Der Knast als Spiegel der Gesellschaft: die Geschichte der Prisoners Union

⋄ Während zwei Millionen US-Amerikaner*innen in Knästen sitzen, machen diese jährlich 11 Milliarden Dollar Umsatz allein mit der billigen und gefährlichen Arbeit der Gefangenen.

⋄ Michael Gibson-Light erzählte im
Prison Journal die Geschichte der Prisoners Union in den 70er Jahren als einer der erfolgreichsten Organisationsversuche von Gefangenen.

⋄ Die
PU konnte mehrere zehntausend Mitglieder um sich versammeln und wurde zu einer relevanten Größe des kalifornischen Strafvollzugs.

⋄ Eine Entscheidung des US-Supreme-Courts und die Wärtergewerkschaft fügten ihr jedoch empflindliche Niederlagen zu, die sie zum Aufgeben zwangen.

⋄ Gibson-Light reflektiert die Geschichte vor dem Hintergrund von
Punishment & Social Structure, einem bedeutenden Werk der kritischen Theorie zur Kriminologie.

Etwa zwei Millionen Menschen befinden sich zur Zeit in den USA in Haft. Jeder zwölfte männliche Schwarze zwischen 30 und 40 Jahren sitzt hinter Gittern. Ein großer Teil der Häftlinge sind dabei keine Mörder oder Vergewaltiger, sondern Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten oder in die Illegalität gezwungen wurden, um ihre Schulden zu bezahlen. Gleichzeitig boomt das Geschäft mit den Gefängnissen. Fast überall in den USA sind sie privatisiert und auf Profit ausgerichtet. Diese holen sie vom Staat und von den Insassen. 2011 musste der Staat Arizona drei Millionen Dollar wegen Unterbelegung an den privaten Betreiber MTC bezahlen. Gleichzeitig sparen die Gefängnisse Kosten, indem sie Häftlinge einen Großteil der Reinigungs- und Versorgungsaufgaben machen lassen. Oder es sind gleich ganze Firmen angeschlossen, die mit Dumpinglöhnen Dienstleistungen oder einfache Waren anbieten. 11 Milliarden macht die Knastindustrie so jährlich und die inhaftierten Arbeiter müssen mitspielen, da Haftverkürzungen oder ein paar Dollar für die überteuerten Waren in den Gefängnisshops winken.

Über die Jahre und in den verschiedenen Ländern hat es daher immer mal wieder Versuche gegeben, Gefangenengewerkschaften zu organisieren. Das erfolgreichste Projekt war dabei wohl die Prisoners Union, die vom Ende der 60er Jahre bis zum Ende der 70er Jahre an der US-amerikanischen Westküste aktiv war. Ihre Geschichte erzählte Michael Gibson-Light vom Department of Sociology and Criminology der University of Denver im Prison Journal. Er griff dabei auch auf das theoretische Framework der kritischen Theorie zurück, dass Georg Rusche und Otto Krichheimer hinterließen.

Exkurs 1: Georg Rusche und Otto Kirchheimer

Zu Georg Rusche und Otto Kirchheimer machen wir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs, weil ihre Geschichte zu spannend ist, um sie nicht zu erzählen. Georg Rusche wurde 1900 als Sohn einer jüdischen Mutter in Hannover geboren. Aus dem Bildungsbürgertum stammend promovierte er 1924 zur Philosophie und arbeitete in der Folge unter anderem im Bautzener Strafvollzug des damals vergleichsweise progressiven Sachsens. Prinzipiell sozialistisch gesinnt wechselte Rusche mit diesen Erfahrungen nach Frankfurt ans Institut für Sozialforschung, wo er zum Zusammenhang von Strafvollzug und Arbeitsmarkt forschte. Rusche zeichneten den Beschreibungen durch Zeitgenoss*innen folgend seine Fettleibigkeit, seine frivole Unhöflichkeit, sowie sein scharfer Verstand aus. 1933 wurde er als „Halbjude“ aus dem Dienst der Frankfurter Universität entlassen und emigrierte nach London. Hier wurde er gebeten, seine in Deutschland gefertigten Arbeiten ins Englische zu übersetzen. Zur Veröffentlichung kam es jedoch nicht, da die die britische Elite der Dreißiger Jahre antikommunistisch durchdrungen und damit skeptisch gegenüber jeder marxistischen Argumentation war. Rusche zog weiter nach Palästina. In akuter Geldnot zettelte er einen Heiratsschwindel an, bei dem er sich die Mitgift einstrich und verduftete. Ironischerweise war Rusche homosexuell und führte dies auch im Abschiedsbrief an seine Braut als Trennungsgrund an.

