Who cares for the Planners?

⋄ Der Anstieg der Rechenleistungen, sowie immer ausgefeiltere Algorithmen haben in den letzten Jahren zu einer Renaissance der Planwirtschaftsdebatte geführt.

⋄ Begonnen mit Cockshott und Cottrell wurden verschiedene Ansätze vorgestellt, wie man mit Hilfe digitaler Erfassung und Auswertung von Arbeitszeit und Konsument*innenwünschen den Kapitalismus überwinden könnte.


⋄ Christoph Sorg von der Ruhruniversität in Bochum stellt kritisch zur Disposition, ob die Technik tatsächlich so systemneutral ist, wie in der Debatte vorausgesetzt.

⋄ So heben die bisher vorgestellten Ansätze noch nicht die Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeit auf.

⋄ Zudem fehlt eine konsistente Verrechnung der ökologischen Kosten, die Bewältigung von Interessenkonflikten bleibt unproblematisiert und die Muttermale der alten Gesellschaft verstecken sich in den Trainingsdaten der neuen Programme.

Ein Gespenst geht um in der Kalkulationsdebatte: es ist das Gespenst des Technikoptimismus. Die jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet des maschinellen Lernens und des digitalen Kapazitätsausbaus lassen immer mehr Genoss*innen vom digitally automated luxury communism träumen. Angesichts der multiplen Krisen des globalen Kapitalismus und der Unfähigkeit des Marktes, die Klimakrise zu bewältigen, haben sich demokratische Planwirtschaftskonzepte entwickelt, die auf weitgehende Digitalisierung als Tor zu breiter Partizipation setzen. Eine App zur Arbeitszeiterfassung, eine für Konsument*innenwünsche, ein mächtiger Algorithmus, der beides zusammenbringt, und schon stünde der globalen Planwirtschaft inklusive dem Sturz aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, nichts mehr im Wege.

Christoph Sorg von der Ruhruniversität in Bochum fragt jedoch, ob hier nicht zu kurz gedacht wird. Wie viel Kapitalismus steckt in der Digitalisierung, den man auch nicht mehr herausbekommt? Diese Frage diskutierte er in der aktuellen Critical Sociology. Er schaute sich die aktuelle Literatur zur Debatte an und fokussierte sich auf die Berücksichtigung der Reproduktionsarbeit und den Umgang mit den Ressourcen der Natur.

Fully Automated Luxury Space Planning

Eine wichtige Frage in der aktuellen Debatte um Nachhaltigkeit und Umweltschutz ist die des Verzichts. Die Grünen werden scharf dafür angegriffen, dass sie den arbeitenden Klassen immer neuen Verzicht aufbürgen – Fleisch, Fliegen, billiger Sprit, … –, während sich die Reichen beständig rauskaufen können. Angesichts knapper werdender Ressourcen und der Bedeutung von Lebensmittelproduktion und Transport scheint es Umweltaktivist*innen aber unumgänglich, den Konsum begrenzen und in eine Postwachtsumsgesellschaft überzugleiten.

Die Idee der partizipativen, digitalen Planwirtschaft (Parecon) beruht auf kybernetischen Feedbackschleifen, großen Datensätzen und ultraschnellen Kommunikationswegen, die bereits heute die so genannte Kalkulationsdebatte (Näheres hier) überflüssig gemacht hätten. Große Konzerne planten bereits jetzt auf der Ebene kleiner Volkswirtschaften und Alibaba-Chef Daniel Zhang schwärmte bereits, dass man innerhalb der nächsten Jahre die unsichtbare Hand des Marktes finden würde. Aber lässt sich diese Technologie überhaupt für ein sozialistisches Programm einspannen? Ist Technik neutral, wenn sie doch bisher nicht weniger, sondern mehr Arbeit geschaffen hat?

Diese These vertritt eine ganze Schule emanzipatorischer Planung, von Cockshott und Cottrell über Albert und Hahnel bis hin zu Daniel Saros. Eine ausdifferenzierte Landschaft partizipativer Ökonom*innen hat sich in den letzten Jahren entwickelt. Alle vertreten die Auffassung, dass sich durch genügend Rechenleistung einst langwierige Prozesse so rationalisieren lassen, dass sie praktisch lösbare Gleichungssysteme erfüllen. Der Grad an Erfüllung von Konsument*innenwünschen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ließe sich mit rationaler Planung ebenso oder sogar besser erreichen. Die Ansätze können sich dabei unterscheiden. Während Cockschott und Cottrell die messbare Arbeitszeit als Maß für die Planung der Produktion und die Verfügung über die Mittel der Konsumtion machen, schlägt Daros ein differenziertes System aus Aufwandspunkten für Güter, Basiseinkommen für Arbeiter*innen und Koordination in Räten vor.

Das Problem hierbei ist nun aber Folgendes: Auch wenn man die Prämissen der Planbarkeit und Demokratisierbarkeit der ganzen Ökonomie teilt, so trennen diese Planungskonzepte alle die Produktion von der Reproduktion des menschlichen Lebens. Die seltsame Trennung zwischen der im Laden kaufbaren Tomate und der aus dem eigenen Garten, zwischen der Erziehung der Kinder in den Institutionen und der im eigenen Haushalt, zwischen als gesellschaftlichen relevanten Arbeiten und den indivduell relevanten Arbeiten bleibt bestehen. Man mag das Scheitern der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft zwar konkret durch einzelne technologische Fehler benennen können, aber der Mangel an Konsumgütern erklärt doch nicht die Tradierung der Doppelbelastung der Frau, von Chauvinismen, Nationalismen und Rassismen. Und selbst wenn man all dies der notwendigen Unzulänglichkeit eines Sozialismus als Übergangsgesellschaft zuschreibt, müsste man sich Gedanken über den weiteren Übergang machen.

Vom Universal Bread Winner zum Universal Care Giver

Eine partizipative Ökonomie, wie sie von technikoptimistischen Marxist*innen vertreten wird, folgt dem Kapitalismus im Paradigma der Rationalisierung. Dem steht die Care-Arbeit und sogar Marx entgegen. Care Arbeit lässt sich nicht rationalisieren, sondern momentan leidet sie unter der Rationalisierung. Sie lebt von der tatsächlich investierten Zeit und korrespondiert damit besser mit Marxens Voraussage, im Kommunismus werde die Arbeit selbst ein Bedürfnis werden. Srneck und Hester würden zum Beispiel befürchten, dass eine Verkürzung des Arbeitstages zu einer höheren Erwartung des Aufwands an Reproduktionsarbeit führen könnte, ohne Garantie einer demokratischen Verteilung. Menschen sollten jedoch mehr Autonomie bei der Organisation ihres Lebens bekommen. Bohmer antwortete, dass man es den Menschen freistellen könnte, ob sie die Reproduktionsarbeit selbst machen wollten oder anderen überließen. Man könnte Menschen, die sich selbst um Kinder, Kranke und Alte kümmerten, den Status von Off-Workern zuteilen und damit materiell gleich behandeln. In dieser Bezeichnung drückt sich dennoch etwas Defizitäres aus.

In Nancy Frasers Konzept des Universal Care-Givers würde die Hierarchie umgekehrt oder zumindest nivelliert. Das Konzept geht davon aus, dass die Reproduktionstätigkeit von allen Familienmitgliedern entsprechend der Möglichkeiten gleichermaßen aufgeteilt wird und die Produktion als eine Funktion der Reproduktion fungiert, nicht umgekehrt. In lokalen Räten könnte die Reproduktionsarbeit wiederum gesellschaftlich aufgeteilt und geplant werden, aber nicht mehr mit digitalen Algorithmen. Das Konzept besitzt den Charme, dass es die ohnehin schon nicht-warenförmige Reproduktionsarbeit zum Kristallisationskern der neuen Gesellschaft macht, während die heute zentrale Warenproduktion (und dann in der Planwirtschaft Güterproduktion) ein nachgeordnetes Moment wird. So kann sich eine vorläufig unvollständige Überwindigung der Warenform nicht als Krebsgeschwür durch die ganze Gesellschaft ziehen.

Der Boden als Quelle des Reichtums

Im heutigen Kapitalismus ist die Natur eine kostenlose Ressource. Allein die Verfügbarkeit über den Boden ist an politische Macht gebunden. Auch digitale Planwirtschaften bergen die Gefahr, produktive Probleme auf Kosten zukünftiger Generationen in die Natur auszulagern. In den meisten Modellen wird alleine die Arbeitszeit berücksichtigt, die benötigt wird, Ressourcen abzubauen oder die notwendigen Werkzeuge herzustellen. Die Endlichkeit der Ressourcen lässt sich allein durch menschliche Arbeit nicht ausdrücken. Ein Planprogramm könnte daher in Anbetracht aller Konsument*innenwünsche zwar zu dem Schluss kommen, dass alle Bedürfnisse mit der vorhandenen Arbeitskraft befriedigt werden könnten, aber wie berechnet es die damit verbundenen ökologischen Kosten mit? Vielmehr noch. Eine digitale Planwirtschaft wäre selbst auf viele endliche Ressourcen – Energie, Lithium, Kobalt, Nickel, Kupfer, usw. – angewiesen, um zu funktionieren.

Ökosozialist*innen stellen daher in Frage, ob das menschliche Bedürfnis der einzige Parameter der Planung sein könne. Es kann zum Beispiel die Auffassung vertreten werden, dass jede Produktion den Vorrang erhält, die Emissionen senkt, Extraktivismus minimiert, Energie einspart, Biodiversität fördert und somit die weltweite Ungleichverteilung der ökologischen Kosten minimiert. Eine solche Entscheidung müsste jedoch politisch getroffen werden und zwar außerhalb der Möglichkeiten der partizipativen Ökonomie. Da gerade in den Klimawissenschaften noch viele Tatbestände unklar sind und abgeschätzt werden müssen, kann man sich nicht allein auf wissenschaftlichen Begründungen zurückziehen. Da es sich also um Abwägungsentscheidungen handelt, wird es hier auch immer Mehrheiten und Minderheiten geben und die Minderheiten müssten dennoch auch die digitale Planwirtschaft verpflichtet werden können. Das kann zu erheblichen Problemen führen.

Was bedeutet „demokratisch“ in „demokratischer Planung“?

Die Reichweite demokratischer Entscheidungen im Kapitalismus findet ihre Grenze in der Profitmacherei der Bourgeoisie. Ohne Profite keine Arbeitsplätze, keine Steuern, kein Staat. Demokratie in der digitalen Planwirtschaft bedeutet, dass individuelle Interessen in der Planung gegeneinander abgewogen werden, ohne dass es eine Klasse der anderen unmittelbar ihren Willen aufdrängen kann. Das ist ein Fortschritt. Und doch ist Demokratie nur dort notwendig, wo Interessen gegeneinander stehen und einer organisatorischen Bewältigung ohne Blutvergießen und Revolution bedürfen. Und da stellt sich die Frage, wie diese konkrete Organisation aussehen kann und soll. Gilt ein*e Arbeiter*in – eine Stimme? Entscheiden nur die, die betroffen sind und wie kann in einer gesamtgesellschaftlichen Planung jemand nicht betroffen sein? Muss es Repräsentant*innen geben, die sich vertieften Einblick verschaffen können und wie wird gesichert, dass deren individuelle Interessen nicht vorrangig behandelt werden? Wie geht man mit den Muttermalen der alten Gesellschaft und strukturellen Minderheiten um? Sorg schlägt vor, dass sich die kybernetischen Planer*innen die demokratischen Implikationen der Kybernetik selbst zum Vorbild nehmen. Jede Entscheidung muss auf der niedrigstmöglichen Skala getroffen werden. Und da unterscheidet sich die Reichweite vom Bau einer Bibliothek mit der einer Senkung der weltweiten Klimaemissionen.

Aber problematisiert werden muss auch, ob die Programme der Planwirtschaft, die logischerweise noch vor der Planwirtschaft selbst geschrieben werden, noch Muttermale der alten Gesellschaft tragen. Wir wissen bereits, dass die Zusammenstellung der Trainingsdaten künstlicher Intelligenzen massiven Einfluss auf die ermittelten Lösungen hat. Nehmen wir an, eine sozialistische Gesellschaft sei zu Beginn noch stark geprägt von bürgerlichen Ideologien der Ungleichwertigkeit; diese sozialistische Frühgesellschaft liefert die Trainingsdaten der Planung. Es müsste ein Evaluationsmechanismus gefunden werden, der sicherstellt, dass die Software der Planung nicht den unterentwickelten Sozialismus beständig reproduziert und den gesellschaftlichen Fortschritt hemmt. Es bräuchte ein permanentes Monitoring und eine Rückkopplung mit der Gesellschaft, welche das Versprechen der vollautomatisierten Planung konterkariert. Und da wird noch garnicht berücksichtigt, dass dem Eintritt in die Planwirtschaft eine ungleiche Entwicklung der Regionen und Länder vorausgegangen ist und das koloniale Erbe bewältigt werden muss.

Zusammenfassung

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Gesellschaftliche Planung ist nicht nur wünschenswert, sie ist notwendig, um die Ausbeutung von Mensch und Natur zu beenden und der Gattung Mensch eine Chance zu geben, in einer lebensfreundlichen Umwelt existieren zu können. Und moderne Algorithmen und Rechentechnik werden ein Werkzeug dieser Planung sein, wenn man nicht einige kulturelle Schritte zurück machen möchte. Aber Christoph Sorgs Artikel erfüllt eine wichtige Aufgabe: den Finger in die Wunde zu legen, wo digitale Planung eben nur ein Werkzeug ist und wo man sie nicht fetischisieren darf. Pläne sind keine Lösung bestehender Probleme, sie sind ein Mittel zur Lösung unter vielen anderen. Zwischen der Partizipation auf lokaler Ebene und der Bewältigung globaler Menschheitsprobleme, die im Sozialismus dem Einzelnen nicht weniger abstrakt gegenüberstehen als heute, liegen verschiedene Vermittlungsschritte. Und bei aller Notwendigkeit von Rationalisierung darf die bewusste menschliche Entscheidung nicht aus der Gleichung heraus gekürzt werden. Für die Aufhebung der Trennung von Produktionsarbeit und Reproduktionsarbeit, der Umgang mit einer vielleicht nicht mehr reversiblen Klimakrise, das Erbe des Kolonialismus und Imperialismus, sowie die Interessengegensätze, die Grundlage jedes demokratischen Prozesses gibt es keine App und keinen Algorithmus. Sorgs Intervention problematisiert, dass Bewusstsein über die Produktion nicht allein aus dem gesellschaftlichen Eigentum an ihren entsteht. Doch nur dieses Bewusstsein beendet die menschliche Entfremdung, die Herrschaft des Menschen über den Menschen und lässt Arbeit das erste Bedürfnis freier Produzent*innen werden.

Literatur:

Sorg, C. (2023): Failing to Plan Is Planning to Fail: Toward an Expanded Notion of Democratically Planned Postcapitalism. In: Critical Sociology. Jahrgang 49. Ausgabe 3. S.475–493.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert