Die Anatomie des Grammophons

⋄ Über die politische Ökonomie der Medien wird in der marxistischen Debatte sehr breit und kontrovers diskutiert.

⋄ Im wortwörtlich materialistischen Sinne zäumte Michael Chanan in seinem Buch
From Printing to Streaming das Thema von der Seite der technischen Entwicklung der Produktion, Speicherung, Wiedergabe und Übertragung von Kunst und Kultur auf.

⋄ Er zeigt, wie die konkreten Besonderheiten der einzelnen Medienträger die Kunst selbst prägten.

⋄ In der Kunst im Kapitalismus sieht er nicht nur eine Engführung auf Verwertungsinteressen, sondern umgekehrt musste auch der Kapitalismus seine Verwertungslogiken an die herausgebildeten Kunstformen anpassen.

⋄ Das Buch wurde für den Isaac-und-Tamara-Deutscher-Preis 2023 nominiert, gewann diesen jedoch leider nicht.

Als Adorno und Horkheimer 1944 eine Kritik der Kulturindustrie vorlegten, verschmolzen sie damals noch getrennt wahrgenommene Begriffe. Die Industrie war das Dreckige, das Profane, das Massenhafte; Symbol der Entindividualisierung. Die Kultur hingegen stand für das Ästhetische, Saubere und für den freien Geist. Der Begriff der Kulturindustrie brachte also damals ein gegensätzliches Paar zusammen. Heute würde den wenigsten einfallen, Kultur und Industrie als Gegensätze zu betrachten. Zu deutlich hat sich die Warenförmigkeit der Kunstwelt herauskristallisiert.

Der Dokumentarfilmer, Autor und Lehrer Michael Chanan zeichnete in seinem Buch From Printing to Streaming die technische Entwicklung der Medienindustrie nach und zeigte auf, wie die materielle Basis der Kunst immer wieder neue ideologische Formen schuf, die auf ihre technische Basis zurückspiegelten. Das Buch wurde für den Isaac-Deutscher-Preis 2023 nominiert, konnte sich jedoch nicht gegen Heide Gerstenbergers Market and Violence durchsetzen.

Die Idee des Buches

Anders als die Frankfurter Schule sieht Chanan die Totalität der kapitalistischen Verhältnisse als eine Chimäre an; eine nicht beweisbare Annahme, die in Zeiten der ausbleibenden Weltrevolution vielleicht plausibel klingt, aber doch falsch ist. Denn das Bewusstsein wird von den materiellen Umständen geprägt und damit eröffnet sich bereits definitorisch die Möglichkeit, dass Brüche zwischen materieller Realität und Bewusstseinsformen kommen. Und genau diese Krustenverschiebungen zwischen Produktivkräften und den durch die Produktionsverhältnisse erzeugten Bewusstseinsformen analysiert Chanan in seinem Buch. Er zeigt auf, wie technische Entwicklungen – mal durch spontane Ideen, mal importiert aus Militär und Industrie – die Medien der Kunst so veränderten, dass sie auf die Inhalte zurückspiegelten und damit die Ideologieproduktion veränderten. Bei jedem Veränderungsprozess kam es dabei zu unvorhergesehenen Sekundäreffekten, die meist maßlos überschätzt, manchmal jedoch auch revolutionär fruchtbar gemacht werden konnten.

Michael Chanan nimmt also den Begriff Materialismus in der Kulturindustrie wortwörtlich. Das betrifft hier nicht nur die Produktion von Kunst, sondern auch die Konsumtion, da nach Marx die Produktion auch ihre Konsument*innen schafft, bzw. klassenspezifisch mehrere verschiedene. Das Klavier, die Schallplatte oder das Radio waren gleichzeitig dazu geeignet, eine bourgeoise Privatheit für akustische Kunst zu schaffen, als auch Musik und Sprache an die massenhafte proletarische Öffentlichkeit zu bringen.

Stark inspiriert ist das Buch von Walther Benjamins Kunstbegriff, teilt aber nicht den zum Moralismus zugespitzten Zukunftspessimismus der späten Frankfurter Schule. Während diese nur die Tendenz der Zusammenführung und Subsumtion jeglicher devianter Kunst unter das kapitalistische Verwertungsdiktat erkennen konnte, zeigt Chanan genauso die divergenten Gegentendenzen auf. Um die verschiedenen Formen der Kunst unter sich ändernden Produktivkräften überhaupt verwertbar zu machen, musste der Kapitalismus nicht weniger als sich selbst beständig anpassen. Eigentumsbegriffe wurden in Frage gestellt – ist das Werk oder das Medium eigentlich Eigentum und wie lässt es sich schützen? – und mussten verändert werden, mit Folgen für die ganze bürgerliche Weltanschauung.

Musik geht um die Welt

Der Beginn der Vervielfältigung von Musik abseits der direkten Weitergabe von Lehrern an Schüler liegt in der Erfindung des Notendrucks durch Ottaviano Petrucci in Venedig Ende des 15. Jahrhunderts. Damit wurde die Produktion von Musik selbst nicht mehr nur dem professionellen Musikanten zugänglich, der eine grundständige Lehre absolvierte, sondern auch dem geschulten Amateur, der nun die Noten erwerben und für den privaten Gebrauch selbst spielen konnte. Für den Massendruck mussten jedoch die beweglichen Metallstempel noch präziser sein, als beim Buchdruck, da in drei Druckvorgängen übereinander gedruckt wurde. Mit der Möglichkeit, Noten zu drucken, etablierte sich auch erstmals die eigenständige Form des Komponisten. Die Trennung von Werk, Schöpfer und Darbietendem, die zum Beispiel für die Homerschen Epen heute gar nicht mehr rekonstruiert werden kann, hatte seinen Ursprung also in einem technischen Vorgang. Und mit dieser Trennung entstand auch die Möglichkeit, das Werk von seinem Schöpfer zu trennen und zu entfremden: die Bedingung für Ausbeutung.

Die Sache hatte nur einen Haken. Während überall in der Industrie die organische Zusammensetzung stieg, immer mehr Maschinen in kürzerer Zeit mehr Waren produzierten, konnte ein Musiker nicht einfach in kürzerer Zeit mehr Werke spielen. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler William Baumol sagte daher eine Kostenexplosion im Vergleich zu maschinell gefertigten Waren voraus. Arzt- und Konzertbesuche sollten in naher Zukunft unerschwinglich werden. Doch hier zeigte sich Marx im Recht, der nur die vergegenständlichte menschliche Durchschnittsarbeit als wertbildend ansah. Maschinell hergestellte Güter, für die ein*e Arbeiter*in einen Tag lang die Maschine bedienen musste, repräsentieren eben nicht mehr Neuwert, als ein durchschnittlicher Künstler, der für ein Werk einen halben Tag komponiert, einen Viertel Tag übt und einen Viertel Tag aufführt. Tatsächlich wurden Musiker*innen mit zunehmender Industrialisierung immer schlechter bezahlt, was zum Beispiel einige dazu bewog, sich unter eigener Regie zu organisieren, wie 1882 die Berliner Philharmonie.

Dennoch war das konstante Kapital der Musiker in ihrer Form als Gebrauchswerte ungemein wichtig. Nur eine Gesellschaft, die in der Lage ist, Instrumente gleichmäßig so herzustellen, dass trotz hunderter Einzelteile jedes einzelne wohltemperiert in den Klang eines Orchesters passt, kann überhaupt einen Geschmack für die Virtuosität eines Stücke entstehen lassen. Ein Beispiel für eine solche technische Entwicklung ist maßgeblich die des Pianos. George Bernard Shaw verglich die Bedeutung der Erfindung des Pianos für die Musik mit der der des Buchdrucks für die Poesie. Es konnte sehr standardisiert hergestellt werden und ermöglichte auch Produktionsanstiege mit der Halbierung der Herstellungsdauer pro Meisterleben im 17. und 18. Jahrhundert. Zudem ließ es sich so fertigen, dass auch weniger ausgebildete Hilfsarbeiter große Teile der Produktion übernehmen konnten und der Meister nur noch für besondere Aufgaben benötigt wurde. Es bot ein Vehikel für die einheitliche Notation von Musik und damit zur Reproduktion dieser; für einen gleichen Klang von Musik in einem größeren Territorium.

