Runder Tisch zur russischen Ökonomie

⋄ Die russische Ökonomie ist langfristig geprägt vom sowjetischen Erbe und der übereilten Privatsierung, kurzfristig von Sanktionen, Krieg und dem geopolitischen Umbruch.

⋄ Die
Fragen der politischen Ökonomie versammelten namhafte russische Wirtschaftler an einem Runden Tisch, um über Genese und Perspektiven zu sprechen.

⋄ Dabei kamen sowohl marxistische, sozialdemokratische als auch liberale und nationalorientierte Vertreter ihrer Zunft zu Wort.

⋄ Alle sehen die russische Wirtschaft zwar als stark defizitär, die aktuelle Situation jedoch als Chance für einenUmbruch an.

⋄ Der Artikel ist überschattet von der traurigen Nachricht, dass in der Nacht vom 17. zum 18. Oktober der Mitherausgeber der
Voprosi, Aleksandr Buzgalin, im Alter von 70 Jahren verstorben ist.
In tiefer Trauer um Aleksandr Buzgalin

Vor zwei Wochen wurden die neuen Вопросы политической экономииFragen der politischen Ökonomie der russischen Marxisten Aleksandr Buzgalin und Alexej Kolganov herausgegeben. In dieser Ausgabe wurden die Materialien eines Runden Tisches führender Wirtschaftswissenschaftlicher*innen der Lomonossov-Universität, der Russischen Akademie der Wissenschaften, sowie anderer Forschungs- und Bildungseinrichtungen veröffentlicht. Ziel des Runden Tisches war eine Verständigung über zentrale Fragen der russischen Ökonomie seit Beginn des Kriegs in der Ukraine. Die Texte geben Einblick in die Diversität russischer Forschungsansätze und auch in die Offenheit, mit der politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme auf wissenschaftlicher Basis in Russland noch besprochen werden können, ohne zu leugnen, dass der Diskursraum in den letzten beiden Jahren enger geworden ist.

Während der Entstehung dieses Artikels verstarb der Mitherausgeber und Autor der Fragen der politischen Ökonomie – Aleksandr Buzgalin (Näheres hier & hier) – in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober. Russland verliert damit eine kritische marxistische Stimme und einen international vernetzten Aktivisten. Wir bekunden seinen Angehörigen unser Beileid und hoffen, dass Buzgalins Arbeit von seinen Genoss*innen unermüdlich weitergeführt werden kann.

Aganbegyan: Fünfjahrespläne für den Aufbau des Kapitalismus

Mit einem einführenden Aufsatz machte der Leiter der Abteilung für Wirtschaftswissenschaften an der Russischen Akademie der Wissenschaften, Abel Gezevich Aganbegyan, den Auftakt. Aganbegyan zog ein kritisches Fazit nach den drei bisher erfolgten Phasen (Privatisierung 1992-1998, Erholung 1999-2008 und Stagnation seit 2009) der post-sowjetischen ökonomischen Entwicklung Russlands. Die ca. 100 Milliardäre in Russland besäßen 35% des russischen Vermögens. 60% dieser seien als Rentiers im Rohstoff- und Immobilienbereich tätig. In den Kategorien Monetarisierung des Anlagevermögens, Aktienkapitalisierung, Inflation und Marktkurs der Landeswährung (Vergleich Kaufkraftparität zum Wechselkurs) liege Russland de facto auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Der Leitzins ist mit 7,5% extrem hoch und verhindere private Investitionen. Seit 2008 sei mehr als eine Billion Dollar an Kapital aus Russland abgeflossen. Mit 1,3% an der globalen Produktionstätigkeit im Hochtechnologiesektor stehe Russland auf einer Stufe mit der wesentlich kleineren Türkei und der Anteil an Industrie-Exporten betrage gerade einmal 0,3% der Weltwirtschaft. Seit 2009 gäbe es kein einziges großes russisches Unternehmen mehr, dass über das Monopol an einer Warenart verfügt. Das Risikokapitalvolumen für innovative, aber riskante Geschäfte betrage mit 2,4 Milliarden Dollar ein 150tel dessen der USA.

Im Gegensatz zur Redaktionslinie der Voprosi macht Aganbegyan die nicht vollständig durchgeführte Privatisierung für die Rückständigkeit der russischen Ökonomie verantwortlich. Die Deprivatisierung der russischen Ökonomie seit 2003 (heute sind 71% unter staatlicher Kontrolle im Vergleich zu 31% 2003) sei ein schwerer Fehler gewesen. Russland sei eine Übergangsgesellschaft, die zwar nach dem Chaos der 90er Jahre wieder ein kleines Maß an sozialer Sicherheit für die breite Bevölkerung schaffen konnte, aber keine Zukunftsperspektive besitze.
Um die russische Ungleichheit zu beseitigen schlägt der Autor zunächst die Erhöhung der Renten und Mindestlöhne, finanziert durch die Einführung einer progressiven Einkommenssteuer, vor; zwei klassische Forderungen der KPRF. Auch Luxusgüter sollten höher besteuert werden. Weiterhin müsste die Qualität des Wohnungsbaus auf Kosten der Quantität erhöht werden. Eine sozial austarierte Grund- und Immobiliensteuer solle weitere Ungerechtigkeiten abbauen und die benötigten Investitionen in Produktion und Bildung mitfinanzieren. Daneben schlägt Aganbegyan jedoch auch neoliberale Konzepte vor, wie die Erhöhung der Wettbewerbsfreiheit bis hin zum „perfekten Markt“ oder die Entwicklung des Kapitalmarkts durch eine wirtschaftsfreundliche Zentralbankpolitik, sowie eine komplette Transformation des Finanz- und Fiskalwesens. Für dieses umfassende Vorhaben schlägt er die Einführung strategischer Fünfjahrespläne vor, wovon der erste 2026-2030 laufen solle. Diese versucht er von ihrem politischen sozialistischen Inhalt zu entkoppeln, indem er auf zahlreiche kapitalistische Länder verweist, die sich ebenfalls an solchen strategischen Plänen orientierten.

Dzarasov: Nicht die Fehler der Sowjetbürokratie wiederholen

Ausgerechnet ein Marxist widersprach der Idee solcher Fünfjahrespläne. Der trotzkistische Ökonom Ruslan Dzarasov schlug zunächst den Bogen von der Ausbildung der sowjetischen Bürokratie unter Stalin hin zu ihrer Bewahrung in der Gorbachev- und Yeltsin-Zeit. Das sich in nur kurzer Zeit und häufig illegal durchgesetzte Privateigentum sei wenig etabliert und war stark abhängig von der Akzeptanz der Bürokratie. Diese fundamentale Abhängigkeit und Unsicherheit habe zum Scheitern der Märkte geführt. Dzararov sieht eine prinzipielle Kontinuität zwischen der zentralistischen Planung und der heutigen russischen Wirtschaftsstruktur. Auf Grund der schnellen Wachstumsraten in der UdSSR hätten sich über den Plan vermittelt zwei herrschende Klassen herausgebildet, von denen eine die höhere Verwaltung bildete. Daneben habe eine Akquisitorenklasse mit besonderen Fähigkeiten existiert, die für die Verwaltung unverzichtbar gewesen sei. Diese Teilung der Eliten könne man heute noch erkennen. Ebenso habe die Messung des BIP an standardisierten Output-Zahlen die reale Leistungsfähigkeit der Sowjetökonomie nie abgebildet. Es seien zur Erfüllung der Kennzahlen zwar massig Vorprodukte hergestellt worden, ohne jedoch eine hinreichende Endfertigung aufzubauen. So mangelte es trotz beständiger Wachstumszahlen stets an Konsumgütern. Das heutige Russland kann die Vorprodukte immerhin exportieren, um die fehlenden Konsumgüter auf dem Weltmarkt zu kaufen und so ähnlich begann es bereits unter Breznev. Wer heute nur eine zentrale strategische Planung fordere, würde nur die dargestellten dysfunktionalen Klassenschema und ökonomischen Mängel reproduzieren anstatt die Arbeiter*innenklasse ernsthaft an der Macht zu beteiligen und eine heterogene Versorgung aufzubauen.

Buzgalin und Voeikov: Zur Vorbürgerlichkeit Russlands

Aleksandr Buzgalin, Exponent der Schule des postsowjetischen kritischen Marxismus, definiert die russische Ökonomie als einen Spätkapitalismus, der bereits ein Stadium erreicht hat, in dem er nicht mehr auf freiem Wettbewerb basieren kann, sondern einen strategischen öffentlichen Sektor notwendigerweise inkludieren muss. Das Spezifische an der russischen Situation sei dabei der massive Staatsinterventionismus, die hohe Heterogenität der Produktionsniveaus, die soziale und regionale Ungleichheit und das Fortbestehen einiger Errungenschaften der Sowjetunion, sowie die Orientierung der Politik an den Lebensbedingungen der Arbeiter*innen. Die Arbeit sei dabei real zwar vollständig unter das Kapital subsummiert, formell trete den Arbeiter*innen jedoch zusätzlich eine vorbürgerliche Bürokratie gegenüber, die zu einer doppelten Entfremdungserfahrung des Proletariats führe. Daraus resultiere die pro-aktive nationalistische Ideologieproduktion der Regierung, welche die fehlende gesellschaftliche Kohärenz ausgleichen müsse.

Während das Jahr 2022 einige Veränderungen in den Produktionsbeziehungen notwendig machten, fehle es an grundlegenden Reformen. Darunter verstehen Buzgalin und Kolganov erstens die Entbürokratisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Zweitens fordern sie eine Reorganisation der Eigentumsverhältnisse, die Privateigentum an gesellschaftliche Interessen knüpfe, den Gewerkschaften mehr Rechte einräume und den Arbeiter*innen verstaatlichter Betriebe mehr demokratische Kontrollmechanismen an die Hand gebe. Und drittens müsse z.B. durch eine Progressivsteuer auf Einkommen die Ungleichheit abgebaut und eine soziale Infrastruktur aufgebaut werden.

Doktor Mikhail Voeikov schrieb über den staatlichen Paternalismus in der russischen Ökonomie. Voeikov charakterisiert die Revolutionen 1917 beide (!) als im Kern bürgerlich-demokratisch. Anlehnend an Marxens Auffassung, dass sich keine neue Gesellschaftsform entwickeln könne, bevor die alte nicht alle Produktivkräfte entwickelt habe, sieht er die Besonderheiten Russlands, die sowohl Bolschewiki als auch Narodniki für einen russischen Sonderweg zum Sozialismus ins Feld führten, als überschätzt an. Die sowjetische Ökonomie habe die Waren- und Mehrwertproduktion nie überwunden, sondern nur staatlich gesteuert. Bürgerliche Ideologie in den Städten und kleinbürgerliche auf den Dörfern habe durch die gesamte Sowjetunion hindurch überlebt. In Krisenzeiten (Industrialisierung, Krieg) sei der bürgerliche Charakter zwar an eine nachgeordnete Stelle gerückt, in Zeiten der Normalisierung fand er jedoch immer schnell den Weg zuerst an die erste Stelle, weshalb es nicht verwunderlich sei, dass der Sozialismus die Stagnation der Breshnev-Jahre nicht überdauerte. Mit Vorbehalt sei die Sowjetunion daher als Staatskapitalismus mit mal mehr und mal weniger autoritärem Charakter zu bezeichnen. Allerdings habe die Sowjetunion dazu beigetragen, dass nicht alle Überreste des Feudalismus beseitigt worden seien. Und diese hätten sich nun nach der Restauration der kapitalistischen Gesellschaft wieder breit gemacht.

Der national orientierte Ansatz

Viktor Kulkov ist Vertreter des national orientierten Ansatz in den Wirtschaftswissenschaften und stellte diesen vor. Diese ökonomischen Disziplin sucht weniger nach allgemeinen Entwicklungsgesetzen, sondern stellt die Spezifika einzelner Volkswirtschaften in den Mittelpunkt. Dieser Ansatz ist keine Negation allgemeiner Gesetze, sondern sieht die Volkswirtschaft als durch ihre Mikroökonomie bestimmte Elementarzelle der globalen kapitalistischen Ökonomie an. Sie werde durch endogene und exogene Faktoren bestimmt, die in politischen Zielen und Formationen ihren Ausdruck fänden. Die sogenannte Globalisierung sei deshalb gescheitert, da die versucht habe, ökonomische Prinzipien zu universalisieren, die jedoch nur in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften den Staaten die Möglichkeit gäben, staatliche Ziele – Souveränität, Lebensfähigkeit, sozialer Ausgleich – zu erfüllen.

Anatoly A. Porokhovsky füllte diesen methodologischen Beitrag mit etwas empirischem Leben. Während es für die meisten Länder eine Notwendigkeit sei, in die globale Ökonomie eingegliedert zu sein, stelle sich der Fall in Russland etwas anders dar. Russland verfüge über fast alle klimatischen Zonen, Zugänge zu zwei großen Ozeanen und eine heterogene, diversifizierte Gesellschaft. Dadurch konnte es der Sowjetunion zwar tatsächlich gelingen, das Wagnis des Sozialismus in einem Lande einzugehen, die aufgebaute Wirtschaftseinheit wurde jedoch im Zuge der Perestroika kurzfristigen Profitinteressen geopfert. In Russland werde nun versucht, einen Kapitalismus in einem Land aufzubauen, wobei Propkhovsky diesen als „gemischte Marktwirtschaft“ bezeichnet. Preise seien der wesentliche Hebel, private Interessen würden sich jedoch zunehmend gesellschaftlichen unterordnen. Doch auch diese ökonomische Form sei nur als Übergang zwischen der unipolaren und der wahrhaft multipolaren Welt zu begreifen.

Auch Kaysyn A. Khubiev hält einen universellen ökonomischen Ansatz für unzureichend. Während sich die rein ökonomische Welt auf Grund der ihr inhärenten Gesetze auf dem Wege zunehmender Technologisierung und Zivilisierung befände, würde der politische Wille des Machterhalts der USA Russland genau auf den gegenläufigen Weg verbannen. Um darauf zu reagieren, müsse Russland sowohl an der inneren Entwicklung der bisher unzureichenden Ökonomie, als auch dem Ausbau einer multipolaren Welt arbeiten.

Die dialektische Methode: Russland und der Subimperialismus

Mikhail Greczko erläuterte in einem Methodenbeitrag die Bedeutung der Dialektik für die Analyse ökonomischer Zyklen. Die Entfaltung neuer Produktionsverhältnisse würde zunächst immer ein enormes technisches und gesellschaftliches Potential freisetzen, dass zu einer wahrnehmbaren Aufschwungphase führe. Die frei gelegten Produktivkräfte würden dann so weit wachsen, dass sie die ihnen zugrunde liegenden Organisationsformen sprengen würden. Bevor sie gesprengt würden, versuchten die alten gesellschaftlichen Kräfte in ihr Herrschaftsinstrumentarium zu zwingen, sodass enorme gesellschaftliche Kosten entstünden, die als wahrnehmbarer Abschwung aufzufassen seien. Als Beispiel führte der Autor die Übergänge im 19. und 20. Jahrhundert an, man kann aber auch die momentane Phase der Überdehnung des US-amerikanischen Herrschaftsanspruchs innerhalb dieses Konzeptes interpretieren. In der Phase der Globalisierung habe die USA den Kapitalismus in alle Teile der Welt tragen wollen. Die vergleichsweise billige Arbeitskraft Chinas, sowie die politische Koordination durch die KP hätten diesen globalisierten Kapitalismus jedoch für die Volksrepublik nutzbar gemacht, sodass ein zweiter Pol entstanden sei. Der Versuch, diesen zwanghaft aufzuhalten, verursache im Westen enorme Kosten und einen spürbaren Abschwung. Russland sei daher gut beraten, genau diese Kosten nicht mit zu tragen, sondern sich ins Fahrwasser der neuen globalen Ordnung zu begeben.

Oleg Komolov versuchte nun, diesen Ansatz auf die russische Ökonomie zu übertragen, die er als subimperialistisch ansieht. Den Begriff Imperialismus benutzt er dabei im Leninschen Sinne, wo ein Kapitalismus der freien Konkurrenz durch die inhärenten Konzentrationsprozesse des Kapitalismus zu großen Monopolen führt. Deren überakkumuliertes Kapital müsse exportiert werden, wodurch Konflikte zu anderen imperialistischen Ländern entstünden, welche den gleichen Imperativen unterworfen seien. Was Lenin jedoch zu seinen Lebzeiten beobachtet habe, sei nicht der Niedergang des Weltkapitalismus gewesen, sondern nur der Niedergang eines von mehreren Akkumulationstypen, nämlich des britischen. Dieser sei jedoch im 20. Jahrhundert nur vom amerikanischen abgelöst worden, der sich in mancherlei Hinsicht unterscheide. Der wichtigste Unterschied sei die formale Gleichheit der Akteure (im Gegensatz zu den früher formal abhängigen Kolonien), wobei durch Monopole auf moderne Technologie imperialistische Renten in die entwickelteren Staaten flössen. Dies führe dazu, dass auch subimperialistische Systeme entstünden, die diese Renten zwar an den Westen entrichteten, selbst jedoch regional Renten von noch weniger entwickelten Ländern einheimsten. Sie könnten die ärmsten Länder zwar nicht genauso stark ausbeuten, wie die USA oder Europa, aber sie könnten einen Teil ihrer Defizite neutralisieren. Trotzdem seien sie immer noch auf verstärkte Ausbeutung gegenüber der einheimischen Arbeiter*innenschaft angewiesen, um ihren Vorteil gegenüber den ganz schwachen Ländern aufrecht zu erhalten.

Klassisches Beispiel für einen Subimperialisten sei China. Das Land sei zwar noch stark von Exporten in den Westen abhängig, habe es aber geschafft, in Afrika, Asien und Südamerika eigene Abhängigkeiten aufzubauen. Auch für Russland treffe diese Charakterisierung in begrenztem Maße zu. So seien 80% der ausländischen Direktinvestitionen in die Gemeinschaft unabhängiger Staaten, also die Staaten des postsowjetischen Raums geflossen. Hier habe man die ökonomischen Verflechtungen aus sowjetischen Zeiten für die Generierung ökonomischer Abhängigkeiten nutzen können. Vor zehn Jahren noch war hier das hauptsächliche Ziel die Ukraine gewesen; insbesondere der Osten. Unter der Maidan-Regierung entstand die Drohung, dass russische Unternehmen durch die Annäherung an die EU dauerhaft aus dem ukrainischen Geschäft gedrängt werden könnten, was Poroschenko mit Verweis auf die Annexion der Krim und Russlands Engagement im Donbass auch tat. Die Sanktionen taten ihr Übriges, Russland auch aus anderen Erdteilen zu vertreiben, wie zum Beispiel Venezuela oder Westafrika. Ein wenig krankt die Charakterisierung am vergleichsweise geringen Volumen des russischen Kapitalexports. 45 Milliarden in der gesamten GUS sind im Vergleich zu den globalen Finanzströmen sehr gering. Allerdings liefert Komolovs Argumentation einen stichhaltigen theoretischen Rahmen für Russlands ideologischen und militärischen Kampf um die Ostukraine.

Zusammenfassung

Im Gegensatz zur herkömmlichen marxistischen, keynesianistischen und ökonomisch heterodoxen Ausrichtung der Voprosi kamen in dieser Ausgabe auch einige Vertreter der klassischen, neoliberalen und phänomenologischen Wirtschaftstheorie zu Wort. Allen Autoren gemeinsam ist die Analyse Russlands als einer stagnierenden, wenig produktiven und prinzipiell defizitären Ökonomie. Ebenso sehen jedoch alle Autoren in der momentanen Situation einen möglichen Hebel, die Ökonomie global wettbewerbsfähig zu machen. Sei es durch strategische Pläne, einen sozialen Umbau oder die Orientierung an China. Die Vorschläge wechseln dabei. Und ein dritter Punkt ist faszinierend. Die Person Putin spielt in keinem der Beiträge eine zentrale Rolle. Putin wird eher als Charaktermaske der geronnen Verhältnisse wahrgenommen anstatt als allmächtiger Staatenlenker.

Leider eröffnet keiner der Autoren eine Perspektive für einen sozialistischen Umbau Russlands, nicht einmal die chronisch revolutionsoptimistischen Trotzkisten. Den Autoren geht es mehr um Ratschläge an die Regierung, statt um Strategien zur Selbstermächtigung der Arbeiter*innen. Ob es sich hier um Angepasstheit, Selbstzensur oder nur Realismus handelt, muss der Leser an dieser Stelle für sich selbst entscheiden. Dennoch steht in Sachen Härte der Kritik und Pluralität ökonomischer Ansätze die russische Wirtschaftswissenschaft westlichen in nichts nach. Die Vorstellung von einer gleichgeschalteten russischen Debatte blamiert sich an der realen Debatte in Russland selbst. Das heißt nicht, dass die aktuelle Zensurgesetzgebung nicht jede*n kritische*n Wissenschaftler*in treffen kann, wie die Festnahme Boris Kagarlitzkys beweist.

Freiheit für Kagarlitzky!

Rest in Power – Buzgalin!

Literatur:

Alle Aufsätze erschienen in der aktuellen Вопросы политической экономии/ Fragen der politischen Ökonomie. Jahrgang 8. Ausgabe 3. Frei verfügbar unter: https://interpolitec.su/

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