⋄ Die Entfremdung der marxistischen Theoriebildung von den praktischen Kämpfen der Werktätigen ist eine international heiß diskutierte Frage. ⋄ Carlos Garrido vom Institut Midwestern Marx hat in seinem Buch The Purity Fetish and the Crisis of Western Marxism eine Annäherung an die Debatte gewagt. ⋄ Er wirft dem westlichem Marxismus einen Reinheitsfetisch vor, der ein idealisiertes Bild des Sozialismus entwerfe, welches keine reale Bewegung einlösen könne. ⋄ Diesen Reinheitsfetisch führt bis zur eleatischen Schule des Parmeides in der griechischen Antike zurück. ⋄ Garrido sieht die aktuelle marxistische Forschung an den Universitäten von einem kleinbürgerlichen Radikalismus dominiert anstatt von den Fragen der praktischen Bewegung. |
Im Nachgang des AfD-Wahlsieges in Sonneberg wurde innerhalb der Linken der Ruf danach laut, doch wieder den Menschen vor Ort zuzuhören, mit den Arbeiter*innen zu sprechen und die Nöte wieder ernster zu nehmen. Abgesehen von der kritischen Frage, was die Linke denn bitteschön bisher getrieben habe, reibt man sich schon verwundert die Augen, welche Trennung da zwischen der Linken und den einfachen Leuten aufgemacht wird. Auch Sahra Wagenknecht spielt auf dieser Melodie. Selbst promovierte Akademikerin wirft sie ihrer Partei vor, zu einer abgehobenen Wohlstandslinken verkommen zu sein, deren Debatten um Klimaschutz, Gendergerechtigkeit und Emanzipation am Wunsch der Bevölkerung nach möglichst viel Sicherheit vorbei gingen. Die Angesprochenen nehmen zu Recht zur Kenntnis, dass mit Wagenknechts „Volksnähe“ Debatten von Enteignung wieder hin zu preiswertem Diesel verschoben werden. Aber ist es denn so? Sind Linke eine ganz andere Gruppe als normale Leute? Haben sich die theoretischen Debatten von den realen Problemen der Klasse, in deren Namen sie geführt werden entkoppelt?
Carlos Garrido hat in seinem aktuellen Buch The Purity Fetish and the Crisis of Western Marxism eine Annäherung an die Debatte gewagt. Er sieht das Problem in einem Reinheitsfetisch des westlichen Marxismus begründet, der seine Urspünge bereits in der griechischen Antike habe. Garrido ist einer der führen Köpfe des Midwestern Marx Instituts aus den Vereinigten Staaten von Amerika.
Der Reinheitsfetisch des Marxismus
Garridos Grundthese ist, dass der westliche Marxismus einen idealisierten Sozialismusbegriff besitze. Er denke in der Kategorie der Reinheit, in dem ein reines Proletariat durch Lohnarbeit und Ausbeutung sich aller Chauvinismen, Nationalismen und ideologischer Verklärungen entledigt habe. Er nähme Marxens programmatische Voraussage aus dem Kommunistischen Manifest wortwörtlich, dass „alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige entweiht [wird], und die Menschen endlich gezwungen [sind], ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ Dass Problem hierbei sei, dass ein solcher Idealismus zwangsläufig enttäuscht werden muss. So würde der idealisierte Anspruch die marxistische Linke von den konkreten historischen Sozialismusversuchen entfremden und eine Entsolidarisierung mit der globalen sozialistischen Bewegung bewirken. Während die revolutionären Versuche des westlichen Marxismus in Deutschland, Ungarn, Italien und Spanien in den Kinderschuhen stecken geblieben sind, spräche man den langen und harten Aufbaukämpfen in der Sowjetunion, in China, Vietnam und Nordkorea, sowie auf Kuba den sozialistischen Charakter ab. Während es gerade Marxist*innen seien, die sich permanent auf die reale Bewegung bezögen, würden sie notwendige Formierungen sozialistischer Gesellschaften im Anfangsstadium im Kampf gegen den Imperialismus sofort als Verrat an der reinen Idee verschreien. Darüber hinaus erschwere es der Reinheitsfetisch, sich positiv auf die Geschichte der eigenen Arbeiter*innenklasse zu beziehen, da diese ebenso von Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten geprägt sei. Dieser nationale Nihilismus verstelle den Blick auf Anknüpfungspunkte für die Emanzipation der Arbeiter*innenklasse, welche notwendigerweise auf der reaktionären Basis des Kapitalismus sprießen müssen. Dieser Mangel sei darin begründet, dass sich die marxistische Theoriebildung zunehmend auf den akademischen Raum zurückgezogen habe. Dort habe sie den Anschluss an die reale Bewegung verloren. Akademischen Marxist*innen gehe es eher darum, möglichst widerspruchsfreie Systeme zu konstruieren als eine politisch gewinnbringende Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse zu liefern. Oder um es zuzuspitzen: Marxistische Akademiker*innen nutzen die Kritik als Alleinstellungsmerkmal. Wenn es keinen Kapitalismus mehr gäbe, dann gäbe es auch nichts mehr (auf diesem politischen Feld) zu kritisieren.