Aus der Geschichte des Musikmediums

Die Entwicklung des Grammophons hatte nicht weniger Einfluss auf die Musikwelt. Jeder kennt den charakteristischen Klang eines Grammophons, bei dem insbesondere tiefe Töne geschluckt werden. Dieser Umstand bewirkte nicht nur, dass Musik anders akustisch wahrgenommen wurde; sie wurde auch anders produziert. Blechblasinstrumente wie Saxophon oder Klarinette waren wesentlich besser zu hören und insbesondere der Jazz nutzte diese Instrumente in einer Weise, die vom europäischen Klanggefühl abwich. Durch die Studioaufnahme wurde Jazz zeitgleich entethnisiert und ethnisiert. Auf der einen Seite überschritten die Platten soziale und nationale Grenzen und konnten so von jeder Ethnie konsumiert, sprich angeeignet werden. Auf der anderen Seite zementierte das Label explizit schwarzer Musik auch die ethnischen Grenzen. Schwarze Musiker*innen blieben trotz Welterfolgen meist schlechter entlohnt als ihre weißen Kolleg*innen. Walther Benjamin berichtete 1927 aus Moskau, dass sich diese Dualität auch in der Komintern widerspiegelte. Einige Kader hielten Jazz für Ausdruck westlicher Dekadenz, andere betrachteten das Spiel mit musikalischen Traditionen und deren Bruch als avantgardistisch.

Die Schallplatte erlaubte es aber auch, Musik direkt zu exportieren. Standen nach dem Buchdruck und dem Piano zunächst die Komponisten im Vordergrund, warf die Schallplatte das Scheinwerferlicht auf höherer, ja globaler Stufenleiter, zurück auf die einzelnen Interpreten. Und noch etwas prägte die Musik bis heute. Anfang des 20. Jahrhunderts betrug die Standardlänge einer Grammophonplatte drei Minuten. Dabei handelte es sich um eine Art Produktivitätsoptimum. Diese künstliche Beschränkung der Lieddauer wirkt bis heute nach, wo der typische Radio-Edit noch immer ca. 3 Minuten beträgt. Apropos Radio. Natürlich war das Grammophon auch eine Voraussetzung für den Durchbruch des Radios als Unterhaltungsmedium. Anders hätte es auch die Massenwirkung erreicht.

Die Proletarisierung in der Kulturindustrie

Die Entwicklung der Medienindustrie veränderte auch nachhaltig die Zusammensetzung des Proletariats. Die Schreibmaschine wurde vorrangig von Frauen bedient. Einige der größten Poeten und Erzähler spannten Ehefrauen, Töchter oder gar Mätressen dafür ein, um ihnen ihre Werke zu diktieren. Daraus entwickelte sich ein typischer „Frauenberuf“. Zwischen 1870 und 1930 stieg die Anzahl an Stenotypist*innen um das 400-Fache an, wobei der Anteil von Frauen von 4,5% auf über 95% anstieg. Mit Words per Minute konnte sogar die Produktivität sehr genau gemessen werden. Frauen waren hier nicht weniger Maschinistinnen als Arbeiter am Fordschen Fließband, nur in einer anderen Sphäre der Produktion. Ähnlich wurde der Filmschnitt mit der Zeit zu einer weiblichen Arbeit. Sie verbindet mit den Stenotypist*innen, dass ihre Arbeit zumeist unsichtbar blieb.

Die Fotokamera hingegen führte eine ganz neue Waren- bzw. Gebrauchwertform ein. Es reichte ja nicht allein, die Kamera zu kaufen, um ihren Gebrauchswert konsumieren zu können. Es musste auch ein Film gekauft werden und diese mussten ins Entwicklungslabor gebracht werden. Mit dem Verkauf der Ware war also die Mehrwertproduktion noch gar nicht abgeschlossen. Vielmehr wurde eine zweite Unterstützungsindustrie gebraucht, die den Konsum der Ware gleichsam nochmal neu in die Produktionssphäre integrierte.

Manchmal überholte die technische Entwicklung auch Berufsbilder. Liefen zu Beginn der Fotografie Maler und Zeichner noch Sturm gegen die vermeintliche neue Konkurrenz, entwickelte sich mit der Fotografie auch der Markt für illustrierte Zeitungen, wodurch Künstler sowohl in ihrem gewohnten Metier, aber auch in den neuen Zweigen der Fotografen, Layouter, Cartoonisten, etc. Erwerbsmöglichkeiten fanden. Tatsächlich eröffnete die späte Industrialisierung einer immer größeren Zahl von Menschen eine Erwerbsmöglichkeit im kreativen Gewerbe. Allerdings immer arbeitsteiliger und unter zunehmend proletarisierten Bedingungen.

Pionierarbeit in der Industrialisierung der Kultur vollbrachte der bewegte Film. Die Kosten und der Umfang der verschiedenen Arbeiten – von der Maske über die Kamera und den Schnitt bis hin zur Vermarktung – wurden so hoch, dass die Kunstwerke nicht mehr als Produkt der schöpferischen Kraft eines Künstlers, sondern einer ganzen Filmfabrik erschienen. Damit wurde auch das Produkt nicht Eigentum ihrer Schöpfer, sondern der Studios. Anders als in der Gesamtökonomie sank die organische Zusammensetzung des Wertes der Filme mit der Zeit. Wurden Filme zu Beginn noch nach der Masse an Zelluloid verkauft, dessen Preis den der künstlerischen Arbeitskraft in Summe weit übertraf, führte erst die billige Massenproduktion von Filmrollen dazu, dass die kreative Leistung hinter dem Film preisbestimmend wurde.

Die Werbung wiederum hat die Fetischisierung der Ware nicht in dem profanen Sinne vorangetrieben, dass sie falsche Bedürfnisse erzeugt, die ohne sie nicht da wären (und umgekehrt reale Bedürfnisse verwirft, die zu befriedigen die kapitalistische Fehlallokation von Ressourcen zu leisten garnicht im Stande wäre), sondern das gesellschaftliche Verhältnis, dass die Warenform im Produktionsprozess repräsentiert, auch auf die Kommunikation innerhalb einer ganzen Klasse zu übertragen. Werbung macht Waren zu einer sozialen Hieroglyphe, an Hand derer Proletarier*innen, wenn ein Vergleich mit dem Bourgeoise schon außerhalb des Vorstellbaren liegt, sie sich doch zumindest mit anderen Mitgliedern ihrer Klasse vergleichen können.

Chanan macht auch plausibel, warum die klare Umreißung der immateriellen Arbeit so schwer fällt. Diese nehmen sehr unterschiedliche Erscheinungen an. Er nimmt hier Bezug auf Negri und Hardt, die immaterielle Arbeit in drei verschiedene Formen klassifiziert haben: Erstens als Arbeit, die den Produktionsprozess verändert, wie etwas das Schreiben eines Computerprogramms. Zweitens die symbolische und analytische Manipulation von Daten, was alles zwischen Forschung und Werbung umfasst. Und drittens die affektive Arbeit an menschlicher Interaktion und Selbstwahrnehmung. Jede dieser Arbeiten gehört unterschiedlichen Sphären des Kapitalismus an. Die erste ist in der Produktions-, die zweite in der Zirkulations- und die dritte in der Distributionsspähre verortet. Alle Arbeiten nehmen demnach im Gesamtprozess der gesellschaftlichen Reproduktion sehr unterschiedliche Funktionen ein, weshalb alleine die Klammer des Immaterialismus analytisch wenig zu bieten hat.

Gegentendenzen

Chanan ignoriert jedoch nicht die Gegentendenzen zu Hollywood, BILD und Facebook. Eisensteins Film über die Oktoberrevolution wurde auf der ganzen Welt zu Propagandazwecken genutzt. Sobald Kameras auch für die Mittelschicht erschwinglich wurden, bildete sich das Metier der Amateurfotografen und -filmer heraus, die nur dadurch von den professionellen Künstlern getrennt waren, weil sie ihre Werke nicht verkaufen konnten oder wollten. Durch Intellektuelle gegründete Filmclubs bildeten sich seit den Zwanziger Jahren heraus und versuchten, Künstler*innen jenseits des Massengeschmacks zu unterstützen. Mit der Zunahme pädagogischen und politischen Bedeutung sahen sich auch immer mehr die Staaten in der Pflicht, Fernsehen und Radioprogramme unter staatlicher Aufsicht zu betreiben und den privaten Sektor zu reglementieren.

In der Musikbranche entstanden kleine unabhängige Labels, deren Chanan die gleiche Bedeutung zumaß, wie Rosa Luxemburg dem Kleinkapital in der Akkumulation des Kapitals. Diese waren Experimentierlabore für neue Musikgeschmäcker und wenn sich bestimmte Künstler*innen oder Genres als massentauglich erwiesen, wurden sie auch durch die Major Labels verlegt. Erst in den 70ern wurden Indie-Labels ein Markt für sich, der zwar Protest gegen die Kommerzialisierung und die Gleichschaltung des popularen Geschmacks ausdrücken sollte, aber eben doch Teil des musikalisch-industriellen Komplexes blieb. Auch die Gegentendenzen in Film und Fernsehen erwiesen sich nicht als systemsprengend, sondern als durchaus nützlich.

Der Zugang zu Film- und Studiotechnik für den Amateurbereich wies den großen Konzernen nur einen anderen Platz zu. Man hätte annehmen können, dass die Reduzierung der Kosten für die Aufnahmetechnik, also des konstanten Kapitals, zu einem größeren Anteil an den Einnahmen für die Künstler*innen führen würde. Aber selbst im individualisierten Bereich der Kunst, wo sich abstrakte Arbeit nur schwer vergleichen lässt, erfüllt sich Marxens Voraussage, dass das konstante Kapital seinen Wert nur überträgt. Wenn dessen Preis sinkt, sinkt auch der Gesamtpreis. Da heute mit erschwinglichen Investitionen hochwertige Musik produziert werden kann, haben sich diese Unternehmen von der Produktions- auf die Zirkulationssphäre verlegt.

Abschließend fragt Chanan, anlehnend an die bekannte Unterscheidung Marxens, dass der schlechteste Architekt gegenüber der begabtesten Biene sein Gebäude bereits a priori im Kopf gebaut habe, ob die professionellen und nicht-professionellen Beteiligten sozialer Netzwerke eigentlich Architekt oder Biene seien. Schließlich arbeiten sie in vorgegebenen Strukturen, die sie letztendlich „nur noch“ mit Inhalten ausfüllen. Und hier endet der dialektische Materialismus mit Offenheit. Kreative Produkte sind Gebrauchswerte und unterliegen damit einem dialektischen Zusammenhang gegenüber ihrem Tauschwert. Welche Tendenz sich als dominant herausstellen wird, wird das Ergebnis politischer Aktivität in den anstehenden Klassenkämpfen sein.

Zusammenfassung

Es gibt nur wenige wissenschaftliche Bücher, von denen man sich wünscht, dass sie länger gewesen wären. Häufig verrennen sich Autor*innen in Nebendebatten und wollen im Vorfeld zu viele potentielle Einwände direkt aus dem Weg räumen, anstatt auf die Argumentationskraft des Werks selbst zu vertrauen. From Printing to Streaming ist kein solches Buch. Schicht für Schicht trägt Michael Chanan die historischen Sedimente ab, die heute das Fundament unserer Kulturindustrie bilden. Nie profanisierend, aber auch nie intellektualisierend, bestimmt er Querverbindungen, Wechselwirkungen, Interdependenzen, Wirkungen und Ursachen, indem er die historischen Prozesse beschreibt und an den richtigen Stellen mit theoretischen Einwürfen plausibel macht. Michael Chanans Darstellung gleicht der eines Uhrwerks, wo Zähnchen der produktiven Industrie, kreativen Industrie und Ideologie immer wieder ineinandergreifen; wo kein Rad bewegt werden kann, ohne auch ein anderes zu bewegen.

Im zweiten Teil des Buches kommt Chanan dabei immer weiter von einer materialistischen Interpretation ab. Als Leser*in merkt man, dass es ihm immer schwieriger fiel, die Fäden aus technischen Entwicklungen, Bedürfnissen der Industrie, ideologischen und ästhetischen und Verschiebungen, sowie Klassenformierungsprozessen zusammenzuführen, zumal die Geschichte hier noch nicht fertig geschrieben ist. Aber wer den ersten Teil aufmerksam gelesen hat, beginnt von selbst, eigene Schlussfolgerungen anzustellen. Chanan beweist Mut zur Lücke, der viel Raum für den eigenen Erkenntnisprozess lässt, ohne beliebig zu werden.

Um ehrlich zu sein, ist From Printing to Streaming das mit Abstand beste Buch unter den diesjährigen Deutscher-Preis-Nominierten. Die Jury hat einen guten Griff getan, es mit in Betracht zu ziehen und damit auf ein herausragendes Werk auf dem vielbeackerten Feld der Kulturanalyse aufmerksam zu machen.

Literatur:

Chanan, M. (2023): From Printing to Streaming. Cultural Producation under Capitalism. London: Pluto Press.

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