Zur Klassenanalyse der Bauern

Die aktuellen Bauernproteste haben gezeigt, dass die Bauernschaft als politisches Subjekt nicht ganz aus dem Fokus der Linken verschwinden sollte. Paramjit Singh und Mukesh Kumar von den Universitäten in Panjab und Toronto haben den Exploitation-Index zur Kategorisierungen der bäuerlichen Klassen in Indien untersucht. Ist jeder, der Landarbeiter*innen anstellt, gleich ein Ausbeuter? Reicht die Fläche des Bodens aus, um auf die soziale Stellung zu schließen? Und wie wirkt sich die zunehmende Mechanisierung in der Landwirtschaft aus?

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Der vulgäre Brecht

Bertolt Brechts Werk ist im doppelten Sinne für seine Vulgarität bekannt. Erstens bediente er sich gerne kraftausdrucksreicher Gossensprache, um die soziale Realität unverblümt auf die Bühne zu bringen. Zum anderen gilt er als jemand, der seinen Marxismus nicht durch schöngeistige und spitzfindige Interpretationen ausdrückte, sondern durch einfache, geradezu vulgäre Fragen: Wem gehört was? Wer profitiert und wer zahlt die Rechnung? Aus diesem Grunde eignet sich Brecht besonders hervorragend als Gegenstand einer Fallstudie zu Potential, Grenzen und Kritik des Vulgärmarxismus, was die Rethinking Marxismus auf einem Kongress kürzlich diskutieren ließ. Neil Levi arbeitete dabei den Begriff des „groben Denkens“ bei Brecht heraus, einmal in seiner Existenz als Vorurteil durch eine einflussreiche Rezension Walter Benjamins und einmal in seiner werkimmanenten Rolle.

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Das bikammerale Unternehmen

Von den am BIP gemessenen 100 größten Ökonomien der Welt sind nur 29 Nationalstaaten. Der Rest sind transnationale Konzerne. Walmart ist größer als Spanien; Apple größer als Indien. Während nur ein Teil dieser 29 Staaten als demokratisch bezeichnet werden kann, so ist es in jedem Fall keiner dieser Konzerne. Diese undemokratischen Wirtschaftssubjekte wiederum schaden durch ihre Macht nicht nur den politischen Demokratien, sie üben auch undemokratische Macht über die Arbeiter*innen am Arbeitsplatz aus. Da das Ende des Kapitalismus gefühlt noch ferner in der Zukunft liegt als das Ende der Welt, haben sich verschiedene heterodoxe Ökonom*innen mit der Frage befasst, wie man innerhalb marktwirtschaftlicher Mechanismen Konzerne demokratisieren könne.
Die aktuelle Ausgabe der Politics & Society widmete sich in mehreren Aufsätzen dem Ansatz der Bikammeralität. Das von Isabelle Ferreras entwickelte Konzept sieht eine eine Art Zwei-Kammer-Parlament für größere Unternehmen vor, in welchem die Arbeiter*inne genauso viel zu bestimmen hätten, wie die Aktionäre. Dafür gab es Lob und Kritik.

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Never mind the Durchschnittsprofitrate. Here ist the Durchschnittsmehrwertrate.

Die Diskussion um die durchschnittliche Profitrate und ihre Rolle in der Preisbildung nach Marx ist den meisten interessierten Marxist*innen bekannt. Weniger bekannt hingegen ist, dass Marx auch für eine Angleichung der Mehrwertraten in den verschiedenen Industrien argumentierte. Viel Gerede in der Linken von der besonderen Ausbeutung dieser oder jener Fraktionen der Arbeiter*innenklasse wäre damit zumindest langfristig hinfällig. Während die Theorie des Ausgleichs der Mehrwertraten zur Entstehungszeit des Kapitals so populär war, dass sie Marx nicht besonders herausstellen musste, hat sich jedoch auch im Laufe des 20. Jahrhunderts Kritik geregt.

Jonathan Cogliano hat im Cambridge Journal of Economics eine kleine Einführung in Marxens Theorie einer Durchschnittsmehrwertrate gegeben. Er diskutierte dabei nicht nur die Stichhaltigkeit und die Ideengeber von Marx, sondern auch, warum die Diskussion um die Durchschnittsmehrwertrate im Marxismus nur eine nebensächliche Rolle spielte.

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Die politische Ökonomie der Heteronormativität (2/2)

„Privat können die Leute doch machen, was sie wollen. Es muss doch aber nicht dauernd öffentlich sein.“ Das ist eine der häufigsten Positionen, die Menschen zu queerer Politik einnehmen. Offene Feindschaft ist eher selten geworden, wenn auch vorhanden. Schmähungen finden auf den Fußballplätzen und in den Kneipen der Bundesrepublik noch statt, aber in den Medien oder der breiten Öffentlichkeit werden sie hart sanktioniert. Queere Aktivist*innen entgegnen, dass das Private auch immer politisch sei, aber näher erläutert wird dieser Satz selten. Duc Hien Nguyen zeigt auf, inwiefern Queerness in der sozialen Reproduktion eine Klassenfrage ist, was die Bourgeoisie daran feiert, was sie verdammt und warum vielfältige Reproduktionsstrategien der Arbeiter*innen ein Trumpf im Klassenkampf sind.

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Politische Ökonomie der Heteronormativität (1/2)

Manchmal muss man sich auch ein Jubiläum an den Haaren herbei ziehen. Die Review of Radical Political Economics feiert 50 Jahre feministische politische Ökonomie. Der Anlass ist kein festes Datum, sondern die Tatsache, dass 1972 noch 2% aller Professuren in den Wirtschaftswissenschaften von Frauen* besetzt waren und es an vielen Fakultäten kein Verständnis dafür gab, „wozu man Frauen oder Marxisten“ brauche.
Seither hat sich vieles geändert, wenn auch nicht alles. Feministische Forscher*innen haben entweder eigene Institute gegründet oder konnten Anerkennung in etablierten Einrichtungen gewinnen. Die Review of Radical Political Economics druckte daher einige Aufsätze zur zeitgenössischen Forschung aus diesen Gebieten ab. Zunächst widmen wir uns einem Aufsatz von Sirisha Naidu.

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Acht Jahre Mindestlohn – ein Armutszeugnis

Wenige politische Forderungen genießen im kompletten Spektrum der politischen Linken einen guten Ruf. Der Mindestlohn ist eine solche Forderung. Teresa Backhaus von der Universität Bonn und Kai-Uwe Müller vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung haben sich auf Grundlage demoskopischer Untersuchen mit der Frage beschäftigt, ob unter den besonderen Bedingungen einer progressiven Einkommenssteuer und eines differenzierten Sozialstaats der Mindestlohn überhaupt zur Reduzierung von Armut und Ungleichheit taugt. Untersuchungen über die tatsächliche Wirkung des Mindestlohns lagen nämlich bisher noch nicht vor. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie vor wenigen Tagen im Journal of Eurpean Social Policy als Online First.

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Alt, krank, arm … aber relativ gut versichert

Die Weihnachtszeit ist die Zeit, in der man seine Liebsten mit preisgekrönter marxistischer Literatur bescheren möchte. Letzterer mangelt es leider an Preisen. Eine Ausnahme macht der seit 1969 vergebene und mit 500 Dollar dotierte Isaac-und-Tamara-Deutscher-Preis. Dieses Jahr darf sich Gabriel Winant in die Riege namhafter Preisträger*innen wie David Harvey, Eric Hobsbawm oder Terry Eagleton einreihen. Sein Buch The Next Shift. The Fall of Industry and the Rise of Health Care in Rust Belt America über die Transformationsprozesse im amerikanischen Rust Belt konnte die Jury überzeugen.

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How to Blow Up a Pipeline

2020 bringt ein schwedischer Autor ein Buch mit dem Titel “How to Blow Up a Pipeline” heraus. Am 10. September 2022 wird erstmals der gleichnamige Film gezeigt. Nur zwei Wochen später kommt es tatsächlich zu Anschlägen auf die Pipelines Nord Stream 1 und 2. Kann das Zufall sein? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon. Aber es ist dennoch gutes Meme-Material für Photoshops, wie nach Gusto Biden, Putin oder Scholz mit dem Buch in der Hand dasitzen.
Der Autor des Buches heißt Andreas Malm. Die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi nannte den Autoren Malm „eine prominente Stimme eines erneuerten ökologischen Marxismus“, wie der Freitag zu berichten weiß. Daher sind Autor, Filmpremiere und der hellseherische Titel Grund genug, mal einen Blick ins Buch zu werfen. Wer ist der Autor? Was steht drin? Argumentiert es wirklich marxistisch? Und lernt man tatsächlich etwas über das Hochjagen von Pipelines?

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Das gute Leben im Falschen – Zur Aktualität Mariateguis

Schutz und Einheit mit der Natur, Verbundenheit mit der Gemeinschaft, Spiritualität, ein gutes Leben in Selbstbestimmung … dafür steht der Begriff des Sumak Kawsay der Andenvölker Südamerikas. Viele Linke und Sozialist*innen erblicken in diesem einen Weg zu einem kommunitarischen Sozialismus, der gleichzeitig der ökologischen Krise und dem globalen Imperialismus entgegengesetzt werden kann. Bereits vor hundert Jahren entwickelte der peruanische Marxist Jose Carlos Mariategui die Konzeption eines Sozialismus, der indigene Traditionen in sich aufnimmt. Die Latin American Perspectives haben die Theorie Mariateguis im Spiegel aktueller Entwicklungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent interpretiert. Sie zeigen, dass sich Entwicklungen zwischen Linken und Indigenen weit konfliktreicher abgespielt haben, als es nach Mariategui zu erwarten wäre.

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