Die Linke und der Frieden: eine kurze Geschichte

Der Streit um die Haltung der Linken zum Krieg ist also so alt wie die Arbeiter*innenbewegung selbst. Für viele Linke gilt das Jahr 1914 als der Sündenfall der Linken. Während die erste und die zweite Internationale unter dem Einfluss von Marx, Engels, Liebknecht und Bebel noch in jedem Krieg einen Bürgerkrieg gesehen hätte, in dem die Arbeiter*innen nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren hätten, habe eine arbeiter*innenaristokratische Kaste in den führenden Ländern Europas die traditionell pazifistischen Werte verraten und ihren jeweiligen Regierungen die Treue gehalten. Dabei bestand bereits die erste Internationale ihre Feuertaufe – den Deutsch-Französischen Krieg – eher schlecht als recht. Marcello Musto fasste in der Critical Sociology die Haltung der Linken zum Krieg in der Geschichte zusammen.

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Blick ins Heft: die neue Вопросы политической экономии

Russland ist kein totalitäres System. Auch wenn Kritik am Krieg in der Ukraine oder die Kooperation mit westlichen Geldgebern immer ein Ritt auf der Rasierklinge sind, werden viele politische und wirtschaftliche Fragen kontroverser diskutiert als in Deutschland. Marxistische Wissenschaft hat sogar an den Universitäten überlebt und unter dem akademischen Überbau dutzender kapitalismuskritischer Lehrstühle an den Universitäten erstreckt sich eine breite Basis an verschiedensten Schulen, Journalen, Blogs, Videoprojekten oder Graswurzelorganisationen. Ein Leitmedium der akademischen Linken in Russland ist die Voprosi Politicheskoi Ekonomii, die Fragen der politischen Ökonomie. Sie wird von der Lomonossow-Universität in Moskau herausgegeben und von den beiden bekannten Marxisten Aleksandr Buzgalin und Andrey Kolganov redaktionell geleitet. Sie erscheint vierteljährlich und kann kostenlos auf ihrer Homepage (siehe Literatur) eingesehen werden. Vergangene Woche erschien die aktuelle Ausgabe. Ein kleiner Überblick über drei interessante Beiträge.

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Rezension: Spezialoperation und Frieden (Ewgeniy Kasakow)

Russland ist ein Land, in dem es offiziell keine Kriegsbefürworter*innen gibt. Denn es gibt offiziell keinen Krieg. Kundgebungen für die Spezialoperation zu organisieren, ist ebenfalls nicht erwünscht. Politischer Aktivismus würde ja bedeuten, es handle sich um eine große Sache. Es ist für dem Kreml aber keine große Sache. Doch auch, wenn es weder Krieg noch Kriegsfreunde in Russland gibt, es gibt Kriegsgegner*innen. Auch wenn diese erst recht nicht protestieren dürfen.
Ewgeniy Kasakow hat in seinem Buch Spezialoperation und Frieden die Positionen der linken Kriegsgegner*innen zusammengetragen. Dazu hat er Interviews geführt, Quellen ausgewertet und die Geschichte einer zersplitterten politischen Bewegung aufgerollt. Herausgekommen ist eine Mischung aus politischer Enzyklopädie, Essaysammlung und kommentiertem Zeitgeschehen.

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Der Jugend die Welt

Rosa Luxemburg schrieb einst, dass die Jugend die hellste Flamme der Revolution sei. Sie gilt als begeisterungsfähig, progressiv, aktiv und weitestgehend frei von den Sorgen des Alltags. Ihr ist einiges zuzumuten und zuzutrauen. Gleichsam ist sie rebellisch, sucht ihre eigenen kulturellen Ausdrucksformen und lässt sich nicht so leicht vereinnahmen, wie es zuweilen Absicht der Herrschenden war. Die aktuelle Social History warf einen Blick auf die verschiedenen Formen jugendlichen Internationalismus. Sie fragte dabei nicht nur nach den Inhalten, sondern insbesondere nach den Formen.

