum hat zu einem starken Einbruch der Ölproduktion und dies wiederum zu einem neuen Bürgerkrieg geführt.
Joshua Craze zeigte in der Environment & Security auf, wie die Ölrentenökonomie auf eine Ökonomie der Lizenzen zum Raub umgestellt wurde und dies Präsident Kiir zumindest zeitweilig die Macht sicherte. Eine etwas andere Geschichte der Dekarbonisierung.
Die Abspaltung des Südsudans vom Sudan
Der Sudan ist eine Region, die südlich Ägyptens immer entlang des Nils inklusive der westlichen Wüstengebiete verläuft. Als sich seit 1947 die Frage der Entkolonisierung des britisch regierten Territoriums stellte, war das Land ethnisch zwiegespalten in einen kulturell arabisch-muslimisch geprägten Norden und einen traditionell-christlichen Süden. Um Sympathien in Nordafrika zu gewinnen und ein Südsudan zu verhindern, welches unter dem Einfluss der Rebellenaktivitäten in Uganda und Kenia unter kommunistischen Einfluss geraten könnte, wurde die ganze Region zunächst unter die Kontrolle Khartums gestellt. Infolge eines ersten Bürgerkrieges, in dem die Aufständischen des Südens unter anderem von Israel mit Waffen und Medikamenten ausgestattet wurden, um während des Sechstagekriegs die Arabische Liga zu schwächen, wurde dem Süden weitgehende Autonomie zugesichert. Als jedoch der Chevron-Konzern Mitte der 70er Jahre große Ölvorkommen im Südsudan entdeckte, wurde die Autonomie wieder zurückgenommen und Rentenerlöse, sowie Gewinne aus den Lizenzverkäufen in den Norden transferiert. Zudem sollte Wasser aus dem oberen Nillauf in die nördlichen wasserarmen Regionen geleitet werden, was als zusätzliche Ungerechtigkeit empfunden wurde.
Der Konflikt um die Ressourcen wurde über die weitere religiös-ethnische Sezession vermittelt. Während Präsident Numairi ab 1977 zunehmend islamistische Positionen, wie die Einführung der Sharia im ganzen Sudan, einnahm, gründete sich im Süden die Sudanese People Liberation Movement mit einem militanten Arm (SPLA), die der sozialistischen Regierung in Äthopien nahestand und bis 1991 den gesamten Süden unter eigene Kontrolle brachte. Mit dem Sturz der äthiopischen Regierung geriet auch die SPLM/A in die Defensive, konnte aber ab 1995 wieder neue Kräfte sammeln, als sich oppositionelle Kräfte des Nordens ihrem Kampf gegen den Diktator Omar al-Bashir anschlossen. Nach und nach wurde die Regierung in Khartum nicht nur gezwungen, das Mehrparteiensystem wieder zuzulassen, sondern auch, den Süden 2005 erneut in die Autonomie zu entlassen und 2011 nach einer Abstimmung in die Unabhängigkeit.
Vom peripheren Rentiersstaat …
Doch die Probleme des Landes wurden damit nicht kleiner. Ein großer Teil der Männer stand unter Waffen und die Kommandeure beanspruchten ihre Stücken vom Kuchen. Bereits mit dem Waffenstillstand von 2005 bildete sich eine neue Militärklasse heraus, die Anspruch auf die Gelder aus den Ölgeschäften erhob. Präsident Salva Kiir musste große Teile der Ölrevenuen dafür nutzen, um diese Kommandeure, die potentiell eine Opposition hätten aufbauen können, zu bezahlen. Darüber hinaus verteilte er Spendengelder, die zur Versorgung und zum Aufbau des von 22 Jahren Bürgerkrieg gebeutelten Landes gedacht waren. Die „Knarrenklasse“ oder „Militäraristokratie“ übte dabei auch über ihre Ränge jeweils Einfluss auf die Politik aus. Ob Gelder gerade für Waffen oder zur Besänftigung der Bevölkerung in dieser oder jener Region ausgegeben wurde, bestimmte die südsudanesische Machttektonik. Die Südsudanesische Volksbefreiungsarmee war dabei auf dem Papier reichlich 240.000 Mann stark, niemand wusste aber so genau, welcher Kommandeur seine Truppenzahl übertrieb, um größere Zuwendungen zu erhalten. Obwohl die SPLA eigentlich komplett in den Staat integriert war, musste man immer Angst davor haben, dass sich Truppenteile selbstständig machten, ihre Waffen an Rebellen verkauften oder aus Khartum noch verlockendere Versprechungen erhielten. Da ein Rentierssystem eben nur auf der Verteilung von Wert beruht und nicht auf der Schaffung von Wert durch die Produktion, konnten einzelne Teile der Eliten ihre Macht immer nur auf Kosten anderer ausdehnen, was außerhalb des gemeinsamen Interesse am Erhalt der Militäraristokratie zu einem prinzipiellen Interessengegensatz untereinander führte. Auch das politische Kapital unterlag der Inflation. Erhob sich ein Offizier gegen Kiir, wurde dieser entlassen und kehrte wenige Monate später in höheren Rängen zurück, wodurch sich ein enormer militärischer Wasserkopf entwickelte, indem die Hierarchie genauso ungeklärt blieb, wie zuvor.
Durch die Finanzialisierung der Ökonomie, die also im Wesentlich durch die Umverteilung einströmender Gelder funktionierte, wurden auch immer mehr Aspekte der Gesellschaft kommodifiziert. Die Kommandeure mussten ja schließlich irgendwo das Geld ausgeben und traditionelle Solidaritätsstrukturen wurden durch monetäre Strukturen ersetzt.
… über die Akkumulation durch Enteignung …
Das Rentierssystem stürzte jedoch 2012. Im Januar schloss der Südsudan in einem Konflikt mit dem Sudan um die nördlichen Ölfelder die Produktion, in der Erwägung, al-Bashir wäre so stark von den Leitungsgebühren und den Öllieferungen aus dem Süden abhängig, dass dieser schnell einknicken werde. Dieser schickte jedoch Kampfflugzeuge und Truppen an die Südgrenze, sodass der Südsudan sich längerfristig entkarbonsierte. Das Budget des Staates sank rapide und es dauerte nur bis Dezember, bis in der Hauptstadt Juba die Kämpfe um die letzten Ressourcen entbrannten. In den Regionen bedienten sich die Kommandeure zunehmend selbst gegen den Willen Kiirs und der Diebstahl von Vieh, Frauen und anderen Ressourcen wurde pandemisch.
Häufig wurde der Konflikt als ein ethnischer Konflikt beschrieben, aber dies ist falsch. Während die lokalen Kommandeure zwar tatsächlich den Schulterschluss mit der lokalen männlichen Jugend unter dem ideologischen Vorwand ethnischer Unterdrückung suchten, präsentierten sich Kiirs Truppen als das multiethnische Gegenbeispiel, die darüber hinaus auch von Uganda untersützt wurden. Dennoch wollten auch die Truppen Kiirs bezahlt werden und das Staatsbudget gab nicht mehr viel her. Also griff Kiir zu einer anderen Methode der Entlohnung. Unter dem Vorwand der Entwaffnung aufständischer Truppenteile erhielten die Getreuen Kiirs die Lizenz zur Ausplünderung der Regionen und der Vergewaltigung der Frauen. Das führte auch dazu, dass Kiirs Truppen bewusst ethnische Konflikte schürten, um eingreifen zu dürfen und mehr an Land und Ressourcen zu rauben. Besonders die Bul Nuer Milizen in der Unitiy-Region waren Nutznießer dieses Entlohnungssystems.
Für Kiir standen viele Vorteile einem entscheidenden Nachteil gegenüber. Erstens fielen die Bestechung loyaler Truppen und die Zerschlagung der Opposition in einem Prozess zusammen. Zweitens schreckte die Politik die ausländische Unterstützung für die Opposition ab. Drittens war der Weg in die Truppen von Kiirs Unterstützern eine der wenigen Möglichkeiten für die lokale Bevölkerung, nach den Enteignungen noch an Geld zu kommen. Da jedoch die Gelder nicht mehr zentral aus den Ölrenten flossen, sondern sich die Kommandeure aus ihren eigenen Gebieten ihren Anteil verschafften, schwand auch die Macht aus Juba. Die Vergabe der Lizenzen zum Raub kamen zwar aus der Hauptstadt, aber die Legitimität dieser Macht an sich konnte kaum noch materiell unterfüttert werden. Die zentrale Elite war immer stärker fraktioniert und die Bedeutung einzelner Personen sank, während die in den Regionen stieg. Da der durch die Opposition vermittelte ausländische Druck sank, verlor Kiir ein zusätzliches Kohärenzmittel. Die Beschaffung immer neuer Waffen wurde für die SPLA immer zentraler, anstatt einer ausreichenden finanziellen Absicherung der Truppen. Darüber hinaus darf der langfristige negative Effekt durch die materielle Zerstörung der Infrastruktur und die Subsidärsysteme der Bevölkerung nicht vernachlässigt werden. Kiirs Machterhaltung und -stärkung könnte sich damit mehr als ein temporäres Phänomen erweisen.
Über den ganzen Prozess seit 2005 sehen wir damit eine doppelte Umverteilung. Zuerst wurden die Erdöleinahmen unter der Militäraristokratie umverteilt. Was nicht in den Konsum ausländischer Luxuswaren floss, generierte immerhin einen kleinen Wert unterhalb der herrschenden Klasse. Durch das neue Lizenzsystem zum Raub wurde dieser umverteilte Wert ein weiteres Mal umverteilt. Hier haben wir ein sehr anschauliches Beispiel für David Harveys Konzept der Accumulation by Dispossession (Näheres hier). Wert wird durch die Enteignung hier nicht geschaffen, aber so zentral in den Händen einiger Kommandeure gebündelt, dass diese die Kommodifizierung der Ware Arbeitskraft vorantreiben können.
… zur ursprünglichen Akkumulation
Für die Bevölkerung bedeutete nämlich diese Politik massenhafte Vertreibung vom eigenen Land, manchmal sogar aus dem Land selbst, den Fall in eine Klasse, die nichts zu verkaufen hat, als ihre Arbeitskraft: das Proletariat. Der schnelle Anstieg an lohnabhängigen Landarbeitern ließ die Löhne fallen und verschaffte der südsudanesischen Landwirtschaft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Nachbarn wie Äthopien. Die Kommandeure förderten den Warenexport in die Nachbarländer kräftig, da diese über Steuern eine wesentlich stabilere Revenue darstellten als die Lizenzen aus Juba. Die ganze Ökonomie wurde binnen weniger Jahre dominant von einem Subsidär- und ein Lohnarbeitssystem umgestellt, was auch den kleineren und größeren Händlern mehr Arbeit zukommen ließ. Traditionelle Formen der Solidarität, seien es Dorfgemeinschaften oder gewerkschaftliche Strukturen wurden durch die beschriebenen Prozesse schnell zerstört. Hilfsgelder aus dem Ausland spielen immer noch eine große Rolle, wandern aber weniger direkt durch die Hände Kiirs, als eher vermittelt über die neue Warenwirtschaft durch Steuern und Beteiligungen in die Hände der regionalen Kommandeure. Hilfsprojekte kriegen das Land nicht geschenkt, sondern sie müssen es für Preise zwischen 2.000 und 20.000 Dollar im Monat pachten. Das ehemalige Land der Bauern wurde damit monopolisiert und muss nun über NGOs wieder kostenpflichtig gepachtet werden. Diesen bleibt letztlich keine andere Wahl als den Status Quo anzuerkennen, wenn sie der lokalen Bevölkerung helfen wollen. Die Not der Menschen ist eine Geldquelle der Kommandeure.
Anderweitig gibt es in der Bauindustrie, in einigen Fabriken und in der verbliebenen Ölproduktion noch halbwegs stabile Kontakte zur Volksrepublik China, das zwar auf Grund der Nichteinmischung dem gewaltsamen Treiben der südsudanesischen Regierung zuschaut, aber dennoch den letzten Stabilitätsanker für die bröckelnde Wirtschaft in dem Land ausgeworfen lässt. Die USA unterhalten derweil keine Ambitionen in dem krisengeschüttelten Land.
Zusammenfassung
Im Südsudan hat sich ein Dekarbonisierungsprozess der besonderen Art entwickelt. Der Ausstieg aus der Ölförderung hat weder eine von grünen Vordenkern prognostizierte demokratische Wende durch die Ersetzung der Ölrenten mit einer pluralen Ökonomie gebracht, noch wurde Kiir einfach gestürzt. Die Umverteilung der Ölrenten von oben nach unten wurde einfach durch die Umverteilung der Ressourcen des gesamten Landes durch Lizenzen zu Raubzügen ersetzt. Hunderttausende Menschen verloren ihr Land, ihre Dörfer, ihr Vieh und ihre Familien. Die Kommandeure monopolisierten diese Ressourcen, während die ehemaligen Bauern nun als freie Lohnarbeiter*innen auf den Markt geworfen werden. Dabei gibt es kaum produktive Wirtschaft, außer wenn die Löhne so gering gehalten werden, dass der Exporthandel in das ebenfalls bettelarme Äthopien oder mit China funktioniert.
Man kann sich die Zukunft des Landes schwer ohne den nächsten Bürgerkrieg vorstellen, auch wenn schon der Frieden nur mit Gewalt und Entrechtung aufrecht erhalten werden kann. Das wachsende Proletariat besitzt zwar revolutionäres Potential, aber alleine wird es unter den gegebenen Voraussetzungen seine Kämpfe nicht gewinnen können.
Literatur:
Craze, J. (2024): From petrodollars to licenses: South Sudan’s post-oil political economy. In: Environment & Security. Online First. DOI: 10.1177/27538796241262351.