Falsches Bewusstsein oder heuristische Ungerechtigkeit?

Warum lassen sich die Beherrschten eigentlich die Herrschaft einer Minderheit immer so lange gefallen? Titus Stahl von der Universität in Groningen hat dem Begriff des falschen Bewusstseins das Konzept der hermeneutischen Ungerechtigkeit gegenübergestellt. Haben die Unterdrückten die Welt also bisher nicht falsch gesehen, sondern falsch interpretiert?

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Von Riesen, Flüssen, Flucht und der direkten Herrschaft des Kapitals

Jeder kennt das Szenario: Eine progressive Regierung kommt an die Macht und hebt die Sozialstandards oder vergesellschaftet sogar Großunternehmen. Die Bourgeoisie zieht auf Grund der gesunkenen Profitraten ihr Kapital aus diesem Land ab und investiert im Nachbarland. Durch steigende Arbeitslosigkeit erhöhen sich die Sozialkosten, während die Einnahmen bröckeln und die einst progressive Regierung gezwungen wird, einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs einzuschlagen. Diese Analyse wird von reaktionären wie sozialistischen Kräften unter jeweils anderen Vorzeichen geteilt. Die einen begrüßen die darin enthaltene Drohung, die anderen sehen die Grenzen einer sozialen Marktwirtschaft hier begründet. Aber ist das wirklich der Modus, mit dem die Bourgeoisie herrscht, ohne in der Regierung zu sitzen. Miikka Jaarte von der Eliteuniversität in Standford hat kritisch nachgefragt.

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Die Fair-Trade-Arbeiteraristokratie

Über den Begriff des Fair Trades rümpfen Salonmarxist*innen gerne mal die Nase. Fairer Tausch? Das ist doch im Kapitalismus immer so. Die Arbeiter*innen verkaufen ihre Arbeitskraft und werden dafür bezahlt. Sie verkaufen dafür ihre Arbeit, die den Mehrwert schöpft, aber eben nur in Kombination mit den Produktionsmitteln des Kapitalisten. Da wird alles zu seinem Wert getauscht. Fair sozusagen, vom moralischen Standpunkt des Systems aus. Diana Cordoba hat im Canadian Journal of Development Studies die Fallstudie Fair trade certification and class formation in Nicaragua’s coffee plantations veröffentlicht. Darin untersucht sie die mit der Fair-Trade-Zertifizierung einhergehenden Klassenbildungsprozesse auf einer Kaffeeplantage in Nicaragua.

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Revolution … stand in unsren Tweets

Da für Marxist*innen und Kommunist*innen die Revolution quasi zum theoretischen und besser praktischen Handwerkszeug gehört, lohnt sich eine Blick in die aktuellen Entwicklungen in der Revolutionsforschung.
Leonid Grinin und Andrey Korotayev von der Russischen Akademie der Wissenschaften haben aus einer Reihe von Rezensionen aktueller revolutionstheoretischer Literatur Trends, Fragen und Aufgaben der Disziplin zusammengefasst. Sie beobachteten dabei die langsame Entstehung einer fünften Generation der Revolutionsforschung. Ihr Beitrag erschien in der Critical Sociology.

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Zur Geschichte hinter „Free Palestine“ (1/2)

„Free Palestine“ ist eine Parole, die sich gerade massiver Kritik ausgesetzt sieht. In den Medien wird sie mit der Zustimmung zur Hamas, islamischem Antisemitismus und vor allen Dingen vermeintlich fehlendem Wissen assoziiert. Während die gleichen Medien die massive Repression, die durch Abschiebeforderungen, Vereins- und Veranstaltungsverbote, sowie Racial Profiling ausgeübt wird, mit keinem Wort erwähnt, wird bei jeder Kundgebung genau Buch geführt, ob sich ein*e Redner*in nicht deutlich genug von Terror distanziert hat. Es bleibt meist bei der Verurteilung einzelner Wortfetzen; die ganze Geschichte, die von Palästinenser*innen erzählt wird – und die man am Ende immer noch kritisieren könnte – bleibt für die Mehrheitsgesellschaft unerzählt. Um die Wissenslücken zu füllen, entschloss sich der linke Haymarket-Verlag, drei E-Books für begrenzte Zeit zum kostenlosen Download anzubieten. Eines davon ist Palestine – A Socialist Introduction. An dieser Stelle sollen einige Thesen des Buches dargestellt werden.

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Vulgaris Marxistak: ein kleiner Problemaufriss des Vulgärmarxismus

Wem wurde nicht schon einmal der Begriff „Vulgärmarxist“ an den Kopf geworfen? Mal kann man es deshalb hören, weil man versucht, ein marxistisches Argument möglichst einfach darzulegen, mal hört man es, wenn man versucht, ein Argument zu stark in höheren philosophischen Zusammenhängen einzubetten. Mal kritisiert es die Theorieverhaftung einer Position, mal einen übertriebenen Aktionismus. Kurz: mit dem Vorwurf des Vulgärmarxismus kann so ziemlich alles kritisiert werden. Doch warum bedient man sich dieser Stilfigur, anstatt ein Argument inhaltlich zu widerlegen?

Edward Baring hat sich in der Rethinking Marxism mit der frühen Kritik von György Lukacs am Urvater des Vulgärmarxismus Karl Kautsky auseinandergesetzt. Über die Versuche, das Schwere einfach zu machen und das Scheitern.

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Die politische Ökonomie der Heteronormativität (2/2)

„Privat können die Leute doch machen, was sie wollen. Es muss doch aber nicht dauernd öffentlich sein.“ Das ist eine der häufigsten Positionen, die Menschen zu queerer Politik einnehmen. Offene Feindschaft ist eher selten geworden, wenn auch vorhanden. Schmähungen finden auf den Fußballplätzen und in den Kneipen der Bundesrepublik noch statt, aber in den Medien oder der breiten Öffentlichkeit werden sie hart sanktioniert. Queere Aktivist*innen entgegnen, dass das Private auch immer politisch sei, aber näher erläutert wird dieser Satz selten. Duc Hien Nguyen zeigt auf, inwiefern Queerness in der sozialen Reproduktion eine Klassenfrage ist, was die Bourgeoisie daran feiert, was sie verdammt und warum vielfältige Reproduktionsstrategien der Arbeiter*innen ein Trumpf im Klassenkampf sind.

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99% gegen eins, eine für die 99%? Analysen zur Krise des Linkspopulismus

Dass die Linkspartei in Deutschland in einer Krise steckt ist offenkundig. Die Bildung einer linkspopulistischen Wahlalternative durch Sahra Wagenknecht erscheint in absehbarer Zeit als nicht unwahrscheinlich. Die Ankündigung, nicht wieder auf den Listen der LINKE. Für den Bundestag zu kandidieren, wirft jedenfalls seine Schatten voraus. Ein Wähler*innenpotential von annähernd 20% gilt als möglich.

Gesamteuropäisch betrachtet steckt der Linkspopulismus jedoch in einer tiefen Krise. Plattformen wie Podemos oder Syriza leiden unter beständigem Vertrauensverlust, obwohl sich die kapitalistischen Krisen eher verschärft als abgemildert haben. In mehreren wissenschaftlichen Journalen wurde daher in den letzten Wochen versucht, zu analysieren, woran dies liegt. Vielleicht kann man für Deutschland hieraus lernen.

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zeitgenössische Marxist*innen: Guglielmo Carchedi

Heute wird die Serie zu zeitgenössischen marxistischen Wissenschaftler*innen fortgesetzt. Und wieder soll ein Marxist vorgestellt werden, den in Deutschland eher wenige kennen: Guglielmo Carchedi. Die Unbekanntheit hat er leider zu Unrecht. Seine Formalisierung der Hegelschen und Marxschen Dialektik, welche die Berücksichtigung der Zeit als wesentlichen Mehrwert der dialektischen gegenüber der formalen Logik identifiziert, ist leicht verständlich und erklärungsmächtig. Carchedi kann Dialektik, Ontologie, Klasse und politische Ökonomie zusammendenken, beharrt in bester wissenschaftlicher Tradition aber auf die empirische Überprüfbarkeit von Theorie. Im Folgenden sollen seine wesentlichen Leistungen dargestellt werden.

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Protest in Translation

Der „heiße Herbst“ kommt langsam ins Rollen. Doch die Verhältnisse sind kompliziert. Auf Seiten der Linken besteht eine permanente Angst, man könne sich von rechts vereinnahmen lassen. Daher ist es ungeheuer wichtig, sich mit der aktuellen Protestforschung und marxistischen Interpretationen des ideologischen Überbaus moderner kapitalistischer Gesellschaften auseinanderzusetzen.
Eine Theorie, welche hier Beachtung finden sollte, ist die so genannte Regulationstheorie. Sie analysiert, wie sich Gesellschaften politisch, ökonomisch, sozial, ideologisch und ökologisch aufstellen, um Krisen hinauszuzögern, gesellschaftlichen Konsens zu erzwingen und Proteste zu vermeiden.

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