Der lange Schatten des Parmeides
Nun ist der Rundumhieb gegen eine von der Arbeiter*innenklasse entfremdete Linke und akademische Elfenbeintürme zunächst nichts Besonderes. Ein originellerer Punkt des Buches ist aber die Herleitung dieses Reinheitsfetisch aus der europäischen Antike. Garrido bestimmt den Anfangspunkt dieses europäischen Exzeptionalismus auf nicht früher als 500 vor unserer Zeitrechnung. Damals sei die Philosophie in zwei Strömungen unterteilt gewesen: die eleatische Schule, der zum Beispiel Parmeides und Zeno angehört hätten und die Schule Heraklits.
Die eleatische Schule ging davon aus, dass das Sein einheitlich und unveränderlich sei. Da nichts aus dem Nichts geschaffen werden könne, könne die Welt nie mehr sein als eine Anordnung oder Neuanordnung des ewig Seienden. Dagegen argumentierte Heraklit, dass alles im Fluss sei. Die Welt bestünde aus einer Totalität der Verbindungen und Widersprüche von allem gegenüber allem, welche den Motor der Bewegung bildeten. Plato habe später versucht, diesen Streit durch eine Synthese beizulegen, in dem er zwischen Wesen und Form zu unterscheiden versuchte. Sein Schüler Aristoteles hingegen habe der eleatischen Schule wieder mehr Bedeutung beigemessen, da sein System der Logik auf Prinzipien der Unveränderbarkeit aufbaute. Wenn das Identitätsgesetz besagt, dass A gleich A ist, wie solle dann der permanente Wandel erlaubt werden, sodass A irgendwann nicht mehr A ist. Das gesamte aristotelische System der Logik beruht darauf, dass nur bereits bestehende Elemente neu arrangiert oder auseinandergenommen werden können. Erst die Dialektik Hegels brachte wieder Bewegung in die Philosophie, indem sie postulierte, dass A zwar identisch mit A sei, aber eine Einheit aus sich selbst und der eigenen Negation bilde (Näheres hier).
Nun setzt sich ein philosophisches System nicht willkürlich durch, sondern es beruht auf den materiellen Grundlagen der Klassengesellschaft. Ist eine aufstrebende Klasse gerade dabei, die existierenden Produktionsverhältnisse über ihre Schranken hinaus zu revolutionieren, dann ist die Bewegung zentrales Element der Ideologie. Hat sich eine herrschende Klasse jedoch gefestigt, dann ist die Unveränderlichkeit und ewige Wiederkehr das bestimmende Element. Die heutige Vorherrschaft der mathematischen und Computerlogik, des binären und nicht synthetischen Denkens, ist damit Ausdruck der festen Herrschaft der Bourgeoisie in den westlichen kapitalistischen Kernstaaten. Und zunehmend auch ihrer sozialen Bewegungen und linken Theoriebildung.
Zu den Widersprüchen des westlichen Marxismus
Ein erster Widerspruch, welcher sich für den westlichen Marxismus ergebe, sei die Unvermitteltheit, mit der sich sozialistische Zukunftsvorstellung und der aktuelle Klassenkampf gegenüber stünden. Jedes realsozialistische System präsentiert einen sozialistischen Weg im Kindheitsstadium. Der westliche Marxismus messe diese Systeme jedoch an einem ausgereiften Erwachsenen. Durch diesen unangemessenen Vergleich muss sich jede revolutionäre Bewegung der Gegenwart dem Verdacht aussetzen, diesem unfairen Maßstab nicht genügen zu können. Am extremsten wurde dies von der Frankfurter Schule expliziert. Wenn die jetzige Gesellschaft abzulehnen sei, aber auch jeder reale Gegenentwurf, so bliebe nur eine totale Negativität. Nun könnte eine totale Negativität zwar wiederum dialektisch über sich selbst hinaustreiben. In der Praxis hat sie sich jedoch als Einfallstor für allerhand pro-imperialistische und gesellschaftsaffirmative Deutungen erwiesen.
Der zweite Widerspruch sei das Auseinanderfallen von Praxis und Bewegung. Während es eigentlich so sein sollte, dass die Theorie Probleme der Praxis aufnimmt und versucht, wissenschaftlich zu erklären, um entsprechende Veränderungen der Praxis herbeizuführen, nehme sich der akademische Marxismus nicht mehr der Probleme des Proletariats, sondern der Bourgeoisie an, um sie nur in einem linken Licht zu reflektieren. Garrido nimmt hierfür das nette Bonmot Gabriel Rockhills zur Hand:
„Not unlike Elvis, who notoriously rose to fame in the music industry by appropriating, domesticating, and mainstreaming music from Black communities that was often rooted in very real struggles, Žižek became a front man in the global theory industry by borrowing his most important insights from the Marxist tradition but subjecting them to a playful postmodern cultural mash-up to crush their substance, thereby commodifying them for mass consumption in the neoliberal era of anti-communist revanchism.“
S.40
Ein dritter Widerspruch sei das Phänomen des linken Antikommunismus. Da sich Teile der sozialen Bewegungen ernste Gedanken über den Übergang von Kapitalismus und Sozialismus machten und damit die starre Distinktion von Ideal und Wirklichkeit aufhöben, würde der andere Teil der Bewegung versuchen, diesen sowohl organisatorisch wie polemisch anzugreifen. In Deutschland etwa haben wir die Spaltungstendenzen über die Bewertung des Nahost-Konflikts oder den sozialistischen Charakter Chinas. In diesem Kampf griffen dann ausgerechnet die marxistischen Reinheitsfetischisten auf bürgerliche Argumentationsmuster, wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zurück, ohne der materiellen Gehalt und ihre Rolle im globalen Imperialismus zu hinterfragen. Da Marx aber eben ein Kritiker der bürgerlichen Illusionen um Rechtsstaat und Freiheit war, müssen sie sich wiederum von marxistischen Kernelementen verabschieden. Damit lässt sich marxistische Reinheit also nicht einmal theoretisch erhalten. Die marxistische Theorie ist also eine Theorie, die darauf harrt, angewandt zu werden. Sowohl ihre praktische Anwendung als auch der Verzicht führen notwendigerweise zur Modifikation der ursprünglichen Theorie.
Ein vierter Widerspruch besteht zwischen Verständnis und Wertung. Normalerweise müsste man sich analytisch erst einen Begriff von einer Sache machen, um sie dann bewerten zu können. Da der westliche Marxismus jedoch bereits sehr früh erkennt, dass die sozialistischen Versuche nicht mit dem Ideal übereinstimmen, wird die Wertung vor der eigentlichen Untersuchung vorweggenommen. Jeglicher gesellschaftliche Fortschritt wird nur unter dem Aspekt betrachtet, wie er einem vermeintlich autokratischen bis totalitären System nutzen kann. Dass China im letzten Jahrzehnt ein sehr ambitioniertes Menschenrechtsprojekt in Angriff genommen hat, wird immer eingeschränkt durch die noch nicht umsetzbaren Menschenrechte. Bei letzteren wird dann auch nicht weiter geforscht, welche Ursachen bestimmte Menschenrechtsvorbehalte eigentlich haben. Kurzum: weil China von Anfang an als unemanzipatorisches, autoritäres und undemokratisches Projekt wahrgenommen wird, erkennt man die realen Prozesse und Widersprüche nicht mehr.
Auswirkungen auf die sozialistische Organisation
Nach Garrido ist die Revolution an zwei Bedingungen geknüpft. Erstens müssen die Produktivkräfte die Grenzen der Produktionsverhältnisse erreicht haben. Zweitens muss innerhalb des Proletariats ein Bewusstsein über die Klassengesellschaft und die Notwendigkeit ihrer Überwindung eingetreten sein. Nach Meinung des Autoren seien die objektiven Bedingungen in den Vereinigten Staaten bereits eingetreten. Die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich sei tiefer als je zuvor. Die Bourgeoisie könne kaum ihre Waren mehr absetzen, außer bei enormer Verschuldung der Arbeiter*innenklasse. Dies wiederum bringt in immer kürzeren Abständen Finanzblasen zum platzen. Die Ideologie der amerikanischen Bourgeoisie, die erst aus dem American Dream und dann aus dem Demokratie-Export bestand, blamiere sich mehr und mehr an der Wirklichkeit. Die Nähte des Klassenkompromisses platzen an hunderten Stellen, vom Studienkredit bis zum rassistischen Polizeiapparat.
Was allerdings fehle, sei die glaubwürdige Erzählung eines gegenhegemonialen Projekts. Dies habe mehrere Gründe. Anstatt in der Arbeiter*innenklasse verwurzelt zu sein, verkörpere die Linke einen kleinbürgerlichen Radikalismus. Da das Kleinbürgertum stark zwischen den beiden Polen Bourgeoisie und Proletariat schwankt, ist es am stärksten für ideologische Beeinflussung empfänglich. So habe der McCarthyismus selbst in den Teilen der US-Linken seine Spuren hinterlassen, die sich heute als radikale Linke verstehen. Gleichzeitig führt die ideologische Fluidität des Kleinbürgertums dazu, dass sie, einmal auf Seite der Linken stehend, versuchen, eine kulturelle Avantgarde zu bilden, welche auf das politisch stabilere und damit zeitweilig hinterhinkende Proletariat herabblickt. Zudem besitzt das Kleinbürgertum keine stabile Geschichte des politischen Kampfes, was dazu verleitet, alle Elemente der nationalen Vergangenheit zu negieren und den Klassenkampf als etwas prinzipiell neues darzustellen. So würde die berechtigte Kritik an der Wirklichkeit der „Deklaration der Menschenrechte“ in eine prinzipielle Kritik der amerikanischen Demokratiegeschichte umschlagen, ohne das Dokument als für seine Zeit fortschrittlich zu erkennen. Gemeinsame positive Bezugspunkte in der Geschichte würden so ohne Not verspielt, die selbst wichtige Vertreter der schwarzen Community immer wieder hochgehalten hätten. Die Linke müsse wieder lernen, den Bezug auf die Geschichte emanzipatorisch zu nutzen, die Elemente aufzugreifen, welche das Proletariat als gesamte Klasse eint und gegen jene Klasse zu wenden, welche durch die Verwertung des Werts alle sozialen Kontakte und Bezugspunkte auszulöschen versucht.
Kritik
Garrido hat zweifellos recht, dass man den Maßstab eines idealisierten Sozialismus nicht an reale sozialistische Projekte anlegen kann. Wahrscheinlich wird er für diese These auch wenig Widerspruch erhalten. Allerdings antwortet er nicht auf die Frage, wie lange man solidarisch mit einem nominell sozialistischen Projekt sein kann, auch wenn die Bewegung vom Sozialismus scheinbar oder real wegführt. Sozialistische Staaten sind per Definition immer noch Klassengesellschaften. In diesen gibt es Kämpfe und diese Kämpfe können Sozialisten verlieren, auch wenn ein Staat sich noch nominell sozialistisch definiert. Leider kann Garrido hier keine konkreten Kriterien benennen. Und wenn sozialistische Gesellschaften Klassengesellschaften sind, wen unterstützt eine Linke innerhalb der jeweiligen Staaten? Immer die regierende Fraktion, auch wenn sie das emanzipatorische Potential nicht ausschöpft, um dem Imperialismus kein Einfallstor zur Spaltung zu geben? Immer die fortschrittlichste Fraktion, auch wenn diese radikalkritische Positionen besitzt? Hier fehlt es leider an den Bestimmungen, welche die Debatte mit konkretem Leben füllen würden.
Zweitens verpasst Garrido es, die westliche Linke selbst hinreichend dialektisch zu interpretieren. Nicht nur die Kommunistischen Parteien der realsozialistischen Länder müssen ihren eigenen Weg zum Sozialismus finden, sondern auch die westlichen linken Bewegungen. Hier ist nicht ganz klar, welcher taktische oder strategische Nutzen sich beispielsweise aus einer „pro-chinesischen“ oder „chinasolidarischen“ Positionierung ergäbe, zumal China selbst jegliche Hilfen für die globale Linke eingestellt hat. Die Praxis des westlichen Marxismus muss am konkreten Klassenbewusstsein vor Ort anknüpfen und hier sind die gesellschaftlichen Verhältnisse vielleicht noch nicht so weit, um über schmerzhafte Wege zum Sozialismus zu streiten.
Denn drittes ist die Einschätzung der USA durch Garrido als objektiv vorrevolutionär mindestens diskussionswürdig. Die USA sind imperialistisch und der Imperialismus ist ein Mechanismus zur Glättung der Klassengegensätze. Allein jeder Druck neuer Dollars macht die amerikanische Gesellschaft im Vergleich zum Rest der Welt reicher (Näheres hier und hier). Und das bedeutet, dass die Bourgeoisie genügend Puffer besitzt, um sich zunächst auf eine sozialdemokratische Stellung zurückzuziehen, falls eine linke Bewegung heranrauscht.
Und viertens misst Garrido der aktuellen Linken vielleicht zu viel Bedeutung im aktuellen Diskurs bei. Die Linke befindet sich in den USA trotz Sanders und in Deutschland trotz der Linkspartei immer noch in einer Konsolidierungsphase. Wirkmächtige Angebote jenseits des engen parlamentarischen Raums an das Proletariat sind noch gar nicht zu machen. Linke Gegenkultur ist noch eher Subkultur. Jetzt ist die Zeit, die Klärung zu betreiben und dabei auch vermeintlich eklektizistische Haltungen ernst zu nehmen, gewissenhaft zu prüfen, richtige Argumente aufzunehmen, falsche zu verwefen und daraus Strategien zu entwickeln. Die pauschale Kritik, wie sie im Buch vertreten wird, ist hier vielleicht noch etwas verfrüht.
Zusammenfassung
Carlos Garrido hat mit The Purity Fetish and the Crisis of Western Marxism eine wichtige Debatte aufgegriffen und sich unterhaltsam-polemisch, sowie philosophisch-fundiert in dieser positioniert. Seiner Forderung, dass marxistische Wissenschaft wieder theoretisch reflektierte Antworten auf praktische Fragen der Bewegung liefern müsse, anstatt bürgerliche Unterhaltungsbedürfnisse zu befriedigen, ist ohne Abstrich zuzustimmen. Die Frage ist, wer diese Arbeit leisten soll? Würde der akademische Marxismus im Westen dies tun; die Forschenden würden wegen Parteilichkeit in Scharen aus den Universitäten fliegen. Eine gegenkulturelle, akademische Landschaft ist jedoch kaum etabliert. Zur Etablierung wiederum bedarf es jedoch einer kritischen Masse, die sich einer gemeinsamen Bewegung zugehörig fühlt, sowie eine revolutionäre Praxis, die revolutionärer Antworten bedarf. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Man kann nicht einfach pauschal Kritik an den Akademiker*innen im Elfenbeinturm üben. Man muss sich schon fragen, warum die politische Praxis der Theorie keine spannenderen Fragen als die nach der besten Marx-Interpretation stellt. Auch dieses Buch kann diesen Zustand nur problematisieren, aber eben nicht die praktische Organisation ersetzen. Immerhin versucht Midwestern Marx, ein solches unabhängiges Institut zu betreiben … und leistet so weniger durch den Inhalt des Buches, sondern mehr durch die Produktion des Buches einen wichtigen Beitrag zur geforderten Gegenkultur.
Literatur:
Garrido, C. (2023): The Purity Fetish and the Crisis of Western Marxism. Dubuque & Carbondale: Midwestern Marx.