ökologischer und ökonomischer ungleicher Tausch

⋄ Die ungleiche Verteilung der Kosten der Klimakrise haben zur Diskussion um den ökologisch ungleichen Tausch geführt.

⋄ Andrea Ricci, einer der führenden empirischen Wissenschaftler zum ungleichen Tausch, hat die verschiedenen Ansätze vorgestellt.

⋄ In einer Studie verglich er den ökonomischen ungleichen Tausch mit dem ökoligischen nach Foster und Holleman.

⋄ Dieser zeichne sich dadurch aus, dass er eine dem Marxismus angemessene Unterscheidung von Tauschwert und Gebrauchswert vornehme.

Er zeigte auf, dass mit einer Sicherheit von 99% unbezahlte Arbeit aus dem globalen Süden mit unbezahlten energetischen Kosten korrelieren.

Dass die Ärmsten die höchsten Kosten des Klimawandels tragen, ist so offensichtlich, dass es eine Binsenweisheit geworden ist. Und gerade, weil es so ein Allgemeinplatz geworden ist, haben sich viele Ökonom*innen und Ökolog*innen auf die Suche nach einer Präzisierung gemacht. Ein Großteil stützt sich mehr oder weniger auf den Begriff des ungleichen ökologischen Tausches. Allerdings werden darunter sehr verschiedene Dinge verstanden. Die Natur lässt sich schließlich nicht so leicht auf einen Nenner bringen, mit dem man ein Plus oder ein Minus an der Beteiligung der Umweltzerstörung ablesen könnte.

Andrea Ricci, Assistenzprofessor an der Universität in Urbino, hat vor zwei Jahren ein herausragendes Buch zum ungleichen ökonomischen Tausch vorgelegt (Näheres hier). Damals hat er an Hand der Kaufkraftparität gezeigt, wie viel Zeit pro Arbeitsstunde eine Proletarier*in der kapitalistischen Peripherie für die Zentren arbeitet bzw. wie viel des Bruttosozialproduktes eines Landes allein über den Tausch zu Weltmarktpreisen in ein anderes fließt. Ricci hat in der aktuellen Capitalism Nature Socialism seine mit der ökomarxistischen Metrik des ungleichen ökologischen Tauschs nach Foster und Holleman verglichen. Das Ergebnis: der Zusammenhang von Armut und Umweltzerstörung lässt sich mit großer Signifikanz messen.

ökologisch ungleicher Tausch

Was ist zunächst eigentlich ein ökologisch ungleicher Tausch (ÖUT)? Die Kernthese des ÖUT lautet, dass Preise nicht die externalisierten Kosten für den Verbrauch begrenzter Ressourcen und die Lasten für die Umwelt abbilden (Näheres hier). Anders als die gern verbreitete Kritik an der extraktivistischen Wirtschaftspolitik peripherer Länder, nimmt der ÖUT zur Kenntnis, dass der Abbau der Bodenschätze notwendiger Bestandteil einer globalen Wertschöpfungskette ist, von der die produktiven Länder stärker profitieren als die extraktiven. Sich einfach auf Grund einer privilegierten Position als moralischer Richter aufzuspielen und dennoch die global hergestellten Waren genießen zu wollen, sei bigott. Auf Grund der internationalen Spezialisierung in der globalen Produktion hätten sich Länder herausgebildet, die durch den Export von Rohstoffen und Primärgütern ökologisch stark belastet sind, während die Länder am oberen Ende der Wertschöpfungskette eine weniger umweltschädliche Produktion haben. Obwohl sie weniger an den ökologischen Folgeschäden der Produktion zu leiden hätten, würden diese Länder den größten Teil des Wertes einheimsen. Verbunden sind solche Theorien in der Regel mit dem Ziel, die ökologischen Kosten mit im Preis abzubilden oder Rückverteilungsstrukturen zu schaffen, die es extraktiven Ländern erlauben, die Folgen ihres Teils des Produktion zu mindern.

Die Suche nach einer konsistenten Theorie des ÖUT hat nicht zuletzt mit den Veränderungen der internationalen Wirtschaftsarchitektur während der letzten dreißig Jahre zu tun, welche die empirische Dichotomie aus gering-produktiven, ressourcenexportierenden Niedriglohnländern und reichen importierenden hochproduktiven imperialistischen Nationen aufgeweicht hat. Es hat sich eine Reihe von Staaten dazwischen geschoben, die arbeitsintensiv in den mittleren Segmenten der Wertschöpfungskette sitzen und die Rohstoffe aus der Peripherie importieren und weiterverarbeitete Zwischenprodukte in die Zentren exportieren. Daneben gibt es auch stark auf Primärgüter angewiesene Hoch-Lohn-Länder wie Norwegen, Australien oder Neuseeland. Daher wünscht man sich einen objektiven Indikator, der in der Lage ist, eine realitätsnahe Verteilung der Umweltkosten abzubilden. Allerdings seien viele Ansätze noch sehr willkürlich, moralistisch und politisch manipulativ.

Modelle des ökologisch ungleichen Tauschs

Die Modelle eines ökonomisch ungleichen Tauschs lassen sich in vier Kategorien einteilen: neoklassische, nicht-reduktionistische, neophysiokratische und ökomarxistische. Der neoklassische Ansatz postuliert, dass sämtlicher Gebrauchswert im Idealfall im Preis abgebildet wird. Die Verknappung der Rohstoffe würde sich in einem Angebotsmangel als Preisanstieg bemerkbar machen und die Kapitalisten motivieren, nach Alternativen zu suchen. So etwas wie ungleicher Tausch sei nur durch verzerrende Eingriffe in den Markt möglich und könne durch die weitestgehende Liberalisierung abgeschafft werden. Wie man überhaupt Gebrauchswerte miteinander vergleichen sollte, darüber schweigt sich die Neoklassik genauso aus, wie die Klassik.

Nicht-reduktionistische Theorien versuchen hingegen, den subjektiven ökonomischen Wert einer Ware, der im Preis ausgedrückt sei, mit einen objektiven Wert zu vergleichen. Zwischen beiden bestünde notwendigerweise ein Unterschied. Solch ein objektives Maß könnte zum Beispiel die Entropie sei, nach der zur physikalischen Ordnung der Rohstoffe zur Ware mehr Unordnung an anderer Stelle erzeugt würde. Dies sei berechenbar. Die Abholzung eines Waldes würde zum Beispiel ein geordnetes ökologisches System in eine weitestgehend ungeordnete Wüste verwandeln, um wiederum eine Ware mit hoher Ordnung herzustellen. Nur mit zusätzlicher Energie, welche die Sonne auf die Erde strahlt, lässt sich dieser Entropie begegnen, weshalb erneuerbare Energien eine so wichtige Rolle spielten.

Während die nicht-reduktionistische Schule allerdings ein doppeltes Wertsystem aufstellt – einmal den Preis, einmal die Entropie – und erst im Nachhinein die Unterschiede ausgleichen will, wollen neophysiokratische Theorien den Preis gleich als die Summe aller in eine Ware eingegangene Energie, der so genannten Emergie, ausdrücken. Diese Theorie geht davon aus, dass am Ende alle Prozesse, auch die Vergegenständlichung menschlicher Arbeit Energieumwandlungsprozesse sind, die sich auf die Natur zurückführen lassen. Mit solch einem Preissystem würden Primärprodukte teurer, da sie mehr Energie verbrauchen, während die Weiterverarbeitung vergleichsweise weniger Wert zusetzen würde.

Ökomarxistische Ansätze gehen von der Doppelgestalt der Ware aus, die in Gebrauchswert und Tauschwert zerfalle. Während der Tauschwert die in einer Ware beinhaltete durchschnittlich menschliche Arbeitszeit ausdrücke und sozialer Natur sei, sei der Gebrauchswert die Nützlichkeit eines Guts, die sich gar nicht vergleichen ließe. Ein Stuhl und eine Predigt hätten beide einen Nutzen für Menschen, die bereit sind, dafür Geld auszugeben, aber sie haben nichts Objektives gemeinsam. Daraus folgt nun, dass die Schätze der Natur gar keinen Tauschwert enthielten, da in sie noch keine menschliche Arbeit eingeflossen sei. Sauberes Wasser, frische Luft, eine reiche Flora und Fauna seien allerdings alle jedes für sich von immensem Gebrauchswert. Der ungleiche Tausch liegt also in der Art der menschlichen Produktionsweise begründet, die vollständig revolutioniert werden muss, um die Ausbeutung der Natur zu beenden.

ökonomisch und ökologisch ungleicher Tausch

Die marxistische Theoriegeschichte kennt allerdings auch eine zweite Art des ungleichen Tauschs, der auf dem Marxschen Preisbildungsmechanismus beruht (Näheres hier). Zusammengefasst können Nationen oder Sektoren mit hoher Produktivität (bzw. organischer Zusammensetzung) gegenüber denen mit niedriger Produktivität Extraprofite erwirtschaften, da die hohe Produktivität wie ein Mehr an menschlicher Arbeit wirke, solange eine Produktionsmethode noch nicht international verallgemeinert ist. Andrea Ricci hat diesen Ansatz empirisch untersucht und das gigantische Ausmaß der Wertströme aus der kapitalistischen Peripherie und Halbperipherie in die westlichen Zentren aufgedeckt (Näheres hier).

Diesen Ansatz versucht er nun, mit dem ökologisch ungleichen Tausch zusammenzubringen. Während seine bisherige Untersuchung des ökonomisch ungleichen Tauschs auf den Kaufkraftunterschieden der Ware Arbeitskraft beruht, entnimmt er die Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs von Foster und Holleman. Diese hätten mit dem EMR, dem Emergie-Geld-Verhältnis, einen Indikator geschaffen, der ausdrückt, wie viel Emergie (in einer Ware eingeflossene Energie) pro Geldeinheit national benötigt wurde. Tauscht nun eine Nation mit geringem EMR eine Ware mit einer Nation mit hohem EMR, hat ein ökologisch ungleicher Tausch stattgefunden, der letztere benachteiligt. Die Nation mit geringem EMR lebe daher energetisch auf Kosten der mit hohem EMR. Der Unterschied zu den Neophysiokraten ist der, dass diese Emergie als Gebrauchswert pro Energie auffassen, während Foster und Holleman ihn als Tauschwert pro Energie auffassen. So umgehen sie den Widerspruch, dass sich Gebrauchswerte nicht vergleichen lassen und tragen in einer nicht moralisierenden Theoriebildung der kapitalistischen Logik Rechnung.

Riccis empirische Studie

Andrea Ricci untersuchte nun Folgendes. Jede Ware lässt sich auf zwei Quellen zurückführen: auf die Arbeit und auf die Natur. Jedes Naturgut wiederum ist innerhalb der Grenzen, welche die Menge an Materie auf der Erde vorgibt, ein energetischer Ordnungsprozess, wobei alle Energie letztlich von der Sonne stammt. Während Ricci bisher über die Kaufkraftparität den Geldausdruck der Arbeitszeit (Monetary Expression of Labour Time MELT) ermittelte, die angibt, wie viel mehr eine Stunde Arbeit im Deutschland gegenüber der in bspw. Bolivien wert ist, kann über den EMR ein Naturausdruck der Arbeitszeit (Natural Expression of Labour Time NELT) ermittelt werden, der angibt, wie viel Energie jede Stunde Arbeit durchschnittlich in einem Land sozusagen entwertet. Während die MELT anzeigt, dass eine Arbeitsstunde in einem peripheren Land weniger Geld wert ist und jede*r Arbeiter*in der Peripherie somit einen Teil einer Arbeitsstunde kostenlos für die westlichen Zentren arbeitet, weitet die NELT dies auf die Energie aus. Ein Land mit energieintensiver Produktion „schenkt“ den Ländern mit weniger energieintensiver Produktion Energie.

Eine hohe NELT gibt natürlich noch wenig Auskunft darüber, warum viel Energie in der Produktion verbraucht wird. Es könnte schlichtweg an ineffizienten Produktionsmethoden liegen, an Ressourcenverschwendung oder weil es keine grüne Partei gibt, die Solarplatten auf den Fabrikdächern vorschreibt. Um dieser Frage nachzugehen, hat Ricci die EMRs, NELTs und MELTs von 159 Ländern, die gemeinsam zu 97% des Weltbruttosozialprodukts ausmachen, verglichen. Mit einer Sicherheit von 99%, also der größten gebräuchlichen Genauigkeit, konnte er folgende Zusammenhänge aufzeigen.

Der Energieaufwand der Produktion steigt mit sinkendem Pro-Kopf-Einkommen. Je weniger eine Stunde Arbeitszeit der Proletarier*in wert ist, desto mehr Ressourcen werden pro Arbeitsstunde vernutzt. Dass der Zusammenhang mit so großer Sicherheit festgestellt werden konnte, zeigt auch, dass es sich um ein systematisches Verhältnis handelt. Es gibt keine Ausreißer, keine positiven Vorbilder. Reiche Nationen, die im Inland mit tollen Klimabilanzen aufwarten können, externalisieren ihren Energieverbrauch einfach in die Peripherie. Der Extraktivismus, der einzelnen Regierungen des globalen Südens immer wieder vorgeworfen wird, ist die einzige Möglichkeit, um überhaupt am Welthandel teilzunehmen, während andere Produkte nur durch massive Überausbeutung des Proletariats absetzbar wäre.

Zusammenfassung

Andrea Riccis Studie zeigt, dass Armut und Umweltzerstörung im Kapitalismus zusammengehören. Das ist umso prekärer, als dass ausgerechnet das periphere Proletariat auf eigene Subsistenz-Landwirtschaft und damit gute Umweltbedingungen angewiesen ist (Näheres hier). Das Ergebnis ist auch so strukturell nachweisbar, dass die individuelle Kritik an einzelnen Regierungen hinsichtlich des Raubbaus an der Natur ins Leere läuft. Wer die eigene Umwelt nicht ausbeutet, der nimmt halt gar nicht am Welthandel teil. Und das funktioniert spätestens dann nicht, wenn man auf den internationalen Märkten Medikamente kaufen muss.

Im Endeffekt ist das Ergebnis der Studie eine konkrete Formulierung des Theorems, dass alle Waren auf die beiden Quellen Natur und Arbeit zurückzuführen sind. In jedem getauschten Produkt stecken mehr Arbeit und mehr natürliche Ressourcen des globalen Südens, als dieser im Gegenzug erhält. So strömt nicht nur Wert, sondern auch Energie vom Süden in den Norden. Mit den Extraprofiten wird die Befriedung des Klassenkampfes bezahlt. Mit der Extraenergie der Naturschutz.

Für grüne Politik heißt das, dass ohne enorme politische Regulierung des internationalen Handels oder gleich die Abschaffung der Warenförmigkeit Klimaschutz immer zu Lasten der kapitalistischen Peripherie vonstatten gehen wird. Entweder zahlen diese energetisch für den westlichen Klimaschutz oder sie werden vom internationalen Handel abgeschnitten, wodurch Kapital für Modernisierung oder lebenswichtige Güter fehlt. Und daher darf es keine Trennung von Kritik der kapitalistischen Ökologie und Ökonomie geben. Außer einer: Mit Klimaschutz kann man im eigenen Land anzufangen, ist nicht verkehrt, bringt aber wenig. Mit Sozialismus im eigenen Land anzufangen, tut da bedeutend mehr für Mensch und Umwelt.

Literatur:

Ricci, A. (2023): Ecologically Unequal Exchange and the Value of Money. In: Capitalism Nature Socialism. Online First. DOI: 10.1080/10455752.2023.2195673

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