⋄ Über die marxistische und kommunistische Geschichte Thailands ist heutzutage im Westen nur noch wenig bekannt. ⋄ Yumeng Liu skizzierte diese in der Socialism &Democracy. ⋄ Der Marxismus schwankte in Thailand immer wieder zwischen buddhistischer Harmonielehre und revolutionärer Klassenanalyse. ⋄ In den 70er Jahren brachte die Kommunistische Partei Thailands knapp 6.000 Dörfer mit 4 Millionen Bauern unter ihre Kontrolle. ⋄ Liu sieht die Zukunft des Marxismus in einer Siamisierung und der Abwendung von der aktuellen buddhistischen Thai-Zentrierung. |

Thailand ist für die meisten Marxist*innen ein blinder Fleck auf der politischen Landkarte. Das Land ist stark vom Konservatismus, Zentrismus und Royalismus geprägt. Die politischen Bewegungen scharen sich meist um Einzelpersonen, deren politische Markenkerne sich für Außenstehende kaum unterscheiden lassen. Linke oder Arbeiter*innenparteien sind marginalisiert; Könighaus und Militär kungeln scheinen meist die Macht unter sich auszukungeln, während das Parlament zwar zunehmend formale Rechte gewinnt, real aber unter diesem Dualismus subsummiert bleibt. Dass in den 60er und 70er Jahren eine kommunistische Guerillaarmee große Teile des Landes kontrollierte und der CIA davon ausging, dass nach Vietnam als nächstes Thailand rot würde, weiß kaum noch jemand. Doch auch darüber hinaus besitzt der Marxismus in Thailand eine spannende Geschichte. Diese erzählte Yumeng Liu in der Socialism & Democracy.
Harmonie statt Revolution?
Der politische Boden Thailands zur Ausbreitung marxistischer Ideen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts denkbar schlecht. Bis 1932 herrschte in Siam eine feudale Monarchie, die von einem stark hierarchischem Ständesystem und dem Buddhismus als ideologischer Klammer geprägt war. Nachdem 1932 zunächst eine Verfassung einen ersten Schritt der nachholenden Modernisierung darstellte, wurde 1939 der Name in die ethnisch-nationalistische Bezeichnung Thailand geändert, um den Herrschaftsanspruch auf alle in Südostasien lebenden Thai-Stämme anzudeuten. Eingewandert sind marxistische Ideen in den 1920er Jahren jedoch mit vietnamesischen und chinesischen Migrant*innen, sowie durch Mitglieder der höheren Thai-Stände, die vom Studium in Europa nach Siam zurückkehrten.
Einer der ersten prägnanten linken Intellektuellen war der Reformer Tienwan Wannapho. Er kritisierte die sozialen Missstände im Land und rief zu einer Systematisierung der sozialistischen Implikationen des Buddhismus und der traditionellen Solidarität auf. Er prägte damit eine ganze Generation junger Linker, zu denen auch Paraya Suriyanuwa gehörte, der Wannaphos Kritik konkretisierte, indem er das Privateigentum als zentralen Grund für die gesellschaftlichen Ungleichheiten identifizierte. Kulap Saipradit sah im Marxismus sogar nur die Anwendung buddhistischer Grundsätze auf die politische Ökonomie, die Karl Marx auf Grund seiner Herkunft nur in einer anderen Sprache auszudrücken vermochte.
Der bekannte siamesische Politiker und Revolutionär Pridi Banomyong machte sich während seines Studiums in Frankreich unter anderem mit einigen Schriften von Marx und Engels vertraut. 1932 führte er die siamesischen Truppen zum Sturz der absoluten Monarchie an und wurde Thailands erster Ministerpräsident. Legendär wurde sein „ökonomischer Plan“, der die Nationalisierung großer Betriebe vorsah, um die soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Der Boden sollte in die Hand des Staates übergehen und alle Siames*innen Angestellte des Staates mit Rechte auf öffentliche Daseinsfürsorge werden. Obwohl sich dieser Plan eher an westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten orientierte, wähnte der König eine verkappte kommunistische Revolution: „Ich weiß nicht, ob Stalin Luang Pradit kopiert hat oder ob Luang Pradit Stalin kopiert hat. […] Der einzige Unterschied ist, dass der eine Russe ist und der andere Thai. […] Das ist dasselbe Programm, das in Russland verwendet wurde. Wenn unsere Regierung es annähme, würden wir der Dritten Internationale helfen, das Ziel des Weltkommunismus zu erreichen. […] Siam würde der zweite kommunistische Staat nach Russland.“ Er erließ ein Gesetz gegen kommunistische Umtriebe, das Pridi für kurze Zeit ins Exil zwang. Der als „gelbes Heft“ oder „Kommunistisches Manifest Thailands“ in die Geschichte eingegangene ökonomische Plan wurde so nie realisiert.
Die Mischung aus Demokratisierung der Gesellschaft und königlich verordnetem Antikommunismus führte zu einer stark reformistischen Auslegung des Marxismus. Sulak Sivaraksa etwa beschrieb Marxens Revolutionstheorie als christlich und jüdisch geprägte religiöse Imagination, die auf den Buddhismus nicht anwendbar sei, wo die Lehre der Harmonie vorherrsche. Erlösungsvorstellungen, seien sie auf die Revolution oder einen Messias bezogen, seien dem Buddhismus fremd und bedürften daher einer Modifikation.
Von der Harmonie zur Kritik
Eine Zäsur der Entwicklung des Marxismus in Thailand stellte die Gründung der Kommunistischen Partei (KPT) am 1. Dezember 1942 dar. Ihre soziale Basis fand sie zunächst in den ethnischen Minderheiten, die sich vom zunehmenden Tai-Nationalismus bedroht fühlten und daher dem proletarischen Internationalismus zustrebten. Nach dem Zweiten Weltkrieg genoss sie unter einer vergleichsweise liberalen Regierung weitgehende Bewegungsfreiheit und zog sogar mit zwei Abgeordneten in den Senat ein. Dadurch vergrößerte sich der Einfluss des Marxismus auf die urbane Intelligenz. Mit der Gründung der Volksrepublik Chinas wurde verstärkt Mao der Referenzpunkt der Partei. Artikel von Mao wurden in der Parteizeitung Mahachon veröffentlicht und die Beschreibung der thailändischen Gesellschaft wurde zunehmend in der Kategorien vorkapitalistischer, semifreudaler und halbkolonialer Gesellschaftsformen beschrieben, anstatt in der buddhistischen Harmonielehre.
Udom Srisuwan wurde mit seinem Werk Der Werk der Thai-Gesellschaft zum Stichwortgeber seiner Zeit. Er sah Thailand als Mischung halbkolonialer Abhängigkeiten und des einzigartigen Sakdina-Systems. Dieses maß die gesellschaftliche Stellung einer Person in Rai. Dabei verhielt es sich so, dass der König anfangs Lehen in der Flächeneinheit Rai vergab und sich die gesellschaftliche Stellung durch die Größe des Landbesitzes definierte. Als jedoch sämtliches Land vergeben war, wurde quasi imaginäres Land vergeben, dass die Stellung andeutete, ohne, dass dahinter auch der entsprechende Boden stand. Die königstreue Elite wurde ohnehin am Hof versorgt. Da hier bereits einzigartig Abstraktionsleistungen des Geldes vorweggenommen wurden, konnte sich die Einführung des Kapitalismus auch leicht in das Sakdina-System integrieren, ohne eine revolutionäre bürgerliche Klasse zu schaffen. Die Sakdina-Klassen seien daher führend geblieben, während Bauern und Sklaven untergeordnete Klassen seien. Durch die historische Zementierung dieses Systems könne aber nur eine gewaltsame Revolution die armen Klassen befreien. Auf diesen Gedanken baute Jit Poumisak mit seinem auch ins Englische übersetzten und vielleicht wichtigsten Werk der siamesischen marxistischen Analyse Das wahre Gesicht des zeitgenössischen Thai-Feudalismus auf. Er beschrieb darin, wie sich die Feudalherren über das Sakdina-System auch die Produktionsmittel aneigneten, wobei es ihm gelang ehemals positive Begriffe der buddhistischen und monarchistischen Ideologie negativ zu framen.
Von der Kritik zum Aufstand
Angesichts dieser revolutionären Interpretation des Marxismus änderte die Kommunistische Partie auch ihre Strategie. Auf dem dritten Parteitag 1961 beschloss sie, die Städte vom Land aus einzukreisen und einen ähnlichen Volkskrieg zu führen, wie die KPCh. Ab 1965 wurden forciert bewaffnete Kräfte aufgebaut, die das Militär in der Hälfte des Landes in militärische Auseinandersetzungen zwang. Etwa 6.000 Dörfer mit zusammen vier Millionen Einwohner*innen fielen zeitweilig unter den Einfluss der Kommunist*innen, obwohl deren bewaffneter Arm gerade einmal 8.000 Soldaten umfasste. Das deutet an, dass der Zuspruch in der Bauernschaft enorm war.
In den Städten wechselten sich militaristische Staatsstreiche und demokratische Gegenputsche fast jährlich ab. Die Studierenden waren in dieser permanent gewalttätigen politischen Landschaft offen für marxistische Ideen und übersetzten viele Werke von Marx und Engels in die Thai-Sprache, vor allen Dingen die philosophischen und materialistischen Schriften wie Der Ursprung, Die Rolle der Arbeit, Wert, Preis und Profit oder Die Entwicklung des Sozialismus. Auch die Grundrisse fanden ihren Weg in die Debatten.
Allerdings lag auch ein zentrales Missverständnis zwischen den urbanen Intellektuellen und den aufständischen Bauern vor. Während die städtische Studenteska im Dorf das Ideal einer harmonischen Gesellschaft erblickte, das auf die Städte übertragen werden müsse, lehnten die Bauern gerade das zugrunde liegende Sakdina-System von Grund auf ab. Auch Vorstellungen einer authentischen Thai-Kultur auf dem Land passte nicht zur Lebensrealität der Bauern. Die Rückständigkeit der Produktionsmittel und der Produktionsverhältnisse wurden von den Studierenden als weniger drückend wahrgenommen als von den Bauern selbst.
Interessanterweise wandte sich der Klerus in dieser Gemengelage selbst sozialistischen Ideen zu. Sie versuchten, die Vorstellung einer gerechten Gesellschaft wieder weg vom Klassenkampf hin zu einer Orientierung an den harmonischen Werten des Buddhismus zu lenken. Der Weg des Dharmischen oder Buddhistischen Sozialismus, der zeitweilig sogar vom aktuellen Dalai Lama vertreten wurde, fußte allerdings auf einer so abstrakten und komplizierten Theorie, welche religiöse Harmonie und materiellen Klassenkampf zu transzendieren versuchte, dass sie für die breiten Volksschichten unverständlich blieb. Da sich Anfang der 70er Jahre eine neue repressive Militärdiktatur etablierte, welcher die fragmentierende Linke nicht ausreichend entgegenzusetzen hatte, wandten sich die Volksmassen jedoch zusehends von dieser ab und arrangierten sich mit dem Militärapparat.
Vom Aufstand in den Dschungel
1977 erreichte der kommunistische Aufstand noch seinen Höhepunkt, als auch die Sozialistische Partei als Reaktion auf den Militärputsch in den bewaffneten Kampf eintrat und eine Vereinigte Front mit den Kommunist*innen bildete. Doch im Wesentlichen äußere Faktoren führten dazu, dass die Guerilla sich immer tiefer in den Dschungel zurückziehen musste. Die KPT unterhielt gute Beziehungen zu China, Vietnam, Laos und Kambodscha. Als sich allerdings die Spannungen zwischen Kambodscha und Vietnam entluden und China militärisch gegen Vietnam vorging, intensivierte sich die sino-sowjetische Spaltung auch in Indochina. Die siamesischen Kommunisten verhielten sich neutral und standen so zwischen den Stühlen, wo Vietnam und Laos auf der einen Seite eher prosowjetisch waren, während Kambodscha es mit China hielt. Die Volksrepublik verbesserte zur gleichen Zeit seine Handelsbeziehungen mit der thailändischen Regierung, wodurch die KPT keine Waffen mehr aus China erhielt, sondern nur Ermahnungen zu weniger revolutionärem Tonfall. Der Richtungsstreit zwischen China und der Sowjetunion führte auch zu Fraktionskämpfen innerhalb der KPT, wodurch die eigenen Kräfte geschwächt wurden.
Derweil schlug die Militärregierung unter General Prem Tinsulanonda einen intelligenten Weg ein. Anstatt die Guerillas bis in die Tiefen des Dschungels zu verfolgen, bot man Abtrünnigen eine Amnestie an. Als erstes legte die von der urbanen Intelligenz geprägte Sozialistische Partei die Waffen nieder. Und auch aus der KPT traten zuerst die Studierenden und Akademiker der Thai-Ethnie aus, die nun nach einer liberalen Modernisierung des Landes verlangten als nach einer Bauernmacht. Die letzten Kader wurden in den Folgejahren verfolgt, verhaftet und anschließend die Partei verboten.
Aus dem Jungle in die Harmonie
Die ehemaligen Dschungelkämpfer kehrten also zurück in die Universitäten, die Zeitungsredaktionen und die Parlamente. Sie fanden sich in den unterschiedlichsten Gruppierungen wieder und nach einer ersten Phase der Überreaktionen und übervorsichtigen Anpassung entfalteten sie aus ihrer Biographie heraus wieder einige marxistische Vorhaben. Zu nennen sind hier Professor Kasian Tejapira von der Thammasat Universität und der prominente politische Aktivist Giles Ji Ungpakorn. Man reflektierte sowohl die thailändischen Beiträge von Udom Srisuwan oder Jit Poumisak, als auch die internationale Debatte, wobei man sich stärker neomarxistischen Debatten zuwandte als maoistischen. Insbesondere interessierte man sich für die Integrationskraft der immer noch bestehenden Monarchie und schloss sich Demokratie- und Arbeiter*innenbewegungen an.
Auch die Vereinigung von Buddhismus und Marxismus wurde von neuem angegangen; kreativ und interdisziplinär, allerdings mit starken Verfremdungen bei der Richtungen. Kulap Saipradit etwa interpretierte das „Verlangen“ als im Buddhismus zu überwindende Kategorie allein als Verlangen nach Privateigentum. Solch oberflächliche Konzepte können eher als Versuch verstanden werden, marxistische Ideen wieder dem buddhistischen Thai-Mainstream zugänglich zu machen, nachdem die KPT in der Endphase ihres Kampfes fast ausschließlich den Zuspruch ethnischer Minderheiten genoss und so leicht als Anti-Thai-Partei geframed werden konnte. Der Opportunismus eines solchen Versuchs verfing allerdings nicht bei den Massen und moderne politische Phänomene wie die Rothemdenbewegung verblieben ohne langfristige soziale Basis.
Zusammenfassung
Yumeng Liu schließt seine Darstellung mit einer interessanten Neukontextualisierung des Begriffs der Siamisierung des Marxismus ab. Nach konventioneller Sichtweise markiert dieser die Verschmelzung von Buddhismus und Marxismus. Aber gerade in dieser Verschmelzung wird eben nicht das Siam ausgedrückt, dass ethnisch plural und in der Moderne unbeschrieben ist, sondern eine Hinwendung zur Thai-Mehrheitsgesellschaft, die dem Buddhismus als begründendes Prinzip der Monarchie nach wie vor anhängt. Eine Siamisierung des Marxismus in Thailand hieße damit gerade eine Dekonstruktion des Buddhismus als herrschaftslegitimierende Ideologie durch marxistische Klassenanalyse. Es wäre ein immer noch zu unternehmendes Projekt und keine bereits geschaffene Tatsache. Noch immer wird debattiert, ob Thailand nicht besser Siam hieße oder beide Namen nutzen sollte. Analog könnte man auch zwischen einem thailändischen und einem siamesischen Marxismus unterscheiden und beide in Kontext und dialektische Bewegung setzen. Ein spannendes Kapitel kommunistischer Geschichte ist es allemal.
Literatur:
Yumeng Liu (2024): Marxism’s Voyage Across Thailand: An Unfolding Odyssey. In: Socialism and Democracy. Online First: DOI: 10.1080/08854300.2024.2376001.