Ukrainian History X: The Past in unwritten

In einer Zeit, in der der Krieg in der Ukraine andauert und materialistische Stimmen gegen jene ankämpfen müssen, die alles schon immer gewusst haben, hat Volodymyr Ishchenko ein ganz besonderes Buch herausgebracht. Eine Anthologie vergangener Artikel ist an sich nichts Besonderes. Normalerweise sind die Gegenstände der Artikel aber bereits geronnene Geschichte und politisch irrelevant. Towards the Abyss wird aber in einer Zeit veröffentlicht, in welcher Einschätzungen des Maidan, der Regierung Selenskys und dem Kriegsbeginn immer noch als politische Statements gelesen werden. Ein Buch gegen das Vergessen.

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Space & Communism statt Space Communism: Der chinesische Sozialismus in der ausbleibenden Weltrevolution

Man braucht kein großer Kritiker Xi Jinpings oder der Kommunistischen Partei Chinas zu sein, damit einem auffällt, dass der Sozialismus in der Volksrepublik wenig mit dem gemeinsam hat, was Karl Marx vor Augen gehabt hat. Seit 45 Jahren betreibt das Land einen beständigen marktwirtschaftlichen Öffnungskurs, alte Klassenstrukturen haben sich verfestigt,neue sind entstanden, anstatt abzusterben und chinesisches Kapital wird fleißig in die halbe Welt exportiert. Gibt es daher noch irgendetwas sozialistisches an China außer historische Bezüge und rote Fahnen? Zu Erörterung sind marxistische Stimmen aus China selbst von großer Bedeutung.

Renjiang Chen von der Akadamie des Marxismus in Beijing erläuterte den chinesischen Weg zum Kommunismus durch eine Diskussion des Zusammenhangs von Raum und Sozialismus.

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Vergangenheitsbewältigung nach DIN

Während es im 19. Jahrhundert viele Begriffe aus den deutschsprachigen Wissenschaften Eingang in den englischen Wortschatz fanden – man denke nur an Zeitgeist, Weltschmerz oder Blitzkrieg – haben das in den letzten 70 Jahren nur wenige geschafft. Einer davon ist der Begriff Vergangenheitsbewältigung. Johannes Schulz von der Universität in Luzern hat unter Berufung auf verschiedene Vertreter der Frankfurter Schule und ihrer Interpretation von Sigmund Freuds Theorie der Psychoanalyse idealistische und materialistische Vergangenheitsbewältigung unterschieden. Sein Aufsatz erschien in der Philosophy und Social Criticism.

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Das politische Subjekt Palästinenser*innen

Die Frage, seit wann es eigentlich das palästinensische Volk gibt, ist nur in zweiter Linie eine historische. Sie ist eine politische. Zionistische Vertreter*innen haben über die Jahrzehnte hinweg das Narrativ verbreitet, ein Volk ohne Land habe Israel auf einem Land ohne Volk errichtet. Und noch bis heute wird in höheren Kreisen die Auffassung vertreten, dass die Palästinenser*innen ja eigentlich Araber*innen seien und damit auch überall im Maghreb oder im Nahen Osten glücklich werden könnten. Das Beharren auf das kleine Stückchen Land zwischen Jordan und Rotem Meer sei damit nur durch einen tief verwurzelten Antisemitismus zu verstehen. Doch wie nicht wenige Völker haben sich die Palästinenser*innen durch den Kampf als politisches Subjekt konstituiert. Mit der Struktur und Entwicklung dieses politischen Subjektes hat sich die aktuelle Critical Sociology auseinandergesetzt. In mehreren Beiträgen beschreiben die Autor*innen, wie Rassifizierung, Kolonialismus, Sexismus, aber auch Solidarität unter Arbeiter*innen die heutigen Palästinenser*innen geprägt hat.

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Internationalismus international

Einer der wichtigsten Kernwerte der sozialistischen Bewegung steht momentan zur Disposition: die internationale Solidarität. Das bürgerliche Lager hat den Ukraine-Krieg zum Anlass genommen, militärische Hilfe für die Ukraine als Ausdruck internationaler Solidarität zu framen. Pazifist*innen, die sich dagegen stellen, wird ihr Internationalismus abgesprochen.
Im Millenium: Journal of International Studies hat Miri Davidson mit Dilar Dirik, Musab Younis, Maria Chehonadskih und Layli Uddin gesprochen. Alle vier beschäftigen sich mit Akteur*innen und Bewegungen, die dem proletarischen Internationalismus zugerechnet werden können und versuchen ihre Ergebnisse zusammenzubringen.

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Hippies, Nerds und Kommunisten … und Empanadas

Evgeny Morozov erzählt in seinem neusten Podcast The Santiago Boys die Geschichte eines der ambitioniertesten Projekte der sozialistischen Linken aller Zeiten. Das ist die Geschichte von Cybersyn. Das ist die Geschichte von Allende. Und es ist die Geschichte seines Sturzes. Er zeichnet Figuren nach. Er erläutert Hintergründe. Er weckt Emotionen. Und er stellt die Frage nach der Dialektik zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, zwischen politischen Problemen und technologischen Lösungen am historischen Fall der Regierung Allende in Chile ganz konkret.

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Der Knast als Spiegel der Gesellschaft: die Geschichte der Prisoners Union

Etwa zwei Millionen Menschen befinden sich zur Zeit in den USA in Haft. Jeder zwölfte männliche Schwarze zwischen 30 und 40 Jahren sitzt hinter Gittern. Ein großer Teil der Häftlinge sind dabei keine Mörder oder Vergewaltiger, sondern Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten oder in die Illegalität gezwungen wurden, um ihre Schulden zu bezahlen.
Über die Jahre und in den verschiedenen Ländern hat es daher immer mal wieder Versuche gegeben, Gefangenengewerkschaften zu organisieren. Das erfolgreichste Projekt war dabei wohl die Prisoners Union, die vom Ende der 60er Jahre bis zum Ende der 70er Jahre an der US-amerikanischen Westküste aktiv war. Ihre Geschichte erzählte Michael Gibson-Light vom Department of Sociology and Criminology der University of Denver im Prison Journal. Er griff dabei auch auf das theoretische Framework der kritischen Theorie zurück, dass Georg Rusche und Otto Krichheimer hinterließen.

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Bereits der Versuch ist strafbar

Wie würde ein Buch über die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland aussehen, wenn es nur aus Sicht der Opposition geschrieben wäre. Man würde darin von der personellen Kontinuität der Eliten zwischen Hitlerfaschismus und Adenauerdemokratie lesen und dass die gleichen Richter, die im Dritten Reich Kommunist*innen verurteilten, nun die KPD verboten. Das linke Beamte aus dem öffentlichen Dienst flogen. Man würde lesen, dass erst ein Generalstreik, der von britischen Panzern niedergeschlagen wurde, Ludwig Erhardt zur sozialen Marktwirtschaft zwang. Man würde lesen, dass die Frau an den Herd gefesselt wurde, um die Arbeiter*innenklasse in Brotverdiener und Kinderversorger zu spalten. Die Vergewaltigung in der Ehe war die gesamte Zeit über legal. Man würde lesen, dass Adenauer mit der Währungsreform, dem Grundgesetz und der Schaffung der Bundeswehr immer den ersten Schritt zur Spaltung Deutschlands machte und ihm das Angebot eines vereinigten, aber neutralen Deutschlands bereits zu links war.

Das alles könnte man lesen. Aber unsere Geschichtsbücher schreiben die Geschichte aus Sicht der Eliten und der von ihnen ideologisch dominierten Bevölkerungsmehrheiten. Wer jedoch die Geschichte der DDR genauso schreiben möchte, begibt sich auf gefährliches Terrain. Und nichts anderes versuchte Katja Hoyer mit ihrem in England erschienenem und ins Deutsche übersetztem Buch Beyond the Wall/ Diesseits der Mauer. Ist ihr Versuch gelungen? Den zu erwartenden Aufschrei hat sie zumindest erreicht.

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Die Linke und der Frieden: eine kurze Geschichte

Der Streit um die Haltung der Linken zum Krieg ist also so alt wie die Arbeiter*innenbewegung selbst. Für viele Linke gilt das Jahr 1914 als der Sündenfall der Linken. Während die erste und die zweite Internationale unter dem Einfluss von Marx, Engels, Liebknecht und Bebel noch in jedem Krieg einen Bürgerkrieg gesehen hätte, in dem die Arbeiter*innen nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hätten, habe eine arbeiter*innenaristokratische Kaste in den führenden Ländern Europas die traditionell pazifistischen Werte verraten und ihren jeweiligen Regierungen die Treue gehalten. Dabei bestand bereits die erste Internationale ihre Feuertaufe – den Deutsch-Französischen Krieg – eher schlecht als recht. Marcello Musto fasste in der Critical Sociology die Haltung der Linken zum Krieg in der Geschichte zusammen.

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Soziologie in Berlin (Hauptstadt der DDR)

Wovon spricht man, wenn man „DDR-Soziologie“ sagt? Von der Entfaltung einer Wissenschaft unter den ganz konkreten Bedingungen eines auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgebauten sich sozialistisch verstehenden Staates? Von einer durch den Marxismus-Leninismus geprägten Interpretation einer Wissenschaft? Vom kollektiven Werk der Soziolog*innen in der DDR oder von den Menschen, welche diese Werke verfasst haben? Oder einfach von der Negativfolie einer politisch indoktrinierten unfreien Wissenschaft gegenüber der heutigen jeglicher Ideologie und politisch-ökonomischen Beeinflussung unverdächtigen freien Soziologie?

Barbara Grüning von der Universität in Mailand Bicocca hat im Journal of Classic Sociology das Werk und Wirken von 63 ostberliner Soziolog*innen analysiert, um tiefer in die Geschichte der Wissenschaft einzutauchen. Sie eröffnet damit einen facettenreichen Blickwinkel auf die Dynamiken zwischen Wissenschaft und Politik in der DDR, die sich mit dem Begriff Totalitarismus nicht redlich beschreiben lassen.

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