Während Rusche in Palästina weilte, wurde dem deutschen Rechtswissenschaftler Otto Kirchheimer Rusches Forschung der Frankfurter Zeit zur Überarbeitung und Herausgabe in Buchform vorgelegt. Der Sohn einer jüdischen Familie aus Bonn galt als „Lieblingsschüler“ Carl Schmitts, der auch dessen Doktorarbeit Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus abnahm. Bereits 1930 beschrieb er, dass die Weimarer Verfassung den politischen Herausforderungen ihrer Zeit nicht mehr gewachsen sei und daher einer Überarbeitung bedürfe. Auf Grund seiner jüdischen Abstammung musste das Mitglied der Sozialdemokratischen Partei nach Frankreich übersiedeln, wo er jede finanzielle Hilfe gebrauchen konnte. Nun sollte er mehrere Artikel für eine englische Veröffentlichung überarbeiten, ohne selbst der Sprache mächtig zu sein. Er nahm die Arbeit an. Stellen, in denen Rusche die gesellschaftliche Situation Deutschland während der Finanzkrise 1929 mit der der Vereinigten Staaten verglich, kürzte Kirchheimer konsequent heraus; andere Kapitel schrieb er komplett eigenständig, weshalb die Argumentation des Endprodukts Punishment and Social Structure (1939) auch hin und wieder stark gebrochen wirkt. Auf Grund von Rusches schlechtem Ruf ließ man sogar juristisch prüfen, ob man auf dessen Nennung verzichten könne. Das Internationale Institut für Sozialforschung entschied sich jedoch für eine Co-Autorenschaft. Es sollte die erste englischsprachige Veröffentlichung des emigrierten ehemaligen Frankfurter Instituts werden. Das Buch wurde breit rezipiert und häufig von Fachleuten rezensiert.

Rusche entschloss sich zur Rückkehr nach England, wo er jedoch in Anbetracht des deutschen Überfalls auf Polen – als jüdischer Linker – zum „feindlichen Fremden“ deklariert wurde. Mit einigen deutschen und italienischen Kriegsgefangenen, sowie weiteren deutschen Staatsbürgern wurde er auf der Arandora Star nach Kanada verschifft. Nachdem das Schiff von einem deutschen U-Boot attackiert wurde, sank es. Rusche gehört zu den Überlebenden, während mehr als die Hälfte der Passagiere starb. Nach dem Krieg zog er zurück nach Großbritannien und arbeitete an diversen Emigrantenschulen. Auf Grund von Vorwürfen, sexuelle Kontakte zu Schülern zu pflegen, musste er jedoch seine Arbeitsstelle häufig wechseln und beging 1950 Suizid.

Otto Kirchheimer hingegen war bereits 1937 in die USA übergesiedelt. Nachdem er mit dem Internationalen Institut für Sozialforschung während der Zeit des Krieges zusammenarbeitete, hatte er in der Folge viele Stellenangebote und war eine einflussreiche Stimme in der Interpretation der hitlerfaschistischen Gewaltherrschaft. Er widersprach beispielsweise Ernst Fraenkels These vom Doppelstaat und interpretierte den Faschismus unter der Lupe des Kampfes verschiedener Kapitalfraktionen. Er verstarb 1965 an einem Herzanfall.

Exkurs 2: Punishment and Social Structure

Was haben die beiden also geschrieben? Zunächst einmal ist klar, dass der bürgerliche Staat zur Erhaltung der Klassenherrschaft das Privateigentum schützen muss: das an Produktionsmitteln der Bourgeoisie und das an der eigenen Arbeitskraft der Proletarier*innen. Damit ist jedoch noch nicht geklärt, welche Formen der Bestrafung der Staat zur Durchsetzung der entsprechenden Gesetze nutzt. Und hier argumentieren Rusche und Kirchheimer wie folgt: Strafe oder Verbrechen könnten nicht unabhängig vom sozialen Kontext verstanden werden, sondern es gäbe immer nur historisch spezifische Kriminalität und Strafen. Strafen seien auch keine unmittelbare Konsequenz aus dem Verbrechen, sondern als Reflex der Gesellschaft und ihrer Produktionsverhätlnisse zu verstehen.

„Das Bestrafungssystem einer gegebenen Gesellschaft ist nicht einfach ein isoliertes Phänomen, das eigenen Gesetzen gehorcht. Es ist ein integraler Bestandteil des gesamten sozialen Systems und teilt dessen Ansprüche und Fehler.“

Punishment and Social Structure, S.207.

Die Behauptung ist dabei nicht, dass Strafen nicht nach Erwägungen der Abschreckung oder der Resozialisation verhängt würden, sondern dass es die Produktionsverhältnisse seien, die bestimmen, was abschreckt und was als sozial gilt. Die Grenzen der Bestrafung ließen sich dabei analytisch bestimmen: Erstens müsste eine Strafe den Bestraften schlechter stellen, als die niedrigste Person seiner Klasse bzw. seines Standes. Zweitens dürfte die Bestrafung selbst nicht die Gesellschaft mehr belasten als die Straflosigkeit. Und drittens müsste die Bestrafung in einer weitgehenden Kohärenz mit den ideologischen Formen einer Klassengesellschaft erfolgen, die wiederum aus den materiellen Verhältnissen abgeleitet werden könnten.

Um die Gedanken an einem Beispiel zu illustrieren: In einer Zeit, als die Sklavenhaltergesellschaft an ihre Grenzen stieß, war Versklavung keine sinnstiftende Form der Bestrafung mehr, da die Kontrolle eines Sklaven mehr Aufwand bedeutet hätte als sie Nutzen bringt. Daher wurden mit dem frühen Mittelalter körperliche Strafen wieder bedeutsamer. Geldstrafen hätten in einer Gesellschaft, in der nicht immer an Geld zu kommen war, keinen Sinn ergeben. Im Mittelalter selbst fehlte es jedoch an einer zentralstaatlichen Gewalt, die ein allgemeines Strafrecht hätte überwachen können. Die größte Abschreckung vor Verbrechen waren Sühnetaten des Betroffenen. Als das Fehdewesen jedoch drohte, die Grundlagen des Feudalwesens zu erschüttern, mussten die Herrschenden ein Strafsystem erlassen, dass gleichzeitig die Ständegesellschaft (durch personale Rechtsprechung) widerspiegelte und genauso abschreckte, wie die Fehde. Bis in die Gegenwart lässt sich so die Dialektik von Produktivkräften, Produktionsverhältnissen und Strafsystem entwickeln.

Kirchheimer und Rusche widersprachen insbesondere der Ansicht, dass sich über die Härte von Strafen Verbrechen regulieren ließen. Dies könnten nur hinreichend sichere soziale Verhältnisse. Doch auch der häufig zitierte Effekt, dass härtere Strafen mehr Kriminalität zur Folge hätten, stelle die Realität auf den Kopf. Vielmehr sei es so, dass die allgemeine Senkung des Lebensstandards zu einer Zunahme der Verbrechen führe, während gleichzeitigdie Strafen deshalb härter würden, weil sie Betroffene schlechter stellen müssten, als die Ärmsten der Armen (die ja nun ärmer würden). Für Kirchheimer und Rusche folgt daraus, dass Reformen im Strafvollzug immer nur begrenzte Wirkung haben können, während es eigentlich einer sozialen Revolution bedürfe.

„So lange das gesellschaftliche Bewusstsein nicht in der Lage ist, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Fortschritt und einem progressiven Strafwesen zu begreifen, kann jede Reform nur begrenzten Erfolg haben und die Fehler werden immer wieder in der Bosheit der menschlichen Natur gesucht anstatt im sozialen System.“

ebd. S:207.

Die Anfänge der Prisoners Union

Nun zur eigentlichen Prisoners Union. Die späten 60er Jahre in den Vereinigten Staaten waren durch eine Radikalisierung der Klassenkämpfe und den Aufstieg der schwarzen Bürgerrechtsbewegung geprägt. Nicht zuletzt durch die Livekonzerte Johnny Cashs in Folsom und St. Quentin wurde die Aufmerksamkeit auf die Zustände in den Gefängnissen von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. In diesem Umfeld druckte ein Insasse St. Quentins die erste Ausgabe des „Outlaws“, einem Flugblatt, dass sich gegen die rassistische Seggregation der Gefangenen durch die Wachmannschaften richtete und zur gemeinsamen Solidarität aufrief. Die Hilfsmittel für den Druck ließ er aus der Küche und der Gefangenendruckerei mitgehen. Bereits im Februar 1968 beteiligten sich 75% der Insassen St.Quentins an einem einwöchigen Streik gegen die miserablen Arbeitsbedingungen. Auch im August des gleichen Jahres verweigerte die Mehrheit der Gefangenen die Arbeit und sammelte 4.500 Unterschriften für eine Petition, die später zu einem Manifest mit 31 Forderungen ausgearbeitet wurde. Im November 1970 streikten die Gefangenen Folsoms ganze 19 Tage lang. Unterstützt wurden sie von Verbündeten außerhalb der Gefängnismauern. Da der Streik weitestgehend erfolglos blieb, beschloss man, eine Gewerkschaft zu gründen. Im Januar 1971 hoben 100 Unterstützer*innen die California bzw. United Prisoners Union aus der Taufe. Das Ziel der Gewerkschaft war es, die Solidarität unter den Gefangenen jeglicher ethnischer Herkunft zu organisieren, die Arbeitsbedingungen in den Werkstätten zu verbessern und so der Ausbeutung der Gefangenen entgegenzutreten.

Schnell spaltete sich die Gewerkschaft jedoch in einen radikalen und einen reformistischen Flügel. Während die UPU auf graswurzelartige Vernetzung, wilde Aktionen und Bündnisstrukturen mit anderen Gewerkschaften setzte, sammelte sich die Mehrheit in der Prisoners Union, die um eine Anerkennung als reguläre Gewerkschaft kämpfte. Um ihre Agenda publik zu machen, veröffentlichte sie den The Outlaw, in Anlehnung an das anfängliche Flugblatt.

Da die UPU die soziale Revolution als wesentliche Bedingung zur Reform des Haftwesens identifizierte, wurde sie vom FBI überwacht und wesentliche Akteure litten unter Repressionen. Die PU hingegen konnte in den 70er Jahren kontinuierlich wachsen. Ihr Mitgliederzahl durchbrach bereits in den frühen 70ern die Zehntausender-Marke. Die PU dehnte sich über Kalifornien hinaus auf elf Staaten aus. In ihrer Zeitung erklärte sie, wie man Gewerkschaftszellen gründen und den Kontakt zu den Genoss*innen in Freiheit halten konnte. 70 Tage lang durchquerten 1973 die Aktivisten J.D. Richardson und Connor Nixon die halbe USA, um in Gefängnissen Kontakte zu knüpfen. Man unterstützte die Häftlinge juristisch bei gewaltsamen Übergriffen des Wachpersonals und machte die Fälle öffentlich. Gerichte wurden ein wesentlicher Kampfplatz der Gewerkschaft.

Am Scheideweg

Die Prisoners Union wurde so innerhalb des Justizwesens zu einem politischen Faktor. Mitte der 70er Jahre setzte sich die staatliche Gefängnisleitung daher mit der PU zusammen, um über die Möglichkeiten einer Legalisierung zu beraten. Man gestand ihr im Rahmen eines Pilotprojekts die Möglichkeit zu Gewerkschaftssitzungen innerhalb der Gefängnisse zu, wenn sie auf Streikaufrufe verzichten würde. Die PU betrachtete dies als einen ersten Schritt zur Erlangung von Öffentlichkeit als Basis für weitere Aktionen. Einen Deal verhinderte jedoch die Wärtergewerkschaft, die parallel zur PU gewachsen war, jedoch mehr Ansehen in der Gesellschaft besaß. Sie drohte selbst mit Streiks, sollte der PU ein gewerkschaftlicher Status zugestanden werden. Sie argumentierte, eine Gewerkschaft mit entsprechenden Treffen könnte der Kristallisationspunkt mafiöser Strukturen werden.

In diesem Patt richtete die Gewerkschaft ihre Hoffnungen auf die Ostküste. Im März 1976 hatte dort ein Bezirksgericht einer Klage der North Carolina Prisoners’ Labor Union Recht gegeben, sich zu organisieren und Versammlungen abzuhalten. Der Fall wurde von der Staatsverwaltung jedoch bis zum Obersten Gerichtshof durchgeklagt. Am 23. Juni 1977 fällte dieser ein mit Spannung erwartetes Urteil. Er bestätigte zwar das Recht der Gefangenen, ihre Interessen im Rahmen der Bürgerrechte wahrzunehmen, aber nur unter der Einschränkung, dass der Gefängnisbetrieb davon nicht gefährdet werde. Darüber habe die Gefängnisverwaltung zu entscheiden. Damit wurden die Gefangenengewerkschaften juristisch und faktisch entmachtet. Die PU reagierte geschockt. Sie änderte ihre Taktik und fokussierte sich auf die Arbeit außerhalb der Knäste, wo sie auf die Unterstützung ehemaliger Häftlinge und den Familien Inhaftierter hoffte. Die Rechnung ging nicht auf und 1979 erschien die letzte Ausgabe des Outlaw, in der nur noch die Niederlage eingeräumt werden konnte.

Zusammenfassung

Rusches und Kirchheimers Theorie lässt sich an Hand der Geschichte der Prisoners Union sehr gut nachvollziehen. Dass Zwangsarbeit mit schlechter Bezahlung als Form der Bestrafung den Rang von Legalität und Legitimität genießt, ist erstens darauf zurückzuführen, dass sie einer Arbeitsgesellschaft entstammt, in der die Notwendigkeit der Lohnarbeit allgemein anerkannt wird und in der die Arbeitsbedingungen von Gefangenen jedoch schlechter sein müssen als die der schlechtbezahltesten freien Arbeiter*innen der USA. Als in den 60er Jahren in Folge des New Deals, der staatlichen Investitionen in Infrastruktur und Rüstung, sowie einer günstigen geopolitischen Konstellation der Lebensstandard schnell angestiegen war, stieg auch die Legitimität der Forderung nach Verbesserung der Lebensbedingungen für Häftlinge. Die Grenzen der Selbstorganisation der Gefangen spiegelte jedoch ebenfalls den Organisationsgrad der Arbeiter*innenklasse im Allgemeinen wieder. Diese war zwar weitestgehend in ökonomischen Gewerkschaften organisiert, aber stark zersplittert und nicht in der Lage, eine gemeinsame politische Partei zu bilden, welche die Forderungen der einzelnen Fraktionen der Arbeiter*innenklasse koordiniertee und übersetzt. In den Knästen war es dann ausgerechnet die Wärtergewerkschaft und nicht die Gefängnisleitung, die sich Kompromissen verweigerte, da die Wärter ihre Arbeit bereits als prekär genug wahrnahmen und zusätzlichen Stress durch die organisierte Gefangenenschaft fürchteten.

Das historische Beispiel ist also ein gutes Lehrstück für Marxist*innen und Kommunist*innen, dass die Organisation der gesamten Arbeiter*innenklasse und nicht nur einzelner Bestandteil maßgeblich für den Erfolg auch nur kleinster Reformen sind. Und zu dieser gehört auch der Teil der Arbeiter*innenklasse, der im Knast sitzt. Es ist die Gesellschaft, die das Verbrechen macht. Und nur gesellschaftliche Veränderung – keine Strafverschärfungen – ist ein wirksames Mittel gegen Verbrechen.

Literatur:

Gibson-Light, M. (2023): The Ghosts Inside: The Historic Struggle to Reclassify Prison Labor, 1967–1979. In: The Prison Journal. Online First. DOI: 10.1177/00328855231188430.

Rusche, G. & Kirchheimer, O. (1938/2017): Punishment and Social Structure. London & New York: Routledge.

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