Kampf ums Kapital: „Wert“-Übersetzungen in Russland und Indien (1/2)

Als Dipesh Chakrabarty in Provincialisng Europe die Übertragbarkeit europäischer politischer Konzepte auf die indische Gesellschaft in Frage stellte, nutzte er auch Marx als Beispiel. Die Begriffe Wert, Arbeit und Kapital seien nicht nur nicht mit der indischen Realität und ihren verschiedenen Formen an Eigentum, kulturellen Überlappungen und kollektiven Produktionsmethoden vereinbar, die Begriffe ließen sich nicht einmal sinnvoll übersetzen. Aber stimmt das? Alessandro Stanziani von der Pariser CNRS hat die höchst spannende Übersetzungsgeschichte des Wert-Begriffs in Russland und Indien nachgezeichnet.

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Wählen linke Staaten in den UN proletarisch?

Gibt es eigentlich Klassen unter den Staaten, sowie es Klassen innerhalb von Gesellschaften gibt? War China während seiner Zeit als Werkbank der Welt irgendwie ein*e zur Nation gewordene*r Proletarier*in? Ist Großbritannien nach außen hin ein Akteur des Finanzkapitals, Deutschland des Monopolkapitals und Indien der Bauernklasse? Nicholas Lees hat in der Cooperation and Conflict das Abstimmungsverhalten aller Länder in der UNO zwischen 1946 und 2020 untersucht. Er versuchte herauszufinden, ob die dominierenden Klassen mehr Einfluss auf das Abstimmungsverhalten hätten als bürgerliche Kategorien wie Autokratie und Demokratie.

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Die Fair-Trade-Arbeiteraristokratie

Über den Begriff des Fair Trades rümpfen Salonmarxist*innen gerne mal die Nase. Fairer Tausch? Das ist doch im Kapitalismus immer so. Die Arbeiter*innen verkaufen ihre Arbeitskraft und werden dafür bezahlt. Sie verkaufen dafür ihre Arbeit, die den Mehrwert schöpft, aber eben nur in Kombination mit den Produktionsmitteln des Kapitalisten. Da wird alles zu seinem Wert getauscht. Fair sozusagen, vom moralischen Standpunkt des Systems aus. Diana Cordoba hat im Canadian Journal of Development Studies die Fallstudie Fair trade certification and class formation in Nicaragua’s coffee plantations veröffentlicht. Darin untersucht sie die mit der Fair-Trade-Zertifizierung einhergehenden Klassenbildungsprozesse auf einer Kaffeeplantage in Nicaragua.

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Geld, Wein oder Shopping Mall? Klassenfragen südafrikanischer Kollektivbetriebe

Viele Linke sehen in Genossenschaften eine transformative Organisationsform, um Keimzellen solidarischen Wirtschaftens bereits im Kapitalismus aufzubauen. Auch Südafrikas Regierungen, die immerhin von der Zusammenarbeit mit den Kommunisten beeinflusst wurden, versuchten über Genossenschaften, der unvollendeten Landreform neue Impulse zu versetzen, um der armen schwarzen Agrarbevölkerung mehr Kontrolle über Land und Arbeit zu geben. Brittany Bunce, Donna Hornby und Ben Cousins untersuchten zwei Fallbeispiele solcher südafrikanischer Kollektivwirtschaften. Sie entdeckten alten Klassenkampf in neuen Schläuchen, aber auch eine ganze eigene Formfrage dieses Klassenkampfes.

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Nepal: von der maoistischen Bodenreform zur Bodenspekulation

Denkt man an Nepal, kommen einem vielleicht drei Dinge in den Sinn. Erstens liegt hier das Dach der Welt, das Himalaya-Gebirge. Zweitens waren es sehr häufig Nepalesen, die auf den Baustellen der WM 2022 in Katar tödlich verunglückten. Und drittens führten die nepalesischen Maoist*innen einen der letzten blutigen Bürgerkriege der jüngeren Geschichte der kommunistischen Bewegung. Noch heute führt der Vorsitzende der maoistischen Nepalesischen Kommunistischen Partei, Pushpa Kamal Dahal (Kampfname: Prachanda), das Land als Ministerpräsident. Doch seine Macht bröckelt. Jacob Rinck lebte lange Zeit in einer nepalesischen Kleinstadt und hat mit Angehörigen aller Klassen und Kasten gesprochen. Er erzählt eine spannende Geschichte, wie maoistischer Aufstand, Arbeitsmigration, Bodenspekulation, Kastensystem und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zusammenhängen.

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Zur Klassenanalyse der Bauern

Die aktuellen Bauernproteste haben gezeigt, dass die Bauernschaft als politisches Subjekt nicht ganz aus dem Fokus der Linken verschwinden sollte. Paramjit Singh und Mukesh Kumar von den Universitäten in Panjab und Toronto haben den Exploitation-Index zur Kategorisierungen der bäuerlichen Klassen in Indien untersucht. Ist jeder, der Landarbeiter*innen anstellt, gleich ein Ausbeuter? Reicht die Fläche des Bodens aus, um auf die soziale Stellung zu schließen? Und wie wirkt sich die zunehmende Mechanisierung in der Landwirtschaft aus?

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Alphabetisierung in den Volkskommunen

Die Öffnung Chinas zum Weltmarkt bedeutete auch den Einzug vieler bürgerlicher Verkehrsformen in die Volksrepublik. Unter anderem zählt dazu die Individualisierung des politischen Bewusstseins der Arbeiter*innen und Bäuer*innen. Das stellt auch die Kommunistische Partei zunehmend vor ein Problem. Die Menschen sind immer weniger aus Einsicht für die Partizipation an Kampagnen zu gewinnen.
In einer Fallstudie zur Alphabetisierungsbewegung in der Mao-Ära zeigte Yinhao Zhang von der Universität in Adelaide, dass die politische Form der Durchsetzung sozialistischer Ziele nicht losgelöst von ihrer sozialen Basis betrachtet werden kann. Um wieder effektive Kampagnen initiieren zu können, müssten die Arbeitsbeziehungen in den Städten und Dörfern neu organisiert werden, was auf einen Rückbau der kapitalistischen Eigentumsformen hinauslaufe. Die Studie wurde im aktuellen Chinese Journal of Communication veröffentlicht. Dieser Artikel ist Teil 2 einer kleinen Serie über Kollektivierungen.

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Die doppelte ursprüngliche Akkumulation

Seit Land Grabbing auf der politischen Landkarte der Linken aufgetaucht ist, erfährt auch die Marxsche Theorie von der ursprünglichen Akkumulation eine Renaissance. Ob in den indigenen Siedlungsräumen Südamerikas Bergbaukonzerne paramilitärische Truppen rekrutieren oder Finanzunternehmen im Westen Boden aufkaufen und von den Bauern ruinöse Pachten verlangen: es stellt sich die Frage, ob die kapitalistische Akkumulation nur noch über Renten bis teilweise außergesetzliche Gewalt funktionieren kann und ob sich der Schein der liberalen Marktgesellschaft und des Rechtsstaats allmählich lüftet. Damit verbunden ist die Frage, ob die ursprüngliche Akkumulation eigentlich ein historisches Ereignis war oder während des Kapitalismus immer präsent ist.

David Siegel lenkte in der New Political Science den Blick auf ein besonders spannendes Beispiel. In der Sowjetunion gaben die Bolschewiki den Bauern zuerst das Land von den Großgrundbesitzern, um ein Jahrzehnt später die Kollektivierung zu erzwingen. Haben also die Bolschewiki die Gewalt der ursprünglichen Akkumulation stellvertretend für die Kapitalisten durchgeführt und was sagt das über den sozialistischen Charakter des Staates aus? Siegel schlägt hier eine ganz eigene Interpretation vor.

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Internationalismus international

Einer der wichtigsten Kernwerte der sozialistischen Bewegung steht momentan zur Disposition: die internationale Solidarität. Das bürgerliche Lager hat den Ukraine-Krieg zum Anlass genommen, militärische Hilfe für die Ukraine als Ausdruck internationaler Solidarität zu framen. Pazifist*innen, die sich dagegen stellen, wird ihr Internationalismus abgesprochen.
Im Millenium: Journal of International Studies hat Miri Davidson mit Dilar Dirik, Musab Younis, Maria Chehonadskih und Layli Uddin gesprochen. Alle vier beschäftigen sich mit Akteur*innen und Bewegungen, die dem proletarischen Internationalismus zugerechnet werden können und versuchen ihre Ergebnisse zusammenzubringen.

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Zur Klassenanalyse Afrikas

Wohin geht Afrika? Wenn ein*e Marxist*in eine Antwort auf diese Frage sucht, dann wird sie sicher zunächst die Produktionsverhältnisse und die daraus hervorgehende Klassenstrukturierung anschauen. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Eine politisch fruchtbare Klassenanalyse bereit schon in den imperialistischen Kernländern Probleme, wo es eine exorbitante Datenlage und vergleichsweise konventionelle und homogene kapitalistische Gesellschaftsorganisationen gibt. Afrika ist viel pluraler, viele Regionen sind politisch instabil, der Kapitalismus prallt noch immer auf vormoderne Lebensweisen und das koloniale Erbe lastet in verschiedenen Facetten auf den einzelnen Ländern. Paris Yeros von der Staatlichen Universität in Sao Paolo hat sich in seinem Paper Generalized Semiproletarianization in Africa an eine gesamtafrikanische Klassenanalyse gewagt.

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