Werden Memer ausgebeutet?

⋄ Memes sind meist humoristische und teilbare Bilder im Internet, die meist bereits verbreitete Bilder aufgreifen und ihnen in einem neuen Kontext eine pointierte Aussage zuordnen.

⋄ Meme-Seiten haben mittlerweile bis zu mehreren Millionen Nutzer*innen, die nicht nur die Memes anschauen und teilen, sondern auch selbst erstellen.

⋄ Da sich mit diesen Seiten mittlerweile auch Geld verdienen lässt, stellt sich manchen Kulturwissenschaftler*innen die Frage, ob die kostenlose Arbeit der Meme-Produzent*innen ausgebeutet würde.

⋄ Um dieser Frage nachzugehen, haben Gcina Mgcina und Ufuoma Akpojivi in der
Critical Arts halbstrukturierte Interviews mit Admins und Content Creatern zweier großer südafrikanischer Memepages geführt.

⋄ Die Meme-Produzent*innen werden zwar aus marxistischer Sicht nicht ausgebeutet, der Monetarisierungsprozess ist aber darum nicht weniger spannend.

Memes sind lustige popkulturelle Anspielungen, in denen ein Bild seinem Kontext entrissen und mit einer neuen Botschaft in Zusammenhang gesetzt wird. Dieser Verfremdungseffekt ist häufig überraschend und humorvoll, weshalb er insbesondere unter jungen Social-Media-Nutzer*innen großen Zuspruch erhält. Da die Betrachter*innen den Kontext des Ursprungsbildes kennen müssen, um die Kombination mit einer neuen Botschaft zu verstehen, wird zudem ein gemeinsamer Referenzrahmen geschaffen oder ins Gedächtnis gerufen, der gemeinschaftsstiftend wirkt. So weit mag dies maximal für kultur- oder konsumkritische theoretische Strömungen von Belang sein, aber kaum für politische Ökonomie. Noch verstecken sich hinter Memes keine großen Medienkonzerne, die mit diesen Milliarden scheffeln, auch wenn Memes gerne zu Werbezwecken eingesetzt werden. Dennoch haben einige Memeseiten auf Facebook, instagram oder X hunderttausende bis Millionen Follower, was sich monetarisieren lässt. Dabei werden die Memes meist von der Community in der freien Zeit der Follower selbst erstellt. Dass sich Geld mit den kostenlosen Aktivitäten von Usern verdienen lässt, hat einige Theoretiker*innen zu der Annahme veranlasst, hier handele es sich um Ausbeutung.

Gcina Mgcina und Ufuoma Akpojivi haben in der Critical Arts halbstrukturierte Interviews mit Admins und Content Creatern zweier großer südafrikanischer Memepages geführt. Wer arbeitet hier wie, wer verdient woran und wer wird mit Aufmerksamkeit bezahlt? Über konkrete und abstrakte Arbeit und den Unterschied zwischen Produktion und Reproduktion.

Die Ausgangslage

Einiges über Memes wurde bereits in der Einleitung gesagt. In der Regel zeichnen sich Memes dadurch aus, dass sie handwerklich keiner großen Fähigkeiten bedürfen und die praktische Arbeit recht schnell und halbautomatisiert ausgeführt werden kann. Der Kern der Memes ist, dass sie den Anschein von Spontaneität und Kreativität erwecken und Erfahrungen des alltäglichen Lebens oder politische wie gesellschaftliche Topoi zeitnah verarbeiten. Das Verständnis eines Memes setzt einiges an Vorwissen voraus, wodurch diese Gruppen strukturieren und gemeinsame Identitäten verfestigen können. Sind die Gruppen hinreichend groß, dann kann die Größe dieser Communities in die hunderttausende wachsen. Auf Grund der einfachen Herstellung von Memes, tragen diese starken partizipativen Charakter. Eigentlich kann jede*r Memes erstellen und erst recht in kleinen oder großen Gruppen teilen. Steigt jedoch die Gruppengröße und damit die Anzahl individueller Beiträge an, dann sinkt die Kohärenz der Memes, während die Masse auf eine unüberschaubare Zahl steigt.

Um daher den Charakter von Memes als Mittel der Aufmerksamkeits- und Kohärenzstiftung zu gewährleisten, müssen die Beiträge entsprechend moderiert werden, was insbesondere bei vielen tausend Nutzern viel Zeit in Anspruch nimmt und sich kaum in der Freizeit bewältigen lässt. Als Alternative können nur festgelegte Nutzer als Content Creater oder so genannte Memelords definiert werden, welche jedoch nicht nur unter dem Druck stehen, permanent spontan, kreativ und informiert hinsichtlich gesellschaftlicher Debatten zu sein, sondern auch eine hinreichend große Anzahl an Inhalten erstellen müssen, wodurch wieder erheblicher Aufwand entsteht.

Ist eine Memeseite unabhängig von einer der großen sozialen Plattformen, dann steigt mit der Anzahl der Nutzer auch die Höhe der mit der Unterhaltung der Technik verbundenen Kosten. Ist man in eine der großen Netzwerke eingebunden, offenbaren sich ab einer bestimmten Größe recht leichte Möglichkeiten der Monetarisierung und somit der Aufwandsentschädigung für administrative oder produktive Tätigkeiten.

Ein bisschen Empirie aus Südafrika

Im untersuchten Fall handelte es sich um zwei Instagram-Meme-Gruppen aus Südafrika. Die Gruppen UCT Just Kidding und Wits Just Kidding richten sich jeweils an die Studierendenschaften zwei der drei größten südafrikanischen Universitäten und sind mit mehreren 100.000 aktiven Nutzern die größten eines Marktes von etwa vier Millionen. Post- und Anti-Apartheids-Topoi spielen gerade bei der Behandlung politischer Themen eine wichtige Rolle, aber auch allgemeine soziale Forderungen wie #FeesMustFall 2015 werden augenommen. Daneben spielen Schulden, psychische Probleme, Prokrastination, nichtbestandene Prüfungen oder Neuigkeiten vom Campus eine wichtige Rolle. Eingebettet werden diese in einem Mix aus genuin südafrikanischen Film- und Literaturanspielungen, Verweise auf bekannte westliche Prominenz und teilweise überspitzt akademischen Jargon. Die Memes können dabei als Ventil, Misserfolge zu normalisieren, angesehen werden, aber auch als politisches Mittel.

Beide Seiten haben jeweils einen Administrator, der sich nicht nur um die Anwerbung von Meme Creatern bemüht, eingehende Memes von unabhängigen Nutzern durchsieht und Diskussionen moderiert, sondern auch die Werbeeinnahmen verwaltet. Diese bewegen sich je nach Art der Annoncenschaltung zwischen etwa 25 und 70 Euro. Dafür dürfen die Werbepartner entweder eigene Memes generieren, die auf ein bestimmtes Produkt aufmerksam machen oder komplette Beiträge veröffentlichen.

Die beiden Forscher*innen haben nun mit jeweils mit einem Administrator und zwei Meme Creatern von beiden Seiten halbstrukturierte Interviews geführt und dabei erstmal nichts Spannendes herausgefunden. Die Administratoren verwalten die Finanzen und geben die Summe, sowie Verwendung der Einnahmen als Geschäftsgeheimnis nicht preis. Sie sehen sich eher für den Verwaltungsaufwand und die Kommunikation mit den Werbepartnern entlohnt, während sie darüber klagen, selbst gar keine Zeit mehr zur Memeerstellung zu haben, was sie als Hobby ansehen. Dass die eigentlichen Ersteller*innen der Inhalte keine Entlohnung erhalten, sehen sie daher auch nicht als Ausbeutung an. Auch die Creater selbst sind über ihre Freizeitaktivitäten zu den Just Kidding-Seiten gekommen. Sie freuen sich über Likes, positives Feedback und die Nennung ihrer Urheberschaft. Manchmal würden sie kostenlos zu Parties eingeladen, aber eine weitere Entlohnung erwarten sie eigentlich nicht. Soziale Anerkennung fungiert hier also als Währung; die Arbeit wird Hobby angesehen, für das die JT-Gründer*innen die Plattform bereit stellten.

Ist das Ausbeutung?

Soweit die recht dünne Empirie. Obwohl die Autor*innen ihren Ansatz als marxistisch bezeichnen, belassen sie es leider bei den genannten Darstellungen und klären gar nicht darüber auf, ob Memeerstellung nun Ausbeutung sei oder nicht. Eine erste Idee bekommt man davon, dass gar kein Lohn gezahlt oder erwartet wird. Damit wird die wichtigste Größe der Ausbeutung, die Mehrwertrate e=m/(v=0) mathematisch undefiniert. Zweitens besitzt ein Meme keinen Tauschwert. Gerade, weil Memes frei und weit geteilt werden können, haben die entsprechenden Plattformen so große Userzahlen. Memes sind demnach auch keine Ware. In ihnen ist keine abstrakte Arbeit vergegenständlicht, sondern konkrete. Damit gehören sie auch nicht dem Produktionsprozess an, dem Ort der Ausbeutung.

Wenn also keine Ausbeutung stattfindet, wie lassen sich Memes dann überhaupt monetarisieren. Man kann feststellen, dass zwei verschiedene Waren hier im Spiel sind. Zum einen ist die Infrastruktur der sozialen Medien selbst eine Ware, in der sowohl menschliche abstrakte Arbeit als auch fixes wie zirkulierendes Kapital vergegenständlicht sind. Zum anderen werden mittels der Werbung Waren angeboten, wobei es sie um so genannte Realisierungskosten handelt, die der Zirkulationssphäre angehören. Werbung hat dabei einen mehrdeutigen Charakter. Fungiert Werbung nur als Produktinformation – also als Erinnerung an ein bestehendes Bedürfnis oder die Information über die jetzt mögliche Befriedigung – dann setzt sie der Ware keinen weiteren Wert zu und erschöpft sich ausschließlich in der Information. Gelingt es der Werbung hingegen, ein neues Bedürfnis für eine ganz besondere Warensorte zu wecken – zum Beispiel als Distinktionsmittel -, dann fügt sie der Ware zwar technisch gesehen keinen Wert zu, kann aber dem Hersteller eine Monopolstellung verschaffen. Adidas-Schuhe können eben nur von Adidas hergestellt werden und selbst, wenn die gleiche oder sogar bessere Qualität von einem konkurrierenden Unternehmen bereitgestellt werden könnte, so änderte dies nicht am Bedürfnis nach eben den Schuhen von Adidas. Neben dem klassischen Unternehmerprofit, den Marx für eine idealtypische Gesellschaft annahm, kann sich das entsprechende Unternehmen Monopolrenten einstreichen und die in der Werbung angelegten Kosten sind Realisationskosten der Monopolrente.

Das zugrunde liegende Verhältnis ist dabei kein ökonomisches, sondern ein juristisches. Dass kein Konkurrent eine Ware der gleichen Marke herstellen darf, wird durch einen politisch beschlossenen Urheberschutz durchgesetzt, nicht durch hinter dem Rücken der Produzenten wirkenden Gesetze. Mit den Kosten zur Realisierung der Profite durch Produktinformation und den Kosten zur Realisierung der Monopolrenten wird nun die Infrastruktur bezahlt, die technisch und administrativ notwendig ist, um Memepages zu betreiben.

Kommodifizierung der Reproduktionsarbeit

Auch wenn also der marxistische Begriff der Ausbeutung hier nicht anwendbar ist, kann man erstaunlicherweise bemerken, dass unbezahlte Arbeit als Vermittler zwischen die Ware Plattform und die Ware Werbeprodukt tritt. Dennoch ist die Rede davon, dass die Nutzer*innen mit ihren Informationen bezahlen und damit unbezahlt für die Konzerne arbeiten würden, äußerst abgeschmackt und verstellt den Blick auf einen völlig anderen Zusammenhang der kapitalistischen Totalität. Wir dürfen mit Marx nicht vergessen, dass nicht nur Produktion gleichzeitig immer Konsumtion ist, sondern umgekehrt Konsumtion immer auch Produktion. Der Konsum in der Freizeit ist immer zugleich RePRODUKTION der Ware Arbeitskraft. Das Besondere ist nun, dass dieser produktive Aspekt der Konsumtion zur Realisierung von Profit oder Monopolrente nutzbar gemacht wird. Das ist aber keinesfalls etwas Neues.

Denken wir an etwas ganz profanes. Amateurfußballspieler betreiben ihren Sport als Hobby zur Reproduktion ihrer geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit. Viele dieser Mannschaften haben dennoch Trikotsponsoren, um die Kosten für Kleidung und Spielgeräte, die ansonsten aus dem Lohn bezahlt werden müssen, zu senken. Niemand würde hier behaupten, dass die Spieler unbezahlt für den Sponsor arbeiten, sondern die Beziehung zwischen den Spielern und dem Sponsor ist leicht zu durchschauen. Bei sozialen Netzwerken ist es dabei kaum anders. Sponsoren finanzieren die Netzwerke, nach denen offenkundig ein Bedürfnis besteht, um die damit verbundenen Kosten für die Nutzer*innen zu reduzieren. Als Gegenleistung können sie die konkrete Reproduktionsarbeit, die während der Reproduktion der Ware Arbeitskraft geleistet wird, nutzen, die eigenen Realisierungskosten zu senken. Firmen müssen nicht erst selbst den Resonanzraum für ihre Werbung schaffen wie andernorts, sondern er wird von den potentiellen Kunden selbst geschaffen.

Weiterhin bemerkenswert ist, dass die Realisierungskosten der beworbenen Waren die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft senkt. Nehmen wir an, dass Werbung in fast jedem Bereich der Freizeit bewirkt, dass sie Eintrittspreise, Abonnementkosten oder sonstige Ausgaben für materielle Bedürfnisse sinken, dann senkt sie auch die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft im Allgemeinen. Da die Ware Arbeitskraft jedoch zu ihren Reproduktionskosten verkauft wird, senkt Werbung damit auch deren Wert; unabhängig davon, ob der Kapitalist gerade selbst Teil der Werbemaschinerie ist oder nicht. Das Zusammenspiel aus juristischer Umgebung, technischen Möglichkeiten und den Reproduktionskosten erschafft hier eine spezifische Totalität der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion, der landläufig auch als Akkumulationsregime beschrieben werden kann. Der in sozialen Medien auftretende Modus übervorteilt die Firmen, denen es gelingt, die beschriebenen Monopolrenten einzustreichen, da die allgemeine Verringerung der Reproduktionskosten den Wettbewerb zwischen den Unternehmen verschärft und zu geringeren Profiten führt. Das ist der Preis dafür, dass das Urheberrecht versucht, durch den Anreiz auf eventuelle Monopolrenten, neue Markenideen zu entwickeln, auf den Markt zu bringen und zu monopolisieren. Und zum Schluss der Argumentationskette ist dies auch wieder nur Reaktion auf eine Krisenerscheinung des Produktionsregimes, in dem überschüssiges Finanzkapital auf der Jagd nach neuen Anlagemöglichkeiten auf solche neuen Marken und Bedürfniserzeugung angewiesen ist; faktisch jedoch die eigene Reproduktionsbasis untergräbt.

Zusammenfassung

Der Kapitalismus offenbart immer wieder erstaunliche Ressourcen dabei, bisher nicht warenförmige Bereiche des Lebens vollständig zu kommodifizieren. Dabei hat er nur bei der Produktionssphäre, in der die Ausbeutung angesiedelt ist, begonnen und mittlerweile die Reproduktionssphäre fast vollständig erfasst. Kostenlose Arbeit in sozialen Netzwerken als Ausbeutung zu betrachten unterschätzt dabei das Ausmaß, in welchem die Bourgeoisie ihre Herrschaft ausgedehnt hat. Da im Lohn, also der Bezahlung für die Kosten der Reproduktion der Ware Arbeitskraft, eingepreist ist, dass dazu Mittel benutzt werden, die wiederum durch die Zirkulationskosten der Waren querfinanziert werden, hat das Kapital einen enormen Einfluss darauf, was die Arbeiter*innen in ihrer Freizeit konsumieren. Während sie Zugriff auf den vollen Korb der letzteren Kategorie haben, müssen sie sich bei der Auswahl der vollständig selbst bezahlten Erholungsmöglichkeiten auf einige beschränken oder ganz von diesen lassen. Das zieht sich auch durch den Medienkonsum, etc.. So strukturiert das Kapital neben den bestehenden Zwangseinrichtungen – wieder hinter dem Rücken der Produzent*innen – auch die Ideologievermittlung. Die Herrschaft der Bourgeoisie umfasst damit die Totalität aller gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie ist totalitär.

Literatur:

Mgcina, G. & Akpojivi, U. (2024): An Investigation of Exploitation and Labour Within Memes Production: A Case Study of South African Student Meme Pages. In: Critical Arts. Online First. DOI: 10.1080/02560046.2023.2297757.

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