⋄ Der Umgang mit Transpersonen ist im Feminismus sehr umstritten. Marxistische Analysen des Patriarchats werden zumindest vor einige ungeklärte Fragen gestellt. ⋄ So ist unklar, ob die Trennung des weiblichen Körpers von der weiblich kodierten Reproduktionsarbeit ein subversiver Akt ist oder ihr eine allgemeine Flexibilisierung der Profitökonomie zugrunde liegt. ⋄ Silvia Federici wertete zum Beispiel Transsexualität mit Fokus auf den medizinischen Aspekt als eine neue Möglichkeit, den Wunsch nach Nichtbinarität für Profitinteressen auszunutzen. ⋄ Ellie Gore kritisierte diese Ansicht nun in der Capital&Class nicht nur dafür, dass Transpersonen hierbei eine rein passive Rolle einnehmen. ⋄ Sie argumentierte dafür, dass die Dialektik zwischen Körpern und gesellschaftlichen Normen ermuntere, transinklusive Ansätze zur einer umfassenden Gesellschaftskritik urbar zu machen. |

Transsexualität ist ein Thema, das für viele ein Thema ist, die eigentlich daraus kein Thema machen wollen. Auf der einen Seite wird die betroffene Gruppe für enorm klein und dazu weitestgehend privilegiert erachtet, weshalb sie innerhalb der feministischen Linken eigentlich keine Rolle spielen solle. Und doch scheint sie in Debatten omnipräsent. Die Rechte zieht ihren Kulturkampf an der Vorstellung hoch, es würden massenweise Männer Frauen nun auf Toilette verfolgen, wenn ein Geschlechtseintrag auch ohne psychiatrisches Gutachten geändert werden kann. Antideutsche amüsieren sich über Transmenschen, die sich solidarisch mit der Bevölkerung in Palästina zeigen. Und auch, wenn der Begriff des Nebenwiderspruchs eigentlich unter Kommunist*innen aus der Mode gekommen ist, so scheint er hier anwendbar. Das Thema ist also zugleich klein und groß. Wenige sind betroffen, viele haben eine Meinung. Allein das macht es interessant.
Ellie Gore schreibt häufiger in der Capital&Class über Transthemen. In einem aktuellen Artikel hat sie die Überlegungen Silvia Federicis aus ihrem Buch Beyound the Periphery of Skin analyisiert und kritisiert.
Politikum Transsexualität und Transgender-Identitäten
Das wesentliche Spannungsfeld von Transsexualität wird grob gesagt durch die Widersprüche zwischen der phänotypischen Erscheinung des Geschlechts im Sex und der sozialen Prägung dieses im Gender konstituiert. Menschen mit einem biologischen Geschlecht können sich häufig mit den zugeschriebenen Rollenerwartungen nicht identifizieren, was sich vom Kleidungsstil bis hin zur sexuellen Orientierung ausdrücken kann. Dabei kann der Wunsch entstehen, das biologische Geschlecht entweder, so weit es die biologisch-materiellen Umstände zulassen, zu wechseln oder bewusst binär kodierende Gendernormen phänotypisch zu unterlaufen.
Nun könnte man dies als eine reine Privatsache auffassen, wenn in der bürgerlichen Gesellschaft Körper und Identität von Menschen nicht bis ins Detail verrechtlicht wären und somit Gegenstand politischer Debatten. Insbesondere der bürgerliche Feminismus, dessen Kampf sich im wesentlichen auf die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern bzw. die rechtliche Kodifizierung eines besonderen Schutzes von Frauen in verschiedenen Sphären konzentriert, sieht dadurch eigene Anliegen potentiell unterlaufen. Die Frage, inwiefern Menschen ihre Identität selbst bestimmen dürfen, hängt hier mit rechtlichen Ansprüchen zusammen, für die bürgerliche Feminist*innen Missbrauchspotential wittern.
Marxistischer Feminismus und die Transfrage
Doch auch kritische, strukturalistische und marxistische Feminist*innen sehen sich in der Transfrage vor ein Problem gestellt. Im Wesentlichen beruht die Begründung patriarchaler Herrschaft auf der Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsebene im Kapitalismus. Während für jede proletarische Familie sowohl Erwerbsarbeit, als auch Hausarbeit gleichermaßen notwendig sind, so ist es jedoch nur die Verfügung über den Lohn, der die Reproduktionsfähigkeit der Ware Arbeitskraft universell absichert. Dadurch ergibt sich, dass die direkten Lohnarbeiter*innen viel stärker in eine öffentliche Sphäre eingebunden sind als die Hausarbeiter*innen, was auch zu unterschiedlicher Repräsentation in politischen Vertretungsinstanzen und ungleichberechtigter Wahrnehmung von Interessen führe. Lösungsansätze reichen von einer bewussten Aufteilung von Produktions- und Reproduktionsaufgaben innerhalb proletarischer Familien bis hin zur Aufhebung der Trennung der Produktions- und Reproduktionssphäre in der Gemeinschaft freier Produzent*innen. Die Begründung des Patriarchats ist dabei eine empirische Tatsache, die sich aus der Verteilung der einzelnen Arbeiten in allen kapitalistischen Ländern zweifelsfrei ergibt.
Das Problem dieses Ansatzes ist nun seine Anwendung auf Transpersonen, denn faktisch unterlaufen diese eine starre Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre, indem sie ihre Identität frei wählen. Dies kann entweder als subversive Praxis gewertet werden, aber auch als eine Folge der kapitalistischen Totalität, welche zur Profitmaximierung Produktion, Zirkulation und Reproduktion ohnehin immer flexibler gestalten möchte. Ob daher politischer Transaktivismus emanzipatorischen Charakter, eine Blitzableiterfunktion oder gar neoliberale Affirmation verkörpert, ist umstritten.
Auch in der feministischen Interpretation der Internationalen Politischen Ökonomie wird mit queeren Themen sehr unterschiedlich umgegangen. Auf der einen Seite herrscht Konsens darüber, dass die materiellen Grundlagen eines Staates dessen Institutionen prägen und die Institutionen wiederum die sozialen Beziehungen als solche bestimmen, inklusive Fragen der Familie, der Sexualität und des Personenrechts. Strittig ist hingegen, ob etwa der imperialistische Neoliberalismus zu einer neuen Homonormativität geführt hat, welche die flexiblen Arbeiter*innen ohnehin nicht in festen, unkommodifizierten Reproduktionsstrukturen gebruachen kann. Man kann jedoch auch behaupten, dass auf Grund der immer geringeren Staatsquoten feste soziale Solidaritätsstrukturen für die einzelnen Arbeiter*innen immer größere gewinnen und sich damit die klassische Familie erneut als Heteronormativität von unten durchsetzt.
Federicis feministischer Ansatz
Ob man die feministische politische Ökonomie nun auf der Mikro- oder Makroebene, der nationalen oder der internationalen Ebene betrachtet. Sex wie Gender werden im Wesentlichen über den Körper vermittelt. Eine der bekanntesten marxistischen Feminist*innen des 21. Jahrhunderts, die sich insbesondere mit dem weiblichen Körper auseinandergesetzt hat, ist Silvia Federici. Ihr 2004 erschienenes Buch Caliban und die Hexe ist schon fast ein Klassiker. Darin beschreibt sie, wie sich die ursprüngliche Akkumulation insbesondere auf Frauen ausgewirkt habe. Hexenverfolgungen seien kein irrationaler Religionskrieg gewesen, sondern eine systematische reale Subsumtion des weiblichen Körpers unter die Bedürfnisse des Kapitals. Frauen seien für ihr Wissen um die Macht über den eigenen Körper – wie etwa Kräuter zur Verhütung oder Abtreibung – verfolgt wurden, um diese als Gebärmaschinen solange nutzen zu können, bis genügend billige Arbeitskraft zur gebraucht wurde. Die bürgerliche Ehe institutionalisierte die Kontrolle über die weibliche Sexualität als Quasieigentumsverhältnis.
In dieser Genese ist es logisch, dass der der reformistische Klassenkampf von Frauen, der sich gegen ein auf Binarität beruhendes System richtet, ebenfalls einen binären Charakter annehmen muss. Von Steuererleichterungen über medizinische Absicherung bis hin zu Sozialleistungen oder sogar bei Fragen der Kreditfinanzierungen; die Bourgeoisie hat sich nur dort Zugeständnisse abringen lassen, wo die institutionalisierte Herrschaft über die Frau erhalten blieb. Transpersonen sind deshalb besonders häufig von Armut und Gewalt betroffen.
In ihrer aktuellsten Aufsatzsammlung Beyound the Periphery of Skin versuchte Federici, Transidentitäten in dieses Konzept einzuordnen. Sie stellte die Frage, ob die aktuellen Möglichkeiten der Geschlechtsumwandlung tatsächlich die Macht über den eigenen Körper zurück gewännen oder ob diese Technologien als Ausdruck kapitalistischer Produktivkraft entwickelt nicht nur eine neue Subsumtion unter die Verhältnisse bedeute. Das Verlangen, Geschlechternormen und die damit einhergehende Kontrolle über proletarische Körper zu unterlaufen, mache sich die medizinische Industrie für ihre eigenen Profitinteressen zu nutze.
Gore übt Kritik an Federici
Gore kritisiert hierbei, dass sich Federici zu stark auf den medizinischen Aspekt von Geschlechtsumwandlungen konzentriere, obwohl Transsexualität ja besonders dann in Frage stehe, wenn keine medizinischen Eingriffe erfolgt seien. Zu ihrer Theorie, dass Transsexualität den Konzerninteressen diene, passe auch nicht, dass Transsexualität in den meisten Ländern noch pathologisiert ist. Natürlich übten die überwiegend männlichen Spezialisten und Politiker, die über Transidentitäten praktisch und juristisch entscheiden, eine erhebliche Macht über Transmenschen aus. Aber dies sei ja gerade Gegenstand der Kritik von Transaktivisten.
Das Argument, dass die medizinische Behandlung von Transsexuellen neue Profitmöglichkeiten eröffne, passt auch nicht widerspruchslos. Gerade im Neoliberalismus wurde die Krankenversorgung immer weiter privatisiert. Immer mehr Eingriffe müssen von den Betroffenen selbst bezahlt werden. Das hindert einen signifikanten Teil von Transpersonen prinzipiell an medizinischen Eingriffen, während andere dies nur unter Abstrichen in der Konsumtion an anderer Stelle verwirklichen können. Die kleine Gruppe von Menschen wiederum, die tatsächlich Geld für OPs verausgaben würden, das ansonsten nicht produktiv genutzt wäre, müsste fast ausschließlich der Bourgeoisie oder dem gehobenen Kleinbürgertum zugerechnet werden, dass selbst von der Heteronormativität der Reproduktionsbedingungen gar nicht groß betroffen ist.
Drittens werfe Federici ihren eigenen Materialismus über Bord. Wenn die Genderungerechtigkeit auch ein sozialer Fakt sei, so sei der weibliche Körper inklusive seiner exklusiven Eigenschaft zur intergenerationalen Reproduktion der Ware Arbeitskraft doch die biologisch materielle Basis des Patriarchats. Nicht allein die Unterlaufung der Körperbinarität durch Transmenschen sei dabei das emanzipatorische, sondern die Einbindung der Möglichkeit dieser Praxis in feministische Theorie und Kämpfe, sowie in der Ideologiekritik. Denn es sind beispielsweise im Sport Transkörper, welche zur Kritik an einer Gesellschaft anregen, die wie in den USA akademische Stipendien an sportliche Leistungsfähigkeit knüpft.
Viertens ist es eigentlich gar nicht möglich, innerhalb der Dialektik von Sex und Gender, von sozialen Fakten und ihrer biologischen Referenz, die immer wechselseitig wirken, gegenüber Transpersonen ein Innen und Außen zu konstruieren, ohne die prinzipielle Paradoxie und Widersprüchlichkeit des Patriarchats monodirektional glätten zu wollen. Körper bilden die Grundlage, auf der sich soziale Normen entwickeln, aber die sozialen Normen prägen auch, wie Körper wahrgenommen werden. Hier ist es schon eine bewusste Entscheidung, transinklusiv zu sein, um so viel Konfusität im Alltag des Patriarchats zu stiften wie möglich und Dinge zu bewegen. Dagegen gibt sich das Bedürfnis vieler Feminist*innen nach einem berechenbaren und eingehegten Patriarchat reformistisch, was auf Grund der prekären Situation vieler Frauen auch berechtigt ist.
Folgerungen
Gore versucht noch abschließend, einige Deutungsmuster zu skizzieren, in denen die Transfrage gesellschaftskritisch formuliert werden kann. Erstens. Intime Beziehungen spiegeln die materiellen Verhältnisse auf der Ebene der Individuen wider. Eine erhöhte Gewaltbereitschaften gegenüber Transmenschen in Partnerschaften sollte daher auf eine Gewaltförmigkeit der Verhältnisse gegenüber diesen auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Reproduktion schließen lassen. Transsexualität sei dabei immanente Kritik, nicht nur an der Unterdrückung eines Geschlechts, sondern an der Geschlechterunterdrückung überhaupt. Damit fordern Transmenschen die binäre Geschlechtereinteilung heraus.
Wenn es zweitens richtig ist, dass die Bourgeoisie zur regelgerechten Reproduktion der Ware Arbeitskraft auf eine heteronormative Teilung des Proletariats angewiesen ist, dann sind Menschen, welche sich dieser Einteilung entziehen, weniger Wert (Näheres hier zum Rassismus). Differentiale im Wert der Arbeitskraft werden durch die Bourgeoisie zum Gewinn von Extraprofiten immer zum Nachteil der gesamten Arbeiter*innenklasse genutzt. Dies erfordert Analyse, aber auch Praxis.
Drittens kauft der Kapitalist die Ware Arbeitskraft. Die immer noch stark geschlechtergetrennte Wirklichkeit des Arbeitsmarktes verrät dabei, dass die Information über das Geschlecht eine wesentliche Rolle beim Kauf der Arbeitskraft spielt. Transpersonen nehmen sich hier ein Stück Kontrolle über die vom Kapitalisten gekaufte Arbeitskraft zurück, was dessen Machtbasis vielleicht nicht fundamental berührt, aber wenigstens doch begrenzt.
Viertens stellen Transpersonen die Verhüllung des Widerspruchs zwischen citoyen und bourgeois in der Lesart des frühen Marx in Frage. Denn während auf der einen Seite Individualisierung, sexuelle Selbstbestimmung und liberale Grundhaltungen propagiert, für kommerzielle Interessen nutzbar gemacht werden und notfalls als Mittel der Klassenspaltung urbar gemacht werden, erscheinen Transpersonen als Negation des im bourgeois verkörperten Bekenntnisses zum Gemeinwesen, dass daher streng verregelt werden muss.
Zusammenfassung
Ellie Gore spricht sich nicht dafür aus, die Materialität des weiblichen Körpers zu ignorieren, die eine Grundlage des Patriarchats bildet. Sie spricht sich vielmehr für eine dialektische Bio-Logik aus, in der die Binarität von Körpern als genauso historisch gewachsen herausgearbeitet wird wie die von Klassen. Transpersonen stellen hier ein Brennglas oder besser einen Wetzstein dar, an dem sich marxistischer Feminismus seine Theorie schärfen kann. Das geht nur ohne Transexklusivität.
Literatur:
Gore, E. (2025): Towards a trans-inclusive critical international political economy? Or why trans oppression matters for understanding capitalism and social reproduction. In: Capital&Class. Jahrgang 49. Ausgabe 1. S.123-144.