Durch Multipolarität zum Sozialismus

⋄ In der Linken wird die Frage diskutiert, ob eine multilaterale Welt nur eine reformistische Idee ohne Bedeutung für den Sozialismus ist oder ob sie sozialistische Bewegungen stärken würde.

⋄ 2021 positionierte sich die
International Manifesto Group zu dieser Frage, indem sie für eine pluripolare Welt warb.

⋄ Sie argumentierte, dass es kulturübergreifende sozialistische Projekte gebe, die nur mittels des Bruchs der imperialistischen Hegemonie verwirklicht werden könnten.

⋄ Ein Jahr später diskutierten Autor*innen und Unterstützer*innen des Manifests vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs den Text neu.

⋄ Dabei wird klar, wie unterschiedliche Positionen und Weltanschauungen hinter dem konsensuell beschlossenen Text sind.

Das Treffen der BRICS-Staaten in Südafrika ist nunmehr Geschichte und es wird über die Ergebnisse diskutiert. Die Aufnahme sechs neuer Länder, darunter Argentinien und der Iran, erhöhen das Gewicht der Staatengruppe, aber lassen sie zeitgleich noch pluraler werden. Die Meinungen in der Linken reichen von der Kritik an einigen autoritären Regierungen über Freude hinsichtlich des neuen Gegengewichts zum Westen bis hin zur Gleichgültigkeit. Multipolarität alleine verbessere nicht die Lage der Arbeiter*innenklasse, weder im Westen, noch in der kapitalistischen Peripherie. Die Debatte hangelt sich dabei auch an der unterschiedlichen Bewertung entlang, inwiefern Linke realpolitisch agieren und an den Fetischisierungen der kapitalistischen Gesellschaft ansetzen müssten oder inwiefern sie sich auf abstrakte Prinzipien, wie einen vom internationalen Kampf unabhängigen proletarischen Standpunkt beziehen sollten.

Mit der Aufnahme von Ländern, die als eher amerika- und EU-freundlich gelten (wie Saudi-Arabien ­oder Argentinien) hat sich die BRICS jedenfalls weniger als Gegenpol zu den imperialistischen Zentren als mehr als Neugründung einer Blockfreienbewegung 2.0 inszeniert. 2021 verfasste eine Gruppe linker Wissenschaftler*innen zum 60. Jahrestag der originalen Bewegung ein multipolares Manifest. Die International Critical Thought veröffentlichte knapp zwei Jahre später eine kritische Einschätzung der damaligen Autor*innen und Unterzeichner*innen, die auch den mittlerweile ausgebrochenen Ukrainekrieg mit einbezieht.

Das pluripolare Manifest

Der Aufruf „Durch Pluripolarität zum Sozialismus: ein Manifest“ wurde von der Internationalen Manifest-Gruppe herausgegeben. Diese wiederum besteht aus Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen der Geopolitical Economy Research Group, einer internationalen Vereinigung von linken Forscher*innen auf dem Feld der globalen Ökonomie und Konfliktforschung. Sie wird von Radhika Desai und Alan Freeman geleitet und unter anderem gehört der russische Intellektuelle Boris Kagarlitzky zur Redaktion, der zur Zeit wegen eines vermeintlichen Aufrufs zum Terrorismus in Untersuchungshaft sitzt. Insbesondere versucht die Gruppe, Stimmen aus Afrika, Lateinamerika und Asien in der internationalen Debatte Gehör zu verschaffen.

Herausgegeben wurde das pluripolare Manifest am 60. Jahrestag der Konferenz von Belgrad, bei der sich die Bewegung der blockfreien Staaten konstituierte. Es griff die die aktuellen Entwicklungen der Corona-Pandemie und des Neuen Kalten Krieges zwischen den USA und China auf, wusste am 5. September 2021 aber noch nichts von den Entwicklungen in der Ukraine ab 2022. Unterzeichnet wurde das Manifest unter anderem vom australischen anti-imperialistischen Marxisten Roland Boer, vom russischen postsowjetischen kritischen Marxisten Alexander Buzgalin (Näheres hier), vom österreichischen Input-Output-Forscher Peter Fleissner, vom US-Ökonomen Michael Hudson oder vom britischen Verleger Roger van Zwanenberg, um hier nur einmal jene Unterzeichner*innen aufzuführen, die auf diesem Blog schon besprochen wurden.

Die Thesen des Manifests

Die Autor*innen halten den Kalten Krieg für nie beendet, nur dass sich Frontverläufe geändert hätten, Imperialismus und Kapitalismus noch immer miteinander verbunden seien. Während die imperialistischen Kernländer versuchten, den unterdrückten Ländern ihren Willen ökonomisch und militärisch aufzuzwingen, würde aus der Dialektik der Kämpfe eine Gegenbewegung entstehen, die mit den Worten Hugo Chavez’ als Pluripolarität bezeichnet werden kann. Das wichtigste Instrument gegen den Imperialismus sei demgemäß die ökonomische Entwicklung der peripheren und semi-peripheren Staaten und nicht die militärische Auseinandersetzung. Dazu hätten diese Staaten in den letzten Jahrzehnten von der Bewegung der Blockfreien über die UNCTAD bis hin zum BRICS-Bündnis verschiedene Einrichtungen geschaffen, die diesen Zweck verfolgten. Anfangs vom sozialistischen Block unterstützt, trug der Imperialismus in Form des Neoliberalismus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen vorläufigen Sieg davon. Aber die hemmungslosere Austeritätspolitik des IWF und das verstärkte militärische Engagement der USA provozierten neue Gegentendenzen. Mit dem Niedergang des Neoliberalismus ginge auch ein Verfall der traditionellen Parteienstrukturen einher. Links- wie rechtspopulistische Bewegungen suchten in allen Ländern nach neuen Antworten auf die hinterlassenen Probleme. Allerdings habe der Populismus auch dazu geführt, dass Klassenkämpfe in die Linke hineingetragen wurden, anstatt von ihnen geführt zu werden.

Der aktuelle Zusammenbruch des Neoliberalismus habe die gesamte Wertegemeinschaft des Westens erschüttert. Migrationsbewegungen hätten autoritäre Grenzregime hervorgebracht, welche hunderte neue Berliner Mauern bauten. Der westliche Humanismus habe den Stresstest der Corona-Pandemie nicht bestanden, als Profitinteressen der pharmazeutischen Industrie über die Interessen der Menschengestellt wurden. Anstatt die notwendige Restrukturierung des öffentlichen Lebens zu bewältigen, beschränkte man sich auf Impfungen und zeigte sich so nicht in der Lage, auf Probleme passende Antworten zu finden. Und wie der Westen sein offensichtlich fehlerhaftes Gesundheitssystem der ganzen Welt aufdrücken wolle, so sei er nur an den Menschenrechten interessiert, welche die ökonomische Freiheit als Vehikel der ökonomischen Unterdrückung garantierten. Die wertegestützte Friedensordnung sei ein Pax Americana gewesen, die allein US-Interessen gedient habe. Damit sei der Klassenkampf auch ein Kampf der Nationen, da ohne Souveränität jede gegenhegemoniale Bewegung von den imperialistischen Staaten zurückgeschlagen werde.

Während also der Kapitalismus seine einst progressive Rolle eingebüßt habe, seien es nun Länder wie China, die zunehmend an der Spitze des Fortschritts stünden. Zwar sei der Weg zum Kommunismus – einer Gesellschaft, in der jede*r nach ihren Bedürfnissen konsumieren und jede*r nach ihren Fähigkeiten produzieren könne – ein langer, aber es käme auf die ersten Schritte an, welche in China, auf Kuba oder in Vietnam gegangen seien. Einer der ersten Schritte einer erfolgreichen sozialistischen Bewegung sei die Erringung der Macht im Staate. Diese Macht tauge jedoch nicht viel, wenn der Staat selbst von den monopolisierten Produktionsmitteln der imperialistischen Kernländer abhängig sei. Vielmehr müsse sich die Vielfalt der historischen, ökonomischen und kulturellen Hintergründe auch in einer Pluralität der internationalen Bündnispartner widerspiegeln.

Dabei dürften diese ersten Schritte zum Sozialismus nicht mit Utopismus verwechselt werden. Vielmehr gäbe es operationalisierbare politische Ziele, die sich fast alle sozialistischen Bewegungen zu eigen gemacht hätten. Erstens der Aufbau eines öffentlichen Gesundheitssystem und sozialstaatlicher Daseinsfürsorge. Zweitens die Eindämmung und Revision der Privatisierungen von Produktionsmitteln, Land und die schrittweise Dekommodifizierung der Arbeit. Dazu gehöre insbesondere eine ökologische Wende, welche die Natur als Selbstzweck, als notwendiges Lebensmittel der Menschen und nicht als Mittel des Profits anerkenne. Drittens die Demokratisierung der entstandenen wirtschaftlichen Monopole und des Finanzsystems. Viertens die gesellschaftliche Debatte über „wahre“ Bedürfnisse Menschen und durch die Marktwirtschaft erzeugte Bedürfnisse, um die Kosten an Mensch und Umwelt zu minimieren. Fünftens die Zurückweisung monopoler Ansprüche auf Werte, Einfluss und Entscheidungsgremien. Und sechstens die Zurückweisung eines kapitalistischen Universalismus, der die Ware Arbeitskraft nur uniformiert, zu Gunsten eines proletarischen Internationalismus, der kulturelle Unterschiede anerkennt. Diese sechs Prinzipien seien in allen Nationen und Kulturkreisen als Kampffelder sozialistischer Bewegungen unabhängig von ihrer konkret politischen Form gleich.

Eine Revision des Manifests

Nun beinhaltet das Manifest wenig Spektakuläres, sondern fasst eher die Grundlagen zusammen, auf deren verschiedene sozialistische und marxistische Analyst*innen ihre Forschung und Bewertungen aufbauen. Umso spannender war es, dass mit etwas zeitlichem Abstand einzelne Autor*innen, Unterzeichner*innen und Symapthisant*innen das Werk nochmals kommentiert haben. Wie unterscheiden sich hier individuelle Sichtweisen von dem konsensuellen Text und welche Auswirkungen hat Russlands Krieg in der Ukraine?

Cheng Enfu (Näheres hier), Redner bei der öffentlichen Vorstellung des Manifests, stellt die These auf, dass die russische Invasion in der Ukraine in der Welt den Wunsch nach Sozialismus vergrößert habe. Es habe sich gezeigt, dass der kapitalistische Unipolarismus in der Ukraine an seine Grenzen gestoßen sei. Gleichzeitig zeige sich, auch wenn Cheng Enfu im Wesentlichen die Positionen Moskaus stützt, dass eine einfache direkte Konfrontation selbst in einem eher begrenzten Konflikt massive Opfer auf dem Schlachtfeld und massive ökonomische Folgen für die Welt nach sich ziehe. Der Kampf gegen die US-Hegemonie könne daher nur durch Aufhebung mittels Sozialismus und nicht Eindämmung des Imperialismus mit gleichen Mitteln gewonnen werden.

John Ross sieht die Kooperation großer Teile der europäischen Linken mit der NATO als Beweis für die These des Manifests, dass sich die traditionellen politischen Strömungen in Auflösung befänden. Es sei bezeichnend, dass sich die sozialistischen Bewegungen im globalen Süden äquidistant bis pro-russisch positionierten, während man im Westen das Gegenteil beobachte. Progressive Kräfte im Westen sollten sich jedoch nicht isoliert fühlen, da sie im Globalen Süden einen Bündnispartner hätten. Der Venezolaner Carlos Ron verwies auf Engels’ Aussagen, dass die sozialistische Transformation ein evolutionärer Prozess sei und die Verbindung von Fortschritt und kulturellen Traditionen einen essentiellen Bestandteil der Bewegung darstelle. Ajamu Baraka von der Black Alliance for Peace führte aus, dass der Sozialismus dem Wesen nach zwar nur revolutionär erreicht werden könnte, der anti-imperialistische Kampf jedoch die praktische Form des alltäglichen Kampfes um Revolution sei.

Jenny Clegg verwies auf die dialektische Figur der Pluripolarität. Pluripolarität an sich sei zunächst nicht mehr als eine Schwächung der US-Hegemonie und ein Abbau der Abhängigkeiten anderer Weltregionen. Multipolarität für sich hingegen bedeute auch wachsendes Bewusstsein, dass die neoliberale Erzählung vom Kapitalismus als Ende der Geschichte und Verwirklichung der Menschennatur in Frage gestellt werden müsse. Ihr fehle am Manifest noch die strategische Ausrichtung, wie mit Hilfe der alten und neuen internationalen Organisation der Übergang von ersterem zu zweiterem bewerkstelligt werden solle.

Keith Bennett verwies darauf, dass alleine die Abwesenheit einer imperialistischen Macht noch kein Anti-Imperialismus sei. Die Verschlechterung der humanitären Lage in Afghanistan zeuge davon. Das sei jedoch kein Argument dafür, sich an die Seite der Imperialisten zu stellen, sondern fordere auf die die anti-imperialistischen Volksbewegungen integrativer zu unterstützen. Oleg Barabanov spitzte diese These noch weiter an Hand der Frage zu, wie das russische Regime im anti-imperialistischen Befreiungskampf zu bewerten sei. Politökonomisch sei Russland eine Herrschaft der Oligarchen, deren Widersprüche durch eine enge Clique um Putin gewaltsam geglättet würden. Weiterhin greife Putin in Reden die Stichworte konservativer, nationalistischer und bisweilen monarchistisch-faschistischer Denker auf. Sein Anti-Imperialismus sei taktisches Kalkül und nicht aus sozialistischem Anspruch heraus motiviert. Gleichzeit hätten sich auch in Afrika viele einst sozialistische Bewegungen zu festgefahrenen etatistischen Verwaltungen entwickelt. So paradox es jedoch sein mag, sowohl das russische als auch die afrikanischen autoritären Regime sind im Zeitalter der uneingeschränkten Herrschaft des Neoliberalismus entstanden und müssen auch als Ausdruck des Neoliberalismus gewertet werden. Die Antastung durch eine multilaterale Weltordnung, selbst wenn sie durch reaktionäre Regime erfolge, würde ohne ihren Willen jedoch die geopolitischen Verhältnisse so verändern, dass ihre eigene Herrschaftsgrundlage ins Wanken gerate. Und zwar dergestalt, dass nicht einfach der Kapitalismus restauriert werden, sondern ersetzt werde. Wenn Linke daher anti-imperialistische Bewegungen unterstützten, dann hieße das nicht, dass sie sich mit den autoritären Regimen gemein machten, sondern dass sie die objektiven Umbrüche beförderten, die neue Räume für sozialistische Bewegungen öffneten.

Gabriel Rockhill würdigte das Manifest, in dem er es in einen breiteren Kontext der wachsenden Zusammenarbeit zwischen linken Forscher*innen weltweit stellte, kritisierte das Papier aber an drei Punkten. Erstens sei die Rolle der unproduktiven Kleinbürger*innenklasse zu kurz gekommen. Diese lebe von den Surplusprofiten aus der Peripherie, die es ermöglichten eine große Sphäre an Intelligentsia und sonstigen Verwalter*innen der öffentlichen Meinung zu finanzieren, deren linker Flügel sich folgerichtig an die Seite des Imperialismus stelle. Zweitens sei die Frage des wachsenden Faschismus in Europa und den USA, aber auch in einigen Schwellenländern unzureichend thematisiert. Und drittens fehlten gerade für Linke in den imperialistischen Ländern praktische Leitlinien.

Alan Freeman antwortete sehr pointiert auf die Frage, was mit der westlichen Linken geschehen sei, dass sie nun so klein und wenig einflussreich sei: Imperialismus passierte ihr. Tatsächlich habe die Überausbeutung der kapitalistischen Peripherie so sehr das Bewusstsein des Proletariat beeinflusst, dass sie es für normal hielten, hierzulande soziale Sicherheit und geregelte Arbeitsverhältnisse zu besitzen, während die Hälfte der Welt hungert und wie im 19. Jahrhundert schuftet. Was sich mit der Pluripolarität durchsetze, sei ein Stück Normalität und diese Normalität mache sozialdemokratisch orientierten Linken Angst. Der Liberalismus erkenne die Angleichung der Lebensverhältnisse zwar an, interessiere sich aber eben nicht für die Verschlechterung des Lebens der Arbeiter*innenklasse. Der Faschismus sei der Versuch, diese Normalität zu stoppen und das Ungleichgewicht in der Welt beizubehalten. Nur der Sozialismus könne beides: Gerechtigkeit in Welt zulassen und gleichzeitig den Lebensstandard der proletarischen Massen heben.

Carlos Martinez betrachtete das Manifest aus dem Blickwinkel der ökologischen Erneuerung. Während die imperialistischen Staaten bisher bereits nur wenig Engagement gezeigt hätten, hätte der Krieg in der Ukraine sie sogar veranlasst, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die USA exportierten jetzt fleißig Frackinggas auf Öltankern und in Mitteleuropa erlebe die Kohle eine kleine Renaissance. Dem stellte Martinez das Engagement der chinesischen Volksrepublik gegenüber, die ein Drittel aller weltweiten Investitionen in erneuerbare Energie tätige und in vielen Sektoren weltmarktführend sei.

Zusammenfassung

Das pluripolare Manifest wird eigentlich erst durch die Revision richtig spannend. Das Lehrreiche ist, wie viele verschiedene Analysen und Perspektiven sich hinter dem selben Text versammeln. Teilweise völlig konträre Bewertungen des russischen Regimes, verschiedene Zugänge zur globalen Politik und politisch-theoretische Hintergründe konnten sich immerhin auf dieses Manifest einigen. Das deutet an, wie trotz großer Heterogenität Kohärenz hergestellt werden kann und wie die Autor*innen und Unterzeichner*innen die generelle richtige Stoßrichtung über individuelle Differenzen stellen. Dennoch sollte die Kritik nicht ganz verschwiegen werden.

Die Operationalisierung des Sozialismus als Sammlung von Reformbestrebungen, die möglicherweise den Kapitalismus über sich hinaustreiben, ist zwar erfrischend konkret. Losgelöst jedoch von der Bewegung, aus der sie sich ergeben, kann ein sozialistischer Gehalt kaum von einem sozialdemokratischen Unterschieden werden. Ein öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen, in dem man demokratisch den Abbau eines humanitären Defizits beschließt, die Wirtschaft nach dieser Zielsetzung gestaltet und so den Menschen zum Zweck der Politik setzt, ist beispielsweise etwas ganz anderes, als ein öffentliches Gesundheitssystem, dass mit der verbesserter Erhaltung der Ware Arbeitskraft den Kapitalisten nur diese stärker auszubeuten.

Zweitens werden viele politische Entwicklungen weniger als Produkte realer Widersprüche, als mehr ein Gut-Böse-Dualismus mit vertauschten Rollen im Vergleich zum Mainstream aufgefasst. Es ist nicht sozialistischer, einfach das Narrativ einer russischen kapitalistischen Regierung gegenüber dem NATO-Narrativ zu bevorzugen. Man muss schon genau herausarbeiten, welche Widersprüche sich in der Ukraine des Maidans und Post-Maidans gegenüberstanden oder was genau die Differenzen zwischen NATO und Russland, aber auch deren gemeinsame Basis ist, an Hand derer sie sich vergleichen, sind. Und auch China kommt immer nur im Singular vor. Egal, ob man China für sozialistisch hält oder nicht: in beiden Fällen wäre China als Klassengesellschaft zu bezeichnen, in der sich die inneren Widersprüche durch verschiedene Machtgruppen artikulieren. Dass die Kommunistische Partei diese zwangsmäßig zu einer nationalen Politik zusammenfasst, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb von China eine breite Diskussion und scharfe politische Kämpfe mit ungewissem Ausgang gibt. Ohne diese Wahrnehmung gelingt es dem Manifest leider nicht, die internationale Politik vollständig zu entmythologisieren.

Literatur:

Autor*innenkollektiv: Durch Pluripolarität zum Sozialismus: ein Manifest [online] https://internationalmanifesto.org/

Desai, R. et al. (2023): “Through Pluripolarity to Socialism: A Manifesto”. One Year On. In: International Critical Thought. Jahrgang 13. Ausgabe 2. S.273-309.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert