Die Heuschrecken sind weitergezogen

Zeitreise ins Jahr 2003/04. Deutschlands Wirtschaft schrumpfte das bisher einzige Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei aufeinander folgenden Jahren. Die Arbeitslosiggeit hatte einen der höchsten Stände nach der Wiedervereinigung erreicht. Die SPD-Linke ernannte die Orientierung am Shareholder Value zum Sündenbock. Anstelle der geradezu familiären Unternehmensführer, die sich noch um ihre Angestellten sorgten und nur das Beste für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Blick hätten, regierten nun die „verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen“ (Müntefering 2005). Fast 20 Jahre später hat sich die Debatte zwar wieder abgekühlt, Aktionär*innen gibt es jedoch immer noch und man fragt sich, was denn seit dieser Zeit aus der Shareholder Value Orientierung geworden ist. Diliara Valeeva, Tobias J. Klinge und Manuel B. Aalbers haben in der New Political Economy die Ausschüttungen an Aktionäre weltweit empirisch untersucht.

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99% gegen eins, eine für die 99%? Analysen zur Krise des Linkspopulismus

Dass die Linkspartei in Deutschland in einer Krise steckt ist offenkundig. Die Bildung einer linkspopulistischen Wahlalternative durch Sahra Wagenknecht erscheint in absehbarer Zeit als nicht unwahrscheinlich. Die Ankündigung, nicht wieder auf den Listen der LINKE. Für den Bundestag zu kandidieren, wirft jedenfalls seine Schatten voraus. Ein Wähler*innenpotential von annähernd 20% gilt als möglich.

Gesamteuropäisch betrachtet steckt der Linkspopulismus jedoch in einer tiefen Krise. Plattformen wie Podemos oder Syriza leiden unter beständigem Vertrauensverlust, obwohl sich die kapitalistischen Krisen eher verschärft als abgemildert haben. In mehreren wissenschaftlichen Journalen wurde daher in den letzten Wochen versucht, zu analysieren, woran dies liegt. Vielleicht kann man für Deutschland hieraus lernen.

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Rezension: Spezialoperation und Frieden (Ewgeniy Kasakow)

Russland ist ein Land, in dem es offiziell keine Kriegsbefürworter*innen gibt. Denn es gibt offiziell keinen Krieg. Kundgebungen für die Spezialoperation zu organisieren, ist ebenfalls nicht erwünscht. Politischer Aktivismus würde ja bedeuten, es handle sich um eine große Sache. Es ist für dem Kreml aber keine große Sache. Doch auch, wenn es weder Krieg noch Kriegsfreunde in Russland gibt, es gibt Kriegsgegner*innen. Auch wenn diese erst recht nicht protestieren dürfen.
Ewgeniy Kasakow hat in seinem Buch Spezialoperation und Frieden die Positionen der linken Kriegsgegner*innen zusammengetragen. Dazu hat er Interviews geführt, Quellen ausgewertet und die Geschichte einer zersplitterten politischen Bewegung aufgerollt. Herausgekommen ist eine Mischung aus politischer Enzyklopädie, Essaysammlung und kommentiertem Zeitgeschehen.

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Zur Klassenanalyse Afrikas

Wohin geht Afrika? Wenn ein*e Marxist*in eine Antwort auf diese Frage sucht, dann wird sie sicher zunächst die Produktionsverhältnisse und die daraus hervorgehende Klassenstrukturierung anschauen. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Eine politisch fruchtbare Klassenanalyse bereit schon in den imperialistischen Kernländern Probleme, wo es eine exorbitante Datenlage und vergleichsweise konventionelle und homogene kapitalistische Gesellschaftsorganisationen gibt. Afrika ist viel pluraler, viele Regionen sind politisch instabil, der Kapitalismus prallt noch immer auf vormoderne Lebensweisen und das koloniale Erbe lastet in verschiedenen Facetten auf den einzelnen Ländern. Paris Yeros von der Staatlichen Universität in Sao Paolo hat sich in seinem Paper Generalized Semiproletarianization in Africa an eine gesamtafrikanische Klassenanalyse gewagt.

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David Harvey begleitet in die Abgründe der Grundrisse

Die Grundrisse einer Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx nehmen in dessen Werk etwa die Stellung von Episode 1 im Star Wars-Universum ein. Seit mehreren Jahrzehnten hält der amerikanische Marxist und kritische Geograph David Harvey universitär wie außeruniversitär Vorlesungen und Seminare, die jungen und alten Menschen die Grundrisse näher bringen sollen. Anfang diesen Jahres hat er nun seinen Companion to Marx’s Grundrisse vorgelegt, in welchem er diesen reichhaltigen Erfahrungsschatz bündelte.

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Kohei Saitos neues Buch: Marx im Anthropozän

Kohei Saito kann mit Recht als einer der Popstars der zeitgenössischen marxistischen Theorie gelten. In Japan wurde Saitos Buch Capital in the Anthroposcene mit 250.000 verkauften Exemplaren ein unerwarteter Bestseller. Seine Promotionsschrift Natur gegen Kapital wurde durch den renommierten Campus-Verlag herausgegegeben und für eine doch recht trockene Abhandlung vielfach gelesen.

Das ist nicht zuletzt dem Thema geschuldet. Saito beschäftigt sich mit der Frage, was Marx zur Analyse der ökologischen Krise beitragen kann und wie sich grüne und rote Bewegung in fruchtbare Einheit bringen ließen. Als Mitarbeiter an der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe und Kenner der deutschen Sprache besitzt er aus internationaler Perspektive privilegierten Zugang zu sämtlichen Schriften von Marx und Engels und half, nicht-deutschsprachigen Leser*innen Aspekte von Marx zugänglich zu machen, die sonst ungehört blieben. Mit Marx in the Anthroposcene hat er diesen Januar nun ein neues Buch vorgelegt. Hierin will er zeigen, dass die Marxsche Theorie hin zu einem Degroth-Kommunismus zeige.

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Ökologisch ungleicher Tausch? Eine Diskussion

Wer ein Bild der Erde bei Nacht ansieht, sieht ein Stück politische Ökonomie. In den imperialistischen strahlen die Lichter. In den Regionen, in denen Öl, Kohle und andere Bodenschätze lagern, ist es dunkel. Die Ressourcen wandern vom globalen Süden in den Norden. Der Müll nimmt den entgegengesetztem Weg. Eine zeitgemäße politische Ökonomie des Imperialismus muss dieses Paradox erklären können. Alf Hornborg hat sich seit nunmehr 30 Jahren mit er Frage beschäftigt, warum ausgerechnet die Herkunftsländer unserer wichtigsten Ressourcen am wenigsten von ihnen profitieren. Gemeinsam mit an deren Wissenschaftlern entwickelte er die Theorie des ökologisch ungleichen Tauschs.

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Gendern auf Chinesisch

Im Westen tobt der Streit um Gendern und Identitätspolitik. Gibt es diese Debatte auch in der Volksrepublik China und wer führt sie? Ian Liujia Tian hat in der aktuellen Rethinking Marxism den Chinesischen Sozialistischen Feminismus CSF für ein westliches Publikum zugänglich gemacht. Sie argumentiert für eine Repolitisierung der Frauen*frage.

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Marxistische Medientheorie in Brasilien

Dass die Medien die vierte Gewalt im Staate sind, konnte man in den vergangenen zwölf Monaten wieder eindrücklich erleben. Mit dem Verhältnis von Staat, Klassen, finanzkräftigen Klientel und den Medien befassen sich seit 90 Jahren auch Marxist*innen aus Brasilien. Die Medienlandschaft in Brasilien ist geprägt von einer hohen Konzentration der Eigentümerschaft und einer oft einseitigen Berichterstattung, die in Veracht steht, insbesondere den Interessen der Eliten zu dienen. Francisco Rüdiger und Otávio Daros haben in der aktuellen Capital&Class die Debatte Revue passieren lassen und in die jeweiligen politischen Verhältnisse des größten südamerikanischen Landes eingeordnet. Ein kleiner Streifzug.

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Der Jugend die Welt

Rosa Luxemburg schrieb einst, dass die Jugend die hellste Flamme der Revolution sei. Sie gilt als begeisterungsfähig, progressiv, aktiv und weitestgehend frei von den Sorgen des Alltags. Ihr ist einiges zuzumuten und zuzutrauen. Gleichsam ist sie rebellisch, sucht ihre eigenen kulturellen Ausdrucksformen und lässt sich nicht so leicht vereinnahmen, wie es zuweilen Absicht der Herrschenden war. Die aktuelle Social History warf einen Blick auf die verschiedenen Formen jugendlichen Internationalismus. Sie fragte dabei nicht nur nach den Inhalten, sondern insbesondere nach den Formen.

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