Deutsche Kommunistische Debatten (2/2): Die KO, die Klarheit und der Maoismus

⋄ Im Zuge der quantitativen und qualitativen Veränderung der kommunistischen Bewegung in den letzten Jahren werden zur Zeit einige Debatten vertieft geführt, um Themen und Strategien für die Zukunft abzustecken.

⋄ Der Teil der Kommunistischen Organisation, der die kommunistische.org-Domain weiter betreut, hat etwa auf seinem Kommunismus-Kongress mit roten Gruppen über den gemeinsamen Parteiaufbau diskutiert.

⋄ Dabei zeigten sich auch Differenzen in der Bewertung des Maoismus auf, den einige rote Gruppen noch als Grundlage oder Inspiration ihrer Arbeit betrachten.

⋄ In einer ausführlichen Auseinandersetzung kritisierte die KO jüngst sowohl theoretische, historische wie taktische Gesichtspunkte des Maoismus.
Fortsetzung des gestrigen Artikels

KO: die Problemlage

Die aktuelle Debatte in der Kommunistischen Organisation (.org-Flügel) lässt sich sogar ganz gut aus der antimonopolistischen Strategie der DKP ableiten. Einschub: Da zwei Organisationen den Anspruch au den gleichen Namen erheben und ansonsten nur durch Fremdzuschreibungen sprachlich auseinandergehalten werden können, soll hier die Domain-Endung als möglichst wertfreies Unterscheidungsmerkmal genutzt werden. Die Gefahr, Klassenbündnisse gegen das Monopolkapital weitestgehend offen zu lassen, birgt natürlich die Gefahr, dass eine kommunistische Partei schnell in einen reformistischen Kurs abrutschen könnte. 2017/18 verließen einige Mitglieder der DKP und SDAJ auf Grund der Befürchtung, diese Gefahr könnte vernachlässigt werden und aus Unzufriedenheit über die Diskussionskultur die Partei und organisierten sich in der Kommunistischen Organisation. Allerdings kristallisierte sich schnell heraus, dass die Ausgetretenen und ihre neuen Bündnispartner sehr unterschiedliche Vorstellungen von der weiteren Arbeit hatten. Während ein Teil diese theoretisch fundierter, aber ergebnisoffen gestalten wollte, hatte sich der andere auf einen radikalproletarischen Kurs festgelegt, wie ihn die griechische KKE seit der Finanzkrise vertritt.

Es folgte eine erneute Spaltung, die deshalb Verwirrung und Belustigung hervorrief, da beide Teile den gleichen Namen für sich beanspruchten. Beide veranstalteten auch weiterhin einen Kommunismus-Kongress, jeweils mit gleichem Namen, aber sehr unterschiedlichen Ausrichtungen. Während der ergebnisoffene .de-Flügel die Gemeinsamkeit mit anderen antiimperialistischen globalen Organisationen suchte, diskutierte der radikalproletarische .org-Flügel eher mit roten Gruppen aus Deutschland, die in den letzten Jahren einen deutlichen Bedeutungszuwachs in der linken Szene genossen. Da dieser Flügel getreu ihrem Motto „Klarheit vor Einheit“ allerdings nicht ergebnisoffen diskutierte und behauptete, jegliche politische Positionierung sei rein wissenschaftlich zu ermitteln, konnte er Dissenzen zu den häufig maoistisch ausgerichteten Gruppen nicht einfach stehen lassen. In einem chinakritischen Text (Link) führte der leitende Kader Spanidis die aktuell als kapitalistisch gewertete Entwicklung Chinas auf Fehler des Maoismus zurück. Da dies Unmut bei den maoistischen Gruppen hervorrufen musste, legte die KO in beeindruckender Geschwindigkeit gleich eine umfassende Kritik des Maoismus nach, aus dem die Richtigkeit der eigenen Positionen abgeleitet werden könne. Eine recht detaillierte und facettenreiche Kritik wurde bereits hier geliefert (Link). An dieser Stelle soll der Text aber schwerpunktmäßig im Lichte der aktuellen Debatten in Deutschland beleuchtet werden.

Klärung: eine Kritik am Maoismus

Die Kritik am Maoismus begann die Grupope zunächst mit den philosophischen Grundlagen Maos selbst. An Maos Widerspruchstheorie wird kritisiert, dass er erstens die Vorstellung einer Aufhebung eines Gegensatzpaares abgelehnt und den Umschlag von Phänomenen in ihr Gegenteil akzeptiert hätte. Sein sein Begriff des Hauptwiderspruchs sei anders als der Grundwiderspruch bei Marx und Engels rein politisch und nicht politökonomisch bestimmt. Insbesondere letzteres wird natürlich aus einer radikalproletarischen Position heraus kritisch betrachtet, da philosophisch-theoretisch zugelassen wird, dass der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit historisch eben nicht immer die Form des Hauptwiderspruchs annehmen muss, etwa wenn antiimperialistische Kämpfe von Bündnissen aus nationaler Bourgeoisie und Proletariat ausgetragen werden. Kommunistische Theoretiker*innen, welche diese Idee Maos selbst weiterentwickelt haben – wie Hans Heinz Holz – wird die Verfälschung von Mao vorgeworfen. Maos Unterteilung von Widersprüchen in antagonistische und nicht-antagonistische wird zudem als willkürlich erachtet. Maos Volksbegriff, der den Klassenbegriff durch die vermeintliche Nicht-Antagonistik innerhalb der Werktätigen transzendieren wollte, werde aus dieser Unterscheidung abgeleitet. Um es kurz zu machen, die Elatizität von Maos Philosophie wird kritisiert, die eigentlich nur dazu da gewesen sei, ein späteres Bündnis mit den USA zu rechtfertigen.

In der Praxis wird Mao vorgeworfen, die Wissenschaftlichkeit des Sozialismus aufgegeben zu haben, da er eine Orientierung an den und ein Lernen von den Massen forderte. Da Mao anerkannte, dass sämtliche Denkprozesse genuin auf Sinneseindrücken beruhen und ihre Bestätigung in einer erfolgreichen Praxis der dadurch gebildeten Theorien fänden, werfen die Autor*innen ihm eine Verhaftung am Alltagsbewusstsein vor. Dadurch würde sich eine latente Theoriefeindlichkeit bei Mao entfalten, die auf Grund der Vernachlässigung von Analyse zum Einfallstor des Revisionismus würde. Eine solche ungenügende Analyse spiegele sich auch im Imperialismus-Verständnis Maos wieder, der nicht den allgemeinen Fall des Imperialismus und China als Sonderfall betrachte, sondern genau umgekehrt, die Entwicklung in China als Muster für die Entwicklungen in allen Kolonien und Halbkolonien ansah. Auch das Klassenverständnis Maos sei primär durch die politischen Rollen gesellschaftlicher Gruppen in China und nur sekundär durch ihre ökonomische Stellung geprägt gewesen.

In der Betrachtung von Taktik und Strategie Maos arbeitet die KO heraus, dass sich die chinesische Revolution insofern von der Oktoberrevolution unterscheide, als dass Russland zu Zeiten der Revolution Teil der imperialistischen Welt gewesen sei, während China noch halbkolonial war. Mao hätte daraus jedoch den verkehrten Schluss gezogen, die nationale Bourgeoisie als Bündnispartner gewinnen zu wollen, anstatt die Existenz der Sowjetunion als Mittel der Beschleunigung statt Bremsung der Revolution zu betrachten. Zudem habe Mao in seinem populären Konzept des Volkskrieges die eigene Klassenbasis nicht gesehen, die durch die abgelegenen und autonomen Regionen der ersten chinesischen Sowjets aufgebaut wurde und der Roten Armee einen sicheren Rückzugsraum in der Bauernschaft bot. Daher sei das Volkskriegskonzept nicht verallgemeinerbar. Dem Sozialismuskonzept Maos wird ein Unbewusstsein gegenüber dem gemeinschaftlichen Charakter der Arbeit vorgeworfen. Wenn den Betrieben bei sonstiger Autonomie nur Planziffern vorgegeben würden und sich die Kollektivierung auf die Volkskommunen beschränke, bleibe die Gesamtökonomie immer noch vereinzelt und fragmentiert; die Voraussetzung für die Beibehaltung der Warenform. Diese mangelnde Vergesellschaftung sollte wiederum durch voluntaristische und idealistische Kampagnen gekittet werden, die aber durch ihren Widerspruch zu den objektiven Verhältnissen schnell entarteten.

Worauf die KO letztendlich hinaus will, ist eine Kritik an aktuellen maoistischen Positionen, die aus dem Denken Maos herleitbar sein sollen. Das wäre erstens der Gedanke eines möglichen Bündnisses von Arbeiter*innenklasse und nationaler Bourgeoisie zur Bewältigung des „Hauptwiderspruchs“ zwischen imperialistischen Zentren und kapitalistischer Peripherie. Die Überlegungen hinsichtlich einer „neudemokratischen“ Revolution als Vorstufe zum Imperialismus – und hier verknüpfen sich die Debatten – erinnere stark an die antimonopolistische Strategie der DKP … und wenigstens in der Abgrenzung zur DKP möchte man sich ja einig wissen. Zudem seien Vorstellungen eines lang andauernden Volkskrieges auf Grund der verschiedenen Voraussetzungen zum vorrevolutionären China anachronistisch. Einen bewaffneten Aufstand zu leichtfertig zu beginnen oder auch nur vorzubereiten – hier sei nur an das fundamentale Scheitern der Stadtguerilla-Strategie erinnert – entfremde Maoist*innen vom Proletariat, welches dden Blutzoll zu tragen hätte.

Diskussion

Das Problem der Analyse der KO macht sich bereits im letzten Kapitel an sich bemerkbar. Die Kritik lässt sich auf aktuelle maoistische Gruppen gar nicht so einfach anwenden. Ein strategisches Bündnis zwischen Maoist*innen und nationaler Bourgeoisie ist im imperialistischen Deutschland schlichtweg absurd. Den bewaffneten Kampf verfolgt keine Gruppe; die MLPD als größte maoistische Organisation appelliert sogar brav an den Staat, faschistische Organisationen zu verbieten. Letztendlich muss man sich schon an exponierten Zitaten selbst im Maoismus nur schwer anschlussfähiger Blogs und Theorieorgane von Gonzaloisten abarbeiten, um überhaupt eine Differenz aufmachen zu können. Das Argument, eigentlich verkappte DKPler zu sein, kann übrigens genauso gut zurückgeworfen werden (z.B. in dieser Kritik am Text). Die Alternative, welche die KO bietet, ist ein „Handeln im Einklang mit den objektiven Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung“ (S.38), ohne aber genauer zu bestimmen, was das im konkreten Sinne anderes bedeuten würde, als die in einer jeweiligen Situation zurechtgelegte KO-Position zu übernehmen.

Letztendlich beweist der Text das Gegenteil dessen, was er erreichen wollte. Man wollte den unüberbrückbaren Graben zwischen Marxist*innen und Maoist*innen aufzeigen und endet mehr oder weniger bei Fragen von Maos Dialektikrezeption und Volkskriegsillusionen, die kaum jemand kennt und hat. Dass die Differenzierung Maos von Grund-, Haupt- und Nebenwidersprüchen als theoretisches Konzept zwar etwas blutarm, als didaktisches Konzept aber sehr fruchtbar ist, hat die klügeren Kommunist*innen wie Holz zu synthetischen Überlegungen veranlasst. Und warum sollte dies nicht auch in anderen Bereichen möglich sein. In Sachen Streitereien zwischen China und der UdSSR sollte man ohnehin die Toten ruhen lassen können und sich den Fragen der Zeit stellen. Das bedeutet nicht, dass man von der Ernsthaftigkeit der Debatte, die erfreulich ist, lassen sollte, sondern, dass nur mit einer materiell wirkmächtigen Organisationen solche Debatten überhaupt erst praktische Bedeutung bekommen.

Zusammenfassung

Im Grunde genommen zeigen beide Debatten das Scheitern zweier Methoden an die Dialektik von Wesen und Form der kapitalistischen Gesellschaft heranzugehen. Die antimonopolistische Strategie der DKP hat sicherlich von der Form der Klassenherrschaft einige richtige Punkte gemacht, insbesondere wenn es um die Organisation des Staates im Interesse eines Teils der Bourgeoisie geht, die durch die imperialistischen Umverteilungsmechanismen ihre Interessen als gesamtgesellschaftliche etablieren konnte. Allerdings hilft die Beschreibung dieser Form genau dann nicht mehr weiter, wenn sich die imperialistischen Rahmenbedingungen soweit ändern, dass genau dieser Reproduktionsmodus nicht mehr haltbar ist und in die Krise gerät. Die AfD als Vehikel des Monopolkapitals darzustellen, funktioniert nur dann wenn man die Klassengrundlage der AfD theoretisch vernachlässigt.

Anders herum ist auch das Konzept der Kommunistischen Organisation (.org), alle Widersprüche vom Wesen der kapitalistischen Herrschaft, dem Gegensatz von Kapital und Arbeit, aufzurollen, eindimensional. Dieser Ansatz versagt deshalb, da der analytische Gang von der Form zum Wesen in der Gestalt abgekürzt wird, dass man sich bei seiner Bestimmung einfach auf Marx, Engels und Lenin beruft und dieses Wesen als unabhängig von der politisch-ökonomischen Form betrachtet. In dem die politische Analyse unter Referenz auf das eigentliche Wesen von der sinnlichen Erfahrung abgekoppelt wird, transformiert sich der Marxismus zu einem Idealismus, der zurecht kritisch gesehen wird. Es ist die fixe Idee der einen richtigen Analyse des Wesens des Kapitalismus, die unweigerlich zu der Strategie führen muss, diese Idee auch allen anderen Kommunist*innen oktroyieren zu wollen anstatt reale Widersprüche organisatorisch zu bewältigen. Aber wenn Lenin schon richtigerweise ausgeführt hat, dass die Klassenstandpunkte des Proletariats und der Bourgeoisie verschieden, aber gleich wahr sind, warum sollte dies in abgeschwächter Form nicht auch für die nationalen und internationalen Fraktionen des Proletariats gelten? Es geht damit eben nicht um absolute Wahrheiten, sondern um relative Wahrheiten und damit auch um Taktik oder Strategie jenseits reiner Wissenschaftlichkeit, die nur die Widersprüche selbst – und zwar sehr exakt – bestimmen kann, deren Lösung aber praktisch ist. Und Praxis heißt für Kommunist*innen immer noch die Organisation in einer gemeinsamen Partei.

Literatur:

Der Text zur Kritik des Maoismus findet sich unter: https://kommunistische.org/diskussion/der-grosse-sprung-zurueck/

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