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100 Jahre Sowjetunion: Rückblick auf einen Vielvölkerstaat

Am 30. Dezember 1922 wurde die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken aus der Taufe gehoben. Als Flagge wurde die rote Fahne mit Hammer, Sichel und Stern gewählt. Zunächst fungierte die Internationale als Hymne. Im Laufe ihrer Geschichte wurde sie zum Flucht westeuropäischer und amerikanischer Kommunist*innen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und der postkolonialen Staaten in der zweiten Hälfte. Mit dem Sieg über den Hitlerfaschismus gelang ihr der triumphalste Auftritt auf der historischen Bühne. Der Blutzoll, den die junge Föderation in den ersten 22 Jahren ihrer Existenz zu zahlen hatte, erwies sich jedoch bis zu ihrem Zusammenbruch als erdrückendes Erbe.
Die Marxistischen Blätter widmeten ihre aktuelle Ausgabe der Sowjetunion. Verschiedene Autoren aus den Amerikas, Eurasien und Afrika beleuchteten verschiedene Blickwinkel der Sowjetunion als Vielvölkerstaat, sozialistisches Projekt und auch die postsowjetische Entwicklung.

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Ursula K. Le Guin: The Dispossessed (hist.-mat. Science Fiction 2/X)

Im vorangegangenen Artikel wurde die historisch-materialisische Science Fiction als ein regelbasiertes Gedankenexperiment beschrieben, welches das Mittel der Fiktion nutzt, um Erkenntisse zu gewinnen, die ohne sie nicht möglich wären. Das ist natürlich reichlich abstrakt und verlangt nach Anwendung. Ein erstes Fallbeispiel soll Ursula K. Le Guins The Dispossessed (dt. Freie Geister) sein. Der Roman zählt als einer der Klassiker, nicht nur der linken, Science Fiction. Im Sinne der obigen Definition soll der Roman als Experiment im engen Sinne verstanden werden. Ursula K. Le Guin starb am kommenden Sonntag vor fünf Jahren.

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Linke, die Zizek mögen, kauften auch dieses Buch

„Dissidents among Dissidents. Ideology, Politics and the Left in Post-Soviet Russia“ von Ilya Budraitski wurde in diesem Jahr für den lsaac-Deutscher-Preis nomminiert. Als studierter Kunst-, Geschichts- und Kunstgeschichtswissenschaftler, Ausstellungskurator über die russische revolutionäre Geschichte, Lehrbeauftragter in Moskau und Aktivist in zahlreichen regierungskritischen Bündnissen ist Budraitskis einer der ersten Ansprechpartner hiesiger linker Medien. Was er schreibt und warum er nicht gewonnen hat, ist Gegenstand der folgenden Rezension.

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Der Lange-Weg des polnischen Marxismus (2/2)

Oskar Lange gilt vielen zeitgenössischen Marxist*innen als eine der spannendsten Persönlichkeiten des polnischen sozialistischen Diskurses nach Rosa Luxemburg. Das Journal Research in Political Economy beschäftigte sich in der diesjährigen Ausgabe genau mit diesem Thema. Werfen wir einen zweiten Blick in die Ausgabe und schauen uns an, was zu Oskar Lange und seinen Nachfolgern geschrieben wurde.

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Marxismus in Russland

In den letzten Wochen sind einige Artikel erschienen, wie sich „russische Marxisten“ im Ukrainekrieg positionieren. In der Regel verurteilen sie den Krieg, geißeln das Putin-System als protofaschistisch und gehen auf Distanz zur KPRF. Aber was ist eigentlich „russischer Marxismus“? Gibt es nur einen? Wie einflussreich ist er in Wissenschaft und Politik?
In der aktuellen Critical Sociology geben Wissenschaftler*innen aus Moskau und St. Petersburg einen Überblick über den akademischen Marxismus in Russland. Insbesondere Olga Barashkova zeichnet in einem Artikel die unterschiedlichen Strömungen mit ihren Leitideen und -figuren nach. Sie geht insbesondere auf die Strömung der post-sowjetischen Schule des kritischen Marxismus ein.

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Kommunismus = Sowjetmacht + Internet

Noch lange nach 1989, als die Begriffe Sozialismus und Kommunismus sich angesichts der Wirtschafts- und Finanz bereits wieder rehabilitiert hatten, trug das Wort Planwirtschaft noch immer einen faden Beigeschmack. Er schmeckte nach Schwerfälligkeit, Anthrazit und sieben Tage Kohlsuppe. Doch angesichts der augenscheinlichen Unfähigkeit marktwirtschaftlicher Konzepte, der Klimakrise Herr zu werden und dem Quantensprung in der Vernetzung und Digitalisierung der Menschen und Dinge, kommt wieder ein bisschen Pfeffer in die Sache.
Just in der ersten Hälfte diesen Jahres veröffentlichte der papyrossa-Verlag zwei Bücher zu Planwirtschaft und Arbeitszeitrechnung: „Plädoyer für die Planwirtschaft“ von Helmut Dunkhase und „Die Gesellschaft nach dem Geld“ von Günther Sandleben.

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