Ausblick auf die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2024: Torkil Lauesens globale Perspektive

⋄ Am 13. Januar findet die 29. von der Tageszeitung junge Welt veranstaltete Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin statt.

⋄ Zentrales Thema wird dabei die politische Einheit antiimperialistischer Kämpfe sein.

⋄ Zu diesem Thema referiert auch Torkil Lauesen, dessen aktuellstes politisches Buch
Die globale Perspektive 2022 ins Deutsche übersetzt wurde.

⋄ Lauesen beschreibt darin die westliche Welt als Parasitenstaaten, in denen durch die Extraausbeutung der kapitalistischen Peripherie ein Arbeiter*innenaristokratie geschaffen worden sei, die kein Interesse mehr an Revolution und Sozialismus habe.

⋄ Spannend an dem Buch ist die Einordnung des eigenen politischen Kampfes in der so genannten
Blekingegade-Bande und im Kommunistischen Arbeitskreis, wo Lauesen mit legalen und militanten Mitteln Geld für antiimperialistische Bewegungen sammelte.

Am 13. Januar 2024 findet zum 29. Mal die Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt unter dem Motto »Wem gehört die Welt?« im Tempodrom in Berlin statt. Sie wird als Livestream übertragen, Tickets sind aber noch an der Tageskasse erhältlich. Die große thematische Klammer wird die Bewertung des zeitgenössischen Antiimperialismus sein. Mit Fikrejesus Amahazion wurde ein Menschenrechtsforscher aus Eritrea, mit Sevda Karaca ein türkische Abgeordnete der Arbeiterpartei und mit Ignacio Ramonet eine zentrale Figur des Weltsozialforums eingeladen. Jeremy Corbyn wird gemeinsam mit anderen britischen Aktivisten eine Manifestation abhalten. Das Programm ist also recht bunt gemischt und keinesfalls ausschließlich marxistisch oder kommunistisch. Als dezidierten Kommunisten könnte man wohl noch am ehesten Torkil Lauesen bezeichnen, der über die Frage, wie Widerstand, praktische Solidarität und Antiimperialismus heute zu organisieren seien, referieren wird. Sein Buch Die globale Perspektive wurde letztes Jahr beim Unrast-Verlag aus dem Dänischen ins Deutsche übersetzt. Wir nutzen seine Einladung, um die zentralen Thesen des Buches vorzustellen und einen kleinen Vorgeschmack auf die Konferenz zu geben.

Torkil Lauesens „Die globale Perspektive“

Die Kernthese des Buches Die globale Perpektive lautet, dass die kapitalistischen Zentren seit 150 Jahren als „Parasitenstaaten“ auf Kosten der kapitalistischen Peripherie lebten. Durch die Extraprofite oder imperialistischen Renten sei es gelungen, eine sozialdemokratisch orientierte Arbeiter*innenaristokratie auszubilden, die nicht nur in politischer Passivität angesichts der enormen Ausbeutung des Trikonts verharre, sondern sogar aktiv an der Dominanz des weißen Westens mitarbeite. Während der reformistische Teil der Arbeiter*innenbewegung nur deshalb erfolgreich Reformen erstreiten konnte, weil er auf die Mehrausbeutung der Peripherie zählen konnte, habe der revolutionäre Teil seinen Internationalismus nur phasenweise und halbherzig ausgelebt.

Diese Tendenz verfolgt Lauesen bis ins späte 19. Jahrhundert zurück. Selbst Ikonen der Sozialdemokratie wie Ferdinand Lasalle sprachen von den Kulturvölkern, welche den unzivilisierten Völkern erst beibringen müssten, welche Segnungen die europäische Moderne für sie bereithalte. Die 1900 gegründete Labour Party bekannte sich zum britischen Empire. Und selbst das Marxsche Frühwerk ist durchzogen von Überlegensheitsvorstellungen, die erst mit tiefergehenden anthropologischen Studien wichen. Auch eine revolutionäre Internationalistin wie Rosa Luxemburg verkannte durch ihre unspezifische Sichtweise auf die Arbeiter*innenklasse die Vorteile, welche die Kolonialländer aus den Kolonien zog.

Erst die Komintern sollte nach dem Scheitern der Revolutionen im Westen offensiv Stellung gegen Imperialismus und Kolonialismus beziehen. Bündnisse mit politisch vielgestaltigen Nationalisten wurden geschlossen und wieder gebrochen. Eine Liebesheirat war es nicht und die Verbindungen hielten meist nur solange, wie für beide Seiten genug Vorteile dabei heraussprangen. Die britische und französische KP weigerten sich sogar, der Weisungen der Kominten Folge zu leisten und gegen die eigenen Kolonialismen aktiv vorzugehen. Mit dem Aufstieg Hitlers wich allerdings der Antikolonialismus zunehmend dem Antifaschismus. Die Sowjetunion musste eine existenzielle Bedrohung abwehren und nach dem Sieg überwogen die Sicherheitsinteressen über allen anderen. Stalin und Nachfolger beteiligten sich an einer Aufteilung der Welt in Einflussbereiche, welche zum Beispiel die italienischen, britischen und griechischen Kommunisten in die Fänge der Bourgeoisie führten.

Das Problem dabei war, dass der Westen auf Grund der imperialistischen Renten und Surplusprofite seine materiellen Ressourcen samt Waffen und Bestechungsmitteln ausbauen konnte, während die UdSSR die Unterstützung antikolonialer Bewegung wirklich etwas kostete. Mit Rotchina entstand ein neuer sozialistischer Pol, welcher der Sowjetunion das ideologische Monopol über die kommunistische Bewegung streitig machte. Man sah die UdSSR als revisionistisch an und legte seine Hoffnungen auf die Dörfer des Südens statt auf Moskau. Allerdings war China bettelarm und nach dem Bruch mit Moskau blieb die vorher reichhaltige Unterstützung mit Technik und Know How aus. Die Volksrepublik, die unter Mao noch die Sowjetunion bezichtige, den Kapitalismus wieder eingeführt zu haben, öffnete in den 80ern selbst seine Märkte für das Kapital und wurde zur Werkbank der Welt.

Im Westen hatte der Maoismus und die antikolonialen Kämpfe zu einer Neujustierung von kommunistischer Praxis und Theorie geführt. Der relative Wohlstand des Proletariats in den imperialistischen Zentren musste erklärt werden und der maoistische Aktionismus wurde zu einer populären Alternative für die ungeduldige Jugend im Gegensatz zu den auf friedlicher Koexistenz festgelegten moskautreuen Parteien. Die meist sozialistisch orientierten nationalen Bewegungen schafften es jedoch, abgesehen von Vietnam, Korea und Kuba nicht, auch sozialistische Staaten zu bilden. Die Hypotheken des Kolonialismus erwiesen sich als zu schwer und mit dem Fall der Sowjetunion gewannen die internationalen neoliberalen Finanzinstitutionen fast Allmacht.

Antiimperialismus in Dänemark

Die historische Bestandsaufnahme Lauesens bietet zwar einen guten Überblick, ist aber nun nicht wirklich neu, wenn man davon absieht, dass nur wenige dieser Narrative ins Deutsche übersetzt wurden und noch weniger in Deutsch verfasst wurden. Der eigentlich interessante Teil ist die Verortung des eignen Aktivismus in den Gruppen Kommunistischer Arbeitskreis (KAK), Manifest (M-KA) und der Blekingegade-Bande. Denn, wenn Lauesens Einschätzung stimmt und das Bewusstsein für die globale Perspektive der sozialistischen Bewegung beständig materiell unterlaufen wird, bringt das die Frage auf den Tagesplan, was für Revolutionäre in Europa und den USA zu tun sei. Dazu ist Dänemark ein sehr konservativ geprägtes, kleines und wohlhabendes Land. Wie lässt sich unter solchen Bedingungen ein revolutionärer Internationalismus gestalten, der nicht isoliert und anachronistisch in möglichst radikaler Rhetorik verbleibt.

Der Kommunistische Arbeitskreis entstand als eine Abspaltung der Dänischen Kommunistischen Partei Mitte der 60er Jahre, weil sich der Parteitheoretiker Gotfred Appel im Streit zwischen Moskau und Peking auf die Seite der Volksrepublik schlug. Die DKP war damals noch eine starke Partei, wenn auch im Niedergang begriffen. Durch ihr Engagement im Widerstand gegen die hitlerfaschistische Besatzung hatte sie sich einiges an Vertrauen in der Bevölkerung erworben und wurde nach ihrer Rückkehr in die Legalität zwischen 1945 und 1960 durchgängig ins Parlament gewählt. Mit 60.000 Mitgliedern verfügte sie zudem über eine breite Basis. Durch die schrittweise und spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter*innenklasse in Dänemark verlor die Partei jedoch zunehmend Aktivist*innen und Wähler*innen an das konservative und sozialdemokratische Lager. Mit der Orientierung an der Sowjetunion, welche durch ihren Kurs der friedlichen Koexistenz ihr internationales Engagement eingeschränkt und entpolitisiert hatte, gelang es ihr auch nicht, die rebellisch gesinnte Jugend zu gewinnen.

Diese organisierte sich in kleineren, aber sehr umtriebigen maoistischen und internationalistischen Zirkeln. Der eine Aspekt ihrer Arbeit war legal. Durch ein reichhaltiges Verlagswesen sollten nicht nur Genoss*innen argumentativ überzeugt werden, sondern auch Gelder für den antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungskampf gewonnen werden. Denn während die Sowjetunion Waffen, Technik und Know-How an linken Bewegungen lieferte und auch China Korea oder Vietnam militärisch und andere Teile zumindest ideologisch unterstützen konnten, hatte Dänemark etwas, woran es den realsozialistischen Ländern mangelte: Geld in harter Währung. Lauesen erzählte etwa die Anekdote, dass die Sowjetunion der PFLP Kisten mit Waffen schickte, während China nur Mao-Bibeln spendete. Geld jedoch kam von westlichen Organisationen.

Das Geld allerdings stammte vorrangig aus den eigenen Kreisen bzw. aus den Teilen der Arbeiter*innenklasse, welche die KAK und M-KA (über Tarnprojekte) ansprechen konnten. Es stammte also von denen, die ohnehin wenig hatten und wenig geben konnten. Anderweitige Mittel waren nur illegal zu beschaffen und das tat man auch. In den 80er Jahren überfielen Gruppen aus dem Manifest-Lager Banken, Postämter, Geldtransporter und Kaufhäuser. 1988 wurde dabei auch ein Polizist erschossen. Erbeutet wurde ein dreistelliger Millionen Betrag in Dänischen Kronen. Der Tod des Polizisten verschärfte jedoch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und 1989 wurden mehrere Mitglieder, inklusive Lauesen festgenommen und 1991 zu mittleren Haftstrafen verurteilt.

Lauesen problematisiert dabei auch das Spannungsverhältnis von legaler und illegaler Arbeit. So nahm der KAK 1969 intensiven Kontakt zu Arghiri Emmanuel auf, dem Autoren des Buches Der ungleiche Tausch (Näheres hier), der auch ein Vorwort für ein Buch der Gruppe schrieb. Nachdem die Raubüberfälle in Verbindung mit der Gruppe gebracht werden konnten, musste sich auch der mittlerweile emeritierte Emmanuel unangenehmen Fragen der Presse gefallen lassen. Lauesen stellt dar, wie sich Emmanuel anfangs gegenüber der Presse zwar als betrogen darstellte, in einer persönlichen Nachricht an Lauesen jedoch Verständnis für die Motive der Gruppe äußerte.

Der heutige Imperialismus

Der letzte Teil des Buch versucht, die aktuelle globale Situation ökonomisch und politisch zu beschreiben und daraus Konsequenzen für kommunistische Praxis zu entwickeln. Lauesen beschreibt ein Weltsystem, in welcher der Großteil des Wertes in der Peripherie geschaffen wird, während der Großteil der Löhne und Profite in den imperialistischen Zentren verbleibt. Die Welt habe sich in eine konsumorientierte Ökonomie mit einem starken Dienstleistungssektor im Norden und in eine produktionsorientierte Ökonomie im Süden entwickelt. Während in der Peripherie das Industrieproletariat absolut stark angewachsen sei, habe es im Westen eine Transformation hin zu unproduktiver Arbeit gegeben. Die Arbeiter*innen der Zentren würden dabei durch die globale Umverteilung des Werts sogar über mehr vergegenständlichte Arbeit mittels ihrer Löhne verfügen können, als sie zur Warenproduktion beitragen. Ausbeutung im Westen gebe es so eigentlich nur in einem abstrakten nur isoliert den nationalen Produktionsprozess berücksichtigenden Sinne, aber nicht mehr in der weltkapitalistischen Totalität. Selbst migrantisierte Arbeiter*innen könnten immerhin auf sauberes Wasser und zuverlässige Energie zugreifen. Das Proletariat hätte also weit mehr zu verlieren als seine Ketten. Westliche Staaten beschreibt Lauesen dabei folgendermaßen:

„Der Parasitenstaat ist ein kapitalistischer Staat. Er basiert auf Kapitalakkumulation und Profit, privates Eigentum ist gesetzlich geschützt. Aber der Parasitenstaat ist gleichzeitig eine spezielle Form des kapitalistischen Staates: Die von ihm bevorzugte politische Form ist die parlamentarische Demokratie, es gibt allgemeine Wahlen und ein staatliches Sozialsystem. Selbst wenn die neoliberale Politik den Wohlfahrtsstaat unter Druck setzt, bekennen sich politische Parteien aller Lager zu seinen grundlegenden Ideen. Der Parasitenstaat ist keine Diktatur der Bourgeoisie. […] Die Form, die ein bestimmter Staat annimmt, hängt von der Geschichte des Klassenkampfs in diesem Staat ab. Der kapitalistische Staat schützt die kapitalistische Produktionsweise, muss aber auch ein gewisses Machtgleichgewicht zwischen den Klassen schaffen. […] Die Regierung des demokratischen Staates repräsentiert weder die Interessen der kapitalistischen noch der proletarischen Klasse, sondern die Interessen der kapitalistischen Produktionsweise. Der moderne demokratische Staat ist ein Kompromiss, der es möglich gemacht hat, die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse innerhalb der kapitalistischen Ordnung zu verbessern.“

S.375

Die Theorie von Lauesen ist jedoch empirisch unhaltbar und theoretisch unterproblematisiert. Lauesen zitiert den kanadischen Ökonomen Gernot Köhler, dass die Wertübertragung vom globalen Süden in den globalen Norden im Jahre 1995 1.750 Mrd. Dollar betragen habe. Das BIP des globalen Nordens betrug jedoch im selben Jahr das Zehnfache. Die Ausbeutungsrate über die gesamte Ökonomie liegt historisch stabil bei etwa 100%, sodass der von den Arbeiter*innen produzierte Mehrwert das Fünffache des vom globalen Süden transferierten Werts betrug. Das ist immer noch eine große Menge und hat ohne Zweifel Klassenkompromisse materiell erst ermöglicht. Die These, dass durch diese Wertübertragung die Ausbeutung mehr als kompensiert werden könne, ist jedoch bei weitem nicht haltbar.

Theoretisch wirft Lauesen unproduktive Arbeit und Dienstleistungen häufig durcheinander. Die Unterschiede der Reproduktionskosten der Arbeit, also die Kaufkraftparitäten der Löhne, werden in aller Regel ignoriert. Dass Lebensmittel des täglichen Bedarfs – Kosten für Miete, Arbeitsweg, Lebensmittel und Kleidung – die Löhne eines großen Teils der Arbeiter*innenklasse auffressen, sich ein steigender Teil auch keine Luxusgüter mehr leisten kann (das Smartphone ist mittlerweile eine kulturelle Voraussetzung geworden, das auch im globalen Süden fast überall besessen wird), nimmt Lauesen kaum zur Kenntnis. Er benutzt auch einen sehr unspezifischen Wertbegriff. Meistens liest er ihn so, dass nur die mit der Stoppuhr messbare Arbeitszeit Wert produziert. Dass es jedoch um gesellschaftlich notwendige Arbeit geht und menschliche Arbeit hier mit maschinisierter Arbeit konkurriert, nimmt Lauesen wahlweise nicht zur Kenntnis. Wenn im Westen ein Auto fast ausschließlich mit Robotern gefertigt wird, dann sind die verbliebenden Arbeiter*innen formal unglaublich produktiv und werden sehr stark ausgebeutet, wobei der geschaffene Neuwert nicht alleine beim industriellen Kapitalisten verbleibt, sondern ein Großteil in die Zirkulation fließt. Und die Arbeit des globalen Südens misst sich an dieser hochproduktiven und stark ausgebeuteten Arbeit, nur dass die Arbeitskraft eben genauso profitabel sein muss, ohne über die entsprechenden Produktionsmittel zu verfügen, was nur durch die Absenkung der Löhne erreichbar ist. Lauesen tut jedoch so, als ob fast sämtlicher in der Zirkulation und gesamtgesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals fließender Wert dem produktiven Sektor des Südens entstamme. Oder um es mal zugespitzt zu formulieren: aus der Tatsache, dass in Afrika Arbeiter*innen in den Cobalt-Minen ackern, damit der Pizzabote in Europa mit dem Smartphone von seinem Arbeitgeber auf die Sekunde genau getrackt werden kann, macht Lauesen ein Herrschaftsverhältnis zwischen Proletarier*innen. Daneben benutzt Lauesen auch abweichende Wertbegriffe mit anderen oder zusätzlichen Bestimmungen, was der Kohärenz seiner Theorie nicht zuträglich ist.

Es ist jedoch klar. Lauesen will zuspitzen. Und nur durch die Zuspitzung treten auch einige Aspekte zutage, die anderweitig in Diskussionen häufig vergessen werden. Lauesen kritisiert etwa die verbreitete Ansicht, China könnte durch die Marktöffnung die USA einfach als führende imperialistische Macht ablösen. Hier wendet er berechtigt ein, dass die USA und Verbündete ihre imperialistische Stellung durch die monopolisierte Surplusausbeutung der Peripherie erlangten. China habe jedoch keine unumstrittene Peripherie, weshalb die Ökonomie der VR erstens mehr auf der eigenen Produktion basieren müsse und zweitens partnerschaftlicher mit der Peripherie umgehen müsse. Damit könne China die eigenen Klassenwidersprüche auch nicht gleichermaßen externalisieren, sondern diese nur durch eine erneute sozialistische Revolution bewältigen. Auf der anderen Seite arbeitet er gut heraus, wie das Framing antiimperialistischer Strömungen als „Terroristen“ einen kolonialistischen Topos widerspiegelt. Diese werden nicht als politische Gegner*innen betrachtet, sondern als unzivilisierte Bösewichte, denen die nur die Einsicht in die Segnungen der bürgerlichen Demokratie vermittelt werden müsste und die ansonsten nicht einmal das Recht auf Existenz besäßen.

Konsequenzen für eine Linke

Doch was hat jemand, der auf absehbare Zeit das revolutionäre Subjekt nur im Proletariat des globalen Südens sieht, eigentlich Kommunist*innen in den imperialistischen Zentren zu sagen? Tatsächlich ist das leider nicht viel. Seine Idee eines weltweit gleichen Lohns für alle Arbeiter*innen nimmt sich da noch erfrischend konkret und charmant aus. Darüber hinaus bietet Lauesen aber eher fragmentarisches. „Wir müssen über unseren Lebensstil und unsere Konsumgewohnheiten reflektieren.“ (S.394). Gewalt soll als Mittel nicht verworfen, aber nur angewandt werden, wenn es sinnstiftend hinsichtlich eines Ziels ist. Natürlich soll das Proletariat zur Abwehr der Angriffe auf soziale Einrichtungen mobilisiert werden und sich antifaschistisch organisieren. „Sektierertum schwächt den Widerstand.“ (S.401). Die Zeit einzelner zentralistischer Organisationen sei vorbei und man müsse sich in fluiden und pluralen Kämpfen engagieren. Und natürlich solle man die antiimperialistischen Bewegungen des Globalen Südens unterstützen. Der Sozialismus sei eine Idee, die in Europa geboren wurde, aber momentan nur im Trikont erkämpft werde.

Der weiseste Rat ist dabei noch, die mittelfristige Perspektive nicht zu vernachlässigen. Während die Linke gerne diskutiere, was auf dem nächsten Transpi stehen oder wie der Kommunismus genau aussehen solle, spielt die Frage, wo man eigentlich in fünf bis zehn Jahren stehen wolle, eine eher untergeordnete Rolle. Aber natürlich steht eben alles unter dem Vorbehalt, dass die Menschen im globalen Norden auf Grund ihrer privilegierten Stellung für radikale Politik nur schwer zu gewinnen seien.

Zusammenfassung

Torkil Lauesens globale Perspektive ist ein fruchtbarer Debattenbeitrag, nicht weil er von vorn bis hinten stimmig ist. Die theoretische Fundament ist wackelig und die politische Perspektive entspricht in ihrer Ernüchterung zu stark dem Zeitgeist. Aber gerade weil Lauesen den Finger berechtigterweise in die historische Wunde der Arbeiter*innebewegung legt – die Vernachlässigung der antikolonialen und antiimperialistischen Kämpfe und der Analyse, inwiefern damit der eigene Klassenkampf geschwächt werde – ist seine Schrift nicht einfach so abzutun. Irgendwo zwischen einer richtigen Analyse globaler Werttransfers und Abhängigkeiten und der Imagination einer alleinerziehenden Krankenschwester in Europa als irgendwie Teil der herrschenden Klasse wurde eine falsche Abbiegung gewählt, aber es ist nur schwer auszumachen, wo eigentlich. Eine biografische Interpretation, dass Lauesen nur die eigenen politischen Fehlschläge theoretisch plausibilisieren wollte, könnten Aufschluss über seine Motivation geben, aber nicht erklären, warum sein logischer Gang so überzeugend wirkt.

Die Rosa-Luxemburg-Konferenz ist letztendlich aber auch nicht das Forum für den einzig wahren Welterklärer, sondern soll über die Interaktion und Interdependenz verschiedener Ansätze Kommunist*innen dazu befähigen, qualifizierende Urteile in den globalen Klassenkämpfen zu fällen. Und dafür ist Torkil Lauesen ein beinahe idealer Gast.

Literatur:

Lauesen, T. (2022): Die globale Perpektive. Imperialismus und Widerstand. Übersetzt von Gabriel Kuhn. Münster: Unrast